Geheimdienstkontrolle durch die Milchglasscheibe – Die erfolgreiche Behinderung von ‚Transparenz‘

von Otto Diederichs

In den ersten Nachkriegsjahren unterstanden die neu entstandenen bundesdeutschen Geheimdienste ausschließlich der Verantwortung des Bundeskanzlers. Erst 1956 setzten die Bundestagsfraktionen bei Konrad Adenauer (CDU) die Einrichtung eines ‚Vertrauensmännergremiums‘ durch. Es sollte insbesondere die Tätigkeit des im Vorjahr von ‚Organisation Gehlen‘ (1945-55) in ‚Bundesnachrichtendienst‘ (BND) umbenannten Auslandsgeheim-dienstes kontrollieren. Im Laufe der Jahre stieg die Mitgliederzahl des Gremiums von zunächst 5 auf 13 Abgeordnete. Von einer Kontrolle konnte dennoch ernsthaft keine Rede sein: Das Gremium blieb ohne rechtliche Regelungen und trat nur auf Einladung des Kanzlers oder eines von ihm beauftragten Regierungsmitgliedes zusammen. Worüber und wie ausführlich berichtet wurde, bestimmte ausschließlich die Bundesregierung.

Dieser, selbst für die Regierungsfraktionen unbefriedigende Zustand sollte Ende der 60er Jahre durch eine gesetzlich geregelte parlamentarische Kon-trolle beendet werden. Ihren dahin gehenden Gesetzesentwurf zogen CDU/CSU 1969 jedoch wieder zurück, da sie befürchteten, die NPD könne bei den nächsten Wahlen in den Bundestag einziehen und dann ebenfalls einen Platz in diesem Gremium fordern. Übrig blieb somit auf Bundes- wie auch auf Landesebene zunächst nur die Einsetzung sog. ‚G 10-Kommissionen‘ zur Kontrolle der Post- und Telefonüberwachung (Bund und Schleswig-Holstein: 1968; Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Saarland: 1969; Rheinland-Pfalz: 1979; Bayern: 1984; Berlin: 1991). Darüber hinaus blieben der BND und das 1950 als neuer Inlandsgeheimdienst gegründete ‚Bundesamt für Verfassungsschutz‘ (BfV) für die Parlamentarier eine ’no go area‘: Zutritt verboten.

Parlamentarische Kontrolle im Bund

Im Frühjahr 1977 wurde durch eine Veröffentlichung des ‚Spiegel‘ der ‚Traube-Skandal‘ bekannt. Beamte des BfV waren unter tatkräftiger Mitwirkung des BND in der Sylvesternacht 1975/76 bei dem Atommanager Klaus Traube eingebrochen und hatten seine Wohnung ‚verwanzt‘, weil sie ihn für einen Sympathisanten der RAF hielten. Die verantwortliche Bonner Regierung aus SPD/FDP setzte daraufhin eine Arbeitsgruppe ein, die ein Gesetz zur Geheimdienstkontrolle erarbeiten sollte. Im November 1977 brachte die Koalition ihren Entwurf ein. Das lediglich auf einer Absprache der Parteien basierende Vertrauensmännergremium sollte durch eine Institution mit eigener Rechtsgrundlage ersetzt werden und aus acht Mitgliedern bestehen, die im Verhältnis 3:3:2 von den im Bundestag vertretenen Fraktionen gestellt werden sollten. Es sollte regelmäßig und umfassend über die Tätigkeit des BfV, des BND und des 1956 gegründeten ‚Militärischen Abschirmdienstes‘ (MAD) unterrichtet werden. Gleich zu Beginn der Beratungen kamen die Parteien darin überein, zunächst die Chefs der drei Geheimdienste anzuhören, um deren Bedenken Rechnung zu tragen, ihre Arbeit könne zukünftig behindert werden. In der Folge wurde der Entwurf geändert. Während in der ersten Fassung die Unterrichtung noch „uneingeschränkt“ sein und auch die Prüfung von Auslandsaktivitäten beeinhalten sollte, wurde dies nun in eine „entsprechende“ Unterrichtung geändert. Zeit, Art und Umfang der Unter-richtung sollte „unter Beachtung des notwendigen Schutzes des Nachrichten-zugangs durch die politische Verantwortung der Bundesregierung“ geregelt werden. Im März 1978 stimmten Bundestag und Bundesrat dem Gesetz zu, das am 11.4.78 in Kraft trat. Damit löste die neugeschaffene ‚Parlamentarische Kontrollkommission‘ (PKK) das Vertrauensmännergremium ab, das wegen angeblicher Indiskretionen ohnehin seit 1976 nicht mehr einberufen worden war.

Die Anfänge auf Länderebene

Während sich die Bundestagsparteien somit weitgehend in Abstinenz übten, kam auf Länderebene Bewegung auf. 1974 war die parlamentarische Kontrolle des dortigen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) eine der zentralen Aussagen im Wahlprogramm der Hamburger FDP. Nach zweijährigen Beratungen mit dem Koalitionspartner SPD legten beide Fraktionen im Oktober 1976 einen Gesetzentwurf vor. Er sah einen dreiköpfigen Ausschuß mit weitreichenden Kompetenzen der Parlamentarier vor: Sie sollten u.a. jederzeit Zutritt zu den Einrichtungen des Verfassungsschutzes erhalten und in Einzelfällen die Vorlage von Akten verlangen können. Die Weitergabe der (damals noch als Regelanfragen durchgeführten) Überprüfungen von BewerberInnen für den öffentlichen Dienst sollte dem Ausschuß in jedem Falle mitgeteilt werden müssen; VerfassungsschutzmitarbeiterInnen sollten als Zeugen und Sachverständige geladen werden können. Mit ihrem Entwurf lagen die Hamburger allerdings völlig quer zu einem Modellentwurf zur Verfassungsschutzkontrolle, den die Innenministerkonferenz (IMK) etwa zeitgleich erarbeitet hatte und in dem solche weitreichenden Befugnisse nicht vorgesehen waren. Entsprechend heftig waren die Widerstände. Am Ende des Streites stand im Februar 1977 dann wieder eine Anhörung der drei Geheimdienstoberen. General Gerhard Wessel (BND), Brigadegeneral Albert Scherer (MAD) und Richard Meier (BfV) redeten den Abgeordneten ihre Pläne denn auch flugs wieder aus. In einem neuen Entwurf, der im Februar 1978 schließlich angenommen wurde, war das jederzeitige Zutrittsrecht der Kontrolleure weggefallen; die Überwachungsfunktionen wurden „praktisch auf freiwillige Auskünfte (…) begrenzt“.
1976 versuchte in Niedersachsen die oppositionelle SPD bei der Beratung eines Verfassungsschutzgesetzes einen Kontrollausschuß zu installieren – und scheiterte. Es sei nicht auszuschließen, so die CDU in ihrer Ablehnungsbe-gründung, „daß ein solcher Landtagsausschuß irgendwann von verfassungs-feindlichen Kräften im Parlament unterwandert würde“. In der nächsten Legislaturperiode legte die CDU dann ihrerseits einen Gesetzentwurf zur Einrichtung einer PKK vor, um einem Antrag der SPD zuvorzukommen, der die Verfassungsschutzkontrolle durch eine Änderung der Landesverfassung regeln wollte. Im März 1980 setzte die Regierungsfraktion ihre Vorstellungen durch.
Ebenfalls 1976 machte sich die Bremer FDP für eine parlamentarische Kontrolle stark, ihre Vorlage verschwand allerdings nach der Überweisung an die Innendeputation sofort in den Schubladen. So dauerte es noch weitere fünf Jahre, bis im März 1981 das Verfassungsschutzgesetz geändert wurde, und auch an der Weser erstmals ein parlamentarisches Kontrollgremium eingerichtet wurde. In Hessen dauerte es noch länger. Zwar vereinbarten die dortige SPD und FDP bereits 1978 die Einrichtung eines Kontrollausschusses in ihren Koalitionsvereinbarungen, kamen dann jedoch überein, der ‚G 10-Ausschuß‘ solle diese Aufgabe mitübernehmen. Eingang in das G 10-Gesetz hat diese Ver-einbarung allerdings nicht gefunden. Zur tatsächlichen Festschreibung einer PKK kam es erst bei Inkrafttreten eines neuen Verfassungsschutzgesetzes im Dezember 1990. Soweit einige Beispiele.

Totgeburt

Formell bedeutet die Installation von Parlamentarischen Kontrollkommissionen auf Länder- und Bundesebene gegenüber einem Vertrauensmännergremium oder einer gänzlich kontrollfreien Situation fraglos einen demokratischen Fortschritt. Tatsächlich allerdings hat sich nur wenig geändert. Unbedingt notwendige Befugnisse, die der Hamburger Ausschuß ursprünglich einmal hatte erhalten sollen, wie etwa der jederzeitige unangemeldete Zutritt zu den Einrichtungen des Verfassungsschutzes oder der Anspruch auf uneingeschränkte Aktenvorlage, sind bis heute häufig kaum umgesetzt. Der wesentliche Geburtsfehler indes liegt wohl in der überall verankerten Geheimhaltung der Ausschußvorgänge, die es deren Mitgliedern unter Strafandrohung untersagt, über die erhaltenen Informationen in ihrer Fraktion, geschweige denn öffentlich zu berichten. Ein interessantes Beispiel dafür, wie sich solch eine selbstauferlegte ‚Diskretion‘ auswirken kann, bietet die 1986 als ‚Celler Loch‘ bekanntgewordene Geheimdienstaffäre: Vier Jahre lang wahrte der niedersächsische Abgeordnete Karl Ravens, der in seiner Eigenschaft als SPD-Fraktionsvorsitzender selbst erst mit vierjähriger Verspätung von einem von den Sicherheitsbehörden ausgeführten Sprengstoffanschlag auf die Justizvollzugsanstalt Celle unterrichtet worden war, selbst gegenüber seinen PKK-Kollegen Schweigen über diesen ungeheuerlichen Vorgang. Ernste Schwierigkeiten mit ihren Kontrolleuren haben die Dienste so bislang nie bekommen.

Störfaktor DIE GRÜNEN !?

Solchermaßen läßt es sich geheimdienstlich vielleicht etwas unbequem, aber dennoch trefflich leben. Man hat sich miteinander arrangiert und selbst me-dienwirksame Austritte aus der PKK (des Bundestages) aus „Protest gegen die Mißachtung der parlamentarischen Rechte durch die Bundesregierung“ wie etwa 1980 der des SPD-Abgeordneten Gerhard Jahn (zweiter Austritt 1990 aus gleichem Grunde ) haben nichts geändert – wohl auch nicht sollen. Erst als Anfang der 80er Jahre die GRÜNEN in den Bundestag einzogen und Anspruch auf einen Platz in der PKK und der G 10-Kommission erhoben, wurde die Ruhe erneut gestört. Die Regierungskoalition aus CDU/CSU/FDP lehnte dies rundweg ab, zugleich wurde die Besetzung des Unterausschusses des Haushaltsausschusses, der die Wirtschaftspläne der Geheimdienste zu beraten hat, so geändert, daß die GRÜNEN dort keinen Sitz erhielten. Das Gespenst von der Unterwanderung durch Verfassungsfeinde feierte fröhliche Urstände. Bei ihrem zweiten Anlauf an der Geheimdienstkontrolle beteiligt zu werden, scheiterte die Fraktion 1987 bereits an eigener Dummheit: Bei der Abstimmung waren nicht genügend eigene Parlamentarier anwesend, so daß die erforderliche Stimmenzahl gar nicht erst erreicht wurde. Genutzt hätte es vermutlich wohl ohnehin nichts. Bereits im Januar 1986 war die Fraktion beim Bundesverfassungsgericht mit einer Klage auf Beteiligung am Unterausschuß des Haushaltsausschusses, der die Geheimdienstetats zu beraten hat, abgewiesen worden. Anders sah es wieder auf Landesebene aus, aber auch hier ist der Beginn bezeichnend. Im November 1987 wurde in Bremen der Abgeordnete Martin Thomas als bundesweit erster GRÜNER in die PKK gewählt. Daraufhin ließ der Geheimdienst der US-Streitkräfte in Deutschland umgehend ein Dossier über ihn anfertigen.

Gleich in doppelter Weise interessant ist der Umgang mit der Geheimdienst-kontrolle in Berlin (West). Als dort 1981 die ALTERNATIVE LISTE (AL) ins Berliner Abgeordnetenhaus einzog, lagerte man in der seinerzeitigen Halbstadt die Verfassungsschutzangelegenheiten, die bis dato im Innenauschuß mitberaten worden waren, auf Weisung der Alliierten kurzerhand aus. Fortan wurden, ähnlich dem versunken geglaubten Vertrauensmännergremium, lediglich noch die Fraktionsvorsitzenden von CDU, SPD und FDP vom Innensenator über ausgewählte Vorgänge unterrichtet. Dies blieb so bis 1986/87 die Umtriebigkeiten des besonders skandalanfälligen Berliner Verfassungsschutzes die Einrichtung einer Kontrollkommission unumgänglich machten, um die Öffentlichkeit zu beruhigen und weitergehende Aufklärungsforderungen abzubiegen. Die AL blieb dabei allerdings außen vor. Erst 1989 mit der ‚rot-grünen‘ Regierungskoalition aus SPD und AL wurde die PKK durch einen ‚Ausschuß für Verfassungsschutz‘ (VSA) ersetzt , der grundsätzlich öffentlich tagen sollte – ein bis heute einmaliges Novum der Geheimdienstkontrolle. Ausnahmen waren nur in besonderen Fällen vorgesehen, deren Geheimhaltungsbedürftigkeit der Innensenator zu begründen hatte. In seinen Anfängen hat der VSA (in bescheidenem Umfang) tatsächlich einige Transparenz herstellen können – indes es währte nicht lange. Infolge der deutsch/deutschen Vereinigung wurden 1991 Neuwahlen nötig, die zu einer CDU/SPD-Koalition führten. Mit dem damit verbundenen Wechsel auf einen CDU-Innensenator erlahmte auch der Informationswille des Amtsinhabers, der – und dies ist die wichtigste Lehre – von entscheidender Bedeutung gewesen war.

Im Januar 1995 schließlich sprang auch der Bundestag über seinen Schatten und wählte den GRÜNEN-Abgeordneten Manfred Such, einen ehemaligen Kripo-Beamten, in seine PKK. In einer Presserklärung anläßlich seiner ersten Teilnahme an einer PKK-Sitzung forderte Such „mehr Transparenz der Parlamentarischen Kontrollkommission“ und schlug als Minimalvoraussetzungen vor, die Sitzungstermine und die jeweilige Tagesordnung künftig öffentlich bekanntzugeben. Außerdem solle die PKK ihre Geheimhaltung soweit lockern, daß zu einzelnen, vorher vereinbarten Tagesordnungspunkten anschließend öffentlich Stellung genommen werden kann. Da sich an der Praxis umfassender Diskretion nichts geändert hat, darf wohl davon ausgegangen werden, daß die für die Annahme des Antrages notwendige Zweidrittelmehrheit nicht zustandegekommen ist – wobei dieses Ergebnis selbstverständlich auch geheim ist.
Man darf gespannt sein, wie sich die parlamentarische Kontrolle der deutschen Geheimdienste weiterentwickeln wird. Der GRÜNEN-Kontrolleur wird in jedem Falle einen langen Atem und Standfestigkeit benötigen, denn bislang haben die geheimen Krokodile ihre parlamentarischen Dompteure noch jedes Mal gefressen.

Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.