Europol und Eurojust – Die politische Debatte leidet unter Rechtsillusionen

von Ben Hayes und Heiner Busch

Seit dem Amsterdamer Vertrag steht fest: Europol soll „operative“ Befugnisse erhalten. Die rechtliche und politische Debatte läuft der tatsächlichen Entwicklung wieder einmal hinterher, denn faktisch ist das Amt auch als Informationspolizei längst „operativ“ tätig. Ob durch den Aufbau von Eurojust ein justizielles Gegengewicht zur polizeilichen und politischen Macht von Europol geschaffen werden kann, ist sehr zu bezweifeln.

Ende vergangenen Jahres arbeiteten 245 Personen bei Europol. 47 von ihnen waren VerbindungsbeamtInnen der Mitgliedstaaten, 156 Europol-BeamtInnen im engeren Sinne, darunter wiederum rund 30 Informations- und KommunikationstechnikerInnen, 40 KriminalanalystInnen und 36 Personen in der kriminalpolizeilichen Auswertung.[1] Heute, zehn Jahre nachdem der Europäische Rat in Luxemburg dem Drängen des deutschen Bundeskanzlers nachgegeben hatte und wegen der angeblich so dramatischen Entwicklung des Drogenhandels den politischen Startschuss für den Aufbau des Amtes gab, ist Europol eine feste Größe in der polizeilichen und innenpolitischen Landschaft der EU. Die 1995 unterzeichnete Konvention ist im Oktober 1998 in Kraft getreten; im Juli 1999 nahm Europol mit allen notwendigen Zusatzprotokollen und Durchführungsbestimmungen den „Vollbetrieb“ auf. Das Provisorium mit Namen Europol-Drogeneinheit (EDU) war damit definitiv abgeschlossen. Provisorisch war daran ohnehin nur der rechtliche Status, die ministerielle Vereinbarung aus dem Jahre 1993, gewesen. Tatsächlich waren mit dem Arbeitsantritt der EDU im Januar 1994 vollendete Tatsachen geschaffen, die nur noch ihrer rechtlichen Form und ihres weiteren Ausbaus bedurften.

Das Recht läuft auch gegenwärtig wiederum der politischen und polizeilichen Entwicklung Europols hinterher. Schon 1997 haben sich die EU-Regierungen im Amsterdamer Vertrag darauf geeinigt, dass das Amt spätestens fünf Jahre nach Inkrafttreten des Vertrags, also im Jahre 2004, auch mit Kompetenzen im „operativen“ Bereich ausgestattet sein soll. Auf dem Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Tampere im Oktober 1999 wurden diese Ziele erneut bekräftigt. Seitdem bemühen sich die Gremien des Innen- und Justizrates, allen voran die Europol-Arbeitsgruppe, neue Zwickel in das rechtliche Kleid des dicker werdenden Amtes einzusetzen. Sie tun dies allerdings, ohne den polizeilichen Körper, der damit verhüllt werden soll, genauer abzumessen.

Eine politisierende Informationspolizei

Den bi- und multilateralen Informationsaustausch zwischen den Polizeien der Mitgliedstaaten zu beschleunigen und sie mit Analysen und Daten zu unterstützen – dies ist nicht erst seit der Konvention die zentrale Aufgabe Europols. Zwar durfte das Amt vor deren Inkrafttreten noch keine eigenen Datensysteme betreiben, bereits seit Arbeitsantritt der EDU waren aber VerbindungsbeamtInnen der Mitgliedstaaten in Den Haag stationiert. Die Voraussetzungen für das Funktionieren der Informationsdrehscheibe waren damit gelegt.

Die Zahl der von der EDU bzw. den VerbindungsbeamtInnen bearbeiteten Fälle nahm in den ersten Jahren rapide zu – von 595 im Jahre 1994 auf 2.607 1997 – und sinkt seitdem wieder (1998: 2.298, 1999: 1.998, 2000: 1.922). Dass in den Jahresberichten von Fällen und nicht einfach von Anfragen die Rede ist, verdeutlicht, dass es sich bei diesem Informationsaustausch nicht um ein einfaches hin und her handelt, bei dem auf eine Frage eine Antwort folgt. Tatsächlich lag die Zahl der Antworten immer erheblich höher (1999: 1.998 Fälle, 9.969 Antworten). In einem Fall aus dem Jahre 1999 wurden laut Tätigkeitsbericht insgesamt 40 Zusatzfragen registriert, die ihrerseits zu 227 Antworten, zwei kontrollierten Lieferungen, fünf Observationen und 20 Rechtshilfeersuchen führten. Schon als Provisorium bewirkte die Arbeit des Amtes also eine enorme Datenakkumulation.

Das hat sich trotz sinkender Fallzahlen keineswegs geändert. Die „Computersysteme“ des Amtes (TECS, The Europol Computer Systems) sind zwar noch nicht vollständig fertiggestellt; das Personen- und Fallregister („Informationssystem“), das von den nationalen Stellen unmittelbar abrufbar sein soll, wird erst im kommenden Jahr betriebsbereit sein. Auf dem derzeitigen „Interim-System“ werden allerdings bereits die „Arbeitsdateien für Analysezwecke“ geführt, die jeweils für Analyseprojekte – wenn auch nicht für jedes – eingerichtet werden. „In einem Fall“, so heißt es im Jahresbericht 2000, „wurden in einer Analysedatei bis zu 100.000 Einzeldaten durch Verbindungsbeamte übermittelt.“

Wie dem Jahresbericht 2000 und dem Arbeitsprogramm für 2002 zu entnehmen ist, gab es im vergangenen Jahr insgesamt elf solcher Dateien, darunter zwei im Bereich Terrorismus (zu „islamischem extremistischem Terrorismus“ und zu „Ökoterrorismus“), zwei, die sich mit kriminellen Organisationen aus Osteuropa befassen, eine über türkische Drogenhändler, eine im Bereich der Geldfälschung und zwei in Bezug auf illegale Einwanderung (aus dem Irak sowie aus „einer bestimmten chinesischen Provinz“). Womit sich die anderen drei befassten, lässt sich nicht erkennen. Weitere Projekte gibt es u.a. zur Kfz-Verschiebung in den Ostseeraum, zu Motorradgangs, Kinderpornographie und Kokainschmuggel aus Lateinamerika. Welche dieser Projekte und Dateien „strategisch“ ausgerichtet sind, d.h. einen Kriminalitätsbereich ausleuchten sollen und keine personenbezogenen Informationen enthalten, und welche „operativ“, also auf einen Fallkomplex oder eine vermutete Organisation bezogen sind, bleibt unklar.

Operative Arbeitsdateien dürfen laut Konvention höchst sensible Daten über Beschuldigte und (potenzielle) Verdächtige, (potenzielle) Zeugen, (potenzielle) Opfer, Kontaktpersonen u.a. – mit anderen Worten: über jede die Polizei in irgendeiner Weise interessierende Person -enthalten, ein datenschutzrechtlicher Skandal. Mindestens genauso problematisch ist die damit verbundene Arbeitsweise. Das „projektmäßige“ Vorgehen beinhaltet, dass selbst „operative“ Dateien nicht eingerichtet werden, weil in irgendeinem EU-Staat ein Verbrechen geschehen ist, das aufgeklärt werden muss. Die oben aufgelisteten Themen belegen vielmehr eine Auswahl unter „strategischen“, kriminalpolitischen Gesichtspunkten. Europol erstellt nicht nur Lageberichte oder ist – wie im Falle des europaweiten OK-Lageberichts – an deren Ausarbeitung beteiligt. Das Amt definiert auch durch seine praktische Ermittlungstätigkeit die polizeilichen Bedrohungsvorstellungen in der EU mit.

Was heißt hier operativ?

Laut Art. 30 Absatz 2 des in Amsterdam renovierten Vertrags über die Europäische Union soll Europol innerhalb von fünf Jahren eine Koordinationsrolle bei grenzüberschreitenden Ermittlungen erhalten, die nationalen Polizeien zur Einleitung von Ermittlungen auffordern und an gemeinsamen Ermittlungsteams teilnehmen dürfen. Im Wiener Aktionsplan „zum Aufbau des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“[2] wurde diese Frist auf zwei Jahre verkürzt. Die Diskussion um die Ausgestaltung der rechtlichen Befugnisse des Amtes ist allerdings in weiten Teilen bereits durch seine praktische Tätigkeit überholt. Praktisch bedingt seine Rolle als Intelligence-Einheit, dass Europol auch ohne ausdrückliche Befugnisse grenzüberschreitende Operationen koordiniert, die nationalen Polizeien zur Aufnahme von Ermittlungen animiert und an Ermittlungsgruppen in begrenztem Ausmaß beteiligt ist.

Neben den im engeren Sinne informationspolizeilichen Aufgaben hat Europol und hatte auch schon die EDU eine unterstützende und koordinierende Funktion. Seit 1994 haben die VerbindungsbeamtInnen gemäß den Tätigkeitsberichten in mehr als 600 Fällen „operative Unterstützung“ geleistet. Dabei ging es u.a. um grenzüberschreitende Observationen sowie um kontrollierte Lieferungen. Im letzteren Falle lässt die Polizei einen einmal erkannten oder durch V-Leute gesteuerten Transport illegaler Waren über Grenzen hinweg bis zum Bestimmungsort observieren und greift erst dann zu, wenn „Hintermänner“ oder Abnehmer in Erscheinung treten. Für derartige Aktionen erstellte die EDU 1995 ein Handbuch, in dem die rechtlichen Bestimmungen, die Zuständigkeitsregeln und Kontaktpunkte in den Mitgliedstaaten aufgezählt werden.[3] Von 1996 bis 1999 waren die Europol-VerbindungsbeamtInnen in insgesamt 253 kontrollierte Lieferungen involviert (1996: 33, 1997: 62, 1998: 46, 1999: 112). In der Regel dürfte es sich dabei um Drogenermittlungen gehandelt haben. Der Jahresbericht 1999 nennt erstmals auch sieben solcher Aktionen im Bereich der illegalen Einwanderung. Nicht auszuschließen ist, dass der Tod von 58 chinesischen ImmigrantInnen, die im Juli 2000 in einem Container im Hafen von Dover erstickten, im Zusammenhang mit einer kontrollierten Lieferung der Ware Mensch stand.[4]

Laut Jahresbericht hat Europol im Jahr 2000 bei 42 grenzüberschreitenden Observationen assistiert. Daten über kontrollierte Lieferungen finden sich nicht mehr im Bericht selbst, sondern nur noch in einigen der im Anhang abgedruckten Kurzberichte der Verbindungsbüros. Allein das britische Büro war demnach an 33 solcher Operationen beteiligt. Die deutschen VerbindungsbeamtInnen haben „drei kontrollierte Lieferungen in die Wege geleitet und andere Mitgliedstaaten bei vier kontrollierten Lieferungen unterstützt.“ Die anderen Büros – so z.B. das spanische – erwähnen zwar „umfangreiche kontrollierte Lieferungen von und an andere Mitgliedstaaten“, schweigen sich aber über die genaue Zahl aus.

Europol koordiniert also bereits jetzt grenzüberschreitende Ermittlungshandlungen der Polizeien der Mitgliedstaaten. Laut Jahresbericht für 1998 wurden die Mitgliedstaaten sogar aufgefordert, Unterstützung nur noch für Aktionen anzufordern, die mehr als zwei Staaten betreffen, alle bilateralen Angelegenheiten könnten sie direkt untereinander aushandeln. Offensichtlich war man – jedenfalls beim damaligen Personalstand – bereits an einem Limit angelangt und musste seine Aktivitäten konzentrieren. Betrachtet man die Jahresberichte oder auch die Ausführungen im oben erwähnten Handbuch, scheint diese operative Tätigkeit als bloße Unterstützung auf Anfrage, als passive Entgegennahme von Aufträgen aus den Mitgliedstaaten. Die Darstellung geht allerdings an der Realität insofern vorbei, als die koordinierenden Stellen immer eine zentrale Rolle in derartigen grenzüberschreitenden Ermittlungshandlungen haben. Sie haben den ständigen Kontakt zu allen Beteiligten, verfügen häufig alleine über sämtliche vorliegenden Informationen und dominieren damit notwendigerweise die in einem Fall getroffenen Entscheidungen. Erst durch die Koordination werden solche Einsätze überhaupt möglich.

Auch die Frage, ob Europol die Mitgliedstaaten dazu animieren darf, Ermittlungen einzuleiten, geht an der praktischen Tätigkeit des Amtes vorbei. Wozu, wenn nicht zur Einleitung von Ermittlungen, sollten denn der Datenaustausch sowie die Analyseprojekte und -dateien führen? Schon mit dem Aufbau des Amtes selbst war intendiert, dass die nationalen Polizei- und Zollbehörden die in Den Haag entwickelten Initiativen aufnehmen. Eine spezielle Anweisung dazu braucht es nur dort, wo der Kontakt zwischen den Verbindungsbüros und den Dienststellen zu Hause nicht funktioniert. Um einen solchen Kontakt sicherzustellen, hat Deutschland nicht nur BeamtInnen des Bundeskriminalamts nach Den Haag entsandt, sondern auch MitarbeiterInnen der Landespolizeien und des Zollfahndungsdienstes. Eine spezielle Befugnis, Ermittlungen anzustoßen, wiederholt in diesem Falle nur die bestehende Praxis.

Bleibt die Beteiligung an gemeinsamen Ermittlungsgruppen: Das im Juni letzten Jahres unterzeichnete EU-Rechtshilfeübereinkommen ermächtigt die Mitgliedstaaten in Art. 13 ausdrücklich, solche Gruppen einzurichten. Was diese neue Regelung praktisch bedeutet, ist vollkommen unklar. Denn schon bisher war es den Staaten unbenommen, anlass- oder fallbezogen BeamtInnen aus anderen Staaten an solchen Teams zu beteiligen. Exekutive Befugnisse kamen und kommen auch nach dem Rechtshilfeübereinkommen nur denjenigen BeamtInnen zu, die auf ihrem eigenen Territorium handeln. Alle anderen haben allenfalls beratende Funktion. Das Rechtshilfeübereinkommen hält darüber hinaus fest, dass EU-Institutionen, also auch Europol, an diesen Gruppen beteiligt werden können. Allerdings ist umgekehrt in der Europol-Konvention eine solche Aufgabenbeschreibung nicht enthalten.

In einer ersten Stellungnahme zu den Tampere-Empfehlungen erklärte Europol im Februar letzten Jahres, dass man ja bereits jetzt regelmäßig in Ermittlungsgruppen mitmache, also ExpertInnen aus den nationalen Polizeien in den Haag zusammenbringe, um gemeinsam mit VerbindungsbeamtInnen und Europol-Personal an einem Fall zu arbeiten. In einem weiteren Papier wenige Tage später wurde diese Version modifiziert:[5] „Operative Tagungen“ seien nur die niedrigste Stufe von Ermittlungsgruppen. Weitere Modelle mit jeweils spezifischer Einbindung von Europol-MitarbeiterInnen wurden nun diskutiert: Sie reichen von der Unterstützung vor Ort durch Analysen bis hin zur Ausstattung eines Teils oder gar aller an Ermittlungsgruppen beteiligten Eurocops mit exekutiven Befugnissen.

Der Schritt hin zu exekutiven Befugnissen für Europol ist dem Rat und den darin vertretenen Regierungen derzeit offenbar noch zu gewagt. Alle anderen dort diskutierten Pläne halten an der Vorstellung fest, dass Europol nur unterstützend, koordinierend oder analysierend tätig würde, was das Amt jedenfalls bis zu einem gewissen Grad auch jetzt schon ist. Der politische Eiertanz, der hier vorgeführt wird, zeigt deutlich, dass sich bereits die Europol-Konvention in einer Schieflage zu der erwartbaren Entwicklung des Amtes befand.

Konventionsänderungen nach Shopping-Liste?

Vor diesem Hintergrund wäre eine ausführliche und öffentliche Diskussion darüber, was Europol soll und kann, welche Aufgaben und Befugnisse einem solchen Amt zugestanden werden können, ohne rechtsstaatliche Minimalia zu verletzen, dringend angesagt. Sie wäre ohnehin verspätet, denn eigentlich hätte sie vor der Unterzeichnung der Konvention geführt werden müssen, wurde aber mit dem Hinweis auf die Gefahren des Drogenhandels und der organisierten Kriminalität abgewürgt. Auch heute soll es sie nicht geben. Noch nach Tampere war es unter den Mitgliedstaaten umstritten, ob denn die neuen Befugnisse eine Veränderung der Konvention erforderten, ein Prozess der sich lange hinziehen könnte, da auch Zusatzprotokolle zu einem völkerrechtlichen Vertrag wie der Europol-Konvention durch die nationalen Parlamente ratifiziert werden müssen. In den Antworten auf die „ersten Überlegungen“ der damals finnischen Präsidentschaft beharrte die niederländische Delegation auf einem solchen Protokoll. Die deutsche Delegation sah keine Notwendigkeit für diesen Aufwand, Europol selbst optierte für eine „flexible Herangehensweise“.[6]

Im letzten Herbst beschloss der Rat der Innen- und Justizminister im Vorgriff auf eine mögliche Änderung der Konvention zwei Empfehlungen. Mit der ersten vom 28. September werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, „etwaige Ersuchen seitens Europol um die Einleitung, Durchführung oder Koordinierung von Ermittlungen … unverzüglich“ zu bearbeiten. Mit der zweiten vom 30. November „empfahl“ der Rat den Mitgliedstaaten, „in vollem Umfang die Möglichkeiten zur Unterstützung der gemeinsamen Ermittlungsteams durch Europol zu nutzen.“ Europol soll dabei „Kenntnisse über kriminelle Kreise“ bereit stellen, operative Maßnahmen koordinieren, die Teams technisch beraten und gegebenenfalls eine neue Analysedatei eröffnen. Da es sich um Empfehlungen handelt, ist den Mitgliedstaaten freigestellt, ob sie den darin enthaltenen Aufforderungen folgen. Zumindest übergangsweise ist damit aber ein rechtliches Flickstück eingesetzt.

Mittlerweile jedoch hat man in der Europol-Arbeitsgruppe des Rates Gefallen an der Idee gefunden, die Konvention zu ändern. Die belgische Präsidentschaft präsentierte der Gruppe am 18. Juli eine „Einkaufsliste“ von insgesamt 26 möglichen Änderungswünschen – von den genannten operativen Befugnissen über die Ausdehnung des Europol-Mandats auf alle im Anhang der Konvention aufgelisteten Delikte, die Klarstellung der Rolle der nationalen Zentralen, die Aufhebung der Verantwortlichkeit Europols für die Richtigkeit von Daten, die es von den Mitglied- oder von Drittstaaten oder Drittstellen (wie z.B. Interpol) erhält, den Zugang Europols zum Schengener Informationssystem, die Kooperation zwischen Europol und Eurojust bis hin zu einer Regelung, die künftige Änderungen der Konvention nicht mehr von einer parlamentarischen Ratifizierung, sondern einer „flexibleren“ Beschlussfassung abhängig machen soll – ein durchaus praktischer Vorschlag, denn angesichts dieses juristischen Flickwerks werden immer neue Änderungen vonnöten sein.[7]

Justizielle Kontrolle durch Eurojust?

Nicht erst seit der Debatte um die operativen Tätigkeiten Europols ist klar, dass das Amt einer wirklichen politischen und justiziellen Kontrolle bedarf. Bisher hat man sich um diese Frage mit der Begründung herumgedrückt, Europol sei ja nur eine Intelligence-Einheit ohne exekutive Befugnisse. Eine solche Vorstellung geht von der falschen Voraussetzung aus, dass ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte erst dann stattfände, wenn die Polizei jemanden festnimmt oder eine Wohnung durchsucht. Spätestens seit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts hat sich in Deutschland aber das Wissen durchgesetzt, dass staatliche Stellen auch durch die Sammlung, Verarbeitung und Weitergabe von Daten in die Grundrechte eingreifen. Die informationelle Tätigkeit von Europol war nie harmlos, sondern beinhaltete über die unmittelbare Speicherung von Informationen hinaus, dass gegen die betreffende Person unter Umständen auch handfest ermittelt würde, auch wenn diese Ermittlung nicht durch das Haager Amt selbst, sondern durch nationale Polizeien vorgenommen würden.

Wenn Europol nun auch offiziell operativ wird, ist die Fiktion der bloß informationellen Tätigkeit des Amtes ohne Außenwirkung nicht mehr aufrechtzuerhalten. Dessen waren sich die Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfeltreffen von Tampere offenbar bewusst und beschlossen deshalb die Einrichtung einer „Stelle Eurojust“, „in der von den einzelnen Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihrer Rechtsordnung entsandte Staatsanwälte, Richter oder Polizeibeamte mit gleichwertigen Befugnissen zusammengeschlossen sind“.[8] Die Hoffnung, daraus könnte sich nun endlich eine kontrollierende Instanz entwickeln, wurde jedoch schon in dem Tampere-Beschluss gedämpft. Aufgabe der Institution sollte – so heißt es in den „Schlussfolgerungen“ – in erster Linie die „sachgerechte Koordinierung der nationalen Staatsanwaltschaften“ und die Unterstützung der „strafrechtlichen Ermittlungen mit OK-Bezug – insbesondere auf Grundlage von Europol-Analysen“ sein.

Eurojust soll ab 2002 seine Arbeit voll aufnehmen. Die Rechtsgrundlage für die neue Institution wird nicht eine Konvention, sondern nur ein simpler Beschluss des Rates sein; d.h. das Europäische Parlament wird „konsultiert“, die nationalen Parlamente haben nichts zu melden. Aber selbst diesem Beschluss hat der Rat am 14. Dezember 2000 vorausgegriffen, indem er ein Provisorium namens Pro-Eurojust in die Welt setzte, das Anfang März dieses Jahres in Brüssel seine Arbeit aufnahm. Pro-Eurojust hat im ersten Monat seiner Tätigkeit bereits 40 Fälle bearbeitet, so bestätigte der deutsche Vertreter in diesem Gremium, Dr. Hermann von Langsdorff, bei einer Anhörung der Grünen-Bundestagsfraktion am 7. April 2001.

Nach den relativ weit gediehenen Entwürfen für den Ratsbeschluss sollen die Mitglieder des „Kollegiums“ an das nationale Recht ihres Staates gebunden sein.[9] Sie würden quasi als europäischer Außenposten ihrer Strafverfolgungsbehörden handeln und wären im Vollbesitz der jeweiligen Rechtshilfebefugnisse, erhielten Zugang zu ihrem Strafregister und zum Schengener Informationssystem. Für Beschlüsse des Kollegiums als Ganzem soll eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich sein.

Eurojust soll die Möglichkeit erhalten, die Behörden der Mitgliedstaaten um die Aufnahme von Ermittlungen zu ersuchen oder „sich damit einverstanden (zu) erklären, dass ein anderer Mitgliedstaat gegebenenfalls besser in der Lage ist, zu bestimmten Tatbeständen … die Strafverfolgung aufzunehmen“ (Art. 6 Abs. 2 und 3). Eurojust wird damit in die Lage versetzt, durch eine informelle Absprache zu bestimmen, ob und in welchem Mitgliedstaat gegen eine Person ermittelt wird. Hinter einer solchen Regelung lauert die Gefahr des „forum-shopping“, d.h. der Auswahl des Gerichtsstandes nach willkürlichen Kriterien wie dem erwartbar hohen Strafmaß oder dem besonders weiten Rahmen für problematische Ermittlungsmethoden.

Eurojusts Zuständigkeit umfasst die Delikte, die im Kompetenzbereich von Europol einerseits und der EG-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF andererseits liegen. Hinzu kommen zusätzlich Geldwäsche, Umwelt- und Computerkriminalität sowie alle anderen Straftaten, sofern eine nationale Behörde darum ersucht.

Dass Eurojust zu einer justiziellen Kontrollinstanz für Europol würde, kann angesichts der vorliegenden Entwürfe ausgeschlossen werden. Eurojust soll Europol „auf dessen Ersuchen hin Beistand (leisten), insbesondere durch Abgabe von Gutachten auf der Grundlage der von Europol vorgenommenen Analysen“ (Art. 6 Abs. 3 Bst. g). Gegenüber Europol hat das Kollegium kein Informationsrecht; vielmehr werden beide Stellen aufgefordert, „unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Befugnisse“ die notwendigen Informationen auszutauschen. Die Beziehungen der „Partner“ sollen in einem Abkommen geregelt werden. Subjektive Datenschutzrechte werden genauso wenig formuliert wie Rechte der Beschuldigten und der Verteidigung.

Ben Hayes ist Mitarbeiter von Statewatch in London.
Heiner Busch ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
[1] Ratsdok. 7267/01 ADD 1 v. 17.4.2001 sowie 11030/99 v. 20.9.1999
[2] Ratsdok. 13844/98 JAI 41
[3] EDU: EU-Manual on Controlled Deliveries, File no. 2571-14r4 , The Hague 18.6.1998
[4] s. Statewatch 2000, no. 2, pp. 2f.
[5] Ratsdok. 5845/00 Europol 1 v. 8.2.2000 und 5845/00 ADD 1 v. 11.2.2000
[6] Dok. 5845/00 v. 8.2.2000
[7] 10979/01 Europol 65 v. 18.7.2001
[8] Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Pressemitteilung Nr. 200/99 v. 16.10.1999
[9] letzte uns vorliegende Fassung: Ratsdok. 7408/01 Eurojust 7 v. 29.3.2001