von Ben Hayes
Die EU und der UN-Sicherheitsrat haben die Verfahren zur Zusammenstellung ihrer Schwarzen Listen reformiert. Rechtsschutz für die Betroffenen gibt es auch weiterhin nicht.
Die Beschlüsse des Rates der EU, die Konten des in den Niederlanden wohnhaften Professors José Maria Sison und der ebenfalls dort ansässigen Stiftung al-Aqsa einzufrieren, waren rechtswidrig. Das entschied das Europäische Gericht erster Instanz (EuGI) am 11. Juli 2007. Bereits im Dezember 2006 hatte es der Klage der iranischen Volksmudjahedin gegen ihre Aufnahme in die EU-“Terrorliste“ stattgegeben.[1]
Die Gründe waren in allen drei Fällen dieselben: Grundrechte und Verfahrensgarantien seien verletzt worden. Insbesondere hätten die Betroffenen keinerlei Begründungen für die verhängten Sanktionen erhalten. Sie seien somit nicht in der Lage gewesen, die in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankerten Rechte auf Verteidigung und auf einen fairen Prozess wahrzunehmen.
Für die Betroffenen änderte sich trotz der Urteile nichts. Nachdem die Volksmudjahedin auch ein halbes Jahr nach ihrem Erfolg vor dem EuGI immer noch auf der EU-Liste der terroristischen Organisationen standen, forderten sie im Mai 2007 mit einer neuen Klage die Umsetzung des Urteils und über eine Million Euro Schadenersatz.[2]
Die einzige Konsequenz, die die EU aus der gewandelten Rechtsprechung des EuGI zog, war eine „komplette Überprüfung“ des Systems der Terrorlisten: Diese Revision betraf die Verfahren, nach denen Gruppen und Individuen auf die Liste gesetzt werden, die nunmehr erforderliche Begründung, die Benachrichtigung der Betroffenen, den Umgang mit Anträgen zur Streichung sowie die halbjährliche Erneuerung der Liste. Die „Überprüfung“ fand zum großen Teil im Geheimen statt und brachte lediglich bescheidene Änderungen der bestehenden Mechanismen.
Am 28. Juni 2007 verabschiedete der Rat dann die neueste Version seiner Liste, die im Wesentlichen die alte ist: Von 104 bereits zuvor erfassten Personen und Organisationen gelten der EU 101 weiterhin als terroristisch. Drei obskure linke Gruppierungen aus Italien wurden gestrichen und eine griechische, Epastatikos Agonas, angeblich eine Abspaltung der „Revolutionären Organisation 17. November“, kam neu hinzu. Weiter mit von der Partie sind sowohl die Volksmudjahedin als auch José Maria Sison und die Al-Aqsa-Stiftung.[3]
Mit der „Reform“ der Mechanismen glaubt die EU, die Bedenken des EuGI hinsichtlich der Grund- und Verfahrensrechte der Betroffenen ausgeräumt zu haben. Die erfolgreichen Prozessparteien, die viereinhalb Jahre auf eine positive Entscheidung des Gerichts gewartet hatten, sind jetzt wieder am Ausgangspunkt angelangt. Die Volksmudjahedin haben auch gegen ihre Nennung in der erneuerten Liste Klage erhoben.[4]
Die EU-“Terrorliste”
Am 14. Februar 2000 überführte der Rat die Resolution 1267/1999 des UN-Sicherheitsrates in EU-Recht und übernahm damit auch die vom Taliban-Sanktionskomitee der UN geführte Liste von Personen und Organisationen, die „mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen“.[5] Die EU-Komission erhielt den Auftrag, diese UN-“Terrorliste“ auf der „Basis der entsprechenden Benachrichtigung oder Information des Sicherheitsrates, des Taliban-Sanktionskomitees und der Mitgliedstaaten angemessen“ zu ergänzen und/oder zu berichtigen. Gegenwärtig sind 365 Personen sowie 125 Gruppierungen und Körperschaften von den entsprechenden Sanktionen (blockierte Vermögen, Einreisesperren u.a.) betroffen.[6]
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Die EU beschränkte sich jedoch nicht auf die Umsetzung der UN-Sanktionen, sondern führte zusätzlich ihre eigene „Terrorliste“ ein. Am 27. Dezember 2001 verabschiedete der Rat zwei zusammenhängende Rechtsakte: den Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP, der die (zweifelhafte) rechtliche Grundlage für die Aufnahme auf die Liste bildet, und die EG-Verordnung 2580/2001, die das Einfrieren der Vermögen und Einkünfte von „ausländischen“ (d.h. von Nicht-EU-) „Terroristen“ ermöglicht. Mit dem Beschluss 2001/927/GASP versammelte der Rat die ersten 29 Personen und 13 Gruppierungen auf seiner „Terrorliste“. Der Rat beschloss diese Maßnahmen im Alleingang, ohne jegliche Debatte oder gar demokratische Kontrolle. Sie wurden zwei Tage nach Weihnachten im „schriftlichen Verfahren” angenommen.[7]
Gemäß dem Gemeinsamen Standpunkt richten sich die Maßnahmen gegen „Personen, Vereinigungen und Körperschaften, die an terroristischen Handlungen beteiligt sind.“ Mit diesem Begriff nahm der Rat die uferlose Terrorismusdefinition vorweg, die er ein halbes Jahr später in seinem Rahmenbeschluss verankerte.[8] Die Liste, so heißt es in dem Gemeinsamen Standpunkt weiter,
„wird auf der Grundlage genauer Informationen bzw. der einschlägigen Akten erstellt, aus denen sich ergibt, dass eine zuständige Behörde – gestützt auf ernsthafte und schlüssige Beweise oder Indizien – gegenüber den Personen, Vereinigungen oder Körperschaften einen Beschluss gefasst hat, bei dem es sich um die Aufnahme von Ermittlungen oder um Strafverfolgung … oder um eine Verurteilung handelt.“
Für die Ächtung bedarf es keiner strafrechtlichen Verurteilung. Es reicht, dass gegen die betroffene Person oder (gegen Mitglieder einer) Gruppierung irgendwann Ermittlungen aufgenommen wurden – unabhängig davon, wie sie ausgingen und wer sie geführt hat. Denn „zuständige Behörde” bedeutet hier eine „Justizbehörde oder, sofern die Justizbehörden keine Zuständigkeit haben, eine entsprechende Behörde in diesem Bereich.“ Kurzum: jede andere „Behörde“ tut es auch.
Was das heißt, zeigte sich exemplarisch im Verfahren um die Volksmudjahedin vor dem EuGI. Wie das Gericht in seinem Urteil festhält, waren der Rat und das Vereinigte Königreich als sein „Streithelfer“ in der mündlichen Verhandlung „nicht in der Lage, eine übereinstimmende Antwort auf die Frage zu geben, welches der nationale Beschluss war, auf dessen Grundlage der angefochtene Beschluss gefasst wurde.“[9] Gemäß der Stellungnahme des Rates hatte alleine die Entscheidung des britischen Innenministeriums den Ausschlag dafür gegeben, die Volksmudjahedin auf die Liste zu setzen. Nach britischer Darstellung habe man sich auch „auf andere, nicht weiter spezifizierte nationale Beschlüsse (gestützt), die von den zuständigen Behörden in anderen Mitgliedstaaten gefasst worden seien.“[10]
Seit Dezember 2001 wurde die EU-“Terrorliste” alle sechs Monate aktualisiert (oder bestätigt) und ist dabei stetig angewachsen – von 29 auf 54 Personen und von 13 auf 48 Gruppen.[11] Formell wurden die entsprechenden Beschlüsse auf ministerieller Ebene, also durch den Rat, gefasst. Tatsächlich war es ein 2002 geschaffenes „Clearing House“, das die Vorschläge der Mitgliedstaaten entgegennahm und bewertete. Dessen Zusammensetzung, Mandat und Vorgehensweise blieb geheim.
Die Rechtsgrundlagen von Dezember 2001 sehen keine Benachrichtigung der Betroffenen (weder vor noch nach ihrer Erfassung in der Liste) und auch keine Möglichkeit eines Einspruches gegen die Einstufung als „terroristisch“ vor. Der Gemeinsame Standpunkt, in den die Liste verpackt ist, kann als Instrument der EU-Außenpolitik auch vor den nationalen Gerichten nicht angefochten werden. Für die „ausländischen Terroristen“, deren Vermögen und Einkünfte eingefroren werden, sieht die Verordnung einzig die Möglichkeit vor, um eine „spezifische Genehmigung“ zur Freigabe aus humanitären Gründen zu bitten. Doch auch diese ist an das Einverständnis aller Mitgliedstaaten und der EU-Kommission gebunden. Laut dem Entwurf für das Mandat der Regierungskonferenz, die den EU-“Reformvertrag” (den Neuaufguss des gescheiterten Verfassungsvertrages) ausarbeiten soll, könnte die EU in Kürze auch die Befugnis erhalten, Konten von EU-BürgerInnen und Organisationen einzufrieren.[12]
Reform 1: Eine neue Arbeitsgruppe
Zentraler Baustein der „Reform“ der EU-“Terrorlisten“ ist die Schaffung einer „Arbeitsgruppe zur Durchführung des Gemeinsamen Standpuktes 2001/931/GASP über die Anwendung von spezifischen Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus“.[13] Es ist allerdings kaum möglich festzustellen, inwieweit sich diese „neue“ Gruppe von dem 2002 eingeführten „Clearing House“, unterscheidet (s.o.).
Die „neue” Gruppe soll Empfehlungen zur Aufnahme auf die oder Streichung von der Liste abgeben und deren halbjährliche Revision vorbereiten. Ihre wesentliche Aufgabe besteht darin, die vorliegenden Informationen zu prüfen und zu beurteilen, ob sie den schwammigen Kriterien des Gemeinsamen Standpunkts genügen. VertreterInnen von EUROPOL und SitCen (dem gemeinsamen Lagezentrum, einem Kooperationsgremium der Auslandsgeheimdienste der Mitgliedstaaten) können an der Arbeitsgruppe teilnehmen, um „Hintergrundinformationen zur Erleichterung der Diskussion” zu bieten. Auch Nicht-EU-Mitgliedstaaten, wie die USA, können Vorschläge zur Aufnahme in die EU-“Terrorliste“ übermitteln. Die neue Arbeitsgruppe wird wie das bestehende „Clearing House“ vollkommen geheim arbeiten. Sitzungen werden in einer „sicheren Umgebung“ stattfinden. Termine, Tagesordnung, organisatorische Details und Verfahren sind vertraulich. Die Regelungen über den öffentlichen Zugang zu Ratsdokumenten sollen zwar gelten. Allerdings kündigte der Rat in seiner Darstellung der neuen Gruppe bereits an, dass deren Unterlagen „wenn erforderlich“ als geheim klassifiziert würden.
Reform 2: Die „Darstellung von Gründen“
Nach der Entscheidung des EuGI im Fall der Volksmudjahedin hatte der Rat angekündigt, den Personen und Organisationen auf seiner Terrorliste nun eine „Darstellung von Gründen“ zukommen zu lassen. Diese – so heißt es in einem Papier über die „Arbeitsmethoden“ der neuen Gruppe[14] – sollte „genügend detailliert sein, dass sie es den in der Liste Erfassten erlaubt, die Gründe dafür nachvollziehen zu können, und es den Gerichten der Gemeinschaft ermöglicht, ihre Kontrollbefugnisse auszuüben, wenn eine formale Beschwerde vorgebracht wird.“ Insbesondere soll die Darstellung folgendendes enthalten:
den Hinweis auf die vorgeworfenen „terroristischen Handlungen“ nach Art. 1 Abs. 3 des Gemeinsamen Standpunktes;
die Art oder die Identität der „zuständigen Behörde(n)“, die einen „Beschluss“ nach Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts in Bezug auf die betreffende Person oder Organisation gefasst hat (bzw. haben);
die Art des „Beschlusses”, d.h. ob es sich dabei „um die Aufnahme von Ermittlungen oder um Strafverfolgung wegen einer terrroristischen Handlung oder des Versuchs eine terroristische Handlung zu begehen, daran teilzunehmen oder sie zu erleichtern oder um eine Verurteilung für derartige Handlungen handelt“ (Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts) sowie,
falls sich das nicht ohnehin ergibt: eine Erklärung, unter welcher der in Art. 2 Abs. 3 der Verordnung genannten Alternativen die Aufnahme in die Liste und das Einfrieren von Vermögen und Einkünften erfolgt (natürliche oder juristische Personen, die terroristische Handlungen begehen, zu begehen versuchen …; juristische Personen, Vereinigungen oder Körperschaften, die von ersteren kontrolliert werden oder auf deren Anweisungen handeln …).
Reform 3: Die Benachrichtigung der Betroffenen
Gemäß dem neuen Verfahren werden die Betroffenen nun informiert. Um den angestrebten „Überraschungseffekt“ der Maßnahmen nicht zu gefährden, erfolgt die Benachrichtigung jedoch erst, nachdem sie auf die Liste gesetzt und ihre Gelder eingefroren wurden. Das Generalsekretariat des Rates schickt ihnen, sofern „praktisch möglich“[15], einen Brief mit der „Darstellung der Gründe“,
einem Hinweis, dass sie beim Rat ein Wiedererwägungsgesuch mit unterstützenden Dokumenten einreichen und vor dem EuGI gegen das Einfrieren ihrer Vermögen und Einkünfte klagen können, sowie einer Anfrage um Zustimmung zur Veröffentlichung der Gründe.
Letztere ist notwendig, weil der Rat zu der kuriosen Einsicht gelangt ist, dass die Veröffentlichung der Anschuldigungen den Datenschutz verletzen würde. Ohne das Plazet der Betroffenen würde die EU nicht einmal die dürren öffentlichen Rechtfertigungen abgeben, wie sie die USA und die britische Regierung hinsichtlich ihrer nationalen „Terrorlisten“ veröffentlichen.[16] Mit dem Hinweis auf den Datenschutz hat der Rat kürzlich auch einen Antrag von Statewatch auf Zugang zu den bisher abgegebenen „Darstellungen von Gründen“ abgelehnt.[17]
Die Briefe des Rates an José Maria Sison und an die Volksmudjahedin sind nun veröffentlicht.[18] Die eigentlichen Begründungen umfassen jeweils nicht mehr als eine halbe Seite. Im Falle Sisons wird auf die negative Asylentscheidung in den Niederlanden sowie auf die Einschätzung der USA verwiesen, die den Mann als einen „internationalen Terroristen“ bezeichnen. Hinsichtlich der Volksmujahedin referiert der Rat das Verbot der Organisation durch das britische Innenministerium sowie ihr dort zugeschriebene Anschläge insbesondere auf militärische Einrichtungen im Iran. Die „Darstellung der Gründe“ erklärt weder, wo die Grenze zwischen legitimem Widerstand gegen ein repressives Regime und Terrorismus zu ziehen wäre, noch ob von Sison bzw. den Volksmudjahedin eine Gefahr für die Sicherheit der EU bzw. ihrer Mitgliedstaaten ausgeht.
Diese Art der Kurz-Mitteilung zeigt nicht nur, dass die „zuständigen Behörden“ weiterhin nicht gewillt sind, die eigentlichen politischen Gründe hinter ihren Entscheidungen offenzulegen. Sie macht zugleich die Schwäche der Rechtsprechung der EU-Gerichte deutlich: In seinen Urteilen vom Juli 2007 hatte das EuGI zwar festgehalten, dass die Betroffenen ein Anrecht darauf haben, dass ihnen die „genauen Informationen bzw. die einschlägigen Akten“ offengelegt werden – aber eben nur „so weit wie möglich“. Im Falle Sisons hatten sowohl das EuGI als auch der EuGH zuvor die Entscheidungen des Rates abgesegnet, die Offenlegung von einschlägigen Dokumenten ganz zu verweigern.[19]
Reform 4: Antrag auf Streichung
Personen und Organisationen auf der EU-Terrorliste können nun zu jeder Zeit einen Wiedererwägungsantrag an den Rat richten. Das Gesuch soll mit „unterstüztenden Dokumenten“ versehen sein. Das Generalsekretariat des Rates leitet es an die neue Arbeitsgruppe weiter, die es innerhalb von 15 Tagen bearbeiten und dem Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten (COREPER) eine Empfehlung vorlegen muss, ob die Ächtung aufrechterhalten werden soll oder nicht.
Das Ratssekretariat macht die Betroffenen in seinen Briefen nun erstmals auf die Möglichkeit einer Klage vor den EU-Gerichten aufmerksam. Eine Anfechtung ist aber offensichtlich auf jene Fälle beschränkt, bei denen die Aufnahme in die Liste mit dem Einfrieren der Vermögen verbunden ist. Bei „Terroristen“ aus der EU, z.B. den baskischen oder irischen Organisationen, ist dies – vorerst – nicht der Fall. Unklar ist selbst, ob solche Organisationen ein Recht haben, einen Antrag zur Streichung von der Liste zu stellen. Der Hinweis, den der Rat im Amtsblatt veröffentlichte, bezieht sich nämlich nicht auf den Gemeinsamen Standpunkt und die damit verbundene Liste, sondern auf die Verordnung zum Einfrieren der Vermögen.
Grundlegende Probleme bleiben
Auch das erneuerte Verfahren schafft jedoch nicht das zentrale Problem vom Tisch, dass die Aufnahme in die Terrorliste und das daran geknüpfte Einfrieren von Vermögen und Einkünften eine Bestrafung ohne Verfahren und ohne Urteil darstellt. Die Unterscheidung zwischen gerichtlichen und administrativen „Einfriermaßnahmen“, die die EU in ihrem Leitfaden über „bewährte Praktiken für die wirksame Umsetzung restriktiver Maßnahmen“[20] vornimmt, ist verharmlosend: Letztere seien „Teil eines Strafprozesses“ und könnten „als vorbereitende Maßnahme für die Einziehung angesehen werden.“ Bei administrativen Einfriermaßnahmen handele es sich dagegen „in erster Linie um einen Verwaltungsakt, der die Grundlage dafür schafft, dass jegliche Verwendung von eingefrorenen Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen sowie jede Transaktion einer von einer zuständigen Behörde gelisteten Person, Gruppierung oder Vereinigung verhindert werden.“
Im Klartext: In einem Strafprozess werden solche Maßnahmen nicht nur justiziell angeordnet, sondern sind auch vor Gericht anfechtbar. Solange sie nicht verurteilt ist, gilt die betroffene Person als unschuldig. Für das administrative Einfrieren reicht es dagegen, dass eine „zuständige Behörde“ eine Person oder Gruppe als „terroristisch“ einstuft.
Schon das „Einfrieren“ selbst hat für die Betroffenen zur Konsequenz, dass ihr Lebensstandard auf das Existenzminimum herunter gesetzt wird. Und auch das erhalten sie nur aufgrund einer humanitären Ausnahmegenehmigung. Jede darüber hinaus gehende Unterstützung durch andere kann für die Helfenden strafrechtliche Konsequenzen haben.
Die administrative Ächtung geht aber über das Einfrieren (sowie die im UN-Sanktionsregime zusätzlich vorgesehene Ein- und Durchreisesperre) hinaus: In einem vom „Krieg gegen den Terrorismus“ aufgeheizten Klima ist die Zuschreibung, jemand sei ein „Terrorist“ oder ein „Unterstützer des Terrorismus“, eine der gravierendsten Stigmatisierungen, die Staaten vergeben können. Sie beinhaltet eine besondere polizeiliche und/oder geheimdienstliche Überwachung und macht die Ausübung zentraler Grundrechte wie der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit unmöglich. Sie hat ferner einschneidende ausländer- und asylrechtliche Konsequenzen bis hin zur Ausweisung und Abschiebung.
Die Folgen dieser Brandmarkung treffen jedoch nicht nur diejenigen, die auf der Liste genannt werden, sondern auch ihr soziales und politisches Umfeld. Die Ächtung internationaler „terroristischer“ Vereinigungen bewirkt eine Kriminalisierung von Exilgemeinschaften, die mit solchen Organisationen in Verbindung gebracht und deren legitime politische und kulturelle Aktivitäten damit eingeschränkt werden.
Mit der Ächtung von Organisationen ergreift die EU darüber hinaus Partei in einer ganzen Serie von komplexen historischen und politischen Konflikten, deren politische Lösung sie unterminiert. Der Nicht-EU-Staat Norwegen, der bis Mitte 2006 an den Terrorismuslisten der EU beteiligt war, hat sich deshalb konsequenterweise aus der Zusammenarbeit verabschiedet. Die Ächtung der Tamil Tigers (LTTE) als terroristisch wäre in der Tat mit der Vermittlerrolle Norwegens in dem Konfikt auf Sri Lanka unvereinbar gewesen.[21]
Kriminalisierung ohne Kontrolle
Vor diesem Hintergrund bleibt die jetzt vorgenommene Reform der EU-Liste allenfalls kosmetisch. Die „Darstellung der Gründe“ bietet den Betroffenen nur einige Basisinformationen über die gegen sie gerichteten Vorwürfe. Für die Vorschläge der Mitgliedstaaten zur Aufnahme neuer Gruppen oder Personen auf die Liste gibt es weiterhin keine formalen Bedingungen. Sie müssen nur einen „Beschluss“ zur Aufnahme von Ermittlungen präsentieren. Ermittlungsergebnisse oder eigentliche Beweise für die Beteiligung an „terroristischen Handlungen“ müssen sie nicht vorlegen.
Der Begriff der „zuständigen Behörde“ ist so weit gefasst, dass letztlich jeder nationale „Beschluss“ in Bezug auf Terrorismus in EU-Recht inkorporiert werden kann. Einige Staaten haben zudem – ermutigt durch die EU und die UN – ihre eigenen Listen zusammengestellt, mit dem Effekt, dass der Eintrag in ein solches nationales Verzeichnis fast automatisch von der EU übernommen wird. Die dem Gemeinsamen Standpunkt zugrunde liegende EU-Terrorismusdefinition, die die Mitgliedstaaten nach dem Rahmenbeschluss von 2002 in ihr Strafrecht übernehmen mussten, ist zudem so umfassend, dass auch Gruppen in die Liste aufgenommen werden können, die definitiv keine Gefahr für die „innere Sicherheit“ in der EU darstellen und die auch in ihren Herkunftsländern zu keinem Zeitpunkt eine Tötung unbeteiligter Zivilpersonen befürwortet haben.
Diese Kriminalisierung ist willkürlich. Weder existiert eine juristische noch eine demokratische politische Kontrolle, denn die Beschlüsse der Mitgliedstaaten und die Verhandlungen der Arbeitsgruppe sind geheim und können nicht vor nationalen Gerichten angefochten werden.
Die nun möglichen Anträge zur Streichung von der Liste können den fehlenden Rechtsschutz nicht ersetzen. Die neue Ratsarbeitsgruppe, die niemandem Rechenschaft ablegen muss, ist sowohl für die Aufnahme in die Liste als auch für die Streichung zuständig und handelt damit gleichzeitig als „Richter“ und als „Henker“. Dass die Liste im Juni 2007 nach der „kompletten Überprüfung“ (die eigentlich regelmäßig alle sechs Monate stattfinden müsste) fast dieselbe war wie zuvor, macht deutlich, dass es auch in Zukunft kaum möglich sein wird, die in dem Gremium versammelten Vertreter der Sicherheitsbehörden davon zu überzeugen, dass sie sich geirrt haben.
Das Recht auf einen fairen Prozess verlangt nach einer unabhängigen justiziellen Überprüfung. Die EU-Gerichte sind dazu nicht in der Lage. Ihre Zuständigkeit ist weitgehend begrenzt auf das Gemeinschaftsrecht. Dementsprechend sind Klagen effektiv auf die Frage des Einfrierens von Geldern (gemäß der Verordnung) begrenzt. Die vorausgehende Einstufung einer Person oder Organisation als „terroristisch“ beruht hingegen auf dem Gemeinsamen Standpunkt, einem Instrument der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, also der zweiten Säule der EU. Selbst in den eingangs zitierten Urteilen vom Dezember 2006 und Juli 2007 (Volksmudjahedin, Sison, Al Aqsa) erklärte das EuGI denn auch die Klagen für unzulässig, soweit es die Forderung der Annullierung des Gemeinsamen Standpunkts betraf.
Nachdem das Gericht in einer Reihe vorausgehender Fälle das Sanktionsregime als ganzes gerechtfertigt hatte, bewertete es in den genannten drei Fällen das Einfrieren der Vermögen der KlägerInnen als Verstoß gegen die Grundrechte auf einen fairen Prozess und auf effektiven Rechtsschutz. Gleichzeitig machte es jedoch klar, dass seine Anforderungen an eine gerichtliche Kontrolle solcher Maßnahmen eher formaler Natur sind – beschränkt auf die Frage, „ob die Verfahrensvorschriften und die Begründungspflicht beachtet worden sind, der Sachverhalt richtig ermittelt wurde und kein offensichtlicher Fehler in der Beurteilung der Tatsachen oder Ermessensmissbrauch vorliegt.“ Es ist fraglich, ob das Gericht seine Kritik auch gegenüber dem kosmetisch reformierten Verfahren aufrecht erhält.
Zweifellos werden durch die Ächtung als „terroristisch“ und mit dem Einfrieren von Vermögen und Einkünften nicht nur die Rechte auf einen fairen Prozess und auf Rechtsschutz, sondern eine Vielzahl von in der EMRK garantierten Rechten verletzt: das Verbot einer außergesetzlichen Strafe, der Schutz des Familien- und Privatlebens, die Meinungs- und Vereinsfreiheit und nicht zuletzt auch der Schutz des Eigentums. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte müssen die Betroffenen solche Eingriffe in ihre Rechte vor regulären Gerichten mit unabhängigen und unparteiischen Richtern anfechten können. Da die Gerichte der EU diesen Schutz nicht bieten, wird den Betroffenen nur der Gang vor den Straßburger Gerichtshof bleiben.[22]
Das Listen-Regime der UN
Für die 365 Personen und 125 Gruppierungen, die die UN auf ihrer Terrorliste führen, sieht die rechtliche Situation noch düsterer aus. Ähnlich wie die EU haben auch die UN ihre diesbezüglichen Verfahren „überprüft“. Das Ergebnis waren auch hier nur kosmetische Änderungen.[23] Die Rolle der EU-Arbeitsgruppe übernimmt hier das „Taliban-Sanktions-Komitee“ (oder „1267-Komitee“), das seine Entscheidungen im Namen des Sicherheitsrates fällt: Auch dieses Komitee befindet sowohl über Aufnahme auf die Liste als auch über Anträge zur Streichung.
Die Benachrichtigung der neu Erfassten obliegt dem Staat, in dem die betroffene Person oder Organisation ihren (Wohn-)Sitz hat. Das Sekretariat soll diesen Staat innerhalb von zwei Wochen nach der Entscheidung brieflich an seine Aufgabe erinnern. Diesem Brief liegt auch jener Teil der „Falldarstellung“ bei, den jener Staat, der die Person oder Gruppierung auf die Liste gebracht hat, zugänglich machen will. Ein Streichungsantrag hat praktisch nur dann eine Chance, wenn ihn entweder der Wohnsitz- oder der ausschreibende Staat unterstützt. Ist das nicht der Fall, befasst sich das Komitee nur dann mit dem Gesuch, wenn eines seiner Mitglieder das fordert.
Im Rahmen der UN gibt es keine wie auch immer geartete justizielle Kontrollinstanz. Zehn Betroffene haben stattdessen versucht, die Verordnung, mit der die EU die UN-Liste übernimmt, vor dem EuGI anzufechten. Bisher wurden jedoch alle Klagen mit dem Argument abgewiesen, dass die EU völkerrechtlich zur Umsetzung der Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates verpflichtet sei.[24]
Im März dieses Jahres kündigte der Schweizer Ständerat Dick Marty an, für die parlamentarische Versammlung des Europarates nach der Untersuchung zu den CIA-Entführungen nun eine weitere über die „Schwarzen Listen“ der UN durchzuführen. Das derzeitige Verfahren der UN füge nicht nur vielen Personen „unfassbare Ungerechtigkeit“ zu, sondern schädige auch die „Glaubwürdigkeit des internationalen Kampfes gegen den Terrorismus“.[25]
Mit ihren Listen haben die UN und EU die grundlegenden Prinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens durch ein System der politisch-administrativen Kriminalisierung ersetzt, in dem freischwebende internationale Komitees von Sicherheitsexperten und „zuständige Behörden“ Individuen und Gruppen zu Feinden erklären können.