Literatur

Zum Schwerpunkt

Gewalt gegen jene, deren beruflicher Auftrag darin besteht, die staatliche Gewalt gegenüber den BürgerInnen zu demonstrieren und ggf. einzusetzen, ist ein sicherheitspolitisches Dauerthema. Immer wieder von den Polizeigewerkschaften in die öffentliche Diskussion gebracht, tun sich die politisch Verantwortlichen schwer mit einer Reaktion. Einerseits will man sich nicht vorwerfen lassen, als Dienstherr habe man nicht alles getan, um die Sicherheit des „Arbeitsplatzes Polizei“ zu gewährleisten. Andererseits kommt eine Kampagne, die die Polizei als Opfer von Angriffen sieht, all denen gelegen, die nach Unterstützung für den starken Staat und seine handelnden Organe suchen.

In diesem Geflecht fehlt die Wissenschaft weitgehend. Das hat verschiedene Gründe. Politische Rücksichtnahmen mögen eine Rolle spielen. Aber wer die überwände, sähe sich erheblichen Zugangsproblemen gegenüber. Denn so gerne die Innenminister mit den Zahlen verletzter PolizistInnen an die Öffentlichkeit treten, so schweigsam sind sie, wenn nach handfesten und überprüfbaren Daten gefragt wird. Zwar werden einschlägige Statistiken von den Innenverwaltungen geführt; sie werden jedoch nicht veröffentlicht – und auch auf Nachfrage nicht preisgegeben. Mit gezielt veröffentlichten Teilinformationen lassen sich die eigenen Interessen besser verfolgen als mit einer offenen Informationspolitik. Insgesamt ist das seriöse Wissen über die Gefährlichkeit des Polizeiberufs in Deutschland bescheiden.

Ohlemacher, Thomas; Rüger, Arne; Schacht, Gabi; Feldkötter, Ulrike: Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte 1985-2000, Baden-Baden 2003

Diese im Auftrag der Innenministerkonferenz (und mitfinanziert von der Gewerkschaft der Polizei, GdP) erstellte Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) ist weiterhin die wichtigste Veröffentlichung zum Thema. Damals initiiert durch die hohe Zahl von acht getöteten Polizisten im Jahr 2000, erfüllten die Befunde die Erwartungen und Vorurteile von Auftraggebern und Finanziers nicht: Weder ließ sich im untersuchten Zeitraum ein Anstieg der getöteten PolizistInnen, noch der durch Angriffe verletzten BeamtInnen, noch der „Angriffe mit Tötungsabsicht“ feststellen. Zwar ergab sich, dass das Risiko von PolizstInnen, im Dienst mit Tötungsabsicht angegriffen zu werden, höher als das eines Normalbürgers war, aber auch, dass die Nichtpolizisten häufiger infolge der Angriffe starben.

Untersucht wurden auch die näheren Umstände der Angriffe auf PolizistInnen. Sie fanden überwiegend in eher bürgerlichen Wohngebieten statt, galten Funkstreifenbesatzungen und wurden von deutschen Männern, in vielen Fällen in alkoholisiertem Zustand verübt. Je schwerwiegender der Angriff, so die Studie, desto geringer war die Bedeutung von Alkohol; sie ereigneten sich häufiger im Zusammenhang mit Fahrzeugkontrollen oder beim Ansprechen, bei Identitätsüberprüfungen oder bei der Verfolgung oder Verhaftung von Personen. Verbesserte Eigensicherung von PolizistInnen war eine Konsequenz aus diesen Befunden.

Die Stärke der Studie besteht weiterhin darin, dass erstmals konkrete Zahlen der Innenverwaltungen ver- und bewertet werden konnten. Allerdings war der Untersuchungshorizont auf die unmittelbaren polizeilichen Situationen beschränkt, so dass der gesamte gesellschaftliche und politische Kontext, in dem die Angriffe sich entwickelten, vollständig ausgeblendet wurden. Fraglich ist, ob die gegenwärtig laufende Nachfolgestudie des KFN diese Schlagseite vermeiden wird.

Dicke, Wolfgang: Gewalt gegen Polizisten darf nicht „Normalfall“ werden, in: Deutsche Polizei 2002, H. 12, S. 14-16

Holecek, Uwe: Wenn das Schutzschild zur Zielscheibe wird, in: Deutsche Polizei 2008, H. 5, S. 10-15

Freiberg, Konrad: „Bundesweite Untersuchung zur Gewalt gegen Polizeibeamte dringend notwendig“ (Interview): in: Deutsche Polizei 2010, H. 2, S. 6-8

Drei Stimmen aus Reihen der GdP aus drei Jahren. Kennzeichnend für alle Beiträge ist ihr Tenor: Der Polizeiberuf ist gefährlich und wird immer gefährlicher, der Respekt vor den Vertretern der Staatsgewalt schwindet, die Angriffe nehmen zu. Dickes Bericht über ein Seminar der Internationalen Union der Polizeigewerkschaften im dänischen Roskilde verknüpft organisierte Kriminalität, Terrorismus und Fälle „gewöhnlicher“ Gewaltkriminalität mit den Gefahren für Polizeibeamte: Die getöteten Polizisten in Südafrika („so krass“ seien die Verhältnisse hierzulande bei weitem nicht) stehen neben denen in Nordirland oder Einzelschicksalen lebenslänglich durch Angriffe geschädigter PolizistInnen aus Skandinavien. Ähnlich verfährt Holecek in seiner Lagebeschreibung von Duisburg-Marxloh. Die Missachtung der und die Angriffe auf die Polizei werden eingeflochten in die Schilderung eines sozial problematischen Stadtteils. Die Polizei ist Opfer – und zwar hilfloses Opfer. Deshalb wird zustimmend der Vorsitzende des GdP-Landesbezirks zitiert: „Wir fordern Null-Toleranz bei Übergriffen gegen Polizisten.“ Dass mangels nachprüfbarer Daten aus Duisburg der Autor flugs auf Berliner Zahlen ausweicht („weit über 3.000-mal“ seien Polizisten 2006 in der Hauptstadt „attackiert“ worden, ohne Quellenangabe, ohne zu sagen, was „attackiert“ bedeutet), macht die Darstellung nicht plausibler. Der GdP-Bundesvorsit­zende Freiberg nimmt in der Februar-Ausgabe Stellung zum Konflikt um die neue KFN-Studie. Diese sei nötig, weil das wirkliche Ausmaß der Gewalt gegen PolizistInnen nicht sichtbar sei. In Wirklichkeit, so seine Vermutung, sei es erheblich größer als bekannt. Viele Angriffe würden nicht angezeigt, weil die Beamten wüssten, dass die Täter nicht bestraft würden. Einige Bundesländer seien genau deshalb aus der Untersuchung ausgestiegen; sie wollten nicht wahrhaben, wie schlecht es mit der Sicherheit von Polizeibeamten bestellt ist. Obwohl die Gewerkschaft sich so viel von der Studie verspricht, veröffentlicht sie auf den folgenden Seiten bereits ihren Vorschlag für den neuen Paragrafen im Strafgesetzbuch, der den „tätlichen Angriff auf einen Vollstreckungsbeamten“ mit mindestens drei Monaten Freiheitsentzug unter Strafe stellen soll. Wäre es nicht redlicher, die Ergebnisse der neuen Untersuchung abzuwarten?

Sohnemann, Jürgen: Wie gefährlich ist das „Polizieren“ wirklich? Zentrale Erfassung und Auswertung der Angriffe auf Polizeibeschäftigte, in: Polizei-heute 2009, H. 2, S. 46 f.

Hessen hat bereits 2009 mit einer eigenen Untersuchung zum polizeilichen Berufsrisiko begonnen. Die Hessische Landespolizeischule wurde durch das Landespolizeipräsidium beauftragt, eine entsprechende Studie anzufertigen. Deren Ziel soll darin bestehen, eine „belastbare statistische Basis“ über Angriffe auf Polizeiangehörige zu liefern, die u.a. erlauben soll, ein entsprechendes „Lagebild“ für das Bundesland zu erstellen sowie Hinweise für Ausbildung, Führung, Ausrüstung und Taktik zu gewinnen. Für März 2009 kündigt der Autor die Einführung eines landesweiten elektronischen Erfassungssystems für „einschlägige Vorgänge“ an. Damit sollen nicht nur – wie bisher – jene Angriffe erfasst werden, die Straftatbestände erfüllen bzw. die zu einer Verletzung führen, sondern auch all jene Situationen, in denen ein Polizeiangehöriger „durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt genötigt, geschädigt oder in konkrete Gefahr gebracht wurde, einen physischen oder psychischen Schaden bzw. Sachschaden von einiger Bedeutung zu erleiden“. Die Studie soll die Frage beantworten helfen: „Wie können wir besser werden?“ Ergebnisse sind bislang nicht bekannt geworden.

Liebl, Karlhans: Gewalterfahrung im Polizeialltag – Geschlechtsspezifische Unterschiede und Fragen der provozierenden Gewalt, in: Die Polizei 2010, H. 5, S. 121-129

Liebl ist Professor für Kriminologie an der sächsischen Fachhochschule für Polizei und liefert einen aktuellen Beitrag zur Debatte. Obwohl er ausdrücklich keine Stellung dazu nehmen will, ob die Gewalt gegen Polizeiangehörige gestiegen ist, können seiner Darstellung einige Hinweise entnommen werden. So präsentiert er zu Beginn entsprechende Daten aus dem „Polizeilichen Auskunftssystem Sachsen“ (PASS). Zwar wird die Lesbarkeit der Tabelle durch das missratene Layout erschwert: Die Spaltenüberschriften stehen in einer Spalte untereinander, eine vierstellige Zahl wird mit Trennungsstrichen versehen in vier Zeilen untereinander geschrieben. Wer diese Hürde aber überwunden hat, erfährt, dass die Gesamtzahl der Angriffe von 789 im Jahr 2004 auf 1.375 vier Jahre später angestiegen ist, wobei der höchste Wert 2007 mit 1.480 Fällen erreicht wurde. Aufgelistet werden auch die strafrechtlichen Bewertungen der Angriffe: Mit rund 40 Prozent liegt der „Widerstand“ mit Abstand an der Spitze, leichte und schwere Körperverletzungen machen 10-11 bzw. 8-13 Prozent der Angriffe aus. In der Fußnote weist Liebl auf den Lagebericht 2008 „Straftaten gegen Polizeibeamte – Freistaat Sachsen“ hin, der erheblich mehr Beleidigungen und einen wesentlich geringeren Anteil an Körperverletzungen ausweist. Auf den insgesamt eher geringen Schweregrad der Angriffe deuten auch die registrierten Tatmittel: 80,8 Prozent entfallen auf die Kategorie „kein Tatmittel/nicht erfasst“, nur 0,5 Prozent auf Pistole oder „Nachbildungen“, 2,3 Prozent auf „Messer/Stichwaffe.

Der Fokus von Liebls eigener Untersuchung, die nur auf alltägliche Polizeieinsätze bezogen ist (Großereignisse wie z.B. Fußballspiele bleiben ausklammert) liegt auf den unterschiedlichen Gefährdungen von weiblichen und männlichen Polizeiangehörigen. Im Unterschied zu ausländischen Untersuchungen kommt er zu dem Ergebnis, dass Polizistinnen eher vermittelnd und damit Gewalt und Aggressivität reduzierend wirken.

Aus dem Netz

www.polizeigewalt.de

So vermeintlich einschlägig die Adresse dieser Homepage, so enttäuschend der Ertrag. Das Vorhaben, mehr Öffentlichkeit durch fundierte Recherchen und die Dokumentation von Einzelfällen zu schaffen, ist gewiss löblich, aber ganz offenkundig seit dem Start der Seite im Jahr 2001 nicht mehr aktualisiert worden. Schade.

http://polizeigewalt.org

Diese Seite möchte eine Plattform bieten, auf der Fälle von Polizeigewalt gesammelt und diskutiert werden können. Zur Klarstellung betont „polizeigewalt.org“, dass sie weder über Recht oder Unrecht entscheiden, noch einen „Pranger“ einrichten wolle. Die Verantwortlichen erklären ferner, sie betrieben „keine Anti-Polizei-Seite, sondern wir schätzen die Dienste der Polizisten und Polizistinnen und wissen auch, dass diese einen stressigen und teilweise unterbezahlten Beruf ausführen.“

Die Falldokumentation reicht (mit einer früheren Ausnahme) von 2005 bis heute. Sie besteht in Links zu Artikeln aus der Presse (Süddeutsche Zeitung, Spiegel, Stern); als grafischer Anreiz der ansonsten mit benutzerunfreundlichem schwarzen Hintergrund gestalteten Seite wird eine Europakarte gezeigt, auf der der Ort der polizeilichen Gewaltanwendung markiert ist – mehr eine Spielerei als Erkenntnisgewinn. Obgleich die Seite etwas mehr an Fällen liefert, bleibt das Informationsangebot spärlich. Selbst Verweise auf die einschlägigen Dokumentationen von amnesty international oder SOS Rassismus fehlen.

http://gegenpolizeigewalt.blogsport.de

Leider auch nicht mehr aktuell ist diese Seite, die 2008 im Zusammenhang mit der Ausstellung „Vom Polizeigriff zum Übergriff. Rassistisch motivierte Polizeigewalt“ in Wuppertal gestaltet wurde. Immerhin werden einige Fälle aus dem Raum Wuppertal/Remscheid dargestellt. Die angebotenen Links erlauben, sich mit weiteren Informationen zu versorgen.

(alle: Norbert Pütter)

Sonstige Neuerscheinungen

Heim, Christopher: Wann schießen Polizisten? Auswirkungen verschiedener Reizsituationen in Einsatzlagen, Frankfurt/M. (Verlag für Polizeiwissenschaft), 2009, 228 S., EUR 24,90

Lorei, Clemens (Hg.): Eigensicherung & Schusswaffeneinsatz bei der Polizei. Beiträge aus Wissenschaft und Praxis 2009, Frankfurt/M. (Verlag für Polizeiwissenschaft), 2009, 271 S., EUR 24,90

Sie wird immer gern dann ins Feld geführt, wenn ein Polizist ungerechtfertigt schießt – möglicherweise mit fatalen Folgen: Die unbeabsichtigte Schussabgabe. Christoph Heim, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Goethe-Universität in Frankfurt/M., ist dem Problem erstmals in verschiedenen Versuchsreihen intensiver nachgegangen. Und siehe da, es gibt sie tatsächlich. 80 kurz vor dem Ausbildungsende stehende hessische PolizeischülerInnen und 13 StreifendienstbeamtInnen haben daran teilgenommen. Als Ergebnis hat Heim dabei festgestellt, dass „schnelle Bewegungen der Verdächtigen häufig Nachjustierungen am Abzug der Waffe zur Folge haben“ und dies könne „unter ungünstigen Umständen dazu führen, dass ein Polizist nicht beabsichtigt einen Schuss seiner Dienstwaffe abfeuert – und dies selbst dann, wenn eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben erkennbar nicht vorhanden ist“. Aber die Studie zeigt auch, dass (selbst einsatzerfahrene) Polizisten viel zu häufig den Finger bereits (gesetzeswidrig) am Abzug haben, ohne dass hierfür ein Grund besteht. Hier ist in der Polizeiausbildung eindeutig nachzubessern.

Der Buchtitel des von Clemens Lorei herausgegebenen Sammelbandes einer Tagung aus dem Jahre 2009 ist etwas irreführend. Denn eigentlich kommt polizeilicher Schusswaffengebrauch lediglich in einem englischsprachigen Beitrag niederländischer Forscher und – in theoretisch konstruierter Form – am Rande eines Textes über die „Anwendung moderner Eye Tracking Verfahren“ vor. Deutsche Forscher haben dazu anscheinend wenig zu sagen. Auch was der (allerdings durchaus lesenswerte) Beitrag von Martin Herrnkind über Polizeiübergriffe und deren notwendige Folgen für die polizeiliche Aus- und Fortbildung hier zu suchen hat, erschließt sich nicht. Ansonsten ein buntes Gemisch über Vortatphasen von potentiellen Attentätern, Reflexionen über Beinahe-Unfälle bis hin zu möglichen Gesundheitsschäden beim Gebrauch von LED-Taschenlampen. Bei diesem Buch lässt sich Geld sparen.

(Otto Diederichs)

Aas, Katja Franko; Oppen Gundhus, Helene; Mork Lomell; Heidi (eds.): Technologies of Insecurity. The surveillance of everyday life, New York (Routledge) 2009, 279 S., EUR 100,–

Der Band, mit zwölf Kapiteln und einem Nachwort (von Lucia Zedner), ist das Ergebnis eines vierjährigen norwegischen Forschungsprojekts zu „Crime control and technological culture“. Es verfolgt aus interdisziplinärer Perspektive sowohl das Phänomen, dass vermeintliche Sicherheitstechnologien offensichtlich geeignet sind, Unsicherheit zu erzeugen wie es zeigt, dass die Wirksamkeit diverser Überwachungstechnologien häufig nicht nur von deren Verkäufern und Anwendern, sondern auch von deren Kritikern als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Gegen solche Selbstverständlichkeiten möchte das Buch als „antidote“ fungieren: „by accentuating the need for contextualization, nuance and ambiguity“ (S. 3). In fünf Abschnitte gegliedert, gehen die AutorInnen dem Verhältnis von (Un-)Sicherheit und Terror nach (was es etwa bedeutet, wenn aus dem Mineralwasser in der Plastikflasche kein Getränk mehr ‚herausgelesen‘ wird, sondern eine Bedrohung, S. 21-41). Dem Aufbau (un-)sicherer Räume, etwa den Fußballstadien und den Fanmeilen während der FIFA Weltmeisterschaft 2006 (S. 61-80), wird ebenso nachgespürt, wie den Handlungslogiken auf Flughäfen, deren Checkpoints zentral sind für die Identifikation, Authentifikation und Autorisation (S. 81-101): „Security checkpoints riddle the society“ (S. 99). Der dritte Abschnitt – (un-)sichere Sichtbarkeit – betrachtet u.a. die Satellitenüberwachung von Straftätern (S. 105-124) und die Erfahrungswelt von Beschäftigten an den Bildschirmen von Videokameras: Sicherheitsmechanismen „are built by ‚earthlings‘ and have … at their centre not simply unilateral power … but interpretative human agents, capable of rule setting, rule following and rule resistance“ (S. 144 f.). Abschnitt vier – (un-)sichere Virtualitäten – widmet sich der Internetnutzung in Gefängnissen, die als „insecure technologies in secure spaces“ interpretiert werden (S. 171-188), und dem Entstehen einer neuen privatwirtschaftlich organisierten Industrie zum Kriminalitätsschutz und zur Missbrauchskontrolle im Internet. Im fünften Abschnitt – (un-)sichere Rechte – erkennt Benjamin Goold eine „asymmetry of trust – the untrusting state asks the public to trust it as it expands the apparatus of suspicion and surveillance“ (S. 211), die der maßlose Einsatz von Überwachungstechnologien hervorbringen kann. Johanne Yttri Dahl behauptet einigermaßen ungeschützt, „in a jigsaw puzzle certain pieces are more important than others“ (S. 234), um mit dieser Metapher zu zeigen, dass der Einsatz von (vermeintlichen) DNA-Beweisen in Gerichtsverfahren mit zahlreichen Problemen behaftet ist (S. 219-237). Die von ihr geführten Interviews mit Rechtsanwälten zeigen das deutlich, nur ein Gerichtsverfahren ist kein Spiel und beginnt, anders als Puzzle (außer vielleicht bei politischen Verfahren, was Richter und Ankläger betrifft), nicht seine „existence as clear, single picture“ (S. 221). So unterhaltsam wie erhellend schließlich ist der Beitrag von Vidar Halvorsen, der sich mit der Folter, dem Terror und dem angewandten Unrecht (nicht nur) der US-Regierung auseinandersetzt und der, wohl um den Begriff ‚technologies‘ nicht allzu weit zu dehnen, an das Ende des Buches platziert wurde.

Stefanu, Constantin; Xanthaki, Helen (eds.): Towards a European Criminal Record. Cambridge (Cambridge University Press) 2008, 402 S., EUR 75,–

In drei Abschnitten und 19 Kapiteln widmen sich rund 20 Autoren dem geplanten Aufbau eines zentralen Strafregisters für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU). Die Strafregister aller EU-Mitglieder werden, das war im Juni 2007 in Luxemburg beschlossen worden, künftig europaweit vernetzt. Die EU-Justizminister hatten sich dort über einen Rahmenbeschlusses verständigt, in dem der Informationsaustausch von Verurteilungen aus dem Strafregister geregelt wird, die letztlich zu einem echten und zentral organisierten Strafregister führen sollen.

Eine der zentralen Problemstellungen, denen das Buch nachgeht, bezieht sich auf die gegenwärtige Situation der Strafverfolgung in der EU, die als unbefriedigend betrachtet wird. Jeder Mitgliedstaat habe seine eigenen Datenbanken, die aber nicht zwingend kompatibel seien. Es gebe zwar bereits verschiedene (bilaterale) legale Instrumentarien zur Zusam­menarbeit, doch seien diese nicht von allen Mitgliedstaaten akzeptiert. Zudem hätten die bisherigen Erfahrungen mit verschiedenen Formen der gegenseitigen Unterstützung letztlich dazu geführt, dass sich auf politischer Ebene die Überzeugung durchgesetzt habe, es brauche eine zentrale Datenbank, vor allem um transnationales und „organisiertes“ Verbrechen bekämpfen zu können. Mit übergroßer Mehrheit schließen sich die Autoren des Bandes dieser Überzeugung an, die im ersten Abschnitt in drei Kapiteln diskutiert werden. Klar wird aber auch, dass derzeit sehr vieles noch ungeklärt ist. Wie eine solche Datenbank juristisch zu institutionalisieren sei, bei wem die Daten abgelegt, von wem sie kontrolliert, eingepflegt und von wem gegebenenfalls gelöscht werden, bleibt ebenso offen wie die Frage, was sie letztlich enthalten soll. Welche Verbrechen sollen in sie aufgenommen, welche nicht; soll die Datenbank auch Untersuchungen bzw. Ermittlungsverfahren und Anklagen enthalten oder nur Verurteilungen? Auch der gesamte Bereich des Datenschutzes – Löschungsfristen, Auskunftsrecht – ist auf der politischen Bühne noch weitgehend ungeklärt. Warum das so ist, interessiert die Akteure nicht weiter. Insgesamt stellen sie aber richtig fest, dass der Teufel im Detail liegen könnte (S. 307).

Im zweiten Abschnitt werden in zehn Kapiteln die Rechtssysteme der Länder Österreich, Tschechiens, Deutschlands, Griechenlands, Ungarns, Irlands, der Niederlande, Sloweniens, der Slowakei, Spaniens sowie von Englands und Wales aus jeweils nationaler Sicht dargestellt. Im Zentrum geht es dabei um die Nutzung von Strafregistern, deren rechtliche Regulierung und Kontrolle, die Zusammenarbeit mit anderen Staaten bei der Kriminalitätskontrolle sowie, in die Zukunft gerichtet, um Möglichkeiten, denkbare Ausrichtung(en) und Grenzen eines Europäischen Strafregisters.

Im dritten Abschnitt wird in vier Kapiteln ein etwas weiterer Bogen gespannt. In den Blick genommen werden die auf europäischer Ebene bereits existierende Datenbanken und damit verbundene Überlegungen zu deren Vernetzung, die schon mehrfach Gegenstand der Analyse in dieser Zeitschrift waren (u.a. die Datenbanken bei Europol, das Schengen Informationssystem, das derzeit ins Stocken geratene SIS II und das geplante Biometrie-gestützte Visa-Informations-System VIS). Dass allein die Anzahl der Datenbanken problematisch sein könnte, wird nicht thematisiert. Fragen von Bürger-, Menschen- und Datenschutzrechten werden, wie hoheitliche Problemstellungen, immerhin angerissen. Im Zentrum aber steht das im Titel formulierte Ziel, zu einem European Criminal Record zu kommen. Das umfangreiche Buch buchstabiert nationale, wie zukünftig europäische, Strafregister detailliert aus. Auch wenn die Geschichte voranschreitet, der Band wird eine wichtige Grundlage für Wissenschaft und Politik bleiben.

(beide: Volker Eick)