Das Vertrauen wert? Polizeikontrolle in Norwegen

von Liv Finstad[1]

Vor gut fünf Jahren reformierte Norwegen sein System der Polizeikontrolle. Seitdem kann die Bevölkerung auf zwei Wegen Beschwerden einreichen: Eine formal unabhängige Spezialeinheit für Polizeiangelegenheiten ermittelt bei strafbaren Amtsdelikten; die lokalen Polizeibehörden sind für alle anderen Fälle zuständig. Auch wenn Norwegen damit wesentlich weiter ist als Deutschland, besteht Verbesserungsbedarf. Es gilt, die praktischen Abhängigkeiten und die kulturelle Nähe von Spezialeinheit und Polizei zu lösen sowie die Sichtung der Beschwerden zu harmonisieren.

Im Vergleich zu den Millionen Polizeihandlungen, die jedes Jahr getätigt werden, fallen Beschwerden gegen die Polizei kaum ins Gewicht. Allerdings müssen Probleme mit Polizeikriminalität oder polizeilichem Fehlverhalten nicht statistisch überwältigend sein, bevor eine Gesellschaft Mechanismen etabliert, um effektiv und rechtsstaatlich zu kontrollieren, wie die Polizei ihre Macht ausübt.

Das norwegische System der Polizeikontrolle wird in der Regel als „Zwei-Säulen-Modell“ beschrieben. Die am 1. Januar 2005 gegründete Spezialeinheit für Polizeiangelegenheiten (Spesialenheten for politisaker) hat den Auftrag, gegen Angehörige von Polizei und Staatsanwaltschaft bei Vorwürfen von Amtsdelikten zu ermitteln und zu entscheiden, ob Anklage erhoben werden soll. Die zweite „Säule“ ist das Verfahren für Beschwerden in Fällen nicht strafbarer Natur, das von der Polizei selbst geleitet wird. Personen, die meinen, von der Polizei oder VertreterInnen der Staatsanwaltschaft unangemessen behandelt worden zu sein, können direkt Beschwerde beim Polizeichef des jeweiligen Polizeibezirks einlegen. Bei der Spezialeinheit gehen jährlich etwa 1.000 Beschwerden ein; bei der Polizei sind es etwa 500 bis 600.[2]

Das Zwei-Säulen-Modell

In den vergangenen 30 Jahren hat Norwegen eine Reihe von Methoden zur Kontrolle der Polizei ausprobiert. In den frühen 80er Jahren begann eine Diskussion um die Frage, ob eine unabhängige Institution zur Untersuchung von Fällen polizeilichen Fehlverhaltens eingerichtet werden sollte. Hintergrund war ein Komplex von Polizeigewalt in Bergen,[3] angesichts dessen die Kritik daran, dass die Polizei in solchen Fällen gegen sich selbst ermittelte, nicht mehr überhört werden konnte. Im Ergebnis wurden 1988 die Sonderuntersuchungsstellen (Særskilte Etterforskningsorganene – SEFO) eingerichtet. Jede der zwölf lokalen SEFO-Einheiten setzte sich zusammen aus einem Richter, einem Rechtsanwalt und einem Polizisten. Die Kritik, dass die Polizei sich selbst kontrolliere, verstummte damit allerdings nicht. Daher gab die Hohe Staatsanwaltschaft im Jahr 2000 die Evaluation der Arbeit der SEFOs in Auftrag. Die folgende Untersuchung der sogenannten Rønneberg-Kommission kam zu dem Ergebnis, dass die Qualität der Arbeit der SEFOs im Großen und Ganzen zufrieden stellend war. Gleichwohl schlug sie eine Reihe von Änderungen vor: u.a. sollten die SEFOs mit Kompetenzen zur strafrechtlichen Verfolgung ausgestattet werden, sie sollten ihre Empfehlungen erläutern und in jedem zu untersuchendem Fall die Beschuldigten befragen.

Bei der Reform des Systems ging das norwegische Parlament aber einen Schritt weiter. Am 5. März 2004 verabschiedete es ein Gesetz zur Schaffung der Spezialeinheit für Polizeiangelegenheiten als neuer, zentraler nationaler Agentur zur Ermittlung und Verfolgung von Amtsdelikten bei Polizei und Staatsanwaltschaft. Die Spezialeinheit ist eine eigenständige Einrichtung, die organisatorisch getrennt ist von Polizei und polizeilicher Staatsanwaltschaft und verwaltungstechnisch dem Justizministerium untersteht. Rechenschaftspflichtig ist die Einheit nur gegenüber dem Generaldirektor für Öffentliche Anklagen (Riksadvokat), der Leiter der gesamten norwegischen Staatsanwaltschaft ist.[4] Der Generaldirektor ist zuständig für Beschwerden über die Einheit und kann die Aufnahme, Durchführung und Beendigung von Ermittlungen veranlassen. Er selbst ist nur dem königlichen Staatsrat (Statsråd), also dem Regierungskabinett als Kollektiv, gegenüber verantwortlich. Das Personal der Spezialeinheit besteht aus 30 Festangestellten und elf freien MitarbeiterInnen (zehn JuristInnen und ein Psychologe). Verwaltungssitz der Spezialeinheit ist Hamar, eine Stadt mit 30.000 EinwohnerInnen etwa 130 Kilometer und zwei Stunden Autofahrt nördlich von Oslo. Gegliedert ist die Einheit in drei Ermittlungsabteilungen mit Sitz in Hamar bzw. in Bergen und Trondheim. Sie sind zuständig für den Osten, bzw. den Westen und Norden des Landes – insgesamt für ein Gebiet von der Fläche Deutschlands mit 27 regionalen Polizeibezirken, etwa 8.000 PolizeibeamtInnen und weiteren 5.000 Angestellten im Polizeidienst.

Voraussetzung für die Gründung der Spezialeinheit war die gleichzeitige Einrichtung eines separaten Systems für die Bearbeitung von Beschwerden über nicht strafbares polizeiliches Fehlverhalten. Hintergrund war das Ergebnis der Untersuchung durch die Rønneberg-Kommission, dass etwa 30 Prozent der SEFO-Fälle Vorfälle betraf, die zwar kritikwürdig, aber nicht strafbar waren. Entsprechend wurde als „zweite Säule“ für Beschwerden das System zur Verfolgung von nicht strafrechtlich relevantem Fehlverhalten im Januar 2006 in Kraft gesetzt. Während beim Gründungsakt der Spezialeinheit für Polizeiangelegenheiten durch das Parlament deren Unabhängigkeit, Effektivität und die Qualität ihrer Arbeit im Vordergrund stand, wurde für die „zweite Säule“ des Beschwerdesystems eine gänzlich andere Lösung gewählt: Beschwerden sind von der Leitung der Polizeibehörde zu bearbeiten, der Beschuldigte angehören. Das gesetzgeberische Leitmotiv war hier also nicht die Unabhängigkeit der Beschwerdeprüfung, sondern ihre einheitliche und gründliche Bearbeitung.

Die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen der Spezialeinheit und der Polizei führt dazu, dass die Einheit in allen Fällen potenzieller Amtsdelikte ermitteln und Entscheidung über eine Anklageerhebung treffen soll, während die Polizei selbst nur für Fälle von ausschließlich disziplinarrechtlicher Relevanz zuständig ist. Um die Zusammenarbeit zwischen den beiden Bereichen zu stärken, hatte das Parlament entschieden, dass die Spezialeinheit ihre Bewertung von Fällen mit der „Bitte um administrative Beurteilung“ an die verantwortlichen Polizeichefs weiterleiten kann. Dabei geht es insbesondere um Fälle, bei denen die Einheit nach ihren Ermittlungen zu dem Schluss gelangt, dass zwar keine Straftat vorlag und der Fall abgeschlossen werden kann, aber dennoch ein Fehlverhalten zu tadeln ist. Damit wird der Einheit eine besondere Rolle dabei zugewiesen, die Polizei auf Missstände aufmerksam zu machen und Lernprozesse anzustoßen.

Neuer Anlass zur Kritik

Allerdings dauerte es nicht lange, bis Kritiker wieder kraftvoll ihre Stimme erhoben und auch der neuen Spezialeinheit einen Mangel an Unabhängigkeit gegenüber der Polizei vorwarfen. Im März 2008 ernannte die Regierung deshalb eine Kommission, um das System der Polizeikontrolle erneut zu evaluieren.[5] Wichtigster Auslöser für den Auftrag zur Evaluation so kurz nach der Reform war zweifellos der Tod von Eugene Ejike Obiora.

Obiora, geboren in Nigeria, war ein norwegischer Bürger, der zum Zeitpunkt seines Todes seit mehr als 20 Jahren im Land lebte. Am 7. September 2006 suchte er das Sozialamt von Trondheim auf, um Widerspruch gegen die Ablehnung seines Sozialhilfeantrages einzulegen. Mitarbeiter des Amtes fühlten sich von ihm bedroht und riefen die Polizei. Nach einem „Handgemenge“ mit vier Polizisten wurde Obiora zu Boden gedrückt und mit Handschellen gefesselt. Während seiner Verhaftung bekam er Atembeschwerden, verlor das Bewusstsein und wurde, immer noch gefesselt, in einem Polizeiwagen ins Krankenhaus gebracht. Nachdem mehrere Wiederbelebungsversuche ohne Erfolg blieben, wurde Obiora für tot erklärt. Der Fall sorgte von Beginn an für hohe Aufmerksamkeit und provozierte umgehend öffentlichen Protest. Augenzeugen kritisierten das polizeiliche Vorgehen, und einige, die befragt wurden, deuteten den Fall als Resultat polizeilichen Rassismus. Der Fall Obiora wurde von der Spezialeinheit für Polizeiangelegenheiten intensiv untersucht. Letztlich kam sie aber zu dem Schluss, dass keiner der involvierten Polizeibeamten sich strafbar gemacht habe. Scharfe Kritik äußerte die Einheit allerdings am mangelhaften Wissen der Polizei über die Gefährlichkeit bestimmter Festnahmetechniken, wie den gegen Obiora angewendeten Würgegriff und seine Fixierung durch Druck auf den Bauch. Der Generaldirektor für Öffentliche Anklagen verteidigte die Entscheidung.[6] Aber für viele Kritiker illustrierte der Fall den Mangel an Unabhängigkeit der Spezialeinheit gegenüber der Polizei und vertiefte die Vertrauenskrise.

Vertrauen in die Polizeikontrolle?

Wenig ist darüber bekannt, was die norwegische Öffentlichkeit über die Arbeit der Spezialeinheit für Polizeiangelegenheiten weiß und welches Vertrauen sie den Institutionen der Polizeikontrolle entgegenbringt. Eine Umfrage der Kommission zur Evaluierung des Systems der Polizeikontrolle zeigte, dass 90 Prozent der Befragten Beschwerde einreichen würden, wenn sie der Meinung wären, dass ihnen Unrecht widerfahren sei. Allerdings glaubten nur 50 Prozent, dass eine solche Beschwerde Aussicht auf Erfolg habe – ein deutliches Signal für die Krise des Vertrauens in die Kontrollierbarkeit der Polizei.

Der Auftrag der Kommission bestand in der Untersuchung des öffentlichen Vertrauens in das System polizeilicher Kontrolle. Die Grundlage eines solchen Vertrauens sind nicht nur Gesetze und institutionalisierte Verfahren, die (Rechts-)Sicherheit schaffen sollen, sondern auch wie Medien die Arbeit dieser Institutionen darstellen und über bestimmte Vorfälle berichten. Insbesondere die mediale Berichterstattung kann das öffentliche Vertrauen stärker beeinflussen als das tatsächliche Funktionieren des Kontrollmechanismus. Während es Zeit braucht, Vertrauen aufzubauen, kann es leicht in wenigen Augenblicken zerstört werden. Offensichtlich ist, dass ein falscher Umgang mit herausragenden Vorfällen zu einer Erosion von Vertrauen führen kann. Ein gutes System sollte in der Lage sein, einen solchen falschen Umgang zu minimieren oder vollständig zu verhindern. Daher orientierte sich die Kommission nicht nur an den gesetzlich vorgeschriebenen Grundlagen für die Arbeit der Spezialeinheit – Unabhängigkeit, Effektivität, Qualität und Gründlichkeit –, sondern auch an Prinzipien, die im Rahmen internationaler Menschenrechtsarbeit in jüngerer Zeit zum Thema Polizeikontrolle entwickelt worden waren. Besonderer Bezugspunkt der Evaluation waren dabei die Prinzipien für eine unabhängige und effektive Prüfung von Beschwerden gegen die Polizei, die der Menschenrechtskommissar des Europarates im März 2009 veröffentlicht hatte: Unabhängigkeit, Angemessenheit, Unverzüglichkeit, Transparenz und die Beteiligung der Opfer.[7] Gemessen an diesen Prinzipien enthüllte die Untersuchung deutliche Schwächen des norwegischen Zwei-Säulen-Modells.

Schwächen der Spezialeinheit

Die Arbeit der Spezialeinheit, so das zentrale Ergebnis der Evaluation, entspricht in weitaus stärkerem Maße nationalen und internationalen Standards als die polizeiliche Selbstkontrolle bei Beschwerden nicht strafrechtlicher Natur. Gemessen an den Evaluationskriterien scheint Vertrauen in die Arbeit der Spezialeinheit gerechtfertigt. Sie ist organisatorisch und in der praktischen Bearbeitung der Fälle eine kompetente und professionelle Einrichtung. Eine Achillesferse ist allerdings ihre Personalknappheit. So mangelt es ihr an Ressourcen, um gleichzeitig Ausnahmefälle und „Alltägliches“, wie z.B. Beschwerden, deren Anlass bereits einige Zeit zurückliegt, zufrieden stellend zu bearbeiten. Im Jahr 2010 dauerte die durchschnittliche Bearbeitung einer Beschwerde etwa sechs Monate. Die grundsätzlichere Frage ist allerdings, wie unabhängig die Spezialeinheit von der Polizei ist.

Eine solche Unabhängigkeit hat verschiedene Aspekte: Strukturelle und rechtliche Eigenständigkeit bedeutet gegenüber der Polizei organisatorisch unabhängig zu sein. Symbolische Unabhängigkeit manifestiert sich in einem eigenen Logo, einer eigenen Website, der eigenständigen Darstellung in den Medien und einer aktiven Propagierung der Unabhängigkeit. All diese Kriterien der Unabhängigkeit erfüllt die Spezialeinheit. Problematischer wird es, wenn es um die praktische und kulturelle Unabhängigkeit der Einheit geht. Während sich praktische Unabhängigkeit daran zeigt, wie selbständig z.B. forensisch ermittelt werden kann, misst sich kulturelle Unabhängigkeit an Ausbildung und beruflichem Hintergrund des Personals. Wenn z.B. viele Angestellte der Spezialeinheit von der Polizei kommen, besteht die Gefahr kultureller Abhängigkeit. Außerdem drohen öffentliche Zweifel an der Unparteilichkeit der Kontrolleure gegenüber der Polizei. Andererseits ist die Spezialeinheit stark abhängig von der Expertise erfahrener Ermittler und Ankläger, wenn sie rechtsstaatlich arbeiten will. Damit bewegt sie sich in einem deutlichen Spannungsfeld, da sie nicht nur auf das Vertrauen der Öffentlichkeit angewiesen ist, sondern auch auf das polizeilicher Ermittler und Ankläger, deren Expertise sie anwirbt.

Obwohl sich in vielen Ländern formal unabhängige Systeme zur Kontrolle der Polizei herausgebildet haben, scheint sich niemand daran zu stören, dass kompetente Ermittlungsagenturen eine beträchtliche Anzahl von Angestellten mit polizeilichem Hintergrund haben müssen. Notwendig ist es aber, dass das Personal sich der Interessenskonflikte, die sich daraus ergeben können, sehr bewusst ist. Bei der norwegischen Spezialeinheit ist dies der Fall. Man ist darauf bedacht, auch Personal zu gewinnen, das länger nicht für die Polizei gearbeitet hat, und bei neuen Ermittlungen mögliche Befangenheiten zu prüfen. Eine vollständige praktische Unabhängigkeit scheint allerdings unrealistisch. Die Einheit wird auf externe Ermittlungsexpertise nicht verzichten können und muss daher Polizeipersonal unter ihrer Aufsicht beschäftigen.

Das grundsätzliche Dilemma besteht zwischen der formalen Unabhängigkeit auf der einen Seite und den zahlreichen kleinen Herausforderungen auf der anderen Seite, bei denen die Einheit abhängig ist von kurzfristigen praktischen Hilfeleistungen durch die Polizei und die langfristige Expertise von eigenem polizeilich sozialisiertem Personal. Aus den praktischen und pragmatischen Lösungen, die gefunden wurden, ergibt sich in der Summe das Risiko, dass die Spezialeinheit weniger unabhängig scheint, als sie sein und wahrgenommen werden sollte. Zu stärken wäre daher die Unabhängigkeit der Einheit, indem neu einzustellende Ermittler, die direkt von der Polizei kommen, vorab eine dreimonatige bezahlte „Quarantänezeit“ durchlaufen, während der sie in externen Organisationen oder Unternehmen arbeiten, deren Tätigkeiten für ihre zukünftige Tätigkeit relevant ist. Geprüft werden sollten auch Möglichkeiten einer Kooperation mit den unabhängigen Instanzen zur Polizeikontrolle in skandinavischen Nachbarstaaten und die stärkere Einbeziehung von Juristen auf Honorarbasis. Abhilfe schaffen könnte nicht zuletzt die Rekrutierung von mehr Personal, das keinen juristischen oder polizeilichen Hintergrund hat. So ließen sich die analytischen Kapazitäten der Einheit verbreitern und die Beziehungen zur Öffentlichkeit verbessern.

Filter der polizeilichen Selbstkontrolle

Während sich die Spezialeinheit für Polizeiangelegenheiten trotz aller Schwierigkeiten und Kritik zu einer professionellen und vertrauenswürdigen Institution entwickelt hat, sind in der zweiten Säule des Beschwerdesystems dringend Verbesserungen notwendig. Auch wenn es dort zahlreiche Beispiele einer zufrieden stellenden Bearbeitung von Beschwerden gibt, ist es entscheidend, dass das System der Fallbearbeitung harmonisiert und qualitativ verbessert wird. Das System ist der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt und selbst polizeiintern wenig präsent. Lehren, die auf nationaler Ebene gezogen wurden, finden ihren Weg nicht an die Basis, und es wird verkannt, dass Beschwerden kein „feindlicher Akt“ sind, sondern auch wichtiger Impulsgeber für Organisationslernen und polizeiinterne Reformen sein können.

In beiden Säulen des Beschwerdewesens dominieren Fälle, die von der Bevölkerung angezeigt werden. Nur selten zeigen PolizistInnen PolizistInnen an. Von einfachen BürgerInnen kann allerdings kaum erwartet werden, eine qualifizierte Unterscheidung zu treffen, unter welchen Umständen ein Polizeiakt potenziell eine Straftat darstellt – und somit ein Fall für die Spezialeinheit ist – und wann es sich nur um einen Verstoß gegen gute Sitten oder Dienstvorschriften handelt. Daher gehen viele Beschwerden zuerst bei der Polizei ein, die diese dann nicht selten zur Untersuchung an die Spezialeinheit weiterleitet. Knapp die Hälfte aller Fälle, die bei der Einheit eingehen, wurde auf diesem Wege von der Polizei als „prüfendem Briefkasten“ vorsortiert. Wie die Untersuchung der Evaluierungskommission gezeigt hat, besteht innerhalb des Polizeiapparates eine gewisse Sorge, des Abschirmens der Polizei verdächtigt zu werden, so dass die Schwelle recht niedrig ist, Fälle an die Einheit in Hamar weiterzuleiten. Im Ergebnis dieser polizeilichen Praxis und aufgrund des „bunten Straußes“ von Eingaben durch die Bevölkerung handelt es sich nur bei einem geringen Teil der Beschwerden, die von der Spezialeinheit bearbeitet werden, um strafrechtlich relevante Fälle. 90 Prozent der Beschwerden, die bei der Einheit eingehen, werden abgelehnt. Zweifellos hat die hohe Ablehnungsrate ihre Ursache darin, dass Recht und Gesetz die Latte für die Entscheidung, ob eine Handlung einen kriminellen Akt darstellt, hoch legen. Schließlich muss die Spezialeinheit die gleichen rechtlichen Standards anlegen wie das Rechtssystem insgesamt und kann einen Vorfall nur dann verfolgen, wenn die Beweise stark genug sind.

Ausblick

Die entscheidende Schwäche des Zusammenspiels zwischen den beiden Säulen der Beschwerdesystems liegt darin, dass gegenwärtig die Gefahr besteht, dass die Spezialeinheit nicht auf mögliche Straftaten aufmerksam wird. Während der Evaluation wurden in den Archiven der polizeilichen Beschwerdebearbeitung mehrere Fälle entdeckt, die eindeutig ein Fall für die Spezialeinheit gewesen wären. Wichtig ist daher die unabhängige Sichtung und Filterung eingehender Beschwerden, bei der geprüft werden kann, ob es sich um eine Angelegenheit für die Spezialeinheit oder für die polizeiinterne Prüfung handelt.

Die Evaluierungskommission empfahl daher, die Spezialeinheit zu einer solchen Sichtungs- und Filterstelle auszubauen, die alle Beschwerden gegen die Polizei entgegennimmt, registriert, prüft und entscheidet, in wessen Kompetenz ein Fall fällt. Eine solche Lösung würde die Unabhängigkeit der Polizeikontrolle deutlich verbessern und die Polizei stärker als bisher zur Verantwortung ziehen.

[1]      Übersetzung aus dem Englischen von Eric Töpfer
[2]     Das norwegische Zwei-Säulen-Modell der Polizeikontrolle wurde 2008-2009 auf Initiative der norwegischen Regierung evaluiert. Die Autorin war Vorsitzende der Evaluierungskommission. Untersucht wurden im Rahmen der Evaluierung auch die polizeilichen Routinen und Praktiken bei Festnahmen und Inhaftierung sowie die Öffentlichkeitsarbeit der Spezialeinheit für Polizeiangelegenheit und der Polizeiführung. Der Kom­mission stand es allerdings nicht zu, bestimmte Ermittlungen oder Anklageentscheidungen der Spezialeinheit zu revidieren. Es ging um eine Untersuchung des Prozesses und nicht einzelner Entscheidungen. Weitere Details zum Mandat finden sich unter: www.spesialenheten.no/INFORMATION/Evaluationofthepoliceoversightmechanisms/tabid/6120/Default.aspx). Im Mai 2009 wurde der Bericht der Kommission veröffentlicht: An Accountable Police. Openness, Control, and Learning (NOU 2009:12). Eine englische Zusammenfassung des Abschlussberichtes findet sich unter: www.spesialenhe
ten.no/INFORMATION/NOU200912Summary/tabid/6200/Default.aspx.
[3]     siehe hierzu: A. Bratholm: Polizeigewalt in Bergen. „Unendliche Geschichte“ – eine norwegische Version, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 77 (1/2004), S. 77-84
[4]     Während das Nationale Polizeidirektorat Norwegens dem Justizministerium untersteht, ist der Generaldirektor für Öffentliche Anklagen als Leiter der norwegischen Staatsanwaltschaft für die Strafverfolgung zuständig. Die unterste Ebene der Staatsanwaltschaft (Politiadvokatene) gehört praktisch zur Managementebene der lokalen Polizei und ist somit Teil des Polizeiapparates. Sie ist verantwortlich für die Verfolgung von Alltagskriminalität, wohingegen schwere Delikte von der Hohen Staatswanwaltschaft (Den Høyere Påtalemyndighet), d.h. den Öffentlichen Anklägern (Statsadvokatene) oder den Direktoren für Öffentliche Anklagen (Riksadvokatent), verfolgt werden. Der Öffentliche Ankläger einer Region führt die Aufsicht über die polizeiliche Strafverfolgung im jeweiligen regionalen Polizeibezirk. [Anmerkung des Übersetzers]
[5]     Die Methoden der Evaluation waren vielfältig und umfassten die Auswettung schriftlicher und mündlicher Quellen sowie weitere empirische Untersuchungen. Die Kommission stützte sich auf Erfahrungen und Einschätzungen zahlreicher Stimmen von innerhalb und außerhalb der Polizei, von denen wohl jene der Norwegischen Polizeigewerkschaft und jene der Organisation gegen Öffentliche Diskriminierung am gegensätzlichsten waren. Im Rahmen der Evaluation wurde eine quantitative und qualitative Analyse einer repräsentativen Auswahl von 194 Fällen der Spezialeinheit sowie von 218 Fällen, die vom System für Polizeibeschwerden in nicht strafbaren Angelegenheiten bearbeitet worden waren, durchgeführt. Zur Untersuchung von Festnahmen und Inhaftierungen analysierte die Kommission Fälle aus beiden Beschwerdebereichen und stützte sich zudem auf Berichte von Gremien zur Aufsicht von Gefängnissen und von internationalen Agenturen, die Inspektionen in Norwegen unternommen hatten. Ein Teilprojekt befasste sich mit der Frage, wie die Polizei mit Fällen verfährt, die ihr von der Spezialeinheit zur Prüfung zugeleitet werden. Ein anderes Teilprojekt untersuchte die Öffentlichkeitsarbeit von Spezialeinheit und Polizei im Rahmen einer Medienanalyse, die sich darauf konzentrierte, über welche Fälle und Probleme und wie in den Medien berichtet wurde, wenn es um das Beschwerdesystem ging. Dabei spielte die Medienberichterstattung zum Fall Obiora eine zentrale Rolle.
[6]     Die Angehörigen von Obiora legten Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein. Diese wurde am 21. Juni 2011 zurückgewiesen. Das Gericht sah keinen Anlass, die Entscheidung des Büros in Frage zu stellen: www.lovdata.no/cgi-wift/emdles?/avg/emd/emd-2008-031151.html
[7]     https://wcd.coe.int/ViewDoc.jsp?id=1417857&Site=CommDH&BackColorInternet=F
EC65B&BackColorIntranet=FEC65B&BackColorLogged=FFC679