Mehr parlamentarische Kontrolle, striktere Vorgaben für die Anwerbung und den Einsatz von V-Leuten, mehr Öffentlichkeitsarbeit und „Prävention“. Das sind die Stichworte für die Reformen, die einige Länder nach dem NSU-Skandal betreiben.
Im Dezember 2012 beschloss die Innenministerkonferenz (IMK) eine neue Richtlinie über die Zusammenarbeit des Bundesamtes (BfV) und der Landesämter für Verfassungsschutz (LfV), die ersterem in praktisch allen Tätigkeitsfeldern die Kompetenz zur zentralen Auswertung von Informationen zuschob. Die Länder müssen seitdem alle „Quellenmeldungen“ und Observationsberichte ungefiltert an das BfV liefern. Geht es nach dem Bundesinnenministerium, ist das aber nur ein erster Schritt zu einer weiteren Zentralisierung des Verfassungsschutzverbundes, die in der gerade begonnenen Legislaturperiode auch im Bundesverfassungsschutzgesetz festgeschrieben werden soll.[1]
Die Länder haben sich aber nicht nur mit diesem Zentralisierungsprozess auseinanderzusetzen. Ähnlich wie der Bund müssen sie die im Zuge des NSU-Skandals eingebüßte Legitimation ihrer Geheimdienste verdauen. Der folgende unvollständige Überblick zeigt, dass sie das auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und zum Teil auch gar nicht tun.
Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) warnte im August 2012 angesichts der Debatte in der IMK vor „Schnellschüssen“ bei der Neuorientierung. Nicht bei allen LfV habe es Probleme gegeben.[2] Auf der Internetseite des Ministeriums findet sich kein Hinweis auf irgendwelche Reformpläne. Dasselbe gilt für das Saarland, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. In Bayern gab es nicht nur „Probleme“, sondern auch einen NSU-Untersuchungsausschuss. Das LfV hat inzwischen wieder eine eigenständige Rechtsextremismus-Abteilung. Und die für das LfV zuständige Abteilung des Innenministeriums befasst sich wieder ausschließlich mit der Dienst- und Fachaufsicht über den Verfassungsschutz und nicht wie zuvor mit allerlei anderen Themen. Für die selbst von CSU-Mitgliedern im NSU-Untersuchungsausschuss empfohlene gesetzliche Fixierung von Kriterien für den V-Leute-Einsatz sieht das Ministerium offenbar keinen Anlass.[3]
In Baden-Württemberg hielt die grün-rote Koalition die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses nicht für nötig. Erst im Oktober 2013 vermeldeten die Medien, dass man „jetzt“ die Reform des LfV anpacken wolle.[4] In Hessen sind alle Gesetze befristet und müssen erneuert werden. Im Dezember 2012 ließ die alte schwarz-gelbe Regierung das Verfassungsschutzgesetz verlängern. Bei der Gelegenheit versah man die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) mit neuer Tünsche und gab dem LfV auch gleich die Befugnis, bei Telekommunikations-, Luftfahrt- und Finanzunternehmen Auskünfte einzuholen.[5] Der Antrag der Linken, das LfV aufzulösen, wurde abgebügelt. Größeren Bedarf an einer „Neuausrichtung“ spürten die Parteien erst danach.[6] Was die neue schwarz-grüne Regierung nun in die Wege leitet, bleibt abzuwarten. Niedersachsen beteiligte sich zwar unter der schwarz-gelben Regierung intensiv an den IMK-Debatten über den neuen Verfassungsschutzverbund, eine Reform auf Landesebene kam wohl auch wegen der bevorstehenden Wahlen nicht in Gang. Die neue rot-grüne Regierung will nun von einer Expertenkommission Vorschläge erarbeiten lassen.
In Sachsen befasst sich nicht nur ein Untersuchungsausschuss mit dem NSU und dem Versagen der Behörden. Das Innenministerium setzte im August 2012 eine Expertenkommission ein, die „Arbeitsabläufe und -strukturen“ des LfV überprüfen sollte. Ihr gehörten die ehemalige Generalbundesanwältin Monika Harms, der ehemalige Chef des sächsischen Rechnungshofs Franz-Josef Heigl und der frühere Präsident des baden-württembergischen LfV Helmut Rannacher an. In ihrem Abschlussbericht vom Februar 2013 bescheinigte diese Rentnerkommission dem Amt, gesetzlich gut aufgestellt zu sein. Sie empfiehlt u.a. eine organisatorische Trennung von Beschaffung und Auswertung, eine Stärkung der Innenrevision, die Einführung eines „Vorgangsbearbeitungssystems“ für die elektronische Aktenführung, eine Reduzierung und ein „leistungsbezogenes“ System für die Prämien der V-Leute. Der Gesetzentwurf, den die Koalitionsfraktionen CDU und FDP im September 2013 betrifft in erster Linie die Auskunftsanfragen des LfV nach dem neuen Telemediengesetz, aber nicht die „Neuorientierung“ des Amtes .[7]
Anders sehen das Nordrhein-Westfalen (NRW), Bremen und Thüringen. Die NRW-Landesregierung präsentierte schon im Februar 2013 ihren Gesetzentwurf zur „Neuausrichtung des Verfassungsschutzes“, den der Landtag vier Monate später absegnete.[8] Im September 2013 legte der Bremer Senat seinen Neuentwurf vor, die erste Lesung in der Bürgerschaft fand noch im selben Monat statt. Die Innendeputation (Innenausschuss) beschloss im Oktober diverse Änderungen.[9] Thüringen hat erst im Juli 2012 sein Verfassungsschutzgesetz geändert; im Dezember 2013 veröffentlichte Innenminister Jörg Geibert (CDU) einen neuen Referentenentwurf.[10]
V-Leute
Sowohl das BfV als auch einige Landesämter verfügten schon bisher über Dienstvorschriften über Rekrutierung und Einsatz von V-Leuten. Während sich die IMK derzeit um die „Harmonisierung“ dieser internen Vorschriften bemüht, setzen NRW, Bremen und Thüringen aus eine gesetzliche Fixierung, um künftige Auswüchse zu vermeiden. Die Unklarheiten und Ausnahmen in den neuen Regelungen (NRW § 7, Bremen § 8b, Thüringen § 12) zeigen jedoch, dass es unmöglich ist, einen Pudding an die Wand zu nageln.
Die drei Bundesländer verstärken die parlamentarische Kontrolle. Die PKK (bzw. in NRW das Kontrollgremium, PKGr) wird vor dem Erlass und vor jeder Änderung der entsprechenden Dienstanweisung angehört. In Bremen und Thüringen darf die PKK darüber hinaus mitentscheiden, bei welchen Beobachtungsobjekten V-Leute eingesetzt werden sollen. Sie muss dem Antrag der Behörde bzw. des LfV zustimmen. Über die Verpflichtung und den Einsatz einer bestimmten V-Person entscheidet in allen drei Bundesländern die Behörden- bzw. Amtsleitung. Der Einsatz muss fortlaufend dokumentiert werden. Er ist befristet, kann aber verlängert werden. Ebenfalls zu befristen ist jeweils die Führungsverantwortlichkeit. Thüringen baut zudem eine V-Mann Datei auf, in der auch die Klarnamen der Spitzel registriert werden (§ 13 Abs. 2).
Auch die Auswahl- bzw. Ausschlusskritierien sollen nicht mehr nur in internen Anweisungen geregelt sein. Das NRW-Gesetz bzw. die Entwürfe aus Bremen und Thüringen verbieten die Anwerbung von Minderjährigen, von Personen, die an „Aussteigerprogrammen“ teilnehmen, von Abgeordneten des EU-Parlaments, des Bundestags oder der Landtage sowie deren MitarbeiterInnen. Thüringen will generell keine Zeugnisverweigerungsberechtigten – also auch keine ÄrztInnen, PfarrerInnen oder AnwältInnen – als V-Leute rekrutieren.
Einig sind sich die drei Länder darin, dass V-Leute „die Zielsetzung und Tätigkeit der zu überwachenden Organisation nicht entscheidend bestimmen“ und dass die „Geld- und Sachzuwendungen“, die sie vom Verfassungsschutz erhalten, nicht „auf Dauer“ ihre „alleinige Lebensgrundlage“ darstellen dürfen. Die Bremer Innendeputation will ferner sicherstellen, dass diese Zuwendungen „nicht zur erheblichen Finanzierung des Beobachtungsobjektes eingesetzt werden“. Was aber heisst „auf Dauer“? Wäre es akzeptabel, wenn ein V-Mann ein halbes oder ein ganzes Jahr seinen Lebensunterhalt vom Verfassungsschutzhonorar bestreiten könnte? Und wann ist eine „Finanzierung“ erheblich? Ab welcher Summe muss man sich den Vorwurf gefallen lassen, über Spitzel-Honorare eine Neonazi-Truppe zu subventionieren?
Auch Kriminelle sollen künftig nicht mehr für den Verfassungsschutz arbeiten dürfen: NRW und Bremen verlangen, dass V-Leute in der Vergangenheit keine „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ begangen haben dürfen. In Thüringen sollen künftig keine Personen mehr rekrutiert werden, die wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten oder mehr verurteilt wurden. Auch während des Einsatzes will man Kriminalität nicht dulden: In NRW liegt die Messlatte hier erneut bei Straftaten von erheblicher Bedeutung, in Thüringen bei Straftaten, in Bremen (nach der Fassung der Innendeputation) bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. Bezeichnend sind hier die Ausnahmen: In NRW und Bremen wollen V-Leute auch in Vereinigungen einsetzen, deren Zweck oder Tätigkeit „den Strafgesetzen zuwiderläuft oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten“. Nach dem Bremer Gesetzentwurf sollen V-Leute aber weder auf die Gründung einer solchen Vereinigung hinwirken noch steuernd auf sie Einfluss nehmen dürfen. „Ausnahmsweise“ können sie zudem „Handlungen vornehmen, die einen Straftatbestand erfüllen“, um ihre Tarnung aufrecht zu erhalten und „Gefahren für Leib, Leben, Gesundheit oder Freiheit der Person“ zu vermeiden. In der Begründung ist u.a. von Propagandadelikten die Rede.
Der sofortige Abbruch des Einsatzes und die Unterrichtung der Strafverfolgungsbehörden soll in allen drei Ländern die Folge sein, wenn „tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen“, dass eine V-Person eine erhebliche Straftat begangen hat. Für NRW ist diese Regelung stimmig, aber nicht für Thüringen, das V-Leuten sämtliche Straftaten, und auch nicht für Bremen, das ihnen selbst Ordnungswidrigkeiten untersagen will. Darüber hinaus soll in NRW und Bremen „bei einer Gefährdung von Leib und Leben der beteiligten Personen“ von den angedrohten Folgen abgesehen werden können. Die Bremer Innendeputation hat eine weitere Ausnahme eingebaut: Wenn „tatsächliche oder rechtliche Zweifel an der rechtswidrigen Verwirklichung eines Straftatbestandes von erheblicher Bedeutung“ bestehen und der Senator den Einsatz der V-Person fortführen will, muss er die Zustimmung der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) einholen. Tatsächliche Zweifel an tatsächlichen Anhaltspunkten – das verstehe, wer will. Der Thüringer Gesetzentwurf ist da klarer: Er erlaubt dem LfV-Präsidenten eine Ausnahmeentscheidung, „wenn die von der Vertrauensperson erlangten und zu erwartenden Informationen geeignet sind, die Gefährdung von Leib und Leben dritter Personen sowie die Begehung von Straftaten im Sinne von § 100a StPO oder von Staatsschutzdelikten im Sinne der § 74a und § 120 Gerichtsverfassungsgesetz zu verhindern.“
Parlamentarische Kontrolle
Der Ausbau der parlamentarischen Kontrolle gehört zum Standardrepertoire von politischen Forderungen nach Geheimdienstskandalen. Bremen hat die Rechte seiner PKK bereits 2006 erweitert. Von der erweiterten Mitbestimmung in Sachen V-Leute abgesehen, enthält der jetzige Entwurf hier nur mehr redaktionelle Änderungen. NRW hat dagegen umfassende Änderungen vorgenommen und auch Thüringen will über die Regelungen im Gesetz von 2012 hinausgehen.
In allen drei Ländern soll die Landesregierung nicht mehr nur summarisch über die Arbeit des Verfassungsschutzes, sondern auch über den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel und zu „operativen Vorgängen“ informieren. Die KontrolleurInnen können vom Innenministerium bzw. Innensenat Auskünfte oder Zutritt zu Diensträumen verlangen, in Bremen reicht dafür bereits der Antrag eines der drei PKK-Mitglieder. Eine Auskunftsverweigerung ist zu begründen.
In Thüringen soll die PKK einen ständigen Geschäftsführer erhalten, der mit Zwei-Drittel-Mehrheit auf Vorschlag der Landesverwaltung gewählt werden soll. Die PKK-Mitglieder können sich zudem durch MitarbeiterInnen unterstützen lassen. Im NRW-Gesetz ist die Zuarbeit durch Mitglieder der Landesverwaltung vorgesehen. Das nordrhein-westfälische PKGr tagt seit dem neuen Gesetz grundsätzlich öffentlich und nur dann geheim, „wenn Geheimhaltungsgründe dies erforderlich machen.“
In Sachsen schlug die Expertenkommission nicht etwa die Verstärkung der Befugnisse der PKK, sondern die Einsetzung eines Verfassungsschutzbeauftragten vor, der wie der Datenschutzbeauftragte ein Organ des Landtags sein soll. Anders als die PKK wäre er nach Meinung der Kommission nicht auf eine nachträgliche Kontrolle ausgerichtet, sondern könnte sich regelmässig auch laufende Vorgänge ansehen.
Öffentlichkeitsarbeit und Prävention
Dass VerfassungsschützerInnen nicht nur bei Veranstaltungen auftauchen, sondern auch in Schulen vor den Gefahren des „Extremismus“ warnen, gehört mittlerweile in vielen Bundesländern zum schlechten Ton. NRW hat nun die „Aufklärung der Öffentlichkeit“ ausdrücklich zur gesetzlichen Aufgabe seines Geheimdienstes gemacht. Er „stärkt dadurch das gesellschaftliche Bewusstsein“, heisst es in § 1. Bremen übernimmt diese Formulierung. Auch in Thüringen soll der Verfassungsschutz durch Information und Öffentlichkeitsarbeit „dem Entstehen von Bestrebungen und Handlungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, vorbeugen“. Das LfV soll eine „Kommunikationsstrategie“ erarbeiten und dabei von einem Beirat aus VertreterInnen „verschiedener Institutionen und Organisationen“ unterstützt werden. Gerade diese neuen Regelungen des Entwurfs stießen bei den sozialdemokratischen KoalitionspartnerInnen auf Kritik: Rechtsextremismus-Prävention sei Angelegenheit der Zivilgesellschaft und werde durch das Landesprogramm „Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit“ gefördert. Dessen Erfolge dürften nicht durch Konkurrenz und Doppelstrukturen beim Verfassungsschutz in Frage gestellt werden.
Ähnliches gilt für Sachsen, wo die Öffentlichkeitsarbeit schon in § 15 des bestehenden Gesetzes als Aufgabe des LfV fixiert ist. Die Expertenkommission empfiehlt nun, diese Art von Prävention aufzuwerten, denn der „Verfassungsschutz der Zukunft“ sei ein „Dienstleister“. Das „Forum Starke Demokratie“ sei deshalb der Stabsstelle des LfV-Präseidenten anzugliedern. Seit Ende 2011 organisiert es Veranstaltungen für kommunale „VerantwortungsträgerInnen“ und erklärt ihnen, was sie tun können, wenn RechtsextremistInnen unangemeldet demonstrieren oder Veransatltungslokale mieten wollen. Ende 2012 kam ein Intranet für die Kommunen hinzu. Die Expertenkommission schlägt weiter den Aufbau eines „Krisenunterstützungsteam“ vor, das „Kommunen, Schulen etc. bereits im Vorfeld von rechtsextremistischen Straftaten, Immobilienkäufen oder Veranstaltungen vor Ort intensiv berät und unterstützt.“ Der Staat erobert damit das Terrain zurück, das Projekte gegen Rechtsextremismus und mobile Beratungsteams seit dem letzten Jahrzehnt mühsam beackerten. Sachsen hat diesen Projekten systematisch finanziell die Luft abgedreht, wenn sie nicht die vorformulierte Extremismusklausel unterschrieben und auf Distanz zum „Linksextremismus“ gingen.
Der „Verfassungsschutz der Zukunft“ wird sich auf Landesebene verstärkt als pädagogische Institution profilieren und dabei die übliche Mär vom Extremismus verbreiten. Bei alledem bleibt er weiter ein Geheimdienst: Er verzichtet nicht auf „nachrichtendienstlichen Mittel“ und schon gar nicht auf Spitzel, die per Definition zwielichtige Figuren sind. Die parlamentarische Kontrolle wird zwar etwas öffentlicher und gewinnt mehr Kompetenzen. Die Mitentscheidungsbefugnis bei der Festlegung jener Beobachtungsobjekte, die mit V-Leuten infiltriert werden dürfen, beinhaltet jedoch zugleich die Gefahr, dass sich die KontrolleurInnen kooptieren lassen.