EU-Innenministerien fordern weltweite Biometrie-Datenbank in Estland

Die Innen- und JustizministerInnen der Europäischen Union sprechen sich für eine Ausweitung des biometrischen Systems „Intelligente Grenzen“ auch auf Staatsangehörige von EU-Mitgliedstaaten aus. Eine entsprechende Forderung findet sich in den Schlussfolgerungen ihres Sondertreffens vom Freitag vergangener Woche. Demnach soll die Kommission einen Vorschlag vorlegen, wie eine verpflichtende Überprüfung von Fingerabdrücken und Gesichtsbildern von UnionsbürgerInnen an den Außengrenzen des Schengen-Raums rechtlich umgesetzt werden kann.

Das System „Intelligente Grenzen“ sollte zunächst nur Ein- und Ausreisen aller Drittstaatsangehörigen erfassen. Ziel war die Ermittlung von „Overstayern“, also MigrantInnen die mit einem gültigen Aufenthaltstitel in die EU einreisen, den Schengen-Raum aber nicht fristgemäß verlassen.

Schon jetzt ist der ursprüngliche Zweck der grenzpolizeilichen Nutzung erweitert worden. Vorgesehen ist, dass auch Polizeien und Geheimdienste auf die Datensammlung zugreifen dürfen. Zur Begründung verweisen viele Mitgliedstaaten auf die Wirtschaftlichkeit. Anschaffungskosten von weit über einer Milliarde Euro lohnten sich demzufolge nur, wenn das System von verschiedenen Behörden genutzt werden kann.

Derzeit testet die EU-Kommission an mehreren europäischen Flughäfen technische Konzepte zur Zahl der abgenommenen Fingerabdrücke und deren Kombination mit dem Gesichtsbild. Mit dem endgültigen Vorschlag zur Errichtung des Systems „Intelligente Grenzen“ wird nach einer Auswertung der Studien im Frühjahr 2016 gerechnet.

„Intelligente Grenzen für alle“

Bereits im September hatte die französische Regierung ein Papier mit dem Titel „Intelligente Grenzen für alle“ vorgelegt und darin die Erweiterung des Systems gefordert. Frankreich begründete den Vorstoß mit einem gestiegenen Passagieraufkommen, einem „unvorgesehenen Migrationsdruck“ und „erhöhter Bedrohung durch Terrorismus“. Deshalb würden neue Werkzeuge zur Kontrolle der EU-Außengrenzen benötigt. Nur dadurch könne die Freizügigkeit innerhalb des Schengen-Raums aufrechterhalten werden.

Dieser Forderung schließen sich die EU-MinisterInnen in ihren Ratsschlussfolgerungen an. Die Kommission wird aufgefordert, bei der Überarbeitung ihrer Vorschläge für das Paket „Intelligente Grenzen“ einen Vorschlag für eine „gezielte Änderung“ des Schengener Grenzkodex vorzulegen.

Frankreich fordert auch, die im Sommer eingeführten „systematischen Kontrollen“ der Angehörigen von EU-Mitgliedstaaten bei der Neufassung des Grenzkodex zu berücksichtigen. Im Juni hatte die Kommission in dem unverbindlichen „Leitfaden für Grenzschutzbeamte“ festgelegt, dass Unionsangehörige an den Außengrenzen stärker kontrolliert werden können. Mitgeführte Ausweisdokumente werden dabei nicht nur auf Echtheit geprüft, sondern mit Polizeidatenbanken abgeglichen. Dieses Verfahren war bislang nur bei Drittstaatsangehörigen erlaubt.

„Risikoindikatoren“ vom BKA

Laut dem Handbuch dürfen diese „systematischen Kontrollen“ nicht pauschal erfolgen. Sie müssen sich an „Risikoindikatoren“ orientieren, die von der Kommission, der Polizeiagentur Europol und dem Bundeskriminalamt gemeinsam erarbeitet wurden. Die deutsche Bundespolizei kontrolliert etwa auf Flügen aus der Türkei, Tunesien oder Ägypten und nutzt hierfür äußerliche Merkmale. Laut dem Bundesinnenministerium handele es sich daher um „nicht-systematische Kontrollen“.

Weil solche eingehenden Kontrollen die Wartezeit an den Übergängen deutlich erhöhen, soll die Kommission überlegen wie die vorhandenen technischen Lösungen „in vollem Umfang genutzt werden“ könnten, um „einen fließenden Grenzverkehr zu gewährleisten“. Gemeint sind wohl automatische Kontrollspuren, wie sie in einem EU-Sicherheitsforschungsprojekt untersucht werden und auch Fingerabdrücke verarbeiten. An deutschen Flughäfen sind entsprechende Anlagen unter dem Namen „EasyPASS“ installiert. Bislang ist ihre Nutzung offiziell freiwillig, nach dem französischen Vorschlag „Intelligente Grenzen für alle“ würden solche „fast lanes“ verpflichtend.

Nach bisherigen Planungen würden die Datenbanken des Systems „Intelligente Grenzen“ bei der Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen (eu-LISA) in Estland betrieben. Dort sollen die biometrischen Daten der Reisenden unter Angabe von Datum und Ort des Grenzübertritts zentral gespeichert werden. Laut dem französischen Vorschlag sollen die UnionsbürgerInnen jedoch im – ebenfalls von eu-LISA verwalteten – Schengener Informationssystem (SIS) gespeichert werden.

Neues Feature des Schengener Informationssystems

Genutzt würde ein neues Feature der Fahndungsdatenbank SIS II, die erst seit 2013 biometrische Daten als Anhang ermöglicht. Die Kommission will hierfür ein automatisiertes Fingerabdruck Identifizierungssystem (AFIS) in das SIS II integrieren, eine Studie untersucht Umsetzungsmöglichkeiten eines solchen SIS-II-AFIS. Fingerabdruckdaten sollen recherchierfähig an Personendatensätze angehängt werden. Unter Umständen könnte im AFIS auch daktyloskopisches Material anderer Datenbanken verarbeitet werden.

Ob mit oder ohne Erweiterung entsteht mit „Intelligente Grenzen“ eine immense Datensammlung. Laut der Kommission erfolgen an den EU-Außengrenzen jährlich rund 700 Millionen Grenzübertritte von EU- und Drittstaatsangehörigen. Schätzungen zufolge könnte diese Zahl bis zum Jahr 2030 allein an Flughäfen um 80 % zunehmen.

Foto: EU-Kommision