Mittendrin und nicht abseits: Sicherheitsbehörden und die Gentrifizierung von Städten

von Laura Flierl

Die steigenden Mietmärkte in Großstädten und ihre zentrale Rolle für die Produktion von kapitalistischem Mehrwert lässt erneut eine florierende Praxis von Entmietungsstrategien entstehen. Um die maximale Rendite aus Immobilien zu erwirtschaften, greifen Vermieter*innen auch massenhaft auf Zwangsräumungen zurück, die neben anderen Verdrängungstaktiken seit jeher die Gentrifizierung von Städten vorantreiben. Vor allem seit der globalen Finanzkrise formiert sich vermehrt Protest gegen die gewaltvolle Verdrängung von zahlungsunfähig gemachten und sozial marginalisierten Menschen. Mit dem Aufkommen kollektiver Räumungsblockaden und solidarischer Praxen tritt auch eine politische Akteurin verstärkt in Erscheinung, deren Rolle in der Re-Segregation der Städte oftmals unterbelichtet bleibt – die Polizei und ihre Partner aus dem Sicherheitsgewerbe. [1]

Dank kritischer Forschung wissen wir schon lange, dass Straf- und Kontrollinstitutionen im Kapitalismus nicht nur historisch instrumentell waren zur Befriedung von armen und rassifizierten Bevölkerungsgruppen und zur Erwirtschaftung maximaler Kapitalerträge.[2] Ihr Einsatz von zunehmend militarisierten und expansiven Polizeimodellen im Zuge neoliberaler Austeritätspolitik und ihr mit der Politik abgestimmtes Vordringen in sozialpolitische Aufgabengebiete, wurden auch mehrfach als entscheidende Faktoren in der Gentrifizierung von Städten und der Unterdrückung von sozialer Marginalisierung und Dissens dokumentiert.[3] Während Forscher*innen diese Zusammenhänge vor allem im Kontext polizeilicher Räumungen von sichtbar mittelosen Menschen im öffentlichen Stadtraum offenlegten,[4] bleiben die Konsequenzen einer solcher Sicherheitspolitik für Menschen, die noch über Wohnraum verfügen und daraus massenhaft zwangsgeräumt werden weitestgehend unterbelichtet. Und das, obwohl hier vorrangig soziale Gruppen betroffen sind, die nach wie vor im Zentrum polizeilicher Arbeit stehen: arme, rassifizierte und sozial ausgrenzte Menschen und solche, die sich dem Status quo widersetzen.

Mit einer Reihe von Beispielen aus der polizeilichen Räumungspraxis in Spanien und den USA setzt der folgende Artikel an der Forschungslücke an und liefert ein empirisch fundiertes Argument dafür, die Polizei wieder als das zu sehen, was sie ist: eine eigenständige politische Akteurin in der Gentrifizierung von Städten, die auf dem Wohnungsmarkt mit Räumungstaktiken ihrer Aufgabe weiter nachkommt (Privat)besitz, weiße Vorherrschaft und Kapitalstrukturen zu sichern.[5] Anhand der Empirie zeigt sich, wie Beamt*innen in Barcelona und Oakland gezielt ihren erweiterten polizeilichen Verfügungsrahmen ausnutzen, um vor allem arme Frauen und rassifizierte Bewohner*innen zu drangsalieren und aus ihren Wohnungen zu räumen.

Extralegale Räumungen in Barcelona

Mit 2.519 gerichtlichen Räumungstiteln von Mieter*innen und Wohnungsbesitzer*innen im Jahr 2017 gehört Barcelona zu den Großstädten, in denen Wohnungsräumungen seit der Wirtschaftskrise 2008 extreme Ausmaße angenommen haben.[6] Weitere 1.192 Menschen wurden nach Angaben der Staatsanwaltschaft im Jahr 2017 aufgrund von Wohnungsbesetzungen geräumt.[7] Barcelonas große Anzahl von leerstehenden und teils noch unfertig gebauten Wohnungen sichern für viele Familien in einer Stadt noch den Zugang zu Wohnraum, in der sich die Mieten seit 2000 verdoppelt haben.[8] Mit Hilfe der Öffentlichkeitsarbeit von Anti-Zwangsräumungsgruppen in Barcelona lässt sich konkret nachvollziehen, wie die Polizei Menschen auch ohne richterliche Beschlüsse aus ihren Wohnungen räumt. Die folgende Analyse basiert auf einer Auswertung von Beiträgen inklusive Video- und Fotomaterials, die wohnungspolitische Gruppen von Juli 2019 bis Dezember 2020 in den sozialen Medien veröffentlicht haben. Daraus konnten 41 Fälle außergerichtlicher Räumungen durch die Polizei herausgefiltert werden. Journalist*innen berichteten über 14 der 41 Vorfälle und liefern damit weitere Einblicke in das extralegale Vorgehen der Polizeibeamt*innen. Interviews mit Beteiligten von Zwangsräumungsblockaden untermauern, was sich zum Zeitpunkt abspielte und stellen eine dritte Quelle dar. Die zusammengetragenen Fälle und deren Analyse deuten darauf hin, dass die katalanische Polizei (mossos d’esquadra, im folgenden MD) und das verantwortende Innenministerium den Gesetzesrahmen zunehmend weit und tendenziös auslegt und damit eigens in die Wohnungspolitik eingreift. Die Institution experimentiert dabei vielfach mit Polizeiprotokollen und dringt in juristische Grauzonen vor, um Blockaden von Anti-Zwangsräumungsgruppen zu schwächen und neue Runden der Kapitalakkumulation im sich neu konsolidierenden Mietensektor in Spanien gewaltvoll durchzusetzen.

Den Daten zufolge ging die MD dieser Politik im Wesentlichen auf drei Arten nach. Erstens versuchten Beamt*innen in einigen Fällen Räumungen durchzusetzen, bevor Gerichtsvollzieher*innen und andere Mitglieder der vom Gericht entsandten Entourage (Comitiva) der MD die rechtliche Genehmigung dafür erteilt hatten. Diese erteilt das Comitiva in Spanien nur am Tag der Räumung, vor Ort und vor allem nach einer letzten Verhandlungsrunde mit den beteiligten Parteien. [9] Noch vor Abschluss dieser rechtlichen Voraussetzungen versuchten sich Beamt*innen gewaltsam Zugang zu den Wohnungen der räumungsgefährdeten Menschen zu verschaffen und Proteste gezielt zu überrumpeln.[10] Oder sie kehrten zurück und schlugen auf Protestierende ein, nachdem das Comitiva die Räumung bereits offiziell vertagt hatte.[11] So setzten sie sich über die Entscheidung der Justiz hinweg.

Während es in diesen Fällen also zwar einen Räumungstermin gab, die Polizei jedoch räumte, bevor die Justiz dies überhaupt genehmigte, finden sich zweitens auch 21 Fälle, in denen die MD ohne Termin oder Gerichtsbeschluss versuchten, sich gewaltsam Zugang zu Wohnungen zu verschaffen und Bewohner*innen daraus zu vertreiben.[12] Zum Teil fanden diese außergerichtlichen Räumungsversuche erst am späten Abend statt und unter Einbezug von Bereitschaftseinheiten der MD, die mit Spezialausrüstung und Schlagstöcken auf Protestierende einwirkten.[13] In keinem dieser Fälle waren laut Berichterstattung die Anwälte der Bewohner*innen anwesend oder informiert. Ebenso wenig wurde ein Comitiva konsultiert – somit fehlten die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Räumung.[14]

Der Großteil der untersuchten Fälle zeigt jedoch drittens, wie die MD für solche außergerichtlichen Zwangsräumungen mit anderen privaten Akteur*innen zusammenarbeitete. Hier dominierten zwei Szenarien: Entweder sie präsentierten sich gemeinsam mit den Vermieter*innen unangekündigt vor den Türen der Menschen und versuchten in ihre Wohnungen einzudringen.[15] Oder sie kollaborierten mit Vertreter*innen der Eigentümer*innen: dem in Spanien wachsende Sektor von kommerziellen Räumungsfirmen mit Verbindungen in die rechte Kampfsportszene. Die unter dem Namen Desokupa gehandelten Unternehmen liefern Vermieter*innen seit 2016 extralegale Räumungen als Markprodukt. Ihr Geschäftsmodel umgeht gezielt den langen gerichtlichen Räumungsprozess und spezialisiert sich darauf, die wachsende Anzahl von Besetzungen durch wohnungslose Menschen für Wohneigentümer*innen zu ‚lösen’. Unter den Besetzer*innen sind vor allem Frauen, Kinder, arme Pensionär*innen und andere strukturell benachteiligte Gruppen, die auf dem regulären Wohnmarkt keinen Zugang zu bezahlbarem Wohnraum mehr haben oder als Mieter*innen zahlungsunfähig wurden und in der Wohnung blieben.[16] Durch den Aufbau von Eingangskontrollen an den Wohnobjekten und ‚Vermittlungsversuchen‘ mit den Bewohner*innen nutzen die Räumungsfirmen strategisch Grauzonen in den gesetzlichen Vorgaben für Sicherheitsfirmen aus und versuchen, Bewohner*innen mit Einschüchterungsversuchen, Vandalismus bis roher Gewalt aus den Wohnungen zu zwingen und Gegenproteste zu unterbinden.[17]

Anstatt solche extralegalen Eingriffe in ihren Zuständigkeitsbereich zu requirieren, ging die MD bei zahlreichen Gelegenheiten einen wohnungspolitischen Pakt mit den kommerziellen Räumern ein. In den Medien veröffentlichte Videos zeigen solche öffentlich-privaten Sicherheitspartnerschaften, die charakteristisch für die neoliberale Polizeiarbeit heute sind.[18] Beispiele für solche Kooperationen gab es vor allem in der Anfangsphase der Corona-Pandemie, als der spanische Staat den Großteil der Bevölkerung unter strikten Hausarrest stellte, Gerichte geschlossen und legale Räumungsverfahren vorübergehend per Gesetz ausgesetzt waren. Trotz dieser Beschränkungen ereigneten sich 24 der insgesamt 41 erfassten Vorfälle in diesem Zeitraum. Beamt*innen griffen hier mehrfach nicht ein, als kommerzielle Zwangsräumer ihre Zugangskontrollen aufbauten, die Wasser- und Stromversorgung kappten, Türen aufbrachen und Schlösser auswechselten, obwohl gerichtliche Anordnungen fehlten.[19] Als die Bewohner*innen eines besetzten Apartmentblocks (Frauen mit ihren Kindern) ihre Wohnungen verließen, um Mitarbeiter einer Firma daran zu hindern, verhängten die Beamt*innen gegen die Frauen Bußgelder wegen Verstoßes gegen Corona-Vorschriften anstatt die illegale Räumung und gesundheitliche Gefährdung von zehn Familien zu stoppen. Erst nach anhaltendem Druck der Bewohner*innen nahmen sie auch die Personalien der Beschäftigten des Räumungsunternehmens auf.[20]

Die Polizei dringt in diesen Fällen eindeutig in rechtliche und strukturelle Grauzonen der Exekutiven vor. „Diese Zwangsräumungen könnten vermutlich als legal bezeichnet werden, wenn die Polizei während der Wiederaneignung (Besetzung) oder kurz danach als Folge eines ‚flagranten‘ Verbrechens interveniert“, so der Mietrechtsanwalt Miguel Ruiz.[21] Nur unter sehr begrenzten Umständen besitzen Strafverfolgungsbehörden das Recht, ohne richterlichen Beschluss, ohne Anwesenheit eines Anwalt und eines/einer vom Gericht bestellten Beamt*in, in die Wohnung einer Person einzutreten. Die genauen Umstände bleiben jedoch eine Frage der polizeilichen Auslegung. Das Gesetz setzt keine strengen Fristen, erklärt die Strafverteidigerin Paz Vallés in einem Interview. In der Praxis neige die Polizei jedoch nicht dazu, ohne Gerichtsbeschluss zu räumen, wenn eine Frist von 24 oder 48 Stunden überschritten wurde.[22]

Die Tatsache, dass die Betroffenen laut Berichterstattung in vielen Fällen die Wohnungen länger als 48 Stunden bewohnt hatten und daher die Anhörung eines Gerichts zwingend notwendig gewesen wäre,[23] lässt zwei Schlussfolgerungen zu: Unabhängig von der Dauer der Besetzung oder der Rechtmäßigkeit der Nutzung, hat die Polizei offensichtlich solche rechtlichen Unwägbarkeiten genutzt, um sich auf die Seite der Eigentümer*innen zu stellen. Zudem wichen viele Polizeibeamt*innen auch von der üblichen Praxis ab und entschieden sich stattdessen für eine Räumung, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als die Mieten in Barcelona wieder stiegen.

Laut Journalist*innen ist dies Ausdruck eines polizeiinternen Protokolls zur Legitimierung außergerichtlicher Räumungen.[24] Solche ‚Express-Zwangsräumungen’ sind laut Polizeiquellen legal und beruhen auf der Beschaffung von Zeugenaussagen und anderen Beweisen, die eine Räumung auch außergerichtlich ermöglichen. Es handle sich hier nicht um eigentliche „Zwangsräumungen“, da die Betroffenen, so ein Polizist im Interview, sich nicht „in der Wohnung niedergelassen hatten“.[25] Für den juristischen Kriminologen Manuel Maroto Calatayud zeigen solche Fälle, wie die Polizei mit Verfahren experimentiert. Sie nutzte insbesondere die Corona-Pandemie „als eine Gelegenheit, die Räumungspraxis auszuweiten“, so Maroto Calatayud, was die spanische Partei Partido Popular seit 2019 auch per Gesetz versucht. „Die Pandemie war eindeutig eine Zeit der polizeilichen Innovation.“ Auf dieselbe Weise, wie die Polizei hier gängige Definitionen von Widerstand gegen Staatsgewalt de facto ausweitete und die ihr bereits durch das so genannte Ley mordaza-Gesetz eingeräumten weitreichenden Befugnisse noch weiter ausdehnte, interpretierten sie hier neu was ein Wohnsitz ist.[26]

Die Gentrifizierung Oaklands und rassifiziertes Policing

Oaklands Mieten steigen seit Anfang der 2000er Jahre und dem Tech Boom in der Bay Area rasant und damit auch die Zahl der Zwangsräumungen in der Stadt. Zwischen 2005 und 2015 gab es in Oakland 32.402 gerichtliche Räumungsanordnungen. Dazu kamen über 20.000 Haushalte, denen Banken in der Finanzkrise mit der Zwangsversteigerung ihres Wohneigentums drohten, viele davon wurden geräumt.[27] In einer Klage gegen Oaklands städtische Wohnungsbaubehörde (OHA) wurden 2018 Polizeiberichte als Beweismittel veröffentlicht, die weitere Einblicke liefern, wie auch die Polizei in Oakland jenseits der Vollstreckung von Räumungstiteln die Gentrifizierung in der Stadt mitgestaltet.[28] Dieses Mal sind es Beamt*innen, die im Auftrag der OHA und dem dafür eigens eingerichteten Oakland Housing Authority Police Department (OHAPD) Mieter*innen im sozialen Wohnungsbau polizieren. Die insgesamt 48 Einsatzberichte aus den Jahren 2015 und 2016 dokumentieren, wie die OHAPD unter dem Vorwand eines rassistischen Stadtgesetzes die Entmietung von armen und rassifizierten Bevölkerungsgruppen in der Stadt aktiv vorantrieb und sie Polizeischikanen aussetzte.

Für wen das Verweilen eine Straftat ist

Das Gesetz, das Beamt*innen dazu ermächtigte, ist Oaklands Anti-Loitering-Verordnung. Verankert in jahrhundertealten Obdachlosengesetzen und den Black Codes aus der Jim-Crow Zeit Amerikas,[29] wurden solche Verordnungen in US-Städten in den 1990er Jahren verabschiedet, um vielerorts sogenanntes Herumlungern oder Verweilen (loitering) rechtlich zu sanktionieren. Sie sind Teil des Wiederaufbaus polizeilicher Befugnisse.[30] Ihr unmittelbares Ziel im Zuge städtischer Aufwertungsstrategien war vor allem, sichtbar arme Menschen aus den neuen Stadtzentren zu beseitigen und „Obdachlosigkeit selbst“ zu einem „wichtigen polizeilichen Ziel“ zu machen.[31] In Oakland sind es Bewohner*innen von Sozialwohnungen, d. h. arme und mehrheitlich schwarze Menschen, die im Fokus der städtischen Anti-Loitering-Verordnung und damit solcher polizeilicher Maßnahmen stehen. Das Gesetz markiert somit die Ausdehnung eines erneut offen repressiven und stark rassifizierten Staates von den Straßen in die Wohnungen armer Menschen. Oaklands Stadtverordnung OMC (Oakland Municipial Code) § 10.342 ermächtigt nämlich ausdrücklich einen „Polizeibeamten oder einen Vertreter der Wohnungsbehörde der Stadt“, einzugreifen, wenn eine Person „herumlungert, umherstreift, umherwandert oder sich ohne rechtmäßiges Geschäft auf dem Grundstück der Wohnungsbaubehörde der Stadt“ aufhält. Herumlungern wird als vage skizziertes, alltägliches Verhalten definiert, bei dem eine Person auf dem besagten Grundstück „zögert, verweilt oder sich untätig aufhält“. Für Mieter*innen von Sozialwohnungen stellen solche Aktivitäten seit 1983 in der Stadt eine Straftat dar, die neben Bußgeldern sogar dazu führen können, vorübergehend aus der eigenen Wohnung verwiesen zu werden.[32]

Als die Stadtregierung und die OHA die Polizei zur Vollstreckung des Gesetzes ermächtigte, räumten sie Beamt*innen aufgrund der vagen Formulierung des Strafbestandes weitreichende Befugnisse ein. In den Händen der OHAPD wurde die Verordnung zu einem Instrument, Mieter*innen aus ihrem Zuhause und den staatlich geförderten Wohnungsbauprogrammen insgesamt zu verdrängen. Laut den bisher nur unvollständig zugänglich gemachten Polizeiakten nutzte die OHAPD das Gesetz in erster Linie, um Bewohner*innen rassistischen Polizeikontrollen zu unterwerfen. Im Einklang mit der US-Praxis des Stop-and-Frisk-Polizierens ist, dass Beamt*innen Personen vielfach anhielten, verhörten und ihre Körper durchsuchten, weil sie – den Polizist*innen gemäß – „eine Pause auf einer Bank machten“, „sich auf dem Parkplatz des Anwesens unterhalten“ hatten oder mit anderen „Würfel spielten“.[33] Interessanterweise wurde Darren Mathieu II, ein schwarzer Mann und einer der Hauptkläger im Verfahren gegen die Stadt, in allen 63 solcher Interaktionen von Vorwürfen des Herumlungerns ‚freigesprochen’ – ebenso wie die große Mehrheit der Bewohner*innen und Besucher*innen, die laut Akteneinsicht von der OHAPD belangt wurde.

Was die Polizeiberichte jedoch auch zeigen: die OHAPD nutzte die Verordnung, um Bewohner*innen Verstöße gegen ihre Mietverträge anzuhängen. Die Polizei sammelte so Beweise für Räumungsklagen. Von den 48 Polizeiberichten wurden 12 als „Mietvertragsverletzung“ eingestuft – obwohl alle bis auf eine der Personen von Vorwürfen des Herumlungerns freigesprochen wurden. Nach der Feststellung des angeblichen Verstoßes endet der Polizeibericht in der Regel mit einer Variation der folgenden Aufforderung, die klar die Polizei als Urheberin der Vorwürfe zeigt:

„Ich glaube auch, dass Mathieu die Wohnanlage gefährdet, weil er auf dem Parkplatz mit xxx und xxx (in den Akten geschwärzt) herumlungert, die bereits wegen Waffenbesitz Vorstrafen haben. Bitte leiten Sie diesen Verstoß gegen den Mietvertrag zur Überprüfung an Connie Burgin (Wohnungsverwalterin) weiter.“[34]

Das stellte sich für Mathieu II und seine Mutter 2014 ein. Die OHA versuchte, ihn zu räumen, und benutzte in dem Verfahren unter anderem genau die Polizeiberichte, in denen Mathieu II des Herumlungerns und der Anstiftung zum Herumlungern bezichtigt wurde. Letzteres wurde als berechtigter Grund angeführt nicht nur ihn, sondern seine gesamte Familie aus der gemeinsamen Wohnung zu räumen.[35] Den Regeln der OHA und des Ministeriums für Wohnungsbau gemäß bedeuten Mietvertragsverletzung oder kriminelle Strafen von Bewohner*innen den Verlust der Wohnung für alle Familienmitglieder, nicht nur für die Beschuldigten.[36] 

Der Blick in die Blackbox Polizei und ihre Wohnungspolitik

Noch verfügen wir über nur wenig empirische Daten und Einsichten, wie die Polizei und ihre Partner aus dem Sicherheitsgewerbe autoritäre Fakten in der Wohnungspolitik schafft und arme und sozial marginalisierte Bewohner*innen entmietet. Die OHAPD kann solche Ziele in Oakland nicht mehr wegen angeblichen Herumlungerns verfolgen. Die Klage von Mathieu II und anderen ließ die Stadt die Anti-Loitering-Verordnung aus Oaklands Gesetzestext streichen.

Doch die OHAPD verhängt weiterhin massiv Bußgelder gegen Bewohner*innen. Von 2009 bis 2017 kassierten Beamt*innen über $ 700.000 Dollar an Parkgebühren.[37] Diese exzessive Strafzettelpolitik ist nicht nur ein weiteres Beispiel für das, was Jackie Wang als Plündern der Lebensgrundlagen schwarzer und armer Menschen bezeichnet und charakteristisch für die von Austerität getriebene Politik von Stadtverwaltungen ist.[38] Sie kann auch der Grund dafür sein, dass Bewohner*innen in Mietverzug geraten. Hinweise darauf finden sich im Finanzbericht der OHA. Hier spricht die Behörde 2020 von Kosteneinsparungen bezüglich der Anzahl von Mahnbescheiden für Räumungsklagen und erwähnt, dass sie durchschnittlich etwa 350 pro Monat verschickt.[39] Wie Straf- und Kontrollinstitutionen mit ihren neuen Ermessenspielräumen und militarisierten Polizeimodellen die Gentrifizierung in der neoliberalen Stadt vorantreiben, muss die Aufgabe weiterer kritischer Forschung sein.

[1]    größere Teile dieses Beitrags erschienen bereits in: Flierl, L.: The long shadow of the repressive state: Militarized policing and the eviction crisis, in: Environment and Planning C: Politics and Space 6.7.2023 (online), S. 1-17
[2]    Neocleous, M.: Security as Pacification, in: Neocleous, M.; Rikakos, G. (Hg.): Anti-Security, Ottawa 2011, S. 23-56; Hadden, S.: Sklavenpatrouillen und die Polizei. Eine verwobene Geschichte, in: Loick, D. (Hg.): Kritik der Polizei, Frankfurt/Main 2018, S. 77-94
[3]    z. B. Briken, K.; Eick, V.: Commodified Pacification. Police, Commercial Security and the State, in: Burak, C. (Hg.): States of Discipline, London 2017, S. 47-66; Kraska, P.: Militarization and Policing. Its Relevance to 21st Century Police, in: Policing 2007, H. 4, S. 501-513; Maroto Calatayud, M.: Punitive decriminalization? The repression of political dissent through administrative law and nuisance ordinances in Spain, in: Persak, N. (Hg.): Regulation and Social Control of Incivilities, London 2016, S. 55-74
[4]    z. B. Gowan, T.: The Nexus. Homelessness and incarceration in two American cities, in: Ethnography 2002, H. 4, S. 500-534; Mitchell, D.: The annihilation of space by law: the roots and implications of anti-homeless laws in the United States, in: Antipode 1997, H. 3, S. 303-335; Smith, N.: The New Urban Frontier. Gentrification and the Revanchist City, New York 2019
[5]    Bonds, A.: Race and ethnicity I. Property, race, and the carceral state, in: Progress in Human Geography 2018, H. 3, S. 574-583; Harris, C.: Whiteness as property, in: Harvard Law Review 1993, H. 8, S. 1707-1791
[6]    vgl. Daten des Generalrats der rechtsprechenden Gewalt für die Provinz Barcelona, www.poderjudicial.es/cgpj/es/Temas/Estadistica-Judicial/Estudios-e-Informes/Efecto-de-la-Crisis-en-los-organos-judiciales
[7]    vgl. Jahresbericht der katalanischen Staatsanwaltschaft von 2018 (Fiscalía de la Comunidad Autónoma de Cataluna, Memoria 2018), S. 68
[8]    Blanchar, C.: Los alquileres han subido tres veces más que los ingresos de las familias en los últimos 20 años en Cataluña, in: El País v. 13.6.2022
[9]    Ruiz, M.: Interview mit der Autorin v. 2.6.2020
[10] Congostrina, A.: Un error judicial obliga a suspender el desahucio de una familia afectada por la subida del alquiler, in: El País, v. 10.12.2019; Obra Social BCN: Tweet v. 3.3.2020; Sindicat d’Habitatga de Vallcarca: Tweet v. 23.1.2020; Xarxa d’Habitatge del Baix Maresme: Tweet v. 22.1.2020
[11] Sanchez Rois, J.: Interview mit der Autorin v. 5.11.2019; Vanguardia: Los Mossos cargan de nuevo tras suspenderse un desahucio en Sants, in: La Vanguardia v. 19.9.2019
[12] Ericsson, P.: Desalojan la „Casa de Enric”, la okupa que un dibujante de tebeos abrió para los sin techo de Barcelona, in: El Salto v. 5.7.2019
[13] Garcia G.: Pisos, forns i una sicav, la propietat que hi ha darrere el desnonament frustrat del Poble-sec, in: La Directa v. 5.6.2020; Garcia, G.: Una normativa antidesnonaments subjecta a la voluntat de jutges i policies, in: La Directa v. 24.11.2020; Raval Rebels: Tweet v. 22.1.2020; Resistim al Gòtic: Tweet v. 26.5.2020; Sindicat d’Habitatge de Sant Andreu: Tweet v. 28.5.2020
[14] Ericsson a.a.O. (Fn. 12)
[15] Desnonaments BCN: Telegram v. 16.12.2019; Desnonaments BCN: Telegram v. 16.4.2020; Garcia, G.: Una normativa antidesnonaments subjecta a la voluntat de jutges i policies, in: La Directa v. 24.11.2020; Xarxa d’Habitatge Horta Guinardó: Tweet v. 23.6.2020; Xarxa d’Habitatge Horta Guinardó: Tweet v. 23.6.2020
[16] z. B. Obra Social Barcelona: ¡La vivienda para quien la habita! Informe sobre okupación de vivienda vacía en Catalunya, Report 2018
[17] zu den extralegalen Räumungsfirmen: Todó, B.: El negoci dels desallotjaments extrajudicials, in: La Directa v. 31.10.2018
[18] Briken; Eick a.a.O (Fn. 3); Cobo, D.: Un vídeo questiona l’actuació dels Mossos amb Desokupa en un desallotjament al Poble-sec, in: TOT Barcelona v. 28.1.2019; Cobo, D.: Els Mossos desallotgen una família amb una dona embarassada que acabava d’ocupar un pis, in: TOT Barcelona v. 19.5.2020; Rodríguez, H.: Un vídeo posa en dubte l’actuació dels Mossos en un desallotjament al Poble-sec, in: ccma v. 29.1.2019; Sanchez Rois a.a.O (Fn. 11)
[19] Cobo 2020 a.a.O (Fn. 18); DesnonamentsBCN: Telegram v. 16.4.2020; Garcia, G.: Pisos, forns i una sicav, la propietat que hi ha darrere el desnonament frustrat del Poble-sec, in: La Directa v. 5.6.2020; Grup d’Habitatge de Sants, Tweet v. 19.5.2020; Redacción El Salto: Una empresa de desalojos ilegales cambia las cerraduras de un edificio feminista de Barcelona, in: El Salto v. 14.4.2020
[20] z. B. Redacción El Salto a.a.O. (Fn. 19)
[21] Ruiz a.a.O. (Fn. 9 )
[22] Vallés zitiert in: Rodríguez a.a.O. (Fn. 18)
[23] z. B. Ericsson a.a.O. (Fn. 12); Rodríguez a.a.O. (Fn. 18); Redacción El Salto a.a.O. (Fn. 19)
[24] Garcia, G.: Una normativa antidesnonaments subjecta a la voluntat de jutges i policies, in: Barcelona: La Directa v. 24.11.2020; Rodríguez, J.: Okupes, Mentides I El Negoci De Securitas Direct, in: La Directa v. 29.9.2020
[25] Garcia a.a.O. (Fn. 24)
[26] Maroto Calatayud, M.: Interview mit der Autorin v. 23.2.2021. Die Ley Mordaza (Maulkorb-Gesetz) bezeichnet eine sicherheitspolitische Gesetzesreform, mit der die spanische Zentralregierung 2015 das Versammlungs- und Demonstrationsrecht massiv einschränkte und der Polizei neue Befugnisse erteilte.
[27] Graziani, T. u.a.: Tenants Together: Counterpoints. Stories and Data Resisting Displacement Report 2016, S. 10
[28] Voigts, A. M. u.a.: Darren Mathieu II and Edward Jackson Jr. v. City of Oakland and Oakland Housing Authority Police Department: Complaint v. 19.9.2018,  Case 3:18-cv-05742-CRB, www.aclunc.org/docs/20180919-complaint_with_exhibits.pdf
[29] Black Codes sind eine Reihe von Gesetzen, die auf lokaler und bundesstaatlicher Ebene zwischen 1865 und 1866 in den USA verabschiedet wurden und die Bürgerrechte von Afro-Amerikaner*innen einschränkten.
[30] Beckett K.; Herbert S.: Banished. The New Social Control in Urban America, New York 2010, S. 13-14
[31] Gowan a.a.O (Fn. 4), S. 501; Mitchell a.a.O. (Fn. 4)
[32] City of Oakland, Loitering about Property Owned by the Housing Authority of the City of Oakland 1983, File #18-0978
[33] Voigts u.a. a.a.O. (Fn. 28), S. 56, S. 61 u. S. 111
[34] ebd., S. 104
[35] ebd., S. 15
[36] Oakland Housing Authority: Administrative Plan 2019, z. B. S. 12-15
[37] Oakland Housing Authority: Comprehensive Annual Financial Report Oakland v. 30.6.2018, S. 98
[38] Wang, J.: Carceral Capitalism, London 2018, S. 151-192
[39] Oakland Housing Authority: Making Transitions Work. Annual Plan Fiscal Year 2020, Oakland Report v. 15.4.2020, S. 33

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