Schlagwort-Archive: Demonstrationsbeobachtungen

40 Jahre Demobeobachtung: Bestandsaufnahme einer radikal-demokratischen Praxis

von Tina Keller und Elke Steven

Das Grundrechtekomitee hat schon kurz nach seiner Gründung das Instrument der Demonstrationsbeobachtung zum Schutz des fundamentalen Grundrechts auf Versammlungsfreiheit etabliert. Eine genaue Beobachtung der vielfältigen Ereignisse ist die Grundlage für deren Einordnung in die politische Vorgeschichte und die Bewertung, basierend auf einem prinzipiellen Grundrechts- und Demokratieverständnis. Nach über 40 Jahren stellen wir die Erfahrungen auf den Prüfstand und kommen zu dem Ergebnis, dass es als radikal-demokratisches Werkzeug zur Verteidigung der Versammlungsfreiheit weiterhin notwendig bleibt.

Öffentliche Versammlungen sind sowohl Ausdruck als auch unmittelbarstes Werkzeug gelebter Demokratie. Das Grund- und Menschenrecht, demonstrieren zu können, gehört zu den wenigen im Grundgesetz garantierten Möglichkeiten, sich unmittelbar direkt öffentlich zu äußern. Die Demonstrierenden bestimmen selbst, wie sie thematisch und formal die Öffentlichkeit erreichen wollen. Dieses Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz) zu schützen und unverkürzt zu bewahren, ist ein wesentliches Ziel der Demonstrationsbeobachtungen, die das Komitee für Grundrechte und Demokratie seit 1981 organisiert. Ihre Wirkungsweise wollen wir mit diesem Artikel reflektieren. 40 Jahre Demobeobachtung: Bestandsaufnahme einer radikal-demokratischen Praxis weiterlesen

Kommentar: Kann Plastikfolie im Rechtsstaat zur (Schutz-)Waffe werden?

Elke Steven

Seit einiger Zeit muss mal wieder vor Gericht um die Interpretation des § 17 a des Versammlungsgesetzes gestritten werden. Am 7. September 2016 verurteilte das Amtsgericht Freiburg einen Studenten, weil er als „Schutzwaffe“ eine Overhead-Folie benutzt hatte. Er habe sich damit gegen die Wirkung von Pfefferspray schützen wollen. Einen Monat vorher, am 5. August 2016, hatte das Amtsgericht Frankfurt eine Frau zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie bei den Blockupy-Protesten im März 2015 eine Plastikfolie mit dem an die Occupy-Bewegung erinnernden Slogan 99% am Kopf trug. Selbstverständlich wurde sie nicht wegen des Slogans verurteilt, sondern weil die Folie ihre Augen möglicherweise ein wenig vor den Waffen der Polizei geschützt hätte. Kommentar: Kann Plastikfolie im Rechtsstaat zur (Schutz-)Waffe werden? weiterlesen

Rechtswidrige Datenberge: Dresden im Februar 2011

von Elke Steven

Ein Verfahren nach § 129 Strafgesetzbuch (kriminelle Vereinigung) gegen eine „Antifasportgruppe“ sollte der Stadt Dresden im Februar 2011 fast grenzenlose Ermittlungsbefugnisse verschaffen. Funkzellenabfragen mit rund einer Million Daten, Einsatz von IMSI-Catchern und bundesweite Hausdurchsuchungen beschäftigen noch immer die Gerichte.

Jahrzehntelang war in Dresden dem „Mythos der unschuldigen Stadt“ gehuldigt worden. Man pflegte eine unkritische Sicht auf die Rolle der Stadt im nationalsozialistischen Angriffs- und Vernichtungskrieg. In diesem Kontext schien es normal, dass Mitglieder der NPD und stadtbekannte Nationalisten und Rassisten gemeinsam mit Vertretern anderer Parteien und sonstigen Bürgern der Opfer der Bombardierung der Stadt durch die Alliierten am 13. Februar 1945 gedachten. Daneben entwickelte sich der alljährliche Aufmarsch von NPD und Kameradschaften an diesem Jahrestag zu einem immer größeren und bedeutenderen Ereignis für die gesamte extreme Rechten, von Rechtskonservativen bis zu militanten Neonazis. In Hochzeiten defilierten bis zu 7.000 durch die sächsische Landeshauptstadt. Was sie einte, war die Inszenierung Dresdens als Opfer eines „Bombenholocausts“. Rechtswidrige Datenberge: Dresden im Februar 2011 weiterlesen

Demonstrationsbeobachtungen – Politisch-polizeiliche Eskalation gegen Demonstrationen

von Elke Steven

Die Demonstrationsbeobachtungen des Komitees für Grundrechte und Demokratie begannen 1981 in Brokdorf. Seitdem hat das Komitee immer wieder das Geschehen bei Demonstrationen selbst sowie dessen Vorgeschichte und mediale Nachwehen dokumentiert. Auch 20 Jahre nach der Brokdorf-Demonstration wird die Versammlungsfreiheit eingeschränkt und ausgehebelt. Die vermeintlichen Gründe hierfür schaffen Politik und Polizei notfalls selbst – durch Gewaltprognosen ohne konkrete Anhaltspunkte und durch Polizeieinsätze, die gewaltsame Reaktionen erst hervorlocken.

Die Versammlungsfreiheit, die grundrechtlich geschützte kollektive Einmischung, stellt einen Stachel im sonst ungestörten, vom politischen Establishment bestimmten Entscheidungs- und Handlungsablauf dar. Kein Wunder, dass die Versuche, das störende Grundrecht gesetzlich einzuschränken, in den vergangenen Jahrzehnten nie abgerissen sind. Demonstrationsbeobachtungen – Politisch-polizeiliche Eskalation gegen Demonstrationen weiterlesen

Demonstrationsstatistik – Die Legende vom Anwachsen gewalttätiger Demonstrationen

von Roland Appel*/ Dieter Hummel**

„How to lie with statistics“ – so der Titel eines bekannten Buches der amerikanischen Soziologie. Die jüngste Antwort der Bundesregierung auf eine große Anfrage der Grünen im Bundestag zur vom BMI jährlich veröffentlichten Statistik des Demonstrationsgeschehens macht deutlich, daß die in jenem Buch beschriebenen politischen Chancen des Umgangs mit Zahlen – insbesondere was die Erfassung sogenannter „unfriedlicher“ Kundgebungsformen des Bürger(un)willens angeht – auch vom Bundesinnenministerium virtuos beherrscht werden. Demonstrationsstatistik – Die Legende vom Anwachsen gewalttätiger Demonstrationen weiterlesen