Chronologie

zusammengestellt von Kea Tielemann

März 1993
01.03.: Das Rechtspflegeentlastungsgesetz tritt in Kraft. Es sieht u.a. vor, daß Strafrichter und Schöffengerichte Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr ohne mündliche Hauptverhandlung mittels Strafbefehl verhängen können.
Im Revisionsprozeß gegen Holger Deilke läßt die Bundesanwaltschaft die Anklage der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung fallen. Am 16.4. verurteilt das Hanseatische Oberlandesgericht ihn wegen schweren Diebstahls, unerlaubten Waffenbesitzes und Urkundenfälschung zu zwei Jahren und zwei Monaten Haft.

02.03.: Im Stolpe-Untersuchungsausschuß verweigern acht frühere DDR-BürgerrechtlerInnen die Aussage. Sie werfen dem Ausschuß vor, Recherchen der Gauck-Behörde nicht zu nutzen bzw. Akten umzudeuten und fordern einen unabhängigen Untersuchungsausschuß.

03.03.: Das Rostocker Landgericht verurteilt einen 22jährigen Berliner, der während der Krawalle in Rostock im August ’92 einen Brandsatz auf einen Polizisten geworfen hatte, zu zweieinhalb Jahren Gefängnis.

04.03.: Der ehemalige RAF-Verteidiger Klaus Croissant wird vom Berliner Kammergericht wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit für die Stasi zu 21 Monaten auf Bewährung und einer Geldstrafe von 10.000 DM verurteilt.

08.03.: Der Bundesgerichtshof verwirft die Revisionen gegen das Urteil im Falle der drei rechten Skinheads, die im Oktober ’91 ein Ausländerheim in Hünxe mit Molotow-Cocktails angegriffen hatten.
Das Itzehoer Landgericht spricht im sog. Plattenleger-Prozeß die wegen Mordversuchs angeklagten Knud Andresen und Ralf Gauger aufgrund widersprüchlicher Aussagen von Polizeizeugen frei. Den Angeklagten war vorgeworfen worden, im Juli ’91 ein Bahnattentat in Pinneberg verübt zu haben.

09.03.: Das ZDF-Magazin ‚Kennzeichen D‘ dokumentiert mehrere Fälle der Mißhandlung von Ausländern auf Berliner Polizeiabschnitten. Am 16.3. bestätigt die Senatsinnenverwaltung, daß in sechs Fällen ermittelt werde.

10.03.: Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin verurteilt einen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt und gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 4.500 DM. Er hatte während eines Demonstrationseinsatzes eine Zivilpolizistin mit seinem Schlagstock am Kopf verletzt.

11.03.: In Hamburg wird ein türkischer Diplomat erschossen, nachdem er infolge eines Streits einen Deutschen mit zwei Schüssen tödlich verletzt hatte und daraufhin seinen Revolver auf einen Zivilfahnder richtete.

11.03.: In Frankfurt/O. findet eine Konferenz zur polizeilichen Zusammenarbeit mit Osteuropa statt, an der die Innenminister der 16 Bundesländer sowie Polizeivertreter aus Polen, Ungarn, Rußland und der Tschechischen Republik teilnehmen.

15.03.: In Berlin werden von Olympia-Gegnern 29 Anschläge auf Bankfilialen verübt. Drei mutmaßliche Täter werden festgenommen; zwei von ihnen werden am 31.3. von einem Moabiter Jugendgericht zu jeweils zwei Wochen Jugendarrest verurteilt; der dritte erhält eine Geldstrafe von 150 DM. Der Polizeiliche Staatsschutz setzt am 16.3. eine ‚Ermittlungsgruppe Olympia‘ aus zwölf Beamten zur Bekämpfung von Straftaten ein, die sich gegen die Olympia-Bewerbung Berlins richten. Am 4.4. stürmen im Bezirk Friedrichshain 200 Polizisten ohne Vorankündigung ein besetztes Haus und entfernen ein an der Fassade angebrachtes Anti-Olympia-Transparent. Am 14.4. werden zwei Anschläge auf Kaufhäuser verübt, zu denen sich Olympia-Gegner bekennen. Am 15.4. erklärt Innenstaatssekretär Lancelle, daß 217 Olympia-Gegner im ‚Informationssystem für Verbrechensbekämpfung‘ gespeichert seien.

16.03.: Auf einer Konferenz in Prag einigen sich die Innenminister Österreichs, der Tschechischen Republik, Polens, Ungarns, der Slowakei und Sloweniens auf Richtlinien für Einzelverträge mit der Bundesrepublik über die Rücknahme illegaler Einwanderer und abgelehnter Asylbewerber. Am 7.5. wird das deutsch-polnische Asylabkommen unterzeichnet.

17.03.: Der Brandenburgische Landtag verabschiedet das Verfassungsschutzgesetz, das den Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln erlaubt und ein weitgehendes Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht gewährt.

19.03.: Der sächsische Landtag setzt einen Untersuchungsausschuß ein, der die Einstellungen und Kündigungen ehemaliger Volkspolizisten überprüfen soll, da 125 hauptamtliche und 168 inoffizielle Stasi-Mitarbeiter bei der Polizei übernommen wurden. In Sachsen-Anhalt sind 106 und in Brandenburg 920 ehemalige Stasi-Angehörige als Polizeibeamte beschäftigt. In Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern wurden bis auf wenige Einzelfälle alle Stasi-Mitarbeiter gekündigt.

25.03.: Laut Bericht des Bundestagsausschusses zur Überprüfung der Bundestagsabgeordneten auf eine frühere Stasi-Tätigkeit haben sich nur 315 der 622 Abgeordneten überprüfen lassen. Dazu gehören alle Abgeordneten der PDS und des Bündnis ’90 sowie (bis auf einen) der FDP; die CSU-Parlamentarier verweigerten sich fast vollständig. Nur bei einem PDS-Abgeordneten stellte die Gauck-Behörde eine Stasi-Belastung fest.

27.03.: Die RAF verübt einen Anschlag auf den Gefängnisneubau in Weiterstadt bei Darmstadt. Es entsteht ein Sachschaden von 100 Mio. DM; Menschen werden nicht verletzt. Das Bundeskriminalamt setzt eine 90köpfige Sonderkommission ein.

28.03.: 120 Polizisten führen in Brandenburg vier Stunden lang Totalkontrollen auf Autobahnen durch. Bei dem gegen Autoschieberei gerichteten Einsatz werden lediglich vier nicht zugelassene PKW sowie 23 alkoholisierte Fahrer festgestellt.

29.03.: ‚Der Spiegel‘ berichtet, daß in Sachsen zur Überprüfung von Beamtenanwärtern ein Radikalenerlaß, der ansonsten nur noch in Bayern gilt, eingeführt wurde.

30.03.: In Warschau nehmen 21 Staaten an der ersten Europa-Konferenz über innere Sicherheit teil.
April 1993
01.04.: Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft in Frankfurt/O. gibt bekannt, daß drei Polizisten aus Eberswalde wegen Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen in Tateinheit mit Körperverletzung im Amt angeklagt wurden, da sie im November 1990 nicht eingriffen, als Skinheads den Angolaner Antonio Amadeu töteten.

05.04.: Entlang der Grenze zu Polen und der Tschechischen Republik werden die ersten 50 zivilen „grenzpolizeilichen Unterstützungskräfte“ beim Bundesgrenzschutz (BGS) eingesetzt. Von 5.000 BewerberInnen wurden 1.700 ausgewählt, die nach sechswöchigen Lehrgängen für drei Jahre eingestellt werden sollen. Die ersten 200 beginnen ihre Ausbildung Mitte April.

06.04.: Die Berliner Innenverwaltung legt einen Zwischenbericht zur Untersuchung von 2.426 Hilfspolizisten der ‚Freiwilligen Polizeireserve (FPR)‘ vor. Danach sind von überprüften 2.177 FPR-Mitgliedern 66 „anscheinend stärker belastet“, bei 452 gibt es geringe „Erkenntnisse“. Sechs Reservepolizisten wurden entlassen, 21 kündigten selbst. Am 7.6. beschließt der Innenausschuß, zur Überprüfung der FPR einen Untersuchungsausschuß einzusetzen. Am 8.6. kündigt der Berliner Landesbezirk der ‚Gewerkschaft der Polizei (GdP)‘ an, er werde mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die FPR vorgehen, da sie laut einem von der GdP in Auftrag gegebenem Gutachten verfassungswidrig sei.

08.04.: Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin verurteilt einen 27jährigen wegen schweren Landfriedensbruchs, Widerstands gegen Polizeibeamte sowie versuchter Körperverletzung und Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten auf Bewährung. Er hatte aus Anlaß einer TV-Sendung zu den Rostocker Krawallen im August 1992 eine Bierflasche und einen Stein auf einen Rostocker Reisebus geworfen und dabei einen Polizisten getroffen.

Das sächsische Landeskriminalamt gibt bekannt, daß der im November 1992 in Dresden festgenommene mutmaßliche Terrorist Mehri Mehieddine an Frankreich ausgeliefert worden sei. Er soll zur Abu-Nidal-Gruppe gehören, die 1988 einen Anschlag auf ein griechisches Kreuzfahrtschiff verübte.
Bei einer Routineüberprüfung des Luftamtes Süd wird festgestellt, daß auf dem ‚Franz-Josef-Strauß-Flughafen‘ in München 23 Ex-Stasi-Mitarbeiter als Sicherheitskräfte beschäftigt sind.

09.04.: Im Berliner Bezirk Schöneberg wird ein 35jähriger Mann tot im Polizeigewahrsam aufgefunden; er war unter dem Verdacht des gemeinschaftlichen Raubes festgenommen worden.

13.04.: Drei an den Rostocker Krawallen beteiligte Männer werden wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz verurteilt. Einer von ihnen erhält eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf zwei Jahre zur Bewährung; die beiden Mitangeklagten werden dazu verpflichtet, ein halbes Jahr an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen. Außerdem werden Geldbußen von 300 bis 1.000 DM verhängt. Wegen gemeinschaftlichen schweren Landfriedensbruchs sowie schwerer Brandstiftung verurteilt das Rostocker Amtsgericht am 15.4. drei weitere an den Krawallen Beteiligte zu Jugendstrafen zwischen zwei und drei Jahren. Am 14.6. verurteilt das Landgericht Rostock einen 44jährigen zu sechs Monaten auf Bewährung, der ein Wurfgeschoß gegen einen Polizisten geschleudert hatte; es hebt damit ein Urteil des Amtsgerichts auf, das die Strafe ohne Bewährung ausgesprochen hatte.

Der griechische Oberste Gerichtshof beschließt, den Ex-Stasi-Mitarbeiter Helmut Voigt, der für den Anschlag auf das französische Kulturzentrum ‚Maison de France‘ 1983 den Sprengstoff geliefert haben soll, an die Bundesrepublik auszuliefern. Der griechische Innenminister muß dem Beschluß noch zustimmen.

15.04.: Der Bundesgerichtshof beschließt, daß die seit über 15 Jahren inhaftierten RAF-Gefangenen Dellwo, Taufer und Krabbe nicht auf Bewährung freigelassen werden, da sie es ablehnen, sich vorher von einem Psychiater untersuchen zu lassen.

19.04.: In Berlin beginnt der Prozeß gegen den Palästinenser Imad Mahmoud, dem vorgeworfen wird, 1986 an den Vorbereitungen für den Anschlag auf die Diskothek ‚La Belle‘ beteiligt gewesen zu sein. Am 26.4. wird die Hauptverhandlung ausgesetzt und der Angeklagte aus der U-Haft entlassen, weil der in Norwegen lebende mutmaßliche Hauptbelastungszeuge sich weigert, zur Aussage in die BRD zu kommen.

20.04.: Im Konflikt um die Hamburger Hafenstraße erklärt das Hanseatische Oberlandesgericht das Kündigungsbegehren der Stadt für rechtmäßig.

In Mannheim wird bei einem Handgemenge mit Waffenhändlern durch einen unbeabsichtigten Schuß eines Kollegen ein Polizist getötet.

21.04.: Das Landgericht Berlin verwirft in zweiter Instanz das Urteil für einen Steinwurf auf Polizisten am 1. Mai 1992 und erhöht die Strafe wegen schweren Landfriedensbruchs auf ein Jahr ohne Bewährung. Auch bei Tätern, die zum ersten Mal wegen schweren Landfriedensbruchs verurteilt werden, wird die Strafe künftig nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt.

22.04.: Im Zusammenhang mit der Untersuchung der Ermordung von vier Kurden im Berliner Restaurant ‚Mykonos‘ im September 1992 berichtet Berlins Innensenator Heckelmann im Verfassungsschutzausschuß, daß ein Antrag des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom Februar 1992, den inzwischen inhaftierten und hauptverdächtigen Hisbollah-Aktivisten Kazem Darabi abzuhören, erst nach dem Attentat genehmigt wurde. Am 27.5. setzt das Berliner Abgeordnetenhaus einstimmig einen Untersuchungsausschuß zum Mordfall ‚Mykonos‘ ein.

28.04.: Das Berliner Oberverwaltungsgericht beschließt, daß der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen nicht ohne weiteres Originalunterlagen an die Staatsanwaltschaft herausgeben muß; die Justizbehörde muß vorher darlegen, warum sie die Originale benötigt (Az.: OVG 8 A 1.92).

30.04.: Das saarländische Justizministerium bestätigt, daß der 1988 wegen terroristischer Straftaten zu 13 Jahren Haft verurteilte Libanese Abbas Hamadi am 8. August freigelassen und in den Libanon abgeschoben werden soll.
Mai 1993
01.05.: Bei der „Revolutionären 1. Mai-Demonstration“ in Berlin werden 169 DemonstrantInnen festgenommen und 115 Strafverfahren eingeleitet. Am 3.5. leitet die Kriminalpolizei ein Ermittlungsverfahren gegen eine Einheit des BGS ein, die während des Einsatzes das „Horst-Wessel-Lied“ gesungen haben soll. Am 10.5. wird bekannt, daß aus dem gleichen Grund auch gegen Anwohner ermittelt werde.
Eine Berliner Justizsprecherin erklärt, daß das Ermittlungsverfahren gegen Alexander Schalck-Golodkowski wegen Veruntreuung von Millionenbeträgen bereits Anfang 1993 eingestellt worden ist. In etwa 50 weiteren Verfahren werde noch ermittelt.

04.05.: In Düsseldorf beginnt der Prozeß gegen Markus Wolf, den früheren Spionagechef der Stasi, wegen Landesverrats in Tateinheit mit Bestechung.
Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der neuen Bundesländer vereinbaren, daß die Gauck-Behörde weiterhin Daten aus dem ehemaligen Zentralen Einwohnerregister der DDR (ZER) nutzen darf. Am 15.6. erklärt das brandenburgische Innenministerium, das die ca. 20 Mio. Datensätze kommissarisch verwaltet, daß diese nicht wie geplant an das Bundesinnenministerium übergeben werden, da der brandenburgische Innenausschuß eine klare gesetzliche Regelung für die Nutzung der Daten gefordert hat.

05.05.: Der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof beschließt, daß rumänische Roma in der BRD keinen generellen Anspruch auf Asyl haben (Az.: A 14 455/92).

06.05.: Ein Moabiter Schöffengericht verurteilt einen 31jährigen Polizeiobermeister wegen Körperverletzung im Amt, gefährlicher Körperverletzung sowie Betruges zu zehn Monaten Haft auf Bewährung. Er hatte im April 1991 einen Vietnamesen in einem Arbeiterwohnheim geschlagen.

07.05.: Das Cottbuser Bezirksgericht verurteilt zwei slowakische und einen tschechischen Atomschmuggler, die im Januar 1,4 Mikrogramm ‚Californium 252′ in die BRD transportiert hatten, zu Bewährungsstrafen von jeweils drei Jahren.

10.05.:’Der Spiegel‘ berichtet, daß drei Berliner PublizistikstudentInnen zu Unrecht in Verdacht gerieten, ein Attentat auf Generalbundesanwalt von Stahl vorzubereiten. Mehr als ein Jahr lang wurden sie wegen möglicher Kontakte zur RAF überprüft, da sie einen Videofilm in der Straße drehten, in der sich auch von Stahls Haus befindet.

11.05.: Wegen Singens des „Horst-Wessel-Liedes“ während einer Gartenparty wird ein 26jähriger Berliner Polizeiobermeister vom Amtsgericht Tiergarten zu einer Geldstrafe von 4.000 DM verurteilt.
Das Düsseldorfer Verwaltungsgericht beschließt, daß die ‚Republikaner‘ in Nordrhein-Westfalen weiterhin vom Verfassungsschutz überwacht werden dürfen.

12.05.: Im zweiten Prozeß um die Tötung des Angolaners Amadeu Antonio im November 1990 verurteilt das Bezirksgericht Frankfurt/O. einen der Täter zu viereinhalb Jahren Haft.
Von einem betrunkenen Kriminalbeamten wird in Köln ein 39jähriger Mann erschossen.

13.05.: Wegen Mordes an einem Kosovo-Albaner verurteilt das Landgericht Stuttgart einen 25jährigen zu einer lebenslangen Haftstrafe. Er hatte den Mann im Juli 1992 mit einem Baseballschläger getötet.

14.05.: Die Innenministerkonferenz beschließt ein generelles Bleiberecht für Vertragsarbeiter aus Vietnam, Mosambique und Angola sowie eine Verlängerung des Abschiebestopps für iranische Kurden bis Ende 1993. Zur Bekämpfung fremdenfeindlicher Straftaten soll ein Sondermeldedienst eingerichtet werden; in den Polizei-Dateien ‚Personenfahndung‘, ‚Kriminalaktennachweis‘ und ‚Erkennungsdienst‘ werden rechtsradikale Straftäter künftig mit dem Vermerk „fremdenfeindlich“ gekennzeichnet.

17.05.: Vor dem Oberlandesgericht in Schleswig beginnt der Prozeß um die Morde an drei Türkinnen in Mölln.

19.05.: Eine Berliner Justizsprecherin teilt mit, daß der frühere DDR-Vizeminister für Staatssicherheit, Gerhard Neiber, wegen der Verabredung zum Mord an einem DDR-Flüchtling verhaftet worden ist.

21.05.: Die Staatsanwaltschaft Frankfurt stellt ein Ermittlungsverfahren gegen sechs Frankfurter Polizeibeamte, denen Mißhandlung eines Marokkaners vorgeworfen wurde, mangels Tatverdachts ein.
Bundesinnenminister Seiters teilt mit, daß die Bundesregierung 42 Beamte und zwei Boote des Bundesgrenzschutz zur Verstärkung der Embargo-Maßnahmen gegen Rest-Jugoslawien auf die Donau entsendet.

22.05.: Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums bestätigt, daß auf Bitten der UNO im Juni vier BGS-Beamte in der Westsahara zur Überwachung des UNO-Referendums eingesetzt werden.

24.05.: Vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht beginnt der Prozeß gegen die RAF-Gefangene Ingrid Jakobsmeier wegen versuchten Mordes in 21 Fällen. Das neue Verfahren beruht fast ausschließlich auf Kronzeugen-Aussagen des RAF-Aussteigers Henning Beer.
In Aschaffenburg werden drei Streifenwagen, Notarzt- und Rettungswagen eingesetzt, nachdem eine Frau über Notruf mitteilt, ihr Mann habe einen „Schuß im Rücken“. Der Schuß entpuppt sich als Hexenschuß.

25.05.: Bundesinnenminister Seiters und der Minister für innere Sicherheit Rußlands, Viktor Barannikow, vereinbaren eine verstärkte Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der international organisierten Kriminalität.

26.05.: Aus Protest gegen die Asylrechtsänderung blockieren ca. 10.000 DemonstrantInnen das Parlamentsviertel in Bonn. 390 Abgeordnete werden per Hubschrauber und Schiff zum Bundestag gebracht. Nach 12stündiger Debatte wird die Verschärfung des Grundgesetz-Artikels 16 beschlossen.

29.05.: In Solingen werden bei einem Brandanschlag auf ein von einer türkischen Familie bewohntes Haus zwei Frauen und drei Mädchen ermordet. Aus Protest gegen den Mordanschlag kommt es zu mehreren z.T. gewalttätigen Demonstrationen. Am 30.5. wird ein tatverdächtiger Jugendlicher festgenommen; aufgrund seines Geständnisses werden drei weitere Tatverdächtige gefaßt. Am 6.6. werden in Solingen bei einer Demonstration gegen Ausländerfeindlichkeit 200 DemonstrantInnen acht Stunden lang von der Polizei in einem Kessel festgehalten. Dem Anschlag von Solingen folgen bundesweit eine Reihe weiterer Brandanschläge auf türkische Wohnhäuser.
Juni 1993
01.06.: Es wird bekannt, daß in Kaulsdorf bei Stralsund ein 38jähriger Mann von einem Polizisten bei einer Verfolgung mit einem „nicht beabsichtigten Schuß“ getötet worden ist.

02.06.: Die Innenminister der EG-Staaten unterzeichnen in Kopenhagen eine Vereinbarung über die Einrichtung der europäischen Drogen-Einheit ‚EDIU‘. Außerdem verabschieden sie Richtlinien für die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien, die jedoch eine Zusammenführung mit ihren Familienangehörigen ausschließen.

03.06.: Im Rechtsstreit zwischen dem brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe und dem ‚Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen‘, Joachim Gauck, beschließt das Berliner Verwaltungsgericht, daß Gauck nicht mehr öffentlich behaupten darf, Stolpe sei ein wichtiger Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Stasi gewesen. Der Antrag, der Gauck-Behörde künftig generell wertende Äußerungen zu verbieten, wurde abgelehnt. Am 23.6. einigen sich beide Seiten auf einen Vergleich, der vorsieht, daß die Gauck-Behörde Stolpe die „Sonderakte Stolpe“ vorlegt, die für den Untersuchungsausschuß angelegt worden war.

07.06.: Es wird bekannt, daß das Verwaltungsgericht Köln die Übermittlung von Daten über den Datenschützer Thilo Weichert durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) an die brandenburgische FDP-Politikerin Rosemarie Fuchs für rechtswidrig erkannt hat. Weichert hatte sich 1991 als Datenschutzbeauftragter in Brandenburg beworben, war aber aufgrund der BfV-Informationen nicht gewählt worden.

08.06.: Der von Bundesinnenminister Seiters vorgestellte Tätigkeitsbericht des Bundesgrenzschuztes (BGS) gibt die Zahl der seit Jahresbeginn an der deutsch-polnischen Grenze aufgegriffenen EinwanderInnen mit 30.000 an. An den Grenzabschnitten in den neuen Bundesländern seien einschließlich der Zollbeamten ca. 7.000 Beamte eingesetzt.
Ein Moabiter Schöffengericht spricht den früheren Vize-Chef der ‚Kommerziellen Koordinierung (KoKo)‘, Manfred Seidel, vom Vorwurf der Untreue und des Vertrauensmißbrauchs frei.

09.06.: Von Januar bis Mai 1993 sind laut Angaben von Bundesinnenminister Seiters 750 Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund registriert worden.

10.06.: In Hannover werden 60 Anti-Atom-DemonstrantInnen, die versucht hatten, ein Transparent an der niedersächsischen Staatskanzlei anzubringen, für die Personalienfeststellung von der Polizei eingekesselt.

12.06.: Die FDP spricht sich auf ihrem 44. Bundesparteitag in Münster mit großer Mehrheit gegen den ‚Großen Lauschangriff‘ aus.

13.06.: In München kommt es bei der Festnahme von zwei Einbrechern zum Schußwaffengebrauch durch Polizeibeamte; dabei wird einer der Einbrecher tödlich getroffen, sein Komplize verletzt.

14.06.: Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums erklärt, daß Straftaten von Ausländern in der polizeilichen Kriminalitätsstatistik auch künftig separat ausgewiesen werden.

15.06.: Nach Angaben der Grenzschutzdirektion in Koblenz wurden von Januar bis Mai dieses Jahres 1.049 Schlepper festgenommen; 1992 waren es 700.

16.06.: Es wird bekannt, daß das Bundesarbeitsgericht in Kassel in einem Urteil gegen das Land Sachsen entschieden hat, daß bei Kündigungsprozessen gegen frühere Staatsbeschäftigte der DDR den Betroffenen rechtzeitig Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben werden muß, wenn deren Stasi-Akten benutzt werden (Az.: 8 AZR 274/92).

17.06.: Der Bundestag verabschiedet das Durchführungsgesetz zum „Schengener Abkommen“.

18.06.: Der Staatssekretär im Innenministerium, Johannes Vöcking, wird aus dem Amt entlassen, nachdem er zugegeben hat, 1992 eine Verfassungsschutzakte an eine Journalistin weitergegeben zu haben, aus der hervorgehen soll, daß es in der Umgebung des damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Engholm einen polnischen Spion gab.

21.06.: Der am 18.6 neu gewählte Bundesdatenschutzbeauftragte, Joachim Jacob, spricht sich gegen den ‚Großen Lauschangriff‘ aus.

23.06.: Brandenburgs Innenminister Ziel gibt bekannt, daß die Grenzschutzämter Frankfurt/O. und Pirna im ersten Quartal dieses Jahres ca. 12.500 Ausländer abgeschoben haben, die keinen Asylantrag gestellt hätten.

Der Bundestag beschließt eine Gesetzesänderung zur Opferentschädigung. Sie beinhaltet, daß künftig auch Nicht-EG-AusländerInnen, die Opfer einer Gewalttat werden und sich seit drei Jahren legal in der BRD aufhalten, Anspruch auf Entschädigung haben.

24.06.: Europaweit werden im Rahmen der „Sommeroffensive“ der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) diplomatische Vertretungen der Türkei und andere türkische Einrichtungen angegriffen. In München besetzen Kurden das türkische Konsulat und nehmen Geiseln.

25.06.: Der FDP-Bundestagsabgeordnete Jörg van Essen weist darauf hin, daß die Zahl der Telefonüberwachungen von 2.797 im Jahr 1991 auf 3.499 im vergangenen Jahr gestiegen sei. Er fordert, künftig in der Statistik über Telefonüberwachungen auch die der Überwachung zugrundeliegende Straftat zu erfassen.

27.06.: Während eines Schußwechsels bei der Festnahme der mutmaßlichen RAF-Mitglieder Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams werden im mecklenburgischen Bad Kleinen Grams und ein GSG-9-Beamter getötet. Laut Zeugenaussagen soll Grams mit einem aufgesetzten Kopfschuß erschossen worden sein. Aufgrund der Vorwürfe tritt Bundesinnenminister Seiters am 4.7. zurück. Einen Tag später wird Generalbundesanwalt v. Stahl entlassen.
Es wird bekannt, daß das Berliner Kammergericht in einem Revisionsverfahren beschlossen hat, daß Stasi-Offiziere, die heimlich Telefonüberwachungen angeordnet haben, sich wegen „Anmaßung staatlicher Befugnisse“ strafbar gemacht haben (Az.: 5-34/92).

29.06.: In Schöneberg-Kübelberg bei Kaiserslautern wird ein 26jähriger Mann, der wegen Mordversuchs gesucht wurde, von zwei Beamten auf der Flucht erschossen.

Kea Tielemann ist Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe und Mitherausgeberin von Bürgerrechte & Polizei.