von Kurt H. G. Groll
Von 1946 bis 1953 existierten in Teilen der britischen Besatzungszone (bzw. den entsprechenden Ländern) erstmals in Deutschland Institutionen zur demokratischen Kontrolle der lokalen Polizeien. Eine schon traditionell zu nennende deutsche Kontrollunwilligkeit führte dazu, dass diese auf Drängen der britischen Militärregierung eingerichteten Polizeiausschüsse abgeschafft wurden und in Vergessenheit gerieten. Deren Möglichkeiten, Leistungen, aber auch Mängel sollen am Wuppertaler Beispiel demonstriert werden.[1]
Im November 1996 rügte die UN-Menschenrechtskommission das Fehlen geeigneter Mechanismen für die Bearbeitung von Beschwerden und für die Kontrolle der Polizei in der BRD. Landesweit sollten unabhängige Gremien zur Untersuchung polizeilicher Übergriffe eingerichtet werden.[2] Spätestens seit diesem Zeitpunkt kann das Verlangen nach einer Erweiterung und Umgestaltung der Kontrolle polizeilichen Handelns nicht mehr allein als die unberechtigte Forderung linker SystemkritikerInnen und einer allzu herrschaftskritischen Soziologie abgetan werden. Dennoch haben die Innenminister bzw. -senatoren die Reklamation der Menschrechtskommission bis heute nicht einmal diskutiert.
Der Unwillen, mit dem von politischer Seite auf die Kontrollproblematik reagiert wird, ist nicht neu. Forderungen nach einer einem demokratischen Rechtsstaat angemessenen Kontrolle der Polizei wurden bereits in der Entstehungszeit der BRD durch die britische Militärregierung an die politisch Verantwortlichen herangetragen. Allerdings, wie die bis heute bestehenden Kontrolldefizite belegen, letztlich erfolglos.
Ähnlich wie die amerikanische interpretierte auch die britische Besatzungsmacht den deutschen Faschismus als eine Folge des preußisch-deutschen Militarismus. Für die Polizeipolitik resultierte daraus das Ziel, das traditionelle deutsche Verständnis von Polizei als Machtinstrument des Zentralstaates durch eine lokal organisierte und demokratischen Ansprüchen genügende Konzeption zu ersetzen. Dieses Ziel führte zu der Forderung: „Die Polizei soll örtlich und vom Volke kontrolliert werden. Es soll kein staatliches Polizeisystem und keine Zentralstelle geben, welche die Befugnis hat, Exekutivbefehle zu erteilen.“[3]
Polizei wurde nicht mehr als eine Aufgabe des Staates, sondern als kommunale Angelegenheit verstanden. Die britische Besatzungsmacht installierte dazu ein System von dezentralisierten, auf den jeweiligen Stadtkreis oder Regierungsbezirk beschränkten und voneinander unabhängigen Polizeibehörden, die von kommunalen Gremien – den Polizeiausschüssen – überwacht und auch verwaltet wurden. Nur ein solcher Aufbau erlaubte nach britischer Ansicht die Herausbildung einer bürgerlichen, nicht als staatliches Machtmittel zu missbrauchenden Polizei.
Dazu übertrug man mit wenigen Ausnahmen die Befugnisse des Innenministers in Polizeiangelegenheiten auf eine zweigeteilte kommunale Führungsspitze: den Chef der Polizei und den lokalen Polizeiausschuss. Der Innenminister hatte ihnen gegenüber keinerlei Weisungsrecht.
Die Mitglieder der Polizeiausschüsse sollten die Bürgerschaft repräsentieren. Die Parlamente der zum jeweiligen Stadtkreis-Polizeigebiet gehörenden Städte wählten dazu VertreterInnen aus ihrer Mitte. Der Polizeiausschuss war zuständig und verantwortlich für den Leistungsgrad, die Stellen- und Haushaltspläne sowie die Buch- und Kassenführung der ihm unterstehenden Polizeieinheit. Ihm oblag der gesamte Bereich der Polizeiverwaltung einschließlich des Rechtes, Beförderungen in den höheren Dienstgraden vorzunehmen. Der konkrete Einsatz der Polizeibeamten, von den Briten als Bereich der Exekutive bezeichnet, war hingegen ausschließlich Sache des hierin autonomen Polizeichefs.
Die Ausschüsse hatten eine Kontrollfunktion im doppelten Sinne: Zum einen überwachten sie polizeiliches Handeln, zum andern waren sie mit der Leitung oder Führung der ihnen unterstehenden Polizei befasst. Sie waren daher keine reinen Überwachungsgremien, übernahmen jedoch auch nicht bloß die Rolle des alleinigen und obersten Dienstherren der Polizeibeamten, die nach deutschem Modell dem Innenminister zukam.
Beide Funktionen sollten nach britischer Vorgabe nicht durch unmittelbare Befehlsgewalt, sondern durch mittelbare Einflussnahme des Ausschusses auf den Polizeichef gewährleistet werden. Dass der Chef der Polizei dem „Rat“ des Ausschusses folgen würde, ergäbe sich, so die britische Auffassung, schlicht aus dem Abhängigkeitsverhältnis, in dem er zu diesem stand: Der Polizeichef konnte vom Ausschuss jederzeit aufgrund schlechter Führung oder mangelhafter Leistung entlassen werden. Die Suspendierung vom Dienst war allerdings die einzige zulässige Form einer formellen Sanktionierung. Niedrigschwelligere Maßregelungen sah das britische Modell nicht vor.
Auch vom deutschen Gesetzgeber wurden derartige Einflussmöglichkeiten nicht geschaffen. Hier verstand man die Polizeiausschüsse vielmehr als provisorische Angelegenheit, deren institutioneller Verfestigung man entgegenwirkte. Ziel der verantwortlichen deutschen Politiker blieb die Rückkehr zum preußischen Modell der Polizei als Instrument des Staates (und damit der Herrschenden). Der damalige Innenminister Nordrhein-Westfalens, Walter Menzel (SPD), trat als einer der härtesten Gegner der Beschränkung der ministeriellen Verfügungsgewalt auf. Seine Versuche, gegenüber Ausschüssen und Polizeichefs Einflussmöglichkeiten zu erlangen, waren rechtlich nicht verankert und wurden von der britischen Militärregierung als illegitim wahrgenommen.
Das unter Menzels Nachfolger Franz Meyer (CDU) verabschiedete Polizeigesetz von 1953 – vier Jahre nach Entlassung der BRD in die bedingte Souveränität – belohnte diese Anstrengungen nachträglich. Es ersetzte die Polizeiausschüsse durch deutlich kompetenzärmere Polizeibeiräte, die bis heute bestehen. Der Versuch einer demokratischen Kontrolle der Polizei nach britischem Muster war damit beendet.
Kontrolltauglichkeit der Polizeiausschüsse
Für Aussagen darüber, ob und inwieweit die Ausschüsse effektive Instrumente einer demokratischen Kontrolle gewesen sind, müssen zwei Aspekte berücksichtigt werden: zum einen die Frage, ob die Ausschüsse ihrem Aufbau und ihren Kompetenzen nach grundsätzlich zu einer solchen Kontrolle taugten, zum anderen ihr tatsächliches Wirken.
Die erste Frage kann durchaus bejaht werden. Als Kontrollinstitution oblag dem Ausschuss die kontinuierliche Überwachung des polizeilichen Handelns. Er hatte sowohl die Pflicht als auch die Befugnis, Fehlverhalten jedweder Art zu beheben und die Übereinstimmung polizeilichen Handelns mit den rechtlichen Normen zu erzwingen.
Eine Voraussetzung für jede wirksame Kontrolle der Polizei war und ist, dass die Kontrollierenden ausreichend informiert sind, um eventuelles Fehlverhalten überhaupt erst feststellen zu können. Im Falle der Polizeiausschüsse waren die Bedingungen dazu gegeben. Der Polizeichef war dem Ausschuss gegenüber verpflichtet, Auskunft über sämtliche Vorgänge in seinem Dienstbereich zu erteilen. Der Ausschuss verwahrte auch die Akten des Polizeichefs. Die Analyse der Tätigkeit des Wuppertaler Polizeiausschusses zeigt, dass dieser mit den ihm zur Verfügung stehenden Befugnissen sehr wohl in der Lage war, polizeiliches Fehlverhalten wie Bestechlichkeit, Unterschlagung und Körperverletzung im Amt aufzudecken, zu ahnden sowie in letzter Konsequenz sogar den Polizeichef seines Amtes zu entheben.
Der Polizeiausschuss war zwar nicht berechtigt, eigenständig Disziplinarverfahren gegen Polizeibeamte anzustrengen. Die disziplinarische Führung der einzelnen Beamten wurde seitens der Militärregierung dem Bereich der Exekutive zugerechnet und oblag damit dem Polizeichef. Erachtete der Ausschuss aber disziplinarische Maßnahmen gegen Polizeibeamte für notwendig, so hatte er die Möglichkeit, diese dem Polizeichef zu empfehlen. Verpflichtet, dieser Empfehlung nachzukommen, war der Polizeichef nicht. Die Weigerung, ein Disziplinarverfahren gegen einen Beamten einzuleiten, der sich eines Fehlverhaltens schuldig gemacht hatte, hätte der Ausschuss jedoch als Unvermögen des Chefs der Polizei und somit als einen Grund, ihn zu entlassen, deuten können.
Kontrolldefizite der Polizeiausschüsse
Obwohl der Polizeiausschuss durchaus ein unter organisatorischen Gesichtspunkten taugliches Kontrollinstrument darstellte, zeigt das Wuppertaler Beispiel aber auch, dass die eigentlichen Kontrollbestrebungen nur in geringem Maße vom Ausschuss selbst ausgingen. In der überwiegenden Zahl der Fälle kann er als eine dem Polizeichef nachgeordnete Kontrollinstanz angesehen werden. Er beschränkte sich darauf, die von diesem durchgeführten disziplinarischen Maßregelungen einzelner Beamter zu bestätigen. Eine solche marginale Beteiligung kann aber kaum als ausreichender Beleg dafür gewertet werden, dass der Ausschuss seine Kontrollfunktion adäquat ausgeübt hätte. Diese zeigt sich, wenn überhaupt, erst bei sogenannten „Polizeiskandalen“, also Fällen polizeilichen Fehlverhaltens größeren Ausmaßes und mit mehreren Beteiligten auch der höheren Hierarchieebene. In Wuppertal kam es mehrmals zu derartigen Skandalen, in welche auch der Polizeichef selbst verwickelt war. Das Engagement des Ausschusses blieb in diesen Fällen mangelhaft. Er kam seiner Pflicht erst nach, als der Druck der Öffentlichkeit in Zeitungsartikeln sichtbar wurde, und dies – wie den Sitzungsprotokollen zu entnehmen ist – erkennbar unwillig.
Eine der Ursachen für diese geringe Kontrollbereitschaft war die von der Mehrheit der Ausschussmitglieder vertretene Vorstellung, der Ausschuss sei eine die Polizei in erster Linie unterstützende und nicht überwachende Institution. Das Aufkommen eines solchen Selbstbildes wurde durch einen organisationsstrukturellen Faktor begünstigt: Der Ausschuss war Organ der Polizei, war selbst die oberste Polizeibehörde des Stadtkreises. Seine Aufgabe war eben nicht nur die Überwachung der Polizei – wie in den heute diskutierten Kontrollmodellen -, sondern auch deren Leitung und Verwaltung. Er vertrat die Polizei im Rechtsverkehr, ihm oblag die Leitung und Beaufsichtigung des Geschäftsganges sowie die Dienstaufsicht über das Verwaltungspersonal und das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen der Polizei.
Die Behördenstellung der Ausschüsse stellte nach britischer Auffassung jedoch keinen Widerspruch zu ihrer Kontrollfunktion dar. Für die Militärregierung bedeutete die Übernahme der Polizeiverwaltung durch die Ausschüsse keine Aufhebung der Trennung von Kontrolleuren und Kontrollierten. Diese sah sie dadurch gewährleistet, dass die verwaltenden Ausschüsse von der Exekutive mit dem Polizeichef an der Spitze separiert waren. Über die Verwaltung als Mittel der Einflussnahme sollte die Exekutive als Ort möglichen polizeilichen Fehlverhaltens kontrolliert werden. Dass sich der Ausschuss aufgrund seiner Verwaltungsfunktion so stark als ein Teil der Polizei verstand, dass er die Auffassung vertrat, dieser und nicht der Bürgerschaft gehöre seine Loyalität, wurde seitens der Militärregierung nicht vorausgesehen.
Die seltenen Kontrolltätigkeiten des Wuppertaler Ausschusses liegen auch in seinem Verhältnis zur Öffentlichkeit begründet. Das britische Polizeiausschusssystem sah eine demokratische Kontrolle vor: „Wenn ein Bewohner einer Stadt nicht mit der Art zufrieden ist, in welcher er oder der Bezirk, in dem er lebt, von der Polizei behütet wird, kann er sich an ein Mitglied der zuständigen Stadtvertretung wenden und dieses bitten, seine Beschwerde bei einer Sitzung des Polizei-Ausschusses vorzutragen.“[4]
Die Effektivität einer jeden Kontrollinstitution hängt in starkem Maße davon ab, ob die Bevölkerung bereit ist, Klagen über polizeiliches Fehlverhalten an die Institution heranzutragen. Für den Wuppertaler Ausschuss findet sich jedoch für die ganze Zeit seines Bestehens kein einziger solcher Fall. Grund dafür ist vor allem, dass er nur selten an die Öffentlichkeit trat und wenn, dann vornehmlich mit negativer Publicity. In keinem der wenigen Presseberichte, die den Ausschuss erwähnen, erscheint er als eine Institution, an die sich BürgerInnen wenden könnten. „Wascht den Pelz, aber macht ihn nicht nass“, so charakterisierte eine Zeitung die Tätigkeit des Ausschusses in einem konkreten Fall.[5]
Aufgrund der Art seiner Präsentation in der Öffentlichkeit wurde der Ausschuss weder von der Bevölkerung noch von Polizeibeamten als Kontrollinstitution wahrgenommen. Letzteres zeigen Interviews mit
ehemaligen Polizisten. Die Vorstellung der Militärregierung, der Bürger (bzw. die Bürgerin) könnte seine (ihre) „Unzufriedenheit (über die Kontrollleistungen des Ausschusses, d.Verf.) dadurch zum Ausdruck bringen, dass er ihn bei der nächsten Wahl nicht wiederwählt“[6], verwirklichte sich nicht.
Demokratische Kontrolle der Polizei heute?
Eine Kontrolle der Polizei in Form des britischen Modells der Polizeiausschüsse kann heute aufgrund der gewandelten Organisationsstruktur der Polizei nicht mehr eingefordert werden. Das Ausschussmodell setzte eine kommunale, von den Weisungen des Innenministers unabhängige Polizei voraus. Konzipiert war das Modell nicht allein für die Überwachung der Polizei in Hinblick auf mögliches Fehlverhalten; ihm lag eine deutlich weiter reichende Vorstellung von demokratischer Kontrolle zugrunde. Orientiert an der Konzeption, die Polizei solle eher dem Bürger, denn dem Staate dienen, meinte demokratische Kontrolle der Polizei ebenfalls eine Führung, bei der der Wille der BürgerInnen – vermittelt über den Ausschuss als kommunalem Gremium – über die gesetzlichen Regeln hinaus für die Polizei handlungsleitend sein sollte. Unter den heute gegebenen Umständen ist eine solche demokratische Führung und Überwachung der Polizei nicht zu verwirklichen. Aus polizeilicher Sicht scheint der Wille der BürgerInnen nur dann handlungsrelevant zu werden, wenn er den Interessen der Polizei entgegenkommt und einen Ausbau von Personal- und Sachressourcen legitimiert.
Dennoch können aus dem Beispiel der Polizeiausschüsse eine Reihe von Bedingungen für eine effiziente und demokratischere Kontrolle hergeleitet werden, z.B. die umfassende Informationsmöglichkeit – uneingeschränkte Rechte auf Akteneinsicht und auf unangemeldete Inspektionen der Polizeidienststellen – sowie eine aktive Öffentlichkeitsarbeit der Kontrollinstitution. Ebenfalls lassen sich am Ausschussmodell Faktoren illustrieren, die Kontrolldefizite verursachen: Will man eine zu weit gehende Identifikation der Kontrollinstitution mit den zu Kontrollierenden verhindern, dann ist eine Trennung der Kontrollierenden von den Kontrollierten notwendig. Ferner ist eine enge Verbindung zur Bürgerschaft (z.B. über ehrenamtlich besetzte regionale „Bürgerbüros“ als Beschwerde- und Dokumentationsstellen) zu gewährleisten. Eine institutionelle Anbindung der Kontrolle an die Polizei oder die Innenministerien ist abzulehnen. Auch Gremien, deren Zusammensetzung nur die jeweilige Parlamentsmehrheit reproduziert, bringen nicht weiter. Je nach polizeipolitischer Ausrichtung der Gremienmehrheit droht deren Kontrollengagement zur bloßen Symbolik zu verkommen.