Andere Länder – ähnliche Sitten – Polizeiübergriffe und Kontrolle in Großbritannien und Frankreich

von Heiner Busch

„Überall ist es besser, wo wir nicht sind.“ Dass die Kritik an Polizeiübergriffen und fehlender Kontrolle in Deutschland nicht nach diesem Motto betrieben werden kann, belegen die Erfahrungen aus Großbritannien und Frankreich, zu denen wir zwei Kollegen befragt haben.

„Fast immer proletarisch, häufig schwarz, politisch aktiv, arbeitslos oder besonders verletzlich – will heißen: obdachlos, mit Alkohol- oder Drogenproblemen etc.“ So charakterisiert Trevor Hemmings[1] das typische Opfer polizeilicher Übergriffe in Großbritannien. Fabien Jobards[2] Beschreibung für Frankreich kommt dem sehr nahe: Von Übergriffen betroffen seien in der Regel diejenigen, die sich in der „polizeilichen Arena“ aufhalten. Diese Arena ist die Straße. Sie ist der Raum politischer Demonstrationen, aber auch der Lebensraum der meisten ImmigrantInnen, der Obdachlosen, derjenigen, die mit großer Familie in beengten Verhältnissen wohnen und Ruhe nur draußen finden, der Raum der kleinen informellen Geschäfte und der offenen Drogenszenen. Hier finden Kontrollen und Razzien statt, werden Platzverweise durchgesetzt und Leute aufgegriffen. Auf der Straße richten sich Übergriffe gegen Kollektive.

Die Tatsache, dass in Großbritannien die schwarze Bevölkerung am häufigsten Objekt polizeilicher Personenkontrollen ist, werde – so Hemmings – mittlerweile weitgehend akzeptiert. Zu polizeilicher Gewalt käme es meist dann, wenn die kontrollierte Person nach dem zugrunde liegenden Verdacht frage. Dass es sich dabei oft um einen an der Hautfarbe anknüpfenden Generalverdacht handele, zeige sich daran, dass viele Personen, die nach einer Kontrolle festgenommen wurden, wegen Behinderung einer Amtshandlung oder Widerstands angeklagt würden, nicht aber wegen des Verdachts, mit dem die Kontrolle begründet wurde. Der institutionelle Rassismus bei der Polizei ist durch den Bericht der Macpherson-Kommission offiziell bestätigt worden.[3] Die vom Innenminister eingesetzte Kommission untersuchte 1998 die Fehler und Unterlassungen der Polizei bei den Ermittlungen im Falle des rassistisch motivierten Mordes an dem schwarzen Jugendlichen Stephen Lawrence. Sie konnte sich bei aller Vorsicht in den Formulierungen diesem Urteil nicht verschließen.

Seit vielen Jahren sorge sich die schwarze „Community“ in Großbritannien auch um das Ausmaß von Misshandlungen und sogar Todesfällen im Polizeigewahrsam. Um Übergriffe zu verhindern, würden Polizeizellen mittlerweile videoüberwacht, geschlagen werde nun auf den Korridoren oder auf der Fahrt zur Polizeistation im geschlossenen Wagen.

„Nicht unerhebliche Gefahren“

Fabien Jobard hat in den Wartesälen der Bewährungshilfe in Paris entlassene Gefangene befragt. Fast alle hätten bestätigt, bei ihrer Festnahme auf der Polizeistation oder in der Zelle geschlagen worden zu sein. Die meisten Betroffenen hätten dieses Vorgehen achselzuckend als Normalität hingenommen. Weil die Individuen auf der Wache und in den Zellen alleine dastehen, seien Misshandlungen kaum nachzuweisen.

Um so wichtiger sind die Berichte des Anti-Folter-Komitees (CPT) des Europarats gewesen. Für von der Polizei festgenommene Personen, so schrieb das CPT 1991 an die französische Regierung,[4] bestehe eine „nicht unerhebliche Gefahr“, misshandelt zu werden. Im Oktober und November des Jahres hatte das Komitee diverse Gewahrsamszentren der Nationalpolizei, der Gendarmerie und der Grenzpolizei (Police de l’air et des frontières – PAF) besucht. Es habe keine Fälle von Folter gefunden, wohl aber Vorwürfe von mehr oder weniger schlimmen Misshandlungen durch die Polizei vernommen und zwar „in ziemlich großer Zahl“.

Zwischen der französischen Regierung und dem CPT kam es in der Folge zu einem Schlagabtausch: Bei den vom CPT angeführten Fällen, so die Regierung in ihrer Stellungnahme, handele es sich eben nicht um verifizierte Tatsachen, sondern nur um Anschuldigungen. Diese waren in der Tat in indirekter Rede wiedergegeben. Unter Verweis auf die von den Disziplinardiensten bearbeiteten Fälle erklärte die Regierung nun ihrerseits, die Zahl der Misshandlungsfälle sei niedrig, sie würden jeweils rigoros sanktioniert.[5]

Strafrechtliche Ahndung so gut wie aussichtslos

Eine Statistik der Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte gibt es in Frankreich nicht. Die einzige vorliegende Zahl stamme, so Jobard, aus einem Bericht des obersten Verwaltungsgerichts, des Conseil d’état, aus dem Jahre 1996. Dieser hatte Anfang der 90er Jahre allen Zweigen der öffentlichen Verwaltung die Frage vorgelegt, wieviele strafrechtliche Untersuchungen in den vorangegangen drei Jahren gegen BeamtInnen geführt worden seien. Während die Bauverwaltung seinerzeit auf insgesamt 37 Verfahren kam, listete das Innenministerium als Dienstherr der PolizeibeamtInnen gerade einmal sechs Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung, Mord oder Totschlag im Amt auf.[6]

Eine Strafanzeige wegen eines polizeilichen Übergriffs sei nur in den seltensten Fällen erfolgreich, so Jobard. Die Gründe hierfür sind im Wesentlichen dieselben wie in Deutschland: Vorwürfe werden abgestritten und sind nicht beweisbar, die Opfer haben mit Gegenanzeigen zu rechnen, der Korpsgeist ist stark ausgeprägt, und selbst die Justiz stelle sich auf die Seite der Polizei. Für polizeiliche Eingriffe – ob legal oder nicht – gilt aufgrund eines Urteils des obersten Gerichtshofs, der Cour de Cassation, aus dem Jahre 1832 zunächst die Vermutung der Legitimität. Auch illegale Eingriffe müssen daher hingenommen werden. Widerstand ist strafbar. In den 90er Jahren hat die Cour zweimal untere Gerichte wegen der Einstellung von Widerstandsverfahren zur Ordnung gerufen.

Wie unabhängig ist die unabhängige Kontrolle?

Neben dem strafrechtlichen Weg steht den von Übergriffen Betroffenen auch der Gang zum Médiateur de la République, einer Art Ombudsman offen, der in den meisten Fällen aber auch nicht weiter führt. Im Juni 2000 haben Senat und Nationalversammlung nun ein Gesetz angenommen, das eine neue Beschwerdekommission schafft.[7] Das Gesetz ist Ergebnis einer Auseinandersetzung, die seit den 80er Jahren geführt wird. Im Dezember 1986 starb Malik Oussékine in Paris an den Folgen polizeilicher Schläge. Der Mann war im Kino gewesen und fand sich beim Herausgehen inmitten einer Demonstration wieder, die von der Polizei gewaltsam aufgelöst wurde. Der Fall führte in Frankreich zu heller Empörung. Der erste Versuch, eine spezielle Beschwerdekommission einzuführen, erfolgte 1993 durch eine Verordnung des Staatspräsidenten François Mitterand, die aber nur von kurzer Dauer war. Nach dem Wahlsieg der Rechten im selben Jahr wurde sie vom neuen Innenminister Charles Pasqua gleich wieder aufgehoben. 1997 versprach Premierminister Lionel Jospin in seiner Antrittsrede vor der Nationalversammlung einen zweiten Versuch – diesmal per Gesetz.

Jobard bezweifelt, dass die Kommission, deren Mitglieder noch nicht benannt sind, ein effizientes Mittel der Kontrolle sein wird. Zum einen dominiert in ihr der Beamtenapparat: Neben der oder dem direkt vom Staatschef zu ernennenden Vorsitzenden sollen dem Gremium nach Art. 2 des Gesetzes je ein Mitglied der beiden Parlamentskammern, ein Mitglied des Conseil d`état, einE von der Cour de Cassation bestimmteR RichterIn, einE VertreterIn des Rechnungshofs sowie zwei Personen angehören, die von den vorgenannten bestimmt werden. Zum anderen ist das Verfahren (Art. 4) nicht gerade einfach: Betroffene oder ZeugInnen eines Übergriffs wenden sich zunächst an ein Parlamentsmitglied ihres Wahlkreises. Dieses entscheidet, ob der Fall der Kommission vorgelegt werden soll. Der Fall darf nicht länger als ein Jahr zurückliegen. Die Kommission kann zwar PolizeibeamtInnen befragen, aber nur in Ausnahmefällen die betreffenden Behörden unangekündigt inspizieren. In ihrem Bericht kann sie eine Empfehlung an den Innenminister bzw. in Paris an den Polizeipräfekten richten oder die Sache der Staatsanwaltschaft zur Strafverfolgung vorlegen. Wenn es bereits eine Strafuntersuchung gegeben hat, sind die Chancen für eine Wiederaufnahme minimal.

Die britische Beschwerdeinstanz für Polizeiübergriffe, die 1984 geschaffene Police Complaints Authority (PCA), werde – so Trevor Hemmings – nur von staatlicher Seite als unabhängig bezeichnet. Ihre Aufgabe besteht darin, die von der Polizei, d.h. meist von Abteilungen für interne Ermittlungen, geführten Untersuchungen zu überwachen. Solche Ermittlungen werden nur in schwereren Fällen angesetzt. Die PCA bewertet deren Ergebnisse und entscheidet, ob und welche Maßnahmen zu treffen wären. Von April 1999 bis März 2000 wurden 21.000 Beschwerden eingereicht, 3% mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Zahl der Fälle, „die Ermittlungen erforderlich machten“, sank dagegen um 13%. Nur 9% dieser ermittelten Fälle – insgesamt 714 – wurden als „substantiiert“ anerkannt.[8] Bürgerrechtsgruppen wie INQUEST, eine Organisation, die sich mit Todesfällen im Polizeigewahrsam befasst, haben dieses System stark kritisiert. Wenn die Polizei gegen PolizeibeamtInnen ermittele, könne von Unabhängigkeit keine Rede sein.

Selbst wenn die PCA aber anerkenne, dass ein Todesfall in Polizeihaft das Ergebnis eines Übergriffes sei, würde unweigerlich eine offizielle Untersuchung angestrengt. In jüngster Zeit – so Hemmings – sei eine ganze Reihe solcher Fälle vor Gericht gelandet und einer nach dem anderen eingestellt worden. Wenn die Verurteilung von BeamtInnen absehbar sei, würden diese der Entlassung zuvorkommen und selbst kündigen. Der „goldene Rückenschmerz“ bewahre sie vor einem Verlust ihrer Rentenansprüche. Die Unfähigkeit und der fehlende Wille zur Aufklärung bei PCA und Gerichten, hat die Familien und Freunde der Opfer sowie die sie unterstützenden Organisationen veranlasst, ein „People’s Tribunal into Deaths in Custody“ ins Leben zu rufen, das derartige Fälle untersucht und eine wirklich unabhängige öffentliche Untersuchung der Todesfälle fordert. Nach dem Bericht der Macpherson-Kommission hat die Regierung angekündigt, eine neue Kontrollinstanz schaffen zu wollen. Sie soll Independent Police Complaints Commission (unabhängige Polizei-Beschwerdekommission) heißen. Das neue Gremium wird dann beweisen müssen, dass es wirklich unabhängiger ist als die bestehende, angeblich unabhängige PCA.

Heiner Busch ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
[1] Trevor Hemmings ist Mitbegründer des in London ansässigen Projekts Statewatch und News Editor des gleichnamigen Bulletins.
[2] Fabien Jobard arbeitet am Centre Marc Bloch in Berlin. Sein Buch: L`usage de la force par la police erscheint im Frühjahr 2001 bei der Edition la Découverte in Paris.
[3] Statewatch 1998, no. 3-4, pp. 23-25; no. 5, pp. 25-27
[4] Comité de prévention de la torture: Rapport au gouvernement de la République française relatif à la visite effectuée par le C.P.T. en France du 27 octobre au 8 novembre 1991, Strasbourg 1991, p. 13
[5] Réponse du Gouvernement de la République française, Strasbourg 19 janvier 1993, p. 14
[6] Conseil d’état: La responsabilité pénale des agents publiques, Paris 1996, p. 30s.
[7] Loi no. 2000-494 du 6 juin 2000 portant création d’une commission de déontologie de la sécurité, Journal Officiel de la République Française, 7 juin 2000, pp. 8562s.
[8] Zahlen aus Statewatch 2000, no. 5, p. 14s.

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