Chronologie

zusammengestellt von Jan Wörlein

August 2008

06.08.: Urteile im „Sturm 34“-Prozess: Das Landgericht (LG) Dresden verurteilt drei Mitglieder der rechtsextremen Gruppe „Sturm 34“  wegen gefährlicher Körperverletzung zu Jugendstrafen von dreieinhalb und drei Jahren sowie zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Zwei andere Mitglieder, ein Informant des Staatsschutzes und ein weiterer Angeklagter, werden freigesprochen.

13.08.: Strafmaß zu milde: Der Bundesgerichtshof (BGH) hebt nach einer Revision der Staatsanwaltschaft im Siegburger Foltermordprozess das Strafmaß von 15 Jahren für einen 20-Jährigen auf. Das LG Bonn muss erneut über eine lebenslange Haft und den Vorbehalt der Sicherheitsverwahrung urteilen. Die Androhung der Sicherheitsverwahrung wird damit erstmalig bei einem Ersttäter möglich. (Az.: 2 StR 240/08)

15.08.: Keine Beugehaft für Ex-RAFler: Der BGH lehnt einen Antrag von Generalbundesanwältin (GBA) Monika Harms ab, die früheren RAF-Mitglieder Christian Klar, Brigitte Mohnhaupt und Knut Folkerts in Beugehaft zu nehmen.

20.08.: Gegendarstellung nicht verpflichtend: Das Verfassungsgericht Berlin gibt einer Beschwerde der „taz“ gegen eine Entscheidung des LG Berlin statt. Das Gericht hatte die Zeitung verpflichtet, Gegendarstellungen des Berliner Polizeipräsidenten Dieter Glietsch zu veröffentlichen. (Az.: VerfGH 22/08)

22.08.: Asylwiderrufung illegal: Das UN-Flüchtlingskomissariat erklärt in einem Rechtsgutachten für den Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Praxis der deutschen Behörden, 17.000 anerkannten irakischen Flüchtlingen ihren Asyl-Status wieder abzuerkennen, für rechtswidrig. Deutschland verstoße damit gegen Europarecht und die Genfer Flüchtlingskonvention.

23.08.: Klima- und Antirassismus-Camp in Hamburg: Am Hamburger Flughafen Fuhlsbüttel und an der Kraftwerksbaustelle Moorburg finden während des Antirassismus- und Klimacamps Demonstrationen mit bis zu 1.000 TeilnehmerInnen statt. In Moorburg setzt die Polizei nach versuchter Stürmung der Baustelle Wasserwerfer und Schlagstöcke ein. Insgesamt werden 50 Personen verhaftet. Bei einem alternativen Stadtteilrundgang attackiert ein Polizist einen auf dem Boden liegenden Demonstranten mit Faustschlägen. Das Dezenat Interne Ermittlungen der Hamburger Polizei eröffnet in der Folge gegen drei Polizisten Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt.

24.08.: Prügelei bei Konzertauflösung: Die Rostocker Polizei löst ein Konzert der rechtsextremen Szene auf. Elf Beamte und drei Konzertbesucher werden verletzt. 38 Personen werden festgenommen.

29.08.: Datenhandel mit Melderegisterangaben: Nach Presseberichten haben acht Vermittlungsunternehmen, die für Firmen Kundendaten überprüfen, illegal mit Millionen von Daten aus Melderegistern gehandelt.

TKÜ-Zentrale beschlossen: Der Präsident des Landeskriminalamts (LKA) Stuttgart, Klaus Hiller, und der Geschäftsführer der Firma DigiTask GmbH, Achim Pulverich, unterzeichnen einen Vertrag über ein gemeinsames Telekommunikationsüberwachungs-Zentrum. Das Zentrum zur Speicherung von Telekommunikationsdaten ist an das Polizeinetz angeschlossen.

September 2008

02.09.: Statistik zu Sicherheitsüberprüfungen: Die Bundesregierung teilt auf eine Anfrage der Linksfraktion Zahlen zu Sicherheitsüberprüfungen mit. Danach wurden seit Einführung des entsprechenden Gesetzes 2002 insgesamt 62.969 Personen überprüft; 2007 waren es 14.826 Überprüfungen (siehe S. 81 f. in diesem Heft).

10.09.: Sinkende Ausgaben für Asylsuchende: Das Statistische Bundesamt teilt mit, dass die Gesamtausgaben nach dem Asylbewerberleistungsgesetz 2007 mit 1,03 Milliarden Euro einen Tiefstand erreicht haben. Die Zahl der EmpfängerInnen sank auf 154.000.

12.09.: Razzia bei Überwachungskritikern: Die bayerische Polizei durchsucht die Wohung des Pressesprechers der „Piratenpartei Deutsch­lands“. Hintergrund war eine Veröffentlichung eines polizeiinternen Papiers seitens der Partei, das die Benutzung einer rechtswidrigen Ausspähsoftware durch bayerische Ermittler belegt. Der Pressesprecher war nur als unbeteiligter Dritter ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten.

17.09.: Polizisten verletzten Fürsorgepflicht: Das LG Kiel verurteilt nach einer Beanstandung des Strafmaßes durch den BGH zwei Polizisten wegen Aussetzung mit Todesfolge zu Bewährungsstrafen von 18 Monaten bzw. neun Monaten. Die Beamten hatten 2002 einen 18-Jährigen mit über zwei Promille bei vier Grad Celsius auf einer abgelegenen Landstraße nahe Lübeck ausgesetzt. Kurz darauf wurde der Mann überfahren und verstarb.

18.09.: Terrorverdächtige festgenommen: Das Bundeskriminalamt ver­haftet im Großraum Frankfurt/Main zwei mutmaßliche Unterstützer der „Islamischen Dschihad-Union“. Den beiden 27-Jährigen wird vorgeworfen, in Pakistan ein Terrorlager besucht und die 2007 festgenommene „Sauerlandgruppe“ finanziell unterstützt zu haben.

mg-Prozess beginnt: Vor dem Kammergericht Berlin beginnt der Prozess gegen drei mutmaßliche Mitglieder der „militanten gruppe“ wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Brandstiftung. Den Berlinern wird u.a. vorgeworfen, am 31. Juli 2007 in Brandenburg an der Havel einen Anschlag auf drei Bundeswehr-LKWs versucht zu haben.

20.09.: Kinder in der Gefangenensammelstelle: Die Kölner Polizei kesselt nach Zusammenstößen am Rande der Demonstrationen von insgesamt 15.000 AktivistInnen gegen die „Anti-Islamisierungs­konfe­renz“ 871 Demonstrierende stundenlang ein. 394 von ihnen, darunter 72 Kinder und Jugendliche, werden in der Gefangenensammelstelle Brühl in Käfigen bis zu 13 Stunden festgehalten.

23.09.: Jugendliche versuchen Anschlag: Die Kölner Polizei verhaftet nach einem versuchten Anschlag einen 15- und einen 17-Jährigen. Die Jugendlichen hatten zwei Polizisten mit einem fingierten Hilfeanruf in einen Hinterhalt gelockt und sie dann beschossen. Mit der Tat wollten sie die Waffen der Polizisten erbeuten, um eine US-Kaserne anzugreifen.

24.09.: Anklage wegen Campüberfall: Die Staatsanwaltschaft Kassel erhebt Anklage gegen einen 19-jährigen Neonazi wegen gefährlicher Körperverletzung. Der Angeklagte hatte am 20. Juli ein Camp der Jugendorganisation der Linkspartei angegriffen und eine 13-Jährige und ihren 23-jährigen Bruder verletzt.

G8-Verfahren eingestellt: Die Staatsanwaltschaft Hamburg stellt nach eineinhalb Jahren die Ermittlungsverfahren gegen 18 Gegner des G8-Gipfels wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ein. Im Laufe der Ermittlungen waren 246 Aktenordner Abhörprotokolle angefallen.

25.09.: Hartz-IV-Abschiebung unzulässig: Der EuGH erklärt auf Basis des Assoziierungsabkommen mit der Türkei die Entscheidung einer hessischen Ausländerbehörde, einen 23-jährigen Türken wegen Arbeitslosigkeit abzuschieben, für rechtswidrig. (Az.: EuGH C-453/07)

Rechtswidrige Razzia: Das Verwaltungsgericht Berlin erklärt die Razzia der Berliner Polizei auf einer Jubiläumsfeier der Rockergruppe Bandidos am 8. September 2007 wegen einer fehlenden richterlichen Anordnung für rechtswidrig.

Bundesanwalt für dubiose Geständnisse: Bundesanwalt Rainer Griesbaum spricht sich auf dem Deutschen Juristentag für die Nutzung von Informationen in deutschen Strafverfahren aus, die möglicherweise unter Folter zustande gekommenen sind.

Öffentlichkeitsfahndung nach Islamisten: Die Bundesanwaltschaft gibt eine Fahndung nach den Terrorverdächtigen Eric Breininger und Hussein al Malla aus. Breininger wird vorgeworfen, mit islamistischen Videos im Internet einen Terroranschlag angekündigt und mit al Malla in Pakistan ein Terrorausbildungscamp besucht zu haben. Am 18. Okto­ber wird die entsprechende Fahndungsgruppe wieder aufgelöst.

26.09.: Schließer freigesprochen: Das LG Potsdam spricht 13 Bedienstete der Justizvollzugsanstalt Brandenburg an der Havel vom Vorwurf der Körperverletzung im Amt und Misshandlung eines Schutzbefohlenen frei. Den Wärtern war in drei Fällen vorgeworfen worden, einen gefesselten Gefangenen vermummt verprügelt zu haben.

27.09.: Flughafenfestnahme wegen Terrorverdacht: Das LKA Nordrhein-Westfalen nimmt am Flughafen Köln-Bonn zwei Somalier wegen des Verdachts auf Verabredung zu einer Straftat in einem abflugbereiten Flugzeug fest. Den beiden Terrorverdächtigen wird vorgeworfen, auf dem Weg in ein Ausbildungslager in Pakistan gewesen zu sein. Am Folgetag erlässt das Amtsgericht (AG) Bonn einen Haftbefehl. Bei Wohnungsdurchsuchungen werden keine Waffen entdeckt. Am 7. Oktober werden die Haftbefehle wieder aufgehoben. Nach Presseberichten störte das LKA mit dieser Festnahme eine verdeckte Operation des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Oktober 2008

06.10.: Erneut Datenleck bei der Telekom: Nach Presseberichten hat die Telekom ihren KundInnen den Verlust von 17 Millionen Personendaten verschwiegen. Das Unternehmen speicherte auch die Verbindungsdaten der eigenen Aufsichtsräte. Am 13. Oktober wird bekannt, dass darüber hinaus 30 Millionen Daten von Handy-Kunden der Telekom, u.a. Bankdaten, im Internet einseh- und manipulierbar waren.

07.10.: DNA-Test für Kind unzulässig: Das LG Darmstadt erklärt eine Entscheidung des AG Offenbach, einem 13-jährigen Kind eine DNA-Probe abnehmen zu lassen, für rechtswidrig. Der Junge soll einen Mitschüler um sein Taschengeld erpresst haben.

09.10.: Razzia gegen die HDJ: Die Polizei durchsucht bundesweit rund 100 Objekte der rechtsextremen „Heimattreuen Deutschen Jugend“. Dabei wird nach Presseberichten Material gefunden, das eine Ver­bindung zur verbotenen Wiking-Jugend belege und somit ein Verbot der HDJ ermögliche.

11.10.: Datenschutz-Demonstration: In Berlin demonstrieren einige zehntausend Menschen gegen den Überwachungsstaat.

16.10.: Demonstranten aus Straftäterdatei gelöscht: Die hessische Polizei löscht nach einer Beschwerde des Landesbeauftragten für Datenschutz 235 SchülerInnen und Studierende aus dem polizeilichen Informationssystem Inpol. Sie waren nach einer Blockade der Frankfurter Stadtautobahn gegen Studiengebühren im Juli 2006 unter „gewalttätig“ und „Straftäter linksmotiviert“ gespeichert worden.

22.10.: Sicherungsverwahrung aufgehoben: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gibt der Beschwerde eines Sexualstraftäters gegen eine nachträgliche Sicherungsverwahrung wegen mangelnder „gegenwär­tiger Gefahr“ statt. Der Mann war wegen Vergewaltigung und Missbrauch eines Kindes zu drei Jahren Haft verurteilt worden. (Az.: 2 BvR 749/08)

24.10.: Klar kommt frei: Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart veranlasst die Entlassung des Ex-RAF-Terroristen Christian Klar.

November 2008

06.11.: Vorratsdatenspeicherung eingeschränkt: Das BVerfG verlängert eine einstweilige Verfügung, die den Zugriff des Verfassungsschutzes auf Telekommunikationsverbindungsdaten an eine dringende Gefahr für den Bestand der BRD knüpft, um weitere sechs Monate. Die Verfügung war aufgrund einer Beschwerde gegen entsprechende Landesgesetze in Bayern und Thüringen ergangen.

07.11.: Lauschen erlaubt: Das BVerfG lehnt eine einstweillige Verfügung zur Aussetzung des neuen § 160a StPO ab. Der durch die Vorratsdatenspeicherung eingefügte Paragraph ermöglicht die heimliche Telefonüberwachung, die Durchsicht von Speichermedien und das Lauschen außerhalb von Wohnungen bei Ärzten, Rechtsanwälten und Journalisten.

08.11.: Castortransport nach Gorleben: 16.000 Menschen demonstrieren bei Gorleben gegen den Castortransport. Acht AktivistInnen gelingt es, mit dem Anketten an ein Gleis und der Blockade einer Straße den Castor für 13 Stunden aufzuhalten. 10.000 PolizistInnen sind vor Ort. Es kommt teilweise zu Zusammenstößen.

11.11.: Obdachloser getötet: Im niederbayerischen Simbach prügeln ein 16- und ein 18-Jähriger einen 59-jährigen Obdachlosen zu Tode.

12.11.: BKA-Gesetz auf dem Weg: Der Bundestag verabschiedet mit 375 Stimmen die Novellierung des BKA-Gesetzes. 168 Parlamentarier stimmen dagegen. Am 28. November scheitert das Gesetz im Bundesrat.

Ausstellung zerstört: Bei einer Demonstration von mehreren tausend SchülerInnen in Berlin gegen Bildungsabbau wird von ca. 1.000 TeilnehmerInnen die Humboldt-Universität gestürmt und eine Ausstellung über den Nationalsozialismus zerstört. Die OrganisatorInnen der Demonstration entschuldigen sich.

15.11.: Antifa-Verfahren eingestellt: Die Staatsanwaltschaft Cottbus stellt ein Verfahren gegen die Betreiber einer „Antifa“-Internetseite wegen der Veröffentlichung von Bildern Rechtsextremer im Internet ein, da der entsprechende Server in den USA steht.

19.11.: BND-Agenten verhaftet: Die Polizei des Kosovo nimmt nach einem Anschlag auf das EU-Hauptquartier in Priština drei Agenten des Bundesnachrichtendienstes fest, die der Tat beschuldigt werden. Nach einem gemeinschaflichen Beschluss dreier internationaler Richter werden die Geheimdienstleute am 28. November wieder freigelassen.

20.11.: Beobachtung eingestellt: Das Bundesamt für Verfassungsschutz stellt nach 38 Jahren die Beobachtung des Bremer Anwalts und Publizisten Rolf Gössner ein. Das Amt gab die Beendigung kurz vor der Verhandlung über die Rechtmäßigkeit der Beobachtung bekannt.

24.11.: Quarzsandhandschuhe bei der Polizei: Die Berliner Polizei leitet Disziplinarverfahren gegen sieben Beamte ein. Die Polizisten hatten Untergegebene genötigt, sich privat Quarzsandhandschuhe anzuschaffen. Laut Polizeipräsident Dieter Glietsch gebe es auch Anzeigen wegen Körperverletzung im Amt.

Haft und Bewährungsstrafe im Siemens-Prozess: Das LG Nürnberg verurteilt den ehemaligen Chef der Siemens Arbeitnehmerorganisation AUB, Wilhelm Schelsky, wegen Untreue und Betrugs zu viereinhalb Jahren Haft sowie den Ex-Siemens-Manager Johannes Feldmayer zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe. Seit 1995 waren 45 Millionen Euro von Siemens an die „gelbe Gewerkschaft“ geflossen.

25.11.: Razzien und Festnahmen gegen Islamisten: Die Polizeibehörden Bayerns, Baden-Württembergs, Nordrhein-Westfalens und Bremens durchsuchen zwölf Objekte und nehmen einen 26-Jährigen und einen 23-Jährigen fest. Ihnen wird die Veröffentlichung von Propagandamaterial der „Islamischen Medienfront“ im Internet vorgeworfen.

29.11.: Sieben Stunden Verhinderungsknast: Vor dem Bundesliga-Spiel Werder Bremen gegen Eintracht Frankfurt nimmt die Bremer Polizei 234 Fans beider Clubs („Ultras“) für sieben Stunden in Verhinderungsgewahrsam. Gegen vier Fans wird Anzeige erstattet. Drei Festgehaltene stellen Strafanzeige gegen die Polizei.

Polizeilicher Todesschuss: Im bayerischen Weißenhorn wird ein 50-Jähriger bei der Stürmung seines Hauses durch einen SEK-Beamten er­schossen. Die getrennt lebende Ehefrau hatte zuvor aus Sorge um ihren Mann die Polizei benachrichtigt. Als die Beamten den Ehemann aufsuchen, verweist er sie mit der Waffe des Hauses und droht sich umzubringen. Die Polizei entschließt sich daraufhin das Haus zu stürmen. Dabei kommt es zu einem Schusswechsel.