von Martin Beck
Die Anschläge vom 11. September 2001 haben eine neue Dynamik der transatlantischen Zusammenarbeit ausgelöst. Ob es um Datenaustausch oder Zusammenarbeit der Dienste geht – klar ist, dass diese Entwicklung noch lange nicht zu Ende ist. Zahlreiche Vorhaben zielen auf eine enge Kooperation, die traditionelle Grenzen überschreitet.
In welche Richtung die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden in Europa und den USA geht, zeigt der im Juni 2008 vorgelegte Bericht der „Informellen Hochrangigen Beratenden Gruppe zur Zukunft der Europäischen Innenpolitik“, der so genannten Future Group.[1] Auf dessen Grundlage wollen die Staats- und Regierungschefs der EU 2009 eine gemeinsame Agenda innenpolitischer Ziele für die nächsten fünf Jahre festlegen und die EU-Kommission will einen Aktionsplan ausarbeiten.
Die Vorschläge der Future Group setzen die Linie der bisherigen Fünfjahresprogramme konsequent fort. Die bestehenden Institutionen der polizeilichen, strafjustiziellen und geheimdienstlichen Kooperation in der EU – von Europol und Eurojust über die Grenzschutzagentur Frontex bis hin zum geheimdienstlichen Lagezentrum SitCen – sollen gestärkt werden. „Konvergenz“ heißt das Prinzip, unter dem die anvisierte „Europäische Innenpolitik“ von 2010 bis 2014 stehen soll.
Gleichzeitig weitet die Gruppe die bisher auf die EU bezogene Selbstbezeichnung als „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ auf die Kooperation mit den USA aus: „Bis 2014 sollte die Europäische Union eine Entscheidung über das politische Ziel treffen, im Bereich der Freiheit, Sicherheit und des Rechts einen gemeinsamen euro-atlantischen Raum der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten zu schaffen“, heißt es blumig in den Empfehlungen der Future Group (Rz. 50). Konkret: In den Bereichen Terrorismusbekämpfung, Grenzschutz, Bekämpfung der Cyberkriminalität sowie des Menschen- und Drogenhandels sollen „mehr relevante Informationen ausgetauscht“ werden (Rz. 168).
Vertrauensvolle Zusammenarbeit
Seit den Anschlägen des 11. Septembers 2001 haben die EU und die USA insgesamt sechs Abkommen im Bereich Inneres und Justiz geschlossen. Demnächst in Kraft treten werden die Verträge über die Auslieferung und die Rechtshilfe in Strafsachen. Bereits geschehen ist dies bei den Vereinbarungen zum Datenaustausch via Europol, zum Transfer von europäischen Flugpassagierdaten (PNR-Daten) an US-Sicherheitsbehörden, zur Übermittlung von Finanztransaktionen (SWIFT) und zur Überwachung des Warenverkehrs im Rahmen der Container Security Initiative (CSI).
Der Einfluss der USA auf die Innenpolitik der EU ist schon heute sehr deutlich. Wie eilfertig die EU-Gremien auf die Wünsche der US-Seite eingehen, zeigt das PNR-Daten-Abkommen, dessen erste Fassung von 2003 der Europäische Gerichtshof aufhob. Die Fluggesellschaften lieferten weiterhin Informationen über ihre PassagierInnen an das US-Heimatschutzministerium. Die zweite inhaltlich gleiche Version, die aber die formalen Anforderungen des EU-Rechts erfüllte, trat 2007 in Kraft.[2] An den SWIFT-Daten bedienten sich die USA zunächst ungefragt, bis der Skandal vertraglich normalisiert wurde.[3]
Auf Expertenebene wird gegenwärtig geprüft, ob zwischen der EU und den USA nicht auch ein Austausch von DNA- und Fingerabdruckdaten in Anlehnung an den „Prümer Vertrag“ möglich ist. Bilateral hat die BRD diesen Schritt bereits am 11. März 2008 mit einem „Vertrag über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität“ vollzogen.[4]
Zwar zeigt sich die Future Group besorgt, dass „in einem Umfeld des ‚digitalen Tsunami‘ die traditionellen Maßnahmen zum Schutz der Privatsphäre immer wirkungsloser“ werden (Rz. 132). Drittstaaten gedenkt sie zu signalisieren, „dass eine Datenübertragung nur erfolgen kann, wenn bestimmte Garantien gegeben werden“ (Rz. 163). In Verhandlungen mit den USA will sie „auf den Abschluss einer auf Gegenseitigkeit beruhenden verbindlichen Vereinbarung … hinarbeiten“. Dass dieses ganz traditionelle rechtliche Mittel den Datentransfer nach den bestehenden und den noch geplanten Abkommen nicht antasten wird, ist jedoch bereits klar, denn: „Im Hinblick auf den Datenschutz sind unsere gemeinsamen Ziele klar: Die Sicherheit unserer Bürger zu gewährleisten, indem wir sicherstellen, dass Strafverfolgungsbehörden auf die Informationen zugreifen können, die sie für ihre Arbeit und den Schutz der Grundrechte sowie der Privatsphäre unserer Bürger benötigen“ (Rz. 168).
Besser kann man nicht ausdrücken, dass Datenschutz hier nichts anderes bedeutet als die rechtliche Absicherung des Transports, des Austauschs und der Speicherung von Daten und Informationen in den Netzwerken und Datenbanken der militärischen und zivilen Sicherheitsbehörden. „Der ‚US/EU-Kanal’ ist im Wesentlichen eine Einbahnstraße für die Forderungen der USA“, bilanziert Tony Bunyan.[5]
Europol: beständige Zusammenarbeit
Seit 2001 war die Terrorismusbekämpfung der Motor nicht nur für den Ausbau der Kooperation mit den USA, sondern auch innerhalb der EU. Nach den Vorstellungen der Future Group soll das auch so bleiben. Die Gruppe fordert, die „verschiedenen Akteure in der Terrorismusbekämpfung besser zu koordinieren“. Es gelte ein „Konzept für die zukünftige institutionelle Architektur in diesem Bereich“ zu entwickeln (Rz. 5, 63). Klar ist für die PlanerInnen der europäischen Innenpolitik aber auch, dass die EU „starke Partner benötigen wird, um im Kampf gegen den Terrorismus im globalen Maßstab erfolgreich zu sein … Daher hält die Gruppe eine enge und beständige Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten für unerlässlich“ (Rz. 71).
Europol ist auf der polizeilichen Seite das wichtigste Element dieser „Architektur“ auf europäischer Ebene. Die dort angesiedelte Counter Terrorism Task Force (CTTF) und die Counter Terrorism Unit (CTU) sind beide zu zwei Dritteln mit Geheimdienst- bzw. Staatsschutzleuten besetzt. Die CTTF – nach den Anschlägen in New York und Washington eingerichtet, aber nie richtig zum Leben erweckt – erfuhr nach den Anschlägen in Madrid im März 2004 auf Beschluss des Europäischen Rats eine Wiederbelebung.
Rechtlich begann die Kooperation des Europäischen Polizeiamtes mit US-Sicherheitsbehörden am 6. Dezember 2001 mit einem Abkommen, das zunächst nur den Austausch so genannter strategischer, d.h. nicht-personenbezogener, Daten ermöglichte. Die Gemeinsame Kontrollinstanz, das Datenschutzgremium bei Europol, erhob seinerzeit Einspruch gegen diese Vereinbarung, wurde aber übergangen. Praktisch wurden schon zu diesem Zeitpunkt – ohne vertragliche Vereinbarung – auch „operative“ Daten an die USA geliefert.[6] Abgesegnet wurde diese Praxis ein Jahr später, am 5. Dezember 2002, durch ein Zusatzabkommen, das kaum Einschränkungen für die Weitergabe vorsieht.[7] In einem Rahmenbeschluss vom Juni desselben Jahres hatte der Rat bereits die Teilnahme von US-Strafverfolgungsbehörden an gemeinsamen Ermittlungsgruppen von EU-Staaten erlaubt, bevor er diese Form der Zusammenarbeit, bei der Europol eine besondere Rolle spielt, im Rechtshilfeabkommen von 2003 noch einmal festklopfte.[8] Europol arbeitet direkt mit US-Stellen zusammen und gewährt ihnen Zugang zu seinen Analysedateien.[9] FBI, Secret Service und Drug Enforcement Agency sind mit einem Verbindungsbüro bei Europol in Den Haag vertreten.
Geheimdienstkooperation
Wie weit transatlantische Kooperation gehen kann, zeigt die Rolle des Bundesnachrichtendienstes (BND) während des Irakkriegs: Vor und während der US-Invasion übermittelten zwei BND-Agenten mitten aus dem Bagdader Bombenhagel relevante militärische Informationen an die US-Armee, die diese offensichtlich für ihre Angriffsplanung nutzte.[10] Die damalige rot-grüne Bundesregierung hat zwar offiziell jegliche Kriegsbeteiligung abgelehnt. Dennoch folgt diese Form der Zusammenarbeit den klassischen Mustern, wie sie im Krieg unter Partnern üblich sind.
Die Zusammenarbeit von Geheimdiensten lebt von der politischen Opportunität und dem Vertrauen, dass die andere Seite geheime Informationen auch tatsächlich geheim hält. Fest institutionalisierte Formen der Kooperation oder gar Verpflichtungen zur Weitergabe von Daten widersprechen diesen Prinzipien.
Nicht umsonst ist daher die Kooperation der europäischen Geheimdienste in einem informellen Gremium außerhalb des EU-Rechtsrahmens organisiert: Der „Berner Club“, an der anfangs fünf Staaten (Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und die Schweiz) beteiligt waren, umfasst mittlerweile alle EU-Mitgliedstaaten, Norwegen und die Schweiz. Hier treffen sich die Chefs der Inlandsdienste. Seit September 2001 dient die vom „Berner Club“ ins Leben gerufen Counter Terrorist Group (CTG), an der auch die EU-Kommission teilnimmt, als Schnittstelle zwischen der EU und den Leitern der Sicherheits- und Nachrichtendienste der Mitgliedstaaten im Bereich Terrorismusbekämpfung. Die CTG, die sich auf der „Arbeitsebene“ vierteljährlich trifft, erstellt Bedrohungsanalysen für die EU auf Grundlage „aller relevanter nachrichtendienstlicher Erkenntnisse“ der 29 Mitgliedsdienste und ist gleichzeitig „Forum für Experten für die Entwicklung praktischer Zusammenarbeit“.[11] Die operative Kooperation selbst dürfte dagegen weiterhin auf bilateraler Ebene stattfinden.
Auch das beim Generalsekretariat des Rates angesiedelte Joint Situation Center (SitCen) hat nach eigenem Bekunden nicht mit den eigentlichen Quellen zu tun, sondern erstellt seine Bedrohungsanalysen aufgrund von „assessed intelligence“, also bereits ausgewerteten Informationen. Seit Anfang 2002 hat SitCen eine „Civil Intelligence Cell“, dem Auslandsgeheimdienste, und seit Anfang 2005 eine „Counter Terrorism Cell“, dem Inlandsdienste aus einem Teil der EU-Staaten angehören. Was das Zentrum und seine 130 Mitarbeiter in Brüssel genau tun, ist nicht bekannt – nur dass sich SitCen „stetig und drastisch vergrößert“ hat.[12]
Ob und wie weit der Berner Club oder das SitCen auch die Partnerdienste auf der anderen Seite des großen Teichs bedient, ist nicht bekannt. Allerdings besitzt die NATO, der 26 EU-Staaten angehören, seit vier Jahren eine ähnliche Einheit zur „Verbesserung des Austausches nachrichtendienstlicher Erkenntnisse und des Analysedispositivs“. Die auf dem NATO-Gipfel im Juni 2004 in Istanbul beschlossene Terrorist Threat Intelligence Unit stützt sich auf „zivile und militärische nachrichtendienstliche Ressourcen“ – und zwar der NATO-Mitglieder wie auch von Partnerstaaten.[13]
Agentenallianz im Dunkeln
Wesentlich weiter geht dagegen die Kooperation in der so genannten Alliance Base mit Sitz in Paris, die 2003 auf Initiative der französischen Dienste DGSE und DST ihre Arbeit aufnahm. Beteiligt sind neben Frankreich Australien, Deutschland, Britannien, Kanada und die USA. Man trifft sich wöchentlich. Von deutscher Seite sind der BND und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) vertreten. Die Süddeutsche Zeitung berichtete 2006, der BND habe sechs und das BfV sieben Personen als Ziele möglicher geheimdienstlicher Aktionen vorgeschlagen. Darüber hinaus seien 300 Beiträge nach Paris gegangen, meist Auswertungen von Video-, Audio- und Internetbotschaften von Terroristen.[14]
Laut Washington Post werden in der Alliance Base nicht nur Informationen ausgetauscht, sondern auch verdeckte Operationen geplant. Bis 2005 soll es 20 solcher Operationen gegeben haben, darunter auch der Fall des Deutschen Christian Ganczarski, für dessen Festnahme in Deutschland die Beweise nicht ausreichten. Das mutmaßliche Al-Qaida-Mitglied wurde stattdessen am 3. Juni 2003 in Paris festgenommen.[15] Gegenstand der Pariser Runde war auch das Neu-Ulmer Multikulturhaus, in dem der von den USA verschleppte Khaled el-Masri verkehrte.[16] Gleichwohl behauptet die deutsche Seite, Informationen über deutsche Staatsbürger würden nicht weitergegeben.
Die Alliance Base soll eines von mehr als zwei Dutzend ähnlicher Counterterrorist Intelligence Center (CTIC) weitweit sein.[17] Ihre Verstrickung in extraordinary renditions und das System geheimer CIA-Gefängnisse läge somit auf der Hand. Hinter der Floskel des „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ tun sich Abgründe auf.