Die „fdGO“ als Waffe – Keine Freiheit den Feinden der Freiheit?

Das Konstrukt der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ bildet seit den Frühzeiten der BRD das ideologische und juristische Rüstzeug für verfassungsschützerische Umtriebe. Dass sich daran nichts Grundlegendes geändert hat, belegen exemplarisch zwei jüngere Oberverwaltungsgerichtsurteile.

Am 13. Febuar 2009 entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) den damaligen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei im Bundestag, Bodo Ramelow nicht weiter „beobachten“ dürfe.[1] Das Amt hatte die Karriere des Politikers schon seit 1999 begleitet. 2003 war er in den Thüringer Landtag und 2005 schließlich in den Bundestag gewählt worden. Das BfV sammelte weiter Informationen über ihn – aus offen zugänglichen Quellen, wie man beteuerte.

Ramelows juristischer Erfolg vor dem OVG hat jedoch einen schalen Nachgeschmack: Er betrifft nur die Person des Politikers, nicht aber seine Partei, deren Ausspähung durch den Verfassungsschutz das Gericht nach wie vor für rechtens hält. Dass es in der Linkspartei „verfassungsfeindliche“ Strömungen gäbe, dass sie möglicherweise insgesamt als „linksextremistisch“ zu klassifizieren sei, zieht das OVG nicht in Zweifel.

Auch die „tatbestandlichen Voraussetzungen für eine offene Beobachtung“ Ramelows hält es „allein schon wegen seiner politischen Betätigung in der Partei DIE LINKE“ für gegeben. Dass das BfV diese Tätigkeit zum „Anknüpfungspunkt“ seiner Maßnahmen gemacht habe, sei durchaus mit dem Parteienprivileg in Art. 21 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) vereinbar. Allerdings lägen „bei vernünftiger Betrachtung keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte“ dafür vor, dass Ramelow selbst durch seine Parteiarbeit „ziel- und zweckgerichtet“ gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung agiere.

Für die „gebotene Informationsgewinnung über die DIE LINKE“ brauche es zudem die Beobachtung Ramelows nicht. „Das BfV kann die für seine Aufgabenwahrnehmung relevanten Informationen über das Ausmaß der von der Partei DIE LINKE (früher: PDS/Linkspartei.PDS) ausgehenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung in erster Linie durch die Beobachtung der Partei als solcher, einzelner in ihr bestehender Gruppierungen sowie anderer führender Parteimitglieder gewinnen. Die darüber hinaus durch offene Beobachtung des Klägers möglichen zusätzlichen Erkenntnisse sind … für die Gefahrenabschätzung durch das BfV von verhältnismäßig geringer Bedeutung.“

Nur ein bisschen Recht

Ähnlich bescheiden fiel auch der Sieg aus, den der Lehrer Michael Csaszkóczy errang. Im Jahre 2004 hatte ihm das Oberschulamt in Karlsruhe die Einstellung als Beamter auf Probe verweigert. Das baden-würt­tembergische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) hatte auf Anfrage „Erkenntnisse“ über den Bewerber mitgeteilt, die „Zweifel an seiner Treue zur Verfassung“ begründeten. Csaszkóczy sei Mitglied in der „links­extremistischen“ Anifaschistischen Initiative Heidelberg, er habe an Demonstrationen und Aktionen der „autonomen Szene“ und des Anti-Kriegsforums teilgenommen, bei denen es zu Ausschreitungen gekommen sei und bei denen die Polizei auch seine Personalien festgestellt habe etc. Der Lehrer habe sich auch nicht von den Zielen der „Linksextremisten“ distanziert. Im März 2006 wies das Verwaltungsgericht Karlsruhe seine Klage ab, mit der Berufung vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH) des Landes hatte er schließlich ein Jahr später Erfolg.[2] Das Oberschulamt wurde verpflichtet, den Antrag „auf Einstellung in den öffentlichen Schuldienst … unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.“ Ab Herbst 2007 durfte Csaszkóczy unterrichten. 2009 wurden ihm 33.000 Euro Schadenersatz zugebilligt.

Soweit umständlich, Bürgernerven zerreibend und am Ende gut. Weniger „gut“ sind dagegen die grundsätzlichen Erwägungen des VGH, der nicht nur die Formeln der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ aus den beiden Parteienverbotsurteilen des Verfassungsgerichts – gegen die SRP (Sozialistische Reichspartei) 1952 und gegen die KPD 1956 – referiert, sondern auch die verfassungsgerichtlichen Urteilsgründe des sog. Radikalenurteils von 1975 wieder auferstehen lässt: Ins Beamtenverhältnis dürfe nur berufen werden, „wer die Gewähr dafür bie­tet, dass er jederzeit aktiv für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt.“ Die besondere Treuepflicht des Beamten beinhalte, „sich mit der Idee der freiheitlichen demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung dieses Staates zu identifizieren“ und sich „eindeutig von Gruppen und Bestrebungen (zu distanzieren), die diesen Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren …“. Für die Prüfung der Verfassungstreue reiche es aus, „dass der Dienstherr sie auf feststellbare und festgestellte äußere Verhaltensweisen eines Bewerbers stützt und wertend auf eine möglicherweise darin zum Ausdruck kommende innere Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung schließt.“

Der VGH störte sich weder daran, dass die Schulbehörden Erkenntnisse beim LfV anfragten noch dass letzteres den reichen Schatz seiner „Beobachtungen“ ausbreitete. Er monierte – zum Glück für den Betroffenen –, dass der Dienstherr die Prüfung nicht sorgfältig genug vorgenommen und einzelne Ereignisse falsch bewertet hatte.

Sowohl Ramelow als auch Csaszkóczy haben nach einem mühsamen Rechtsweg schließlich ein bisschen Recht bekommen. Sie wurden sozusagen als verfassungsintegre Per­sonen anerkannt. In ihren Klagen gegen die verfassungsschützerischen Umtriebe beim Aus­spähen einer Partei resp. von Personen auf dem Weg zum Staatsdienst drangen sie nicht durch. Die Institutionen des „Verfassungsschutzes“ wurden gerichtlich nicht angekratzt. In beiden Urteilen werden uni sono dieselben gestanzten Formeln der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“[3] gerichtsfest statuiert, als seien sie Teil einer Über- oder Naturverfassung der BRD. Diese Formeln haben sich im Verlauf der Geschichte der BRD nur in den Objekten ab und an verändert.

„Streitbare“ oder „abwehrbereite“ Demokratie“

Das Grundgesetz entstand mitten im offen ausgebrochenen Kalten Krieg. Die BRD wurde Teil des westlich antikommunistischen Blocks. Dem stand der sowjetische mit der fast gleichzeitig gebildeten DDR feindlich gegenüber. Diese Feindstellung sowie eine historisch bestenfalls einseitige Lesart der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ begründeten die Formierung des Grundgesetzes als aufhaltsame repräsentative Demokratie. Das Bundesverfassungsgericht wiederholte die geschichtsklitternden „Lehren“ aus den „Weimarer Verhältnissen“ 1956 in seinem KPD-Urteil:[4]

„Der verfassungsgeschichtliche Standort des Grundgesetzes ergibt sich daraus, dass es unmittelbar nach der … Vernichtung eines totalitären Staatsys­tems eine freiheitliche Ordnung erst wieder einzurichten hatte. Die Haltung des Grundgesetzes zu den politischen Parteien – wie über­haupt die von ihm verwirklichte spezifische Ausformung der freiheitlichen Demokratie – ist nur verständlich vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Kampfes mit diesem totalitären System. Der Einbau wirksamer rechtlicher Sicherungen dagegen, dass solche politischen Richtungen jemals wieder Einfluss auf den Staat gewinnen könnten, beherrschte das Denken des Verfassungsgebers. Wenn das Grundgesetz so einerseits noch der traditionellen freiheitlich demokratischen Linie folgt, die den politi­schen Parteien gegenüber grundsätzliche Toleranz fordert, so geht es doch nicht mehr so weit, aus bloßer Unparteilichkeit auf die Aufstellung und den Schutz eines eigenen Wertsystems überhaupt zu verzichten (die angeblichen Fehler von „Weimar“, WDN). Es nimmt aus dem Pluralismus von Zielen und Wertungen, die in den Parteien Gestalt gewonnen haben, gewisse Grundprinzipien der Staatsgestaltung heraus, die, wenn sie einmal auf demokratische Weise gebilligt sind, als absolute (Hervorh., WDN) Werte anerkannt und deswegen entschlossen gegen alle Angriffe verteidigt werden sollen; soweit zum Zwecke dieser Verteidigung Einschränkungen der politischen Bewegungsfreiheit der Gegner erforder­lich sind, werden sie in Kauf genommen. Das Grundgesetz hat also bewusst den Versuch einer Synthese zwischen dem Prinzip der Toleranz gegenüber allen politi­schen Auffassungen und dem Bekenntnis zu gewissen unantastbaren Grundwerten der Staatsordnung unternommen. Art. 21 Abs. 2 GG steht somit nicht mit einem Grundprinzip der Verfassung im Widerspruch; er ist Ausdruck des bewussten verfassungspolitischen Willens zur Lösung eines Grenzproblems der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, … Bekenntnis zu einer – in diesem Sinne – ‚streitbaren‘ Demokratie.“

Selbst in diesem kurzen Auszug eines langatmigen Urteils werden die schon zuvor, auch vor dem ersten Verbotsurteil gegen die SRP 1952 geltenden „Non-Decisions“, die nicht zur Disposition gestellten Prämissen des Grundgesetzes und seiner herrschenden Auslegung bis heute markiert: „Wertordnung“ ohne einigermaßen präzise Kriterien; „abwehrbereit“, nein, angriffsbereit bis zur Ausgrenzung anderer Meinungen, insbesondere Parteien; harmonisch glatt gebügelt, als seien die repressiv-präventiven „Abwehrmittel“ mit einem grundrechtlich demokratischen Toleranzgebot zu vereinen; keine Auseinandersetzung darüber, ob und – wenn überhaupt – wieweit die konstitutiven Prinzipien einer – angeblich – demokratischen Verfassung mit allenfalls regulativ zulässigen Einschränkungen verwirklicht werden können. Als seien Demokratie und ihr gemäße Verfahren einschließlich eines demokratisch aktivrechtlichen Verständnisses der Grundrechte keine „Werte“.

Erstaunlich und skandalös zugleich war, wie das höchste Gericht Hunderte von Seiten mit proseminaristischem Zusammentragen von parteikommunistischen Zitaten à la Stalin verschwendet, mit seinem Urteil unmittelbare strafverfolgende und pönalisierende Folgen zeitigt, aber selbst die geringste bundesdeutsche Wirklichkeitsanalyse und eine Gefahreneinschätzung der KPD ebenso versäumt wie eine urteilskräftige Analyse der negativen Effekte seiner Entscheidung für die Grundrechte vieler Menschen und deren demokratischen Möglichkeiten.

Überall, wo von dieser „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ im GG und erst recht in den späteren Verfassungsgerichtsurteilen die Rede ist, ist sie mit Palisaden gegen Feinde armiert. Mehr, sie ist auf die Ausgrenzung dieser Feinde gerichtet. Diese werden im „Staats“-Innern – in der demokratischen Gesellschaft, die darum wirklich demokratisch nicht werden kann – gewittert und deswegen präventiv bekämpft. Sie erscheinen vor allem in den ersten beiden Jahrzehnten der BRD als „trojanische Esel“ (so einst der SPD-Abgeordnete Karl Mommer), als „5. Kolonne“ des auswärtigen Feindes, der Sowjetunion und der DDR. Die frontstaatlich überall vermutete kommunistische Gefahr diente der politischen Gleichschaltung von allem, was sich „links“ krümmte, der staatstragenden SPD eingeschlossen.[5]

Im Umkreis der innergesellschaftlichen Feindsuche der 70er Jahre, voll der sicherheitspolitischen Testfrage, ob oder ob nicht ein Beamter, eine Anwärterin, eine Angestellte „auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung“ stehe, stellte Erhard Denninger bis heute gültig fest:

„Trotz des Versuchs einer offiziellen Begriffsbestimmung durch das Bundesverfassungsgericht (im SRP-Urteil, WDN) gibt es weder in der Theorie noch in der Gerichts- und Verwaltungspraxis einen Konsens über Grenzen des Schutzbereichs noch auch über die möglichen Verletzungstatbestände noch auch über den verfassungstheoretischen Rahmen, der die Ermittlung rechtsstaatlich einwandfreier Abgrenzungen ermöglichen könnte. Vielmehr scheint die Besonderheit des Stereotyps ‚freiheitliche demokratische Grundordnung‘ gerade in seinem proteushaften (d.h. flexiblen, WDN) Charakter zu liegen, der – und dies nicht zufällig – der politisch motivierten Verwendung der Formel ein hohes Maß an Beliebigkeit öffnet.“[6]

„Zweistufige Legalität“

Schon in den Verbotsurteilen gegen die SRP und die KPD hat das Bundesverfassungsgericht die eigenartig gefassten bunten Steine der fdGO zu einem nicht grundgesetzlich verfassten kanonisch paradoxen Verfassungsmosaik erhoben. Damit stellte die demokratisch und grundrechtliche restriktive Auslegung der Verfassung genau deren lebendige Bürgergeltung dauernd in Frage. Die BRD ist in dieser Hinsicht der autoritär überlagerten Weimarer Republik nicht unähnlich, deren „zweistufige Legalität“ Otto Kirchheimer analysierte: Die Weimarer Verfassung und ihre Wirksamkeit wurde von einer autoritären Staatstradition als der „eigentlichen“ Legitimität andauernd ausgehebelt.[7] Das Weimarer Prob­lem bestand im Mangel an Demokratie und Demokraten, nicht an einem Zuviel.

Im bundesdeutschen Falle wurde die verfassungs- und strafrechtliche Sicherheitslegitimation in Gestalt der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ zum Teil des Verfassungskerns erhoben. Was das bedeutete, zeigte sich an der Berufsverbotspraxis der 70er Jahre, just im Jahrzehnt der ostpolitischen Liberalisierung also: Statt „mehr Demokratie zu wagen“ wurde mehr Staatsschutz in kaiserzeitlicher Tradition mit neuen Mitteln betrieben. Mit Hilfe der „Gewährbieteformel“, der (werdende) Beamte, der öffentlich Bedienstete allgemein „müsse“, prognostizierbar, „jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten“, wurde (verfassungs-)gerichtlich nicht nur die einer demokratischen Verfassung sperrigen „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“ sanktioniert (Art. 33 Abs.5 GG). Es wurde nicht nur der Beamte schon vorweg als Bürger (teil-)enteignet. Es strahlte vielmehr der öffentliche Bereich sicherheitspolitisch maßgebend aus.[8]

Das „Radikalenurteil“ des Bundesverfassungsgerichts von 1975 bestätigte und begründete verfassungstief – in Wirklichkeit staats- und beamtentief – den „Hamburger Erlass“ des Bundeskanzlers und der Ministerpräsidenten vom Januar 1972. Dieser Erlass ließ die jeweiligen Behörden bei den zuständigen Verfassungsschutzämtern nachfragen, ob Personen, die sich um eine Stelle im öffentlichen Dienst bewarben, verfassungstreuefest auf dem „Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ stünden – erhaben über alle möglichen, auch zukunftsgerichteten Zweifeln. Ein verfassungsrichterlicher Aufruf zur staatspietis­tischen Spekulation, strikt „rechtsstaatlich“ ohne Frage! Grundrechte von Bürgerinnen und Bürger verletzend zogen Verfassungsgericht und Verfassungsschutzämter jenseits aller Gewaltenteilung zusammen am gleichen Strick mit den politisch verantwortlichen Exekutiven.

Sicherheitspolitische Entgrenzung

Zu Zeiten des Unterscheidungen entdifferenzierenden neuen Anti-Terro­rismus ist das Zusammenwirken der verschiedenen Gewalten umso deutlicher sichtbar. Die neuen gemeinsamen Zentren, Projekte und Dateien der Terrorismusbekämpfung zeigen das. Zwar dürfen sich die Karlsruher Richterinnen und Richtern heute zuweilen eine justizielle Narrenkappe aufsetzen und vor den Gefährdungen alter und neuer Grundrechte warnen. Die geheimdienstlichen „verfassungsschützerischen“ Tarnkappen werden indes freiheitsschützerisch tiefgefärbt, als seien sie statt eines dauernden demokratischen Ärgernisses verfassungskonform und verfassungsfromm, der parlamentarischen und diese wiederum der öffentlichen Kontrolle nur symbolisch bedürftig.

Die Parole des Jakobiners St. Just – „keine Freiheit den Feinden der Freiheit“ – gab und gibt der fdGO, wie die freiheitliche demokratische Grundordnung schon als Symptom für Verfassungsverrat in den 70er Jahren ironisch abgekürzt worden ist, ihren bellizistischen Legitimationsglanz. Seit der Großinszenierung des Antiterrorismus wurde diese Devise innenministeriell abgewandelt in „Keine Menschenrechte denjenigen, die sich nicht zu ihnen bekennen“, den „Terroristen“, „Islamisten“ usw. Sie spiegelt sich in der erneuerten feindstrafrechtlichen Mode wider. Der Ausnahmezustand wird Teil der Norm (und ihrer gewöhnlichen Geltung). Er wird so zur „Nebenverfassung“, schattengleich dauernd mitten in den Wonnen gewöhnlichen Verfassungslebens präsent.

Gründungsmotive und Gründerjahre der BRD prägten und prägen die Formeln sicherheitspolitischer Herrschaft. Mit ihren unbefragten Prämissen bleiben sie präventiv zur Zukunft gerichtet bestehen, obwohl sich die Probleme und Gefahren der Republik auch in der allgemeinen Wahrnehmung beträchtlich geändert haben. Offenkundig passt(e) ihr dichotomer Schematismus, verbunden mit ihrer mehrfachen Unschärfe, trefflich für die kontinuierlichen Zwecke, jeweils neue Feinde und Gefahren nach Bedarf zu bekämpfen – mit allemal festgebundenem Helm, be­stirnt mit dem bundesdeutschen Leuchtzeichen: „freiheitliche demokratische Grundordnung“. Dass darüber der „Rechtsstaat“ im Sinne bürgerlicher Rechtssicherheit verloren geht, dass normenklare und deutliche Ge­setze von exekutiven, scheunentorweit interpretationsoffenen Ermächtigungsgesetzen verdrängt werden, ist eine anhaltende Nebenwirkung.

[1] Oberverwaltungsgericht Münster: Urteil v. 12.2.2009, Az.: 16 A 845/08
[2] VGH Mannheim: Urteil v. 13.3.2007, Az.: 4 S 1805/06
[3] nur ein Beispiel aus den Tonnen affirmativer Darstellungen: Klump, A.: Freiheit den Feinden der Freiheit? Die Konzeption der streitbaren Demokratie in Deutschland – demokratietheoretische Grundlagen, Praxis, Kritik und Gegenkritik, in: Bundesministerium im Innern (Hg.): Extremismus in Deutschland, Berlin 2004, S. 338–389; dagegen demokratisch-rechtsstaatlich fundamental kritisch: Ridder, H.: Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung, in: Kommentar zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (Reihe Alternativkommentare) Bd.2, Neuwied; Darmstadt 1984, S. 1408-1494
[4] BVerfG: Urteil v. 17.8.1956, Az.: 1BvB 2/51; Verfahren über den Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD, Bd. 5, 1956, S. 85-393, (138 f.)
[5] Zum Kontext und den Folgen eher eng auf die Verfolgung der KPD, ihren Angehörigen oder mit ihr in angeblichem Kontakt stehenden Personen konzentriert vgl. Brünneck, A.v.: Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949–1968, Frankfurt/M. 1978; s.a. Posser, D.: Anwalt im Kalten Krieg. Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen 1951–1968, München 1991
[6] Denninger, E. (Hg.): Freiheitliche demokratische Grundordnung. Materialien zum Staatsverständnis und zur Verfassungswirklichkeit in der Bundesrepublik, Bd. 1, Frankfurt/M. 1976, S. 7
[7] Kirchheimer, O.: Legalität und Legitimität, in: ders.: Politische Herrschaft. Fünf Beiträge zur Lehre vom Staat, Frankfurt/M. 1967, S. 7-29. Ulrich Preuß hat am Exempel der BRD und des Grundgesetzes verwandte Gefahren eines entschwebenden Verfassungsschutzes weit über das Amt selbst hinaus dargelegt. Preuß, U.: Legalität und Pluralismus. Beiträge zum Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/M. 1973
[8] Bundesverfassungsgericht: Urteil v. 22.5.1975, BVerfGE Bd. 39, S. 334-391, siehe u.a. Braunthal, G.: Politische Loyalität und öffentlicher Dienst. Der „Radikalenerlaß“ von 1972 und seine Folgen, Marburg/Lahn 1992; 3. Internationales Russell-Tribunal: Zur Situation der Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2: Das Schlussgutachten der Jury zu den Berufsverboten, Berlin 1978