Mühsam, aufwändig, aber wichtig – Kurzer Lehrgang über Auskünfte vom Verfassungsschutz

Interview mit Angela Furmaniak und Udo Kauß

Seit 2009 weiß die Lörracher Anwältin Angela Furmaniak, dass sie vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Ihr Freiburger Kollege Udo Kauß, Mitbegründer von Bürgerrechte & Polizei/CILIP, führt seit Jahren Auskunftsklagen gegen den Inlandsgeheimdienst. Heiner Busch befragte die beiden über den Ablauf und die Chancen solcher Verfahren.

Heiner Busch: Angela, du hast vor einigen Jahren schon eine erste Auskunftsanfrage beim Verfassungsschutz gestartet. Gab es dafür einen speziellen Anlass?

Angela Furmaniak: Das war 2009. Der Grund dafür war, dass wir anlässlich des NATO-Gipfels in Kehl/Straßburg/Baden-Baden einen Anwaltsnotdienst organisiert haben. Gleich am ersten Tag, als wir unsere Arbeit aufgenommen haben, gab es eine merkwürdige Situation. Als ich mein Auto in der Tiefgarage abstellte, stand ein uniformierter Polizeibeamter ganz seltsam auffällig vor der Tür. Mein Gefühl war, wir werden da beobachtet. Das war das eine. Das zweite: Wir hatten im Rahmen dieses Anwaltsnotdienstes sehr viel mit Ausreiseverboten zu tun. Und die waren zum allergrößten Teil damit begründet, dass es über die betreffenden Personen jeweils irgendwelche Eintragungen in polizeilichen Datenbanken gab. Das war für mich der Anlass, mich etwas intensiver damit zu beschäftigen. Ich habe dann für mich selber – auch ein bisschen zum Spaß – entschieden, dass ich jetzt mal die Auskunftsanfragen in Bezug auf die diversen polizeilichen Datenbanken mache. Und weil ich schon dabei war, dann ging ich auch gleich mal an den Verfassungsschutz ran.

HB: Du hast es nur beim baden-württembergischen Landesamt probiert?

AF: Genau. Die haben zunächst gar nicht reagiert. Nach zwei, drei Monaten habe ich nachgehakt und an meinen Antrag erinnert. Und dann kam tatsächlich die erste Auskunft. Die bestand aus ein paar Einzelpunkten und dann diesem Standardsatz: Im Übrigen werden Auskünfte verweigert unter Hinweis auf § 13 Abs. 2 des Landesverfassungsschutzgesetzes. Ich habe sofort vermutet, dass es da um Quellenschutz ging, und habe dann den Landesdatenschutzbeauftragten eingeschaltet mit der Bitte zu überprüfen, ob diese Verweigerung der Auskunft denn rechtmäßig sei. Die Antwort kam recht schnell: Das sei aus seiner Sicht datenschutzrechtlich nicht zu beanstanden. Ich habe das damals auf sich beruhen lassen, denn die Vorstellung im nächsten Schritt ins Klageverfahren zu gehen – in dem Wissen, dass das im Minimum fünf Jahre dauert –, das hat mich einfach abgeschreckt. 2013 habe ich eine neue Anfrage gestartet, und da kam die Antwort relativ schnell. Zwischenzeitlich waren neue Einträge hinzugekommen, ansonsten wurde auf die Auskunft von 2009 verwiesen. Bei einem der neuen Punkte war ich wirklich nur wegen meiner Tätigkeit als Strafverteidigerin beobachtet worden.

HB: Da ging es um einen Prozess, in dem du verteidigt hast?

AF: Richtig, das war ein Strafverfahren gegen eine Person, die selbst nicht vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Es ging um einen Verein von Wagenburgleuten. In der Auskunft stand explizit drin, dass dieser Verein nicht beobachtet wird. Daraus habe ich entnommen, dass es wohl definitiv um mich geht. Hintergrund war – auch das taucht in der Auskunft auf –, dass im Publikum laut Erkenntnissen des Verfassungsschutzes rund 80 Personen aus dem linksextremistischen Spektrum gesessen sein sollen, die versucht hätten, die Verhandlung zu stören. Da hat sich mein komplettes Rechtsgefühl extrem dagegen gesträubt. Deswegen habe ich mich wieder an den Datenschutzbeauftragten gewandt, mit der Bitte, speziell diesen Punkt zu überprüfen. Der hat das genauso gesehen und verlangt, dass dieser Eintrag gelöscht werden muss. Das Amt hat dann auf meine Nachfrage hin die Löschung bestätigt.

HB: Du bist als „linksextremistisch beeinflusst“ eingestuft, nehme ich an.

AF: Offensichtlich denkt der Verfassungsschutz das. Das ist schon ganz interessant: Sämtliche Punkte, die die da anführen, drehen sich im weitesten Sinn um meine juristische Arbeit. Stichwort Rote Hilfe. Ich habe immer mal wieder Veranstaltungen für die Rote Hilfe mit organisiert, war zum Teil selbst Referentin bei Veranstaltungen. Die ganzen Themen drehen sich um Rechtshilfe. Einen Punkt fand ich schon fast amüsant. Da hatte ich einen Vortrag gehalten über Auskünfte aus polizeilichen Datenbanken. Wie kann man sich gegen Einträge in polizeilichen Datenbanken wehren? So was landet dann in den Akten des Verfassungsschutzes. Eine Betätigung in diesem rechtlichen Selbsthilfebereich wird vom Verfassungsschutz offenbar für besonders gefährlich erachtet. In den Auskünften, die ich erhalten habe, ging es ausschließlich um solche Fragen.

HB: Die Auskünfte sind ja gewissermaßen nur Überschriften.

AF: Das sind dann immer nur so zwei drei Zeilen, in denen geschildert wird: „Sie haben an dem und dem Tag in den und jenen Räumlichkeiten an der und der Veranstaltung teilgenommen.“

Udo Kauß: Es sind zusammengefasste Kurzauskünfte.

AF: Richtig. Über die Inhalte der Veranstaltung steht in der Auskunft nichts. Ich vermute, dass ich das herausbekommen würde, wenn ich tatsächlich auf weitergehende Auskünfte klagen würde.

Abschreckung

HB: Die §§ 13 des Landes- und 15 des Bundesverfassungsschutzgesetzes sind ja fast gleichlautend. In beiden Fällen ist zu begründen, weswegen man überhaupt auf die Idee kommt, von so einer hochwohllöblichen Behörde eine Auskunft zu verlangen. Wie ist das zu bewerten?

AF: Das ist einer der Punkte, die ich extrem ärgerlich finde an den gesetzlichen Voraussetzungen. Die meisten Leute, mit denen ich über solche Auskunftsersuchen gesprochen habe, scheuen deswegen davor zurück. Denn natürlich muss man schon ein Stück weit Informationen offen legen, von denen man nicht weiß, ob der Verfassungsschutz die schon hat. Die Leute befürchten, dass sie sich durch den Auskunftsantrag überhaupt erst in eine Beobachtung hineinbringen könnten.

UK: Die Ämter begründen das damit, dass sie sagen: Wir haben dich vielleicht erfasst, vielleicht auch nicht. Wir haben Tausende soziale Bewegungen, und wir wissen daher nicht, wo wir suchen sollen. Um uns die Suche nach deinen Daten zu erleichtern, brauchen wir eine gewisse Eingrenzung. Wenn du uns mitteilst, in welchem konkreten Zusammenhang du eine Speicherung vermutest, also den näheren Kontext lieferst, können wir dort nachschauen, und nicht etwa in über Rechte oder ScientologInnen geführte Dateien.

AF: Dieses Argument ist im digitalen Zeitalter mit Verschlagwortung und umfassenden Suchfunktionen natürlich Unsinn und einfach nicht akzeptabel. Das mag für die Anfänge gegolten haben, aber nicht mehr für das Jahr 2014.

UK: Natürlich ist das Quatsch. Die Argumente stammen noch aus dem Papierzeitalter. Hier überwiegt das Abschreckungsinteresse. Das funktioniert ja dann auch. Das BKA macht das auf andere Weise. Die verlangen eine beglaubigte Kopie des Ausweises. Früher hat man da einfach einen Brief geschrieben und eine Kopie des Ausweises beigelegt, das war’s. Um angeblich eine größtmögliche Sicherheit zu haben, dass die Daten nicht in die falschen Hände geraten, verlangt das BKA jetzt eine amtlich beglaubigte Kopie des Ausweises. Entweder gehst Du zum Notar und zahlst hierfür Gebühren; oder du gehst zu deiner örtlichen Polizeidienststelle, die das kostenlos macht – und teilst dieser damit zwangsläufig mit, dass du eine Speicherung beim BKA vermutest. Erst dann wird die Auskunftsanfrage bearbeitet. Das BKA akzeptiert ja noch nicht einmal eine auf mich als Anwalt ausgestellte Vollmacht. Ich kann als Anwalt Leute über Forderungen in Millionenhöhe verklagen und lege einfach die Vollmacht des Mandanten bei. Aber beim BKA soll das nicht reichen. Da wird mit bürokratischen Hürden das gesetzliche Auskunftsrecht unterlaufen. Ich habe hierüber vor Monaten eine Beschwerde bei der neuen Bundesdatenschutzbeauftragten Andrea Vosshoff eingereicht, und seither nichts weiter von ihr gehört, als dass geprüft werde und das alles sehr komplex sei.

AF: Die Behörden rechnen damit, dass die Leute das nicht auf die Reihe bekommen, dass ihr Interesse an der Auskunft dann doch nicht so groß ist, dass man noch aufs Rathaus spaziert oder gar zur Polizei. Beim Verfassungsschutz reicht zwar ein einfacher Brief und eine ebenso einfache Ausweiskopie. Stattdessen verlangen die, dass man sein Interesse begründet. In beiden Fällen sollen die Leute davon abgehalten werden, ihr Auskunftsrecht wahrzunehmen.

Von der Kurzauskunft zur Akteneinsicht

HB: Nun sagt der Absatz 3 dieses Paragrafen, dass die Ablehnung der Auskunft keine Begründung erfordere, wenn dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Die Gründe der Ablehnung seien aktenkundig zu machen und dann kann sich der Betroffene an die Datenschutzbeauftragte wenden. Was kann der dann konkret tun?

UK: Wenn man eine Eingabe beim Datenschutzbeauftragten macht, ist der gehalten, dem nachzugehen. Dann lässt er die Eingabe vielleicht einen Moment liegen, bis er genügend Fälle zusammen hat und geht dann zur Behörde, um die Speicherungen bzw. Akten vor Ort einzusehen. Das ist das erste Mal, dass eine Drittperson, die eben nicht zum Amt gehört, auf diese Akte draufschaut. Das führt in aller Regel dazu, dass umfänglicher Auskunft erteilt wird, als es die Behörde ursprünglich getan hat. Und häufig werden, wie im Falle von Angela, auch Daten als unrechtmäßig oder als nicht mehr erforderlich gelöscht.

AF: Tatsächlich hat meine Eingabe beim Datenschutzbeauftragten dazu geführt, dass der besagte Eintrag über das Strafverfahren gelöscht wurde. Der Datenschutzbeauftragte hat mir dann auch noch mitgeteilt, dass weitere ähnliche Ereignisse, die sich unmittelbar auf meine Tätigkeit als Strafverteidigerin beziehen, nicht in der Akte enthalten sind.

UK: Zuweilen kommt es da zu einer Art Arbeitsteilung. Das Amt kann dem Datenschutzbeauftragten erlauben, dass er dem oder der Betroffenen die zusätzlichen Auskünfte gleich selbst mitteilt. Aber darüber hinaus ist er verpflichtet zu schweigen.

HB: Ab welchem Punkt geht es dann zum Gericht?

UK: Der erste Schritt sollte immer die übrigens kostenfreie Einschaltung des Datenschutzbeauftragten sein. Wenn das Amt dann weiterhin die Erteilung von Auskünften ganz oder teilweise verweigert, dann erhält man hierüber einen rechtsmittelfähigen Bescheid. Gegen den kann man Widerspruch einlegen, und gegen den Widerspruchsbescheid, der dann vom Amt kommt, ist die Klage vor dem Verwaltungsgericht (VG) möglich. Beim Bundesamt für Verfassungsschutz entfällt das Widerspruchsverfahren. Das Gericht lässt sich dann die Akten kommen. Und wenn das Amt meint, die Akten könnten nicht oder nur teilweise an das VG herausgeben werden – wegen Quellenschutz oder weil dadurch seine Arbeitsweise aufgedeckt würde –, dann gibt es eine so genannte Sperrerklärung.

HB: Und die kommt vom Innenministerium?

UK: Genau, denn das Amt wäre erst einmal gehalten, einer gerichtlichen Anordnung zur Aktenvorlage zu folgen. Wenn es der nicht folgen will, weil da angeblich irgendwelche geheimhaltungsbedürftigen Dinge drin sind, dann muss es die Akten dem Innenministerium vorlegen. Das Ministerium hat ein größeres Ermessen in der Abwägung zwischen dem öffentlichen und dem privaten Interesse als der einzelne Sachbearbeiter des Amtes. Deshalb kommt auf diesem Wege trotz Sperrerklärung des Innenministeriums oft wiederum mehr an Auskunft raus für den Betroffenen. Unter Umständen sieht das dann so aus wie bei Michael Moos, einem Freiburger Anwalt und Gemeinderat, den ich im Auskunftsverfahren nun vor Verwaltungsgericht vertrete. Da wurden dem VG 700 Seiten vorgelegt, allerdings zu einem großen Teil stark geschwärzt, plus einer 106 Seiten starken Sperrerklärung. Bei einer normalen Auskunftsanfrage besteht kein Anspruch auf Akteneinsicht, sondern eben nur ein Anspruch auf eine von der Behörde nach deren Gutdünken zusammengefassten Mitteilung über die gespeicherten Daten, die problematische Einzelheiten vermeidet. Die ganzen Hintergründe, auch wenn diese nur an der Art und dem Umfang der Schwärzungen vermutbar werden, an die kommt nur das Gericht.

HB: Vor Gericht verwandelt sich also das Auskunfts- in ein begrenztes Einsichtsrecht?

UK: Erst einmal ist das ein Einsichtsrecht des Gerichts. Denn es ist ein ureigenes Recht des Gerichts, als unabhängige Justizbehörde gegenüber der Verwaltung sich des zur Entscheidung unterbreiteten Sachverhalts zu versichern und deshalb Einsicht in die betreffenden Akten zu erhalten. Diese 700 Seiten starke Akte über den Kollegen Moos ist zunächst die Entscheidungsgrundlage für das Gericht, damit es überhaupt eine Basis hat, worüber es befinden kann.

AF: Aber natürlich gebietet es der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, dass man dir als Kläger die Entscheidungsbasis des Gerichts zur Kenntnis gibt. Wenn ich als Anwältin beim Gericht Akteneinsicht beantrage, habe ich das Recht diese Akte so vollständig zu bekommen, wie sie dem Gericht vorliegt.

Sperrerklärungen

HB: Im Falle von Michael Moos ist die Sperrerklärung, wie du sagst, selbst 106 Seiten lang. Wie kommt sowas zustande?

UK: Durch die Masse der Schwärzungen. Für jede geschwärzte Stelle muss das Innenministerium eine Erklärung abgeben. Wenn eine Seite komplett geschwärzt ist, muss es erklären, warum. Wobei letzteres wohl einfacher ist, als wenn auf einer Seite fünf einzelne Stellen geschwärzt sind. Denn dann muss es erklären, dass es hier einen Dritten schützen will und dort verhindern möchte, dass der Name eines Mitarbeiters offenbart wird oder die Tatsache, dass ein Spitzel eingesetzt wurde, oder sonst ein operatives Detail. Das muss einigermaßen stimmen, denn wenn das hinterher ins In-camera-Verfahren geht beim Verwaltungsgerichtshof (VGH) – bzw. beim Bundesverwaltungsgericht, wenn’s ums Bundesamt für Verfassungsschutz geht – …

HB: … dazu kommen wir gleich noch …

UK: … dann merkt der VGH, dass da eventuell getrickst wurde. Die Schwärzung ist überprüfbar. Es ist natürlich das Amt, das vorschlägt, was geschwärzt bzw. zurückgehalten werden soll. Aber der Minister bzw. die Ministerialbürokratie haben die Sperrerklärung zu verantworten; und das sind Leute, die wiederum etwas über dem Amt stehen, quasi von außen kommen. Die schauen da schon wieder mit anderen Augen drauf als das Amt selbst. Und deswegen kommt es auch auf dieser Stufe oft wieder zu einem Mehr an Informationen.

HB: Legt das Amt denn der Ministerialbürokratie die vollständige Akte vor?

UK: Im Falle des Kollegen Moos war dies zunächst nicht der Fall. Da wurde wirklich der Eindruck bestätigt, dass der Verfassungsschutz verschiedene Aktenversionen produziert hat – eine fürs Ministerium, eine fürs Gericht und eine weitere für mich als seinen Anwalt. Aber jetzt haben wir es wohl mit der vollständigen Akte zu tun – allerdings noch zu großen Teilen geschwärzt. Das ist dem Verwaltungsgericht zu verdanken, das die erste, dünne Sperrerklärung samt nur einer nur ausgedünnten Akte als Behinderungsmanöver des Verfassungsschutzes erkannt und nicht akzeptiert hatte.

AF: Das Amt ist eigentlich verpflichtet, dem Ministerium die vollständige Akte vorzulegen, damit es seine Sperrerklärung machen kann.

HB: Kennst du denn weitere Fälle, wo die Ämter bewusst Teile einer Akte unterschlagen haben? Im Fall der Journalistin Andrea Röpke hat das niedersächsische Landesamt ja zunächst auch behauptet, man habe keine Akten über sie.

UK: Es gibt immer wieder Fälle, in denen just die Auskunftsanfrage zum Anlass genommen wird, um zu überprüfen, ob man diese Akten noch braucht. Da stellt dann das Verfassungsschutzamt plötzlich fest – jetzt, genau jetzt sind diese Akte und darin enthaltene Daten nicht mehr erforderlich. Wenn Daten nicht mehr erforderlich sind, müssen sie ja gelöscht werden. Da verhält man sich dann ganz rechtmäßig. Und erteilt dann die Auskunft: keine Daten da, sind gelöscht, wir haben nichts, gar nichts mehr. Aber das ist natürlich Trickserei. Da habe ich anfangs auch schon Strafanzeigen erstattet. Um dies zu vermeiden, setze ich bei den Auskunftsanfragen immer dazu: „Wenn ihre Behörde bei der Bearbeitung der Auskunftsanfrage zum Ergebnis kommen sollte, dass die gespeicherten Daten ganz oder teilweise nicht mehr erforderlich sind, dann bitte ich, die Daten nicht zu löschen, sondern zu sperren.“

AF: Beim Löschen sind die Daten komplett weg, bei einer Sperrung werden sie ausgesondert. Es dürfen dann keine Auskünfte an andere Stellen oder Ämter mehr erteilt werden, die Akte darf nicht mehr verwendet werden, ist aber körperlich noch da.

HB: Aber gab es nicht auch schon Fälle, wo Daten angeblich gelöscht, in Wahrheit jedoch nur versteckt wurden, um dann bei nächster Gelegenheit wieder hervorgezaubert zu werden?

UK: In den 80er Jahren, während der Amtszeit von Frau Leuze als Datenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg, waren Daten angeblich umfänglich gelöscht, aber dann doch so abgelegt worden, dass man sie ohne Probleme wieder finden konnte. Löschen ist ja eine hochproblematische Angelegenheit. Wenn ungeeignete Systeme verwendet werden, dann sind die Daten nicht wirklich vernichtet, sondern wiederherstellbar. Aber ich gehe davon aus, dass Fälle wie damals heute nicht mehr vorkommen. Denn diese Lügen haben alle kurze Beine, und bei Frau Röpke ist das auch durch die Hartnäckigkeit ihres Anwaltes, dem Kollegen Sven Adam, rausgekommen. Deswegen denke und hoffe ich, dass das mit der Unterschlagung von Akten keine große Zukunft haben wird. Bei so großen Ämtern gehe ich davon aus, dass dort nicht bewusst Lügen organisiert werden können. Die können Dummheit organisieren, aber die schaffen es nicht, eine doppelte Buchführung für ihre gesamten Datenbestände zu betreiben. Da wird sicher mal gefummelt, das passiert überall. Aber grundsätzlich bin ich da schon zuversichtlich, dass wir nicht angelogen werden.

AF: Ich gebe dir da recht. Wenn Leute sagen, die haben da noch eine Geheimakte über mich, dann ist mir das immer ein bisschen zu verschwörungstheoretisch. Dass da unheimlich viel Mist läuft, das ist klar. Aber ich würde das eher auf schlechte Organisation zurückführen und weniger auf bewusste Boshaftigkeit.

HB: Wie läuft das nun mit der Sperrung der Daten?

UK: Tja, das baden-württembergische Landesamt hat in seinem System keine technische Funktion installiert, um Daten zu sperren. Nun haben sie mit dem Datenschutzbeauftragten ein spezielles Vorgehen abgesprochen: Wenn ein Antrag auf Sperrung kommt und das Amt der Ansicht ist, dass die Daten gesperrt werden können oder sollen, dann wird ein Papierausdruck erstellt und dann löscht man die Daten im System. Der Papierausdruck wird zu den Akten genommen und in einer sogenannten Verfahrensakte geführt, und zwar so lange, bis über die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der Daten gerichtlich entschieden ist.

Langer Atem gefragt

HB: Nochmal zu der Akte von Michael Moos. Vom ursprünglichen Auskunftsantrag bis zu dem Zeitpunkt, da das Gericht und damit du als Anwalt und dein Mandant diese 700 Seiten bekamen – wie viel Jahre sind da verstrichen?

UK: Fünf. Anlass für das Auskunftsersuchen war damals die Pressekonferenz zur Vorstellung des jährlichen Verfassungsschutzberichts. Da hat ein Journalist gefragt, ob der Verfassungsschutz auch etwas über Freiburger Gemeinderäte hätte. Da sah sich der Verfassungsschutz wegen des presserechtlichen Auskunftsanspruchs gezwungen zu erklären: Ja, wir haben da was und zwar über die „Linke Liste – Solidarische Stadt“ (LiSSt), die im Freiburger Gemeinderat vertreten ist. Nachdem hierüber in der Presse berichtet worden war, hat Michael Moos für die LiSSt einen ersten Auskunftsantrag gestellt. Der wurde recht schnell abgelehnt, weil der Auskunftsanspruch im Datenschutzgesetz, aber auch in den Polizei und den Verfassungsschutzgesetzen, nur für natürliche Personen gilt. Nicht für Vereine oder andere juristische Personen. Deshalb hat der Kollege Moos noch mal für sich selbst Auskunft beantragt. Als der Verfassungsschutz von ihm gefordert hat, er müsse erst einmal sein besonderes Interesse an einer Auskunft nachweisen, kam er zu mir.

HB: Jetzt sind also fünf Jahre vorbei. Die 700 Seiten mit den Schwärzungen sind das Ergebnis auf der Stufe Verwaltungsgericht. Und jetzt käme das In-camera-Verfahren beim baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshof? Dieses Verfahren ist etwas vergleichsweise Neues.

UK: Ja. Das In-camera-Verfahren gibt es erst seit 2001. Auch da bleibt das Verwaltungsgericht aber weiterhin das erkennende Gericht. Das geht so: Im konkreten Fall Moos muss zunächst ich als sein Anwalt an die Arbeit gehen. Wir müssen praktisch für jede geschwärzte Stelle, die wir weiß haben wollen, unter Darlegung von Gründen erklären, warum wir die Schwärzung für rechtlich unbegründet halten. Wenn wir das VG von der Triftigkeit unserer Darlegungen, die ja meist nur Vermutungen sein können, überzeugen können, dann wird das VG den Beschluss fassen, dass der Verfassungsschutz die gesamte und zwar ungeschwärzte Akte dem OVG, beziehungsweise hier in Baden-Württemberg dem VGH, zur Prüfung vorzulegen hat. Der VGH soll nun in voller Kenntnis der Daten prüfen, ob die Schwärzungen zu Recht erfolgt sind. Entweder teilt er die Sicherheitsbedenken des Verfassungsschutzes, meist ohne große Begründung, dann ist hier Ende. Weil man die Akten nicht kennt, kann dagegen auch kaum mehr argumentiert werden. Oder er erklärt die Sperrerklärung ganz oder teilweise für nichtig. Dann teilt der VGH die entsprechenden Daten dem VG mit und so erfahren auch die klagenden BürgerInnen, was drin steht.
Ich habe gerade in einem anderen Fall erlebt, dass das Bundesverwaltungsgericht eine Sperrerklärung für nichtig befunden hat, in der das Bundesamt einen geschwärzten NADIS-Ausdruck vorgelegt hatte, obwohl unter der Schwärzung gar keine Daten vorhanden waren. Das Bundesamt und der sperrerklärende Bundesinnenminister hatten argumentiert, sie würden ausgeforscht, wenn der Kläger erführe, dass das Bundesamt gar nichts über ihn gespeichert hätte. Da konnte auch das Bundesverwaltungsgericht nicht mehr folgen.

HB: Ist das Verfahren nach der Entscheidung des VGH beziehungsweise des Bundesverwaltungsgerichts abgeschlossen?

UK: Das Auskunftsverfahren ist jetzt für erledigt zu erklären, also beendet. Nun kommt der nächste Schritt, der das eigentliche Ziel der Klage ist: nämlich durch das VG die Rechtswidrigkeit der Beobachtung und der Speicherung feststellen und die Daten endgültig löschen zu lassen.

HB: Welches Gericht entscheidet darüber?

UK: Immer noch die erste Instanz, das Verwaltungsgericht. Das Ganze war nur beim VGH gewesen, damit der entscheidet, ob nicht doch mehr Auskunft gegeben werden muss. Aber das erkennende Gericht ist immer noch das VG.

AF: Das heißt, eure Klage hat sich von Anfang an nicht nur auf die Auskunft bezogen, sondern auch auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit?

UK: Erst wenn die Auskunft festgezurrt und klar ist, wir kommen da nicht weiter und nicht an mehr Daten, dann kommt der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit. Das Gericht muss dann auf der Basis der teilweise geschwärzten, vielleicht durch das In-camera-Verfahren etwas weiter offengelegten Unterlagen seine Entscheidung treffen. Da muss das VG dann jeden einzelnen Punkt durchdeklinieren. Im Falle des Kollegen Moos heißt das: Wenn sich aus den schließlich bekannt gegebenen Speicherungen – etwa dass er da und dann mit dem Fahrrad in die Kanzlei gekommen ist, mit der Nachbarin gesprochen hat, dann wieder mit dem Auto weggefahren ist etc. – , also wenn sich aus diesen Unterlagen schon wegen der umfänglichen Schwärzungen keine rechtliche Begründung für die Beobachtung ergibt, dann müsste das VG zum Schluss kommen, dass die Beobachtung rechtswidrig gewesen ist.

HB: Aber wie will das Gericht sagen, ob eine Überwachung legal war oder nicht, wenn es seitenweise nur schwarz sieht?

UK: Das Verwaltungsgericht kann nur auf der Basis dessen entscheiden, was gezeigt wird. Auch im Falle von Rolf Gössner war das so. Gössner ist bei der Liga für Menschenrechte aktiv, Rechtsanwalt und Verfassungsrichter in Bremen. Er ist 38 Jahre lang vom Verfassungsschutz rechtswidrig beobachtet worden. Auch in seinem Fall blieben große Teile der Akte schwarz. Und das Gericht stellte fest, dass die offenkundig gemachten Informationen eine Beobachtung nicht rechtfertigen. Der Verfassungsschutz hätte es in der Hand gehabt, mehr offenzulegen und damit gegebenenfalls die Rechtmäßigkeit der Beobachtung begründen zu können. Aber die Ämter nehmen lieber das Risiko in Kauf, dass das Gericht die Rechtswidrigkeit ihres Handelns feststellt, statt alle gespeicherten Daten offen zu legen. Denn in dem Falle würde die tatsächliche Dimension der Überwachung bekannt. Hier zeigt sich auch eine erhebliche Unsicherheit der Dienste, die sich der Gerichte nicht mehr so sicher sein können.

HB: Verstehe ich das richtig: Bevor sie den Mist rausrücken, akzeptieren sie lieber, dass das Gericht ihnen bestätigt, illegal gehandelt zu haben?

UK: Ja. Denn es ist ja das A und O der Geheimdienste, dass alles geheim bleibt: Sobald da jemand anderes auf die Akten schaut, sind die keine richtigen Geheimdienste mehr. Die wenn auch noch so eingeschränkten gesetzlichen Auskunftsrechte sind für die Geheimdienste der Ariadne-Faden zu mehr demokratisch begründeter Transparenz. Die stinkt denen ungeheuer, denn sie wollen am liebsten gar nichts sagen. Deshalb müssen wir – um im Bild zu bleiben – an diesem Faden weiter ziehen, so unbefriedigend und ernüchternd auch die Ergebnisse derzeit noch sein mögen.

HB: Noch ein letzter Punkt. Der Verfassungsschutz ist ja auch in einem kooperativen Förderalismus organisiert. Müsste man also nicht immer doppelspurig fahren und sowohl beim Bund als auch beim Landesamt Auskunftsanträge stellen?

UK: Ja, man sollte beides machen. Nehmen wir an: Das Landesamt pflegt eine Information über dich ins NADIS, ins Nachrichtendienstliche Informationssystem, ein. Nehmen wir weiter an, das LfV kommt nach einigen Jahren zum Ergebnis, dass diese Information nicht mehr erforderlich ist. Dann müssten diese Daten gelöscht werden. Es ist nun durchaus möglich, dass das Land XY oder das Bundesamt Mitbesitzer deiner Daten ist und dass die deren Speicherung weiter für notwendig halten, vielleicht sogar etwas Zusätzliches erfasst haben. Dann bleiben die Daten dort gespeichert, obwohl sie im Ursprungsland längst gelöscht worden sind. Ich weiß: Das ganze Verfahren ist mühsam und aufwändig, es dauert Jahre, wenn man wirklich den Weg durch die Instanzen geht, und es kostet auch. Aber zuerst muss man die Hürde der Begründung des eigenen Interesses überwinden und den ersten Schritt tun, schlicht mal anzufragen. Der kostet auch nichts, wie auch die Einschaltung des Datenschutzbeauftragten nichts kostet. Wenn’s dann ums weitere Verfahren geht, sollte man sich von einem Anwalt oder einer Anwältin des Vertrauens beraten lassen. Dann kann man immer noch entscheiden, ob man weiterzieht.

AF: Wichtig sind diese Anfragen schon allein deshalb, weil wir die Behörden damit zwingen können, sich bis zu einem gewissen Grad für ihr Handeln zu rechtfertigen. Wenn da nicht zumindest mal der Datenschutzbeauftragte als außenstehende Person drauf schaut, dann werden die Akten über Jahre weiter geführt und mit immer neuen Informationen ergänzt. Da steckt einfach viel Willkür drin.