Europol, Frontex und Eurojust bündeln ihre Kapazitäten, um die Netzwerke von FluchthelferInnen offenzulegen. Die drei EU-Agenturen sollen auch helfen, Schiffe und Boote aufzuspüren, damit diese nicht für Überfahrten genutzt werden können. Dabei kommen Maßnahmen und Methoden zum Einsatz, die eigentlich gegen „ausländische Kämpfer“ aufgestellt worden waren.
Mit einem „EU-Aktionsplan gegen Schlepper“[1] will die EU-Kommission die Fluchthilfe über das Mittelmeer unterbinden. Das Ende Mai von Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans vorgestellte Dokument soll die kurz zuvor beschlossene „Migrationsagenda“[2] ergänzen. Es enthält Maßnahmen, mit denen FluchthelferInnen „das Handwerk gelegt werden“ soll.
Einen festgezurrten Rahmen bildet das Regelwerk noch nicht, es handele sich laut Timmermanns zunächst um „erste Vorschläge“. Die EU-Mitgliedstaaten sollen beispielsweise eine „Liste verdächtiger Schiffe“ erstellen. Gemeint sind ausgemusterte Frachtschiffe, die aber immer noch seetüchtig sind und von Geflüchteten aus Syrien für die Überfahrt nach Griechenland oder Italien genutzt werden. Solche Schiffe mit mehreren hundert Passagieren stachen mehrmals von der türkischen Hafenstadt Mersin in See, inzwischen werden sie jedoch sämtlich von der türkischen Küstenwache aufgehalten. Vermutlich werden dafür Daten aus der EU-Satellitenaufklärung genutzt. Die Regierung in Ankara hatte im Winter gefordert, dass die EU entsprechende Bilder von EU-Satelliten übermittelt. Auch die EU-Grenzagentur Frontex nutzt die Satelliten im EU-Programm „Copernicus“ zur Überwachung der Küsten Libyens und der Türkei. In Forschungsprogrammen hat Frontex jahrelang untersucht, wie dieses Verfahren automatisiert werden kann. Software soll dabei helfen, verdächtige Muster bei langsam fahrenden Flüchtlingsbooten zu erkennen. Wird ein Boot auf diese Weise gefunden, schlägt der Computer Alarm. Letzten Herbst wurde im Rahmen des Grenzüberwachungssystems EUROSUR erstmals ein Schiff im Mittelmeer per Satellit aufgespürt. Seitdem hat Frontex in mindestens vier Fällen beim europäischen Satellitenzentrum Analysen aus der Satellitenaufklärung angefordert.[3]
Zuarbeit für die militärische Mission „EUNAVFOR MED“
Der „EU-Aktionsplan gegen Schlepper“ sieht den Ausbau der Zusammenarbeit von EU-Agenturen vor. Ziel ist das Aufspüren von Schiffen und Booten, damit diese im Rahmen der militärischen EU-Mission „EUNAVFOR MED“ zerstört werden können. Europol und Frontex haben deshalb im März das gemeinsame Operationsteam „JOT MARE“ in Den Haag gestartet.[4] Die „Einsatzgruppe für die Seeaufklärung“ soll „Erkenntnisse über kriminelle Organisationen“ gewinnen, die für die „illegale Verbringung von Migranten auf dem Seeweg in die Europäische Union verantwortlich“ sind. Europol ist dadurch zur EU-weiten „Anlaufstelle für die Bekämpfung von Schleusernetzen“ geworden. An anderer Stelle wird die Einsatzgruppe als „zentrale Informationsschaltstelle der EU“ bezeichnet.
Eigentlich ist Frontex für die Verhinderung unerwünschter Migration zuständig. Um aber auch die Mittel und Methoden von Kriminalpolizeibehörden nutzen zu können, wird die Fluchthilfe pauschal als „banden- und gewerbsmäßige Einschleusung“ bezeichnet. Im „JOT MARE“ sollen die beteiligten Kriminal- und Grenzpolizeien Strukturen und Verbindungen unter den als „Schlepper“ und „Schleuser“ bezeichneten FluchthelferInnen aufspüren. Beteiligt sind außer Behörden der EU-Mittelmeeranrainerstaaten und Großbritanniens auch das deutsche Bundeskriminalamt (BKA). Der EU-Innenkommissar zählt zudem Dänemark, Belgien, Schweden und die Niederlande zu den Teilnehmenden.[5] Die internationale Polizeiorganisation Interpol arbeitet ebenfalls mit und bringt ihre Kontakte zu Verbindungsbüros in afrikanischen Ländern ein.
Ermittlungen gegen Refugee-Konvoi und Fluchthilfe-Website
Strafverfolgungsbehörden in Österreich und Deutschland haben nach einem Bericht des Standard Ermittlungen gegen AktivistInnen wegen wegen Verdachts auf „Schlepperei“ aufgenommen. Laut der in Wien erscheinenden Tageszeitung geht es dabei unter anderem um einen Autokonvoi, der Geflüchtete am 6. September auf der sogenannten Balkanroute nach Wien brachte. Unter dem Motto „Schienenersatzverkehr für Flüchtlinge“ trafen sich FluchthelferInnen in mehr als hundert Bussen und Fahrzeugen an einem Sonntag am Praterstadion, um Geflüchtete aus Budapest zu chauffieren. Die Aktion war unter anderem auf Facebook angekündigt worden. In einem Aufruf hieß es, HelferInnen sollten auch Kindersitze, Medikamente und warme Kleidung mitbringen. Der Konvoi fand später viele NachahmerInnen, die teils auf eigene Faust, aber auch organisiert Geflüchtete in Serbien und Kroatien abholten. Die Aktionen führten schließlich dazu, dass die Regierung in Wien die Einreise von Ungarn nach Österreich und weiter nach Deutschland erleichterte. Gleichzeitig wurden aber auch die Personenkontrollen an der Grenze zu Ungarn wieder eingeführt. Kurz darauf gab auch die deutsche Bundesregierung die Wiedereinführung von Grenzkontrollen bekannt. www.fluchthelfer.in im Fokus Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Wien gegen drei Teilnehmende des Konvois. Ein ähnliches Verfahren wird laut dem Standard bei der Staatsanwaltschaft Linz geführt. Im Fokus steht der Internetauftritt www.fluchthelfer.in, die für private Fluchthilfe wirbt und rechtliche Einschätzungen gibt. Derzeit läuft das Verfahren gegen Unbekannt. Auf der Webseite ist kein Impressum angegeben, sie wird laut einer Whois-Anfrage in den USA gehostet. Ein Pressekontakt verweist jedoch zum Künstlerkollektiv Peng! in Berlin. In der Meldung des Standard heißt es, das Verfahren werde womöglich an deutsche Behörden abgegeben, die ebenfalls gegen die Internetseite ermittelten – allerdings nicht wegen Schlepperei, sondern wegen Aufforderung zu Straftaten. Internetauftritte zur Fluchthilfe stehen seit rund einem Jahr im Fokus internationaler Behörden. Frontex warnt, dass außer Sozialen Medien sogar Apps kursieren würden, um Informationen über Schiffe oder Boote und deren Abfahrtsorten abzurufen. Laut Frontex könnten darüber auch „Bedingungen in verschiedenen Zielländern abgerufen“ werden. Entsprechende Internetauftritte sind allerdings weniger von kommerziellen FluchthelferInnen, wohl aber von politischen Gruppen wie „Welcome to Europe“ bekannt. |
Frontex darf selbst keine Personendaten speichern. Alle bei „JOT MARE“ anfallenden Informationen werden deshalb bei Europol in der Analysedatei „Checkpoint“ gesammelt. Dort eingestellte Daten gleicht Europol nach Beziehungen von Personen oder Sachen ab. Dabei werden auch Telefondaten, Mailadressen, Reisedaten oder Angaben zu Fahrzeugen und Schiffen verarbeitet. Auch US-Einwanderungsbehörden haben Zugriff auf „Checkpoint“.
Bisher werden im „JOT MARE“ vor allem Finanzermittlungen genutzt. Die Kriminalpolizeien der EU-Staaten unterhalten zentrale Meldestellen zur Geldwäschebekämpfung, die weltweit vernetzt sind. Sie sollen helfen, unrechtmäßig erlangtes Vermögen sicherzustellen und einzuziehen. Auch beim BKA existiert eine solche Einheit. Bislang standen dort vor allem Ermittlungen wegen organisierter Kriminalität und Terrorismus im Vordergrund. Nun sollen die Meldestellen „kriminelle Netze, die Migranten schleusen“, aufspüren und „entscheidend schwächen“. Die Kommission fordert, auch Finanzeinrichtungen – Banken, Geldtransferdienstleister und Kreditkartenunternehmen – zum Aufspüren von „mit Schleusern verbundenen Vermögenswerten“ zu verpflichten. Im „EU-Aktionsplan gegen Schlepper“ ist überdies die Rede von „proaktiven Finanzermittlungen“. Gemeint ist damit gewöhnlich, nicht erst zu ermitteln, wenn Straftaten bekannt werden. Vielmehr sollen die Behörden ihre vorhandenen Daten auch vorausschauend nutzen.
Grenzüberschreitender Austausch von Beweismitteln
Mitunter beschlagnahmen die Polizeibehörden in Italien und Griechenland Mobiltelefone von überlebenden Geflüchteten, um festzustellen, wer vor oder nach der Überfahrt über das Mittelmeer angerufen wurde. Daraus erhoffen sich die ErmittlerInnen Rückschlüsse auf mögliche FluchthelferInnen. Die forensische Auswertung der Telefone kann in Laboren von Europol erfolgen. Unter Umständen müssen aber elektronische Beweismittel aus anderen Ländern beschafft werden, etwa aus der Vorratsdatenspeicherung oder der Überwachung von Telefonanschlüssen. Eurojust soll nun prüfen, inwieweit die Besorgung der Beweismittel für Ermittlungs- und Gerichtsverfahren gegen „Schleuser“ vereinfacht werden könnte. Um die Zusammenarbeit zwischen nationalen Staatsanwaltschaften auszubauen, richtet Eurojust eine Fachgruppe „Migrantenschleusung“ ein. Parallel sollen in allen Mitgliedstaaten solche „zentralen Anlaufstellen für Migrantenschleusung“ aufgebaut werden. Sie tauschen Informationen mit den drei EU-Agenturen Europol, Frontex und Eurojust und koordinieren gemeinsame Einsätze. Bei der Kommission wird die Arbeit durch eine ebenfalls neu eingerichtete „Kontaktgruppe“ koordiniert.
Europol besorgt die Entfernung von Internetinhalten
Im Juli hatten die EU-Mitgliedstaaten bei Europol eine „Meldestelle für Internetinhalte“ (EU-IRU) eingerichtet, die sich auch mit Inhalten befasst, mit denen FluchthelferInnen ihre Kunden „anlocken“ könnten. Europol soll deren Entfernung bei Facebook, Google oder Youtube beantragen. Die Polizeiagentur verlangt von den Providern weitere Informationen über die betreffenden Accounts, um diese in grenzüberschreitenden Ermittlungen zu nutzen. Hierfür hat Europol mittlerweile ein „Europäisches Zentrum zur Bekämpfung der Migrantenschleusung“ eingerichtet. Ein ähnliches Zentrum entsteht bei Interpol in Lyon. Zuletzt hat Europol am 24./25. Oktober einen Schlag gegen kommerzielle FluchthelferInnen in Polen und Spanien koordiniert. Tags darauf führten 570 deutsche PolizistInnen in drei Bundesländern Razzien gegen mutmaßliche „Schleuser“ durch. 30.000 Personen in Polizeidatenbank gespeichert Laut Bundesinnenministerium seien von Januar bis September diesen Jahres 2.653 „tatverdächtige Schleuser“ festgestellt worden, die meisten an den Grenzen zu Österreich, Polen und der Tschechischen Republik. Angeführt wird die Liste von Staatsangehörigen aus Ungarn, Rumänien, Syrien, Bulgarien und Deutschland. Gegen alle wurde ein Ermittlungsverfahren „im Zusammenhang mit Schleusung bzw. Beihilfe zur unerlaubten Einreise“ eingeleitet. Allein in Bayern saßen im September 800 Verdächtige in Haft. Informationen zu den Strafverfahren erhält auch das Bundeskriminalamt, das diese „analysiert und bewertet“ und an Europol weiterleitet. Europol speichert Verdächtige in einer Datensammlung namens „Checkpoint“, bereits 30.000 Personen sind dort wegen angeblicher „Schleusungskriminalität“ aktenkundig. Laut deutscher Rechtssprechung gelten Personen als „Schleuser“, wenn sie für die Dienstleistung einen Vorteil erhalten oder mehrmals Fluchthilfe leisten. Im Falle einer Verurteilung drohen bis zu fünf Jahre Gefängnis. In der Mitteilung des Bundesinnenministeriums heißt es, die Bundesregierung verfolge das Ziel, die aktuelle Flüchtlingsbewegung „nach Möglichkeit zu steuern und organisatorisch zu bewältigen“. Jegliche „Schleusungsaktivitäten“ würden diesem Ziel entgegenwirken. Daher sei eine „verstärkte Abschreckung erforderlich“. Aus diesem Grund habe die Koalition die Anhebung des Strafrahmens für „Schleusungsdelikte“ auf eine Mindeststrafe von drei Monaten vorgeschlagen. Quellen: derstandard.at v. 5.11.2015; www.facebook.com/refugeeconvoy; AP-Meldung v. 4.11.2015; Europol-Pressemitteilung v. 3.11.2015; BT-Drs. 18/6445 v. 21.10.2015 |
Laut dem Aktionsplan könnten bei Europol auch mehr „speziell geschulte Überwachungs- und Vernehmungsgruppen“ eingesetzt werden. Sie sollen Geflüchtete nach ihrer Ankunft verhören und dabei Angaben über den Fluchtweg, FluchthelferInnen und bezahlte Gelder erfragen. Nach den Bootsunglücken vom Frühjahr hat das Bundesinnenministerium Frontex die Entsendung zehn weiterer VerhörspezialistInnen angeboten. Den Geflüchteten dürfte kaum klar sein, dass sie solche „Befragungen“ ablehnen können. Auch müssten in vielen Fällen AnwältInnen hinzugezogen werden, denn mitunter haben sich die MigrantInnen bei der Einreise ohne gültige Papiere selbst strafbar gemacht.
Schließlich fordert die EU-Kommission auch mehr Kooperation mit Anbietern von Internetdiensten und sozialen Medien. Auf diese Weise will man „Internetinhalte, die von Schleppern für Werbezwecke genutzt werden“, aufdecken. Schon in der Abschlusserklärung ihres Sondergipfels zur Flüchtlingssituation auf dem Mittelmeer am 23. April 2015 hatten sich die Regierungschefs „verpflichtet“, „mit Hilfe von EUROPOL … Internetinhalte, mit denen Schlepper Migranten und Flüchtlinge anlocken, auszumachen und deren Entfernung aus dem Netz zu beantragen“.[6]
Laut Aktionsplan soll Europol bei den großen Internetdienstleistern „um die Beseitigung solcher Inhalte ersuchen“. Die Polizeiagentur könnte hierfür Strukturen nutzen, die derzeit gegen „ausländische Kämpfer“ aufgebaut werden. Europol nahm Anfang Juli eine Meldestelle für unliebsame Internetinhalte in Betrieb. Ebenfalls zur Bekämpfung des „islamistischen Terrorismus“ gründen Europol und die Kommission ein „Forum der Internetdienstleister“, in dessen Rahmen Internetanbieter auch ohne Gerichtsbeschluss zur Löschung von Inhalten angehalten werden könnten.
„Lügen der Schleuser“ mit „Gegenerzählungen“ gekontert
Vermutlich geht es vor allem um soziale Medien. Laut der Kommission griffen FluchthelferInnen „in großem Umfang auf die sozialen Medien zurück, um Informationen über die von ihnen angebotenen Dienste zu verbreiten“. Dies sei den Aussagen von Geflüchteten zu entnehmen. Tatsächlich stehen die Fluchtwilligen vor dem Problem, Kontakt zu den Verantwortlichen für die Überfahrten finden zu müssen. Hier hilft das Internet. Medienberichten zufolge[7] existieren beispielsweise in der Türkei Facebookgruppen, über die Fluchten organisiert werden. Frontex hat das Phänomen erkannt und warnt die Mitgliedstaaten seit einiger Zeit, dass sogar Apps kursieren würden, um Informationen über Schiffe und Abfahrtsorte abzurufen. Überfahrten könnten regelrecht „gebucht“ werden.[8] Belege für die Existenz solcher Apps blieb die Agentur jedoch schuldig.
Viele Teile des „Aktionsplans gegen Schlepper“ kopieren Maßnahmen, die eigentlich gegen „ausländische Kämpfer“ entwickelt worden waren. Unter anderem hatten die Kommission und die Mitgliedstaaten verabredet, das Internet gegen Gruppen wie ISIS und Boko Haram mit „Gegenerzählungen“ („counter-narratives“) zu füllen. Auch zur Verhinderung unerwünschter Migration sollen nun solche „Gegenerzählungen“ in Umlauf gebracht werden; in der deutschen Übersetzung des Aktionsplans findet sich hierzu allerdings die weichere Formulierung von „Argumentationslinien“, mit denen potenzielle MigrantInnen über die „mit der Schleusung und der irregulären Migration verbundenen Risiken“ aufgeklärt werden könnten. Bereits in der EU lebende MigrantInnen sollen dabei helfen, in „Medien und insbesondere in den sozialen Medien“ die „Lügen der Schleuser“ aufzudecken. Ehrlicher wäre davon zu erzählen, dass sich die EU und ihre Mitgliedstaaten hinter dem „Aktionsplan gegen Schlepper“ verstecken, um ihre Abschottungspolitik gegenüber Schutzsuchenden zu legitimieren.