An der Heimatfront – Militärische Einsätze im Innern

von Frank Brendle

Die Rufe nach Inlandseinsätzen der Bundeswehr, die vor zehn Jahren noch von SicherheitspolitikerInnen vor allem von Union und SPD formuliert wurden, sind merklich abgeebbt. Das Thema bleibt aber virulent: 2017 gab es die erste gemeinsame Übung von Polizei und Militär seit dem Zweiten Weltkrieg.

Anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 hatte der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) gemahnt, ohne die Bundeswehr könne die Sicherheit in Stadien und auf Fanmeilen nicht gewährleistet werden. Es ging dann doch ohne hoheitlichen Einsatz, aber seither hat die Bundeswehr Strukturen aufgebaut, die Grundlage auch für hoheitliche Ein­sätze im Inneren sind. Begründet werden sie mit dem Mantra der „Vernetzten Sicherheit“, demzufolge zwischen inneren und äußeren Bedrohungen und ergo zwischen militärischen und polizeilichen Aufgaben nicht mehr trennscharf unterschieden werden könne.

Was einem da verkauft werden soll, ist aber nichts Neues, sondern im Gegenteil ein ganz alter Hut: Schon die preußische Verordnung zur „Verhütung der Tumulte und Bestrafung der Urheber und Theilnehmer“ von 1798 sah vor, dass die Militärbehörden „der Polizei zur Unterdrückung entstehender Tumulte schleunigen und kräftigen Beistand leisten … und wenn gelindere Mittel nicht wirksam sein sollten, Gewalt brauchen“.

Im Deutschen Bund, im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik gab es verfassungsrechtliche Regelungen, die den Einsatz von Militär im Inneren vorsahen, und zwar nicht nur anlässlich eines „Staatsnotstands“ (wie etwa der 1848/49er Revolutionen), sondern auch in rein polizeilichen Lagen. Vor allem in Preußen wurde mehrmals zur Niederschlagung von Streiks davon Gebrauch gemacht. Voraussetzung war jeweils die Anforderung durch eine sich überfordert wähnende Zivilbehörde.[1] Die preußische Verfassung von 1850 sah u.a. den „kleinen“ Belagerungszustand vor, der die zeitliche und örtliche Aussetzung von Verfassungsrechten erlaubte und frappierende Ähnlichkeiten mit polizeilichen Allgemeinverfügungen der Gegenwart hatte, die eine mehrere Quadratkilometer weite demokratiefreie Zone ausweisen können.

Parallel zum sich entwickelnden Aufbau von Polizeikräften gerieten militärische Inlandseinsätze allerdings in die öffentliche Kritik. Soldaten, so wurde – ähnlich wie auch heute – argumentiert, seien für Polizeiaufgaben nicht ausreichend qualifiziert. Auch höhere Beamte zweifelten, ob ausgerechnet junge Wehrpflichtige immer die nötige „Festigkeit“ für ihre Arbeit hätten – zu der unter anderem auch die Beaufsichtigung von „unsittlichen Weibspersonen“ gehörte.[2] Generell wurde ein übermäßig hartes Vorgehen beklagt. Nach der Zabern-Affäre Ende November 1913 (als ein Garnisonschef die elsässische Ortschaft regelrecht besetzte) bekräftigte Kaiser Wilhelm II deshalb in einer „Allerhöchsten Dienstvorschrift über den Waffengebrauch des Militairs und seine Mitwirkung zur Unterdrückung innerer Unruhen“ vom 19. März 1914,[3] das Militär dürfe nur auf Anforderung von Zivilbehörden und nur dann eingreifen, wenn die Polizeikräfte nicht ausreichten.

Militäreinsätze während der Weimarer Republik bezogen sich eher auf Fälle des „Notstandes“, vor allem zur Bekämpfung revolutionärer Bestrebungen oder zur Absetzung revolutionärer Landesregierungen als auf polizeiliche Lagen – kein Wunder, umfasste die Reichswehr gerade einmal 100.000 Mann und damit weniger als die Polizei.

Was das Dritte Reich angeht, war in Bezug auf Inlandseinsätze weniger die Wehrmacht von Bedeutung als die militarisierten „Parteiarmeen“ in Gestalt von SA und SS. In der DDR unterstützte die NVA im Herbst 1989 polizeiliche Absperrungen gegen DemonstrantInnen und führte, zumindest in Dresden, auch Festnahmen durch. Zweifellos die einschneidendste auf innenpolitische Zwecke gerichtete Maßnahme war der Schusswaffengebrauch durch die Grenztruppen.

In der BRD war die Rechtslage bis 1968 übersichtlich: Inlandseinsätze waren verboten, Punkt. So groß war das Misstrauen in der Politik, dass die Bundeswehr nicht einmal bei Naturkatastrophen zum (hoheitlichen) Einsatz schreiten durfte. Dass anlässlich der Hamburger Sturmflut 1962 genau dies passiert war, war, wie Helmut Schmidt später einräumte,[4] verfassungswidrig. Das änderte sich im Rahmen der Notstandsgesetze 1968, zu deren schärfsten KritikerInnen der damalige Chef der Gewerkschaft der Polizei, Werner Kuhlmann, gehörte: Er warnte, je mehr Inlandseinsätze es gebe, desto größer werde die Missbrauchsmöglichkeit. Seit 1968 ist der Militäreinsatz in Friedenszeiten insoweit zulässig, als er auf Anforderung der zivilen Behörden erfolgt, und nur soweit er zur Bewältigung der Katastrophe oder eines Unglücksfalls tatsächlich notwendig ist.

Nach dem 11. September 2001 unternommene Versuche, diese Beschränkung durch neue Gesetze oder Verfassungsänderungen zu erweitern, sind bis heute gescheitert. Das von Rot-Grün 2005 verabschiedete Luftsicherheitsgesetz, das den Abschuss von im 9/11-Stil terrorverdächtigen Flugzeugen erlauben sollte, wurde schon ein Jahr später vom Bundesverfassungsgericht kassiert. Das Grundgesetz erlaube keinen Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen, sondern allenfalls mit solchen, die auch das jeweilige Länderpolizeirecht vorsehe. Kampfflugzeuge gehören bislang nicht dazu.[5] Die damals zuständigen MinisterInnen Wolfgang Schäuble (Inneres) und Brigitte Zypries (Justiz) legten daraufhin im Jahr 2008 einen Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes vor, der allerdings innerhalb kurzer Zeit sowohl von zahlreichen Länderregierungen (die ihre Kompetenzen beschnitten sahen) als auch der SPD-Bundestagsfraktion zerrissen wurde.

„Flächendeckendes Netzwerk“

An der Gesetzesfront war seither Ruhe, und die Ausweitung der Inlandseinsätze schien vom Tisch. Dafür wurde ab dem Jahr 2007 zunächst unterhalb der „Einsatzschwelle“ eine neue dauerhafte Struktur für Verwendungen der Bundeswehr im Inneren aufgebaut: die sog. Zivil-Militärische Zusammenarbeit (ZMZ). Das Oberkommando hat, wie generell für alle Inlandseinsätze, der Inspekteur der Streitkräftebasis als Nationaler Territorialer Befehlshaber. Ihm unterstellt sind 15 Landeskommandos sowie in Berlin die Abteilung Standortaufgaben. „Auf den einsatzentscheidenden unteren und mittleren Ebenen“, so hieß in der Ankündigung des Weißbuches im Jahr 2006, wurden flächendeckend Bezirks- bzw. Kreisverbindungskommandos (BVK bzw. KVK) etabliert.[6] Nach Angaben des Kommandos Streitkräftebasis existiert derzeit (April 2018) „ein flächendeckendes Netzwerk“ von mehr als 30 BVK und 400 KVK. Diese Kommandos bestehen im Normalfall aus Reservisten, von denen einer (der Beauftragte der Bundeswehr für Zivil-Militärische Zusammenarbeit, BeaBwZMZ) als dauerhafter Ansprechpartner für die Verwaltungen der Regierungspräsiden bzw. Landratsämter und kreisfreien Städte fungiert. Weitere elf Reservisten können im Bedarfsfall zur Unterstützung des Kommandos mobilisiert werden.

Zu den Aufgaben der KVK und BVK gehört insbesondere die Beratung der Zivilverwaltung über vorhandene Ressourcen der Bundeswehr: Die Katastrophenschützer in von einer Naturkatastrophe oder einem großen Unglücksfall betroffenen Kommunen sollen so schnell wie möglich erfahren, welche Hilfsgüter es am nächstgelegenen Bundeswehr-Standort gibt, bzw. können allfällige bundesweite Hilfsanfragen den Kollegen der ZMZ-Kommandos überlassen. Der BeaBwZMZ wiederum wird eng in die Katastrophenschutz-Planungen der zivilen Behörden einbezogen, verfügt über eine Büroinfrastruktur und wird zu Besprechungen und Übungen mit Zivilverwaltung, Polizei, Rettungskräften und Betreibern „kritischer Infrastrukturen“ hinzugezogen. „In der Krise Köpfe kennen“, lautet der Grundsatz. Die zwölf Reservisten fungieren als eine Art Voraus- oder Verbindungskommando, das im Bedarfsfall nachrückende militärische Kräfte einweisen kann. Mit dieser Struktur wurde eine fest institutionalisierte, dauerhafte Zusammenarbeit von Militär und Zivilverwaltung etabliert, mithin also das Einsickern militärischer Expertise in einen originär zivilen Aufgabenbereich. Das ist nicht unproblematisch: Mit Blick auf mögliche Repressivmaßnahmen der Bundeswehr sind fundierte, aktuelle Kenntnisse der Bundeswehr über örtliche Katastrophenpläne und den Bereitschaftstand ziviler Rettungskräfte, wie auch polizeiliche Lageeinschätzungen zum Beispiel bei Großdemonstrationen, unverzichtbar.

Die Militarisierung des Katastrophenschutzes wird von den Ländern fatalerweise mitbetrieben, weil diese auf Kostenersparnis setzen. Geht es nach ihnen, soll „das vorhandene gesamte Potenzial der Bundeswehr im Bedarfsfall auch für den Schutz der eigenen Bevölkerung im Inland eingesetzt werden … und zwar im Wege der Amtshilfe … und bei Gefahrenlagen, die durch international operierende Terrororganisationen geschaffen werden, auch im originären Auftrag als Angelegenheit der Verteidigung“, hieß es in einem Bericht des AK V der Innenministerkonferenz vom April 2005.[7] Die Unterstützung der Zivilbehörden solle nicht mehr subsidiär erfolgen, sondern „zu einer originären Aufgabe der Bundeswehr werden.“ Die nimmt zwar gerne den Imagegewinn mit, ließ aber wissen, dass ihr Beitrag zum Katastrophenschutz davon abhänge, was gerade im Auslandseinsatz benötigt werde.

In den Verteidigungspolitischen Richtlinien des Jahres 2003 war die Einführung der ZMZ mit den Worten angekündigt worden, der „Schutz Deutschlands“ verlange „die Synergie aller staatlichen Instrumente der Sicherheitsvorsorge“. Und im April 2018 verkündet das „Zentrum Zivil-Militärische Zusammenarbeit der Bundeswehr“, im Mittelpunkt der ZMZ stehe der Gedanke, „die Interaktion zwischen militärischen und zivilen Akteuren zu fördern, um so das Erreichen gemeinsamer, ziviler und militärischer Ziele, zu gewährleisten.“[8]

Wenn Repressivstrukturen synergetisch wirken, geht die Bevölkerung besser in Deckung. Angaben zum repressiven Potential dieser Strukturen lassen sich der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion entnehmen.[9] Darin führte die Bundesregierung zur Frage, ob die ZMZ-Strukturen auch anlässlich von Großereignissen oder Demonstrationen tätig werden könnten, aus, dies obliege „den für die örtliche polizeiliche und nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr zuständigen Landebehörden.“ Ob die Reservisten bzw. ihre aktiven Kameraden bei Streiks im Transport-, Energie- oder Sanitätssektor sowie bei der Müllabfuhr herangezogen werden, sei ebenfalls dem „jeweiligen konkreten Einzelfall vorbehalten.“ Die Frage, ob die Bundesregierung Maßnahmen plane, um auszuschließen, „dass die ZMZ-Strukturen zur Unterstützung polizeilicher Repressivmaßname gegen Streikende und/oder Demonstrantinnen und Demonstranten herangezogen werden“, beantwortete die Bundesregierung mit einem knappen „Nein“.

Alles, so wird versichert, geschehe „im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben“. Fürs erste darf man das so verstehen: Wenn die herrschende Verfassungsinterpretation ein polizeiliches Vorgehen gegen Zivilisten zulässt, dann kann nach herrschender Lesart auch die Bundeswehr herangezogen werden, um diesen Polizeieinsatz zu unterstützen.

Das ist keine Zukunftsmusik: Die ZMZ-Strukturen waren 2007 anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm in die Planungen der zivilen Be­hörden eingebunden und haben als de-facto-Repressionsberater über die beim Militär vorhandenen Kapazitäten informiert. Wie bekannt, war die Bundeswehr damals mit Überwachungstornados und Spähpanzern angerückt, um die Anreisewege zum Gipfel und alles Verdächtige rund um das Protestgeschehen zu erfassen und, was ihr verdächtig vorkam, an die Polizei weiterzugeben, die daraufhin ihre Einsatzplanung anpassen konnte.

„Heimatschutz“

Unterstützung erhält der sog. Heimatschutz durch die in den Jahren 2012 und 2013 aufgestellten „Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte“ (RSU-Kräfte). Sie sind, wie die ZMZ-Einheiten, Teil der Territorialen Reserve der Bundeswehr, ihr Verständnis von „Heimatschutz“ ist allerdings in erster Linie militärisch: Die Konzeption der Reserve definiert Heimatschutz als „Verteidigungsaufgaben auf deutschem Hoheitsgebiet sowie Amtshilfe in Fällen von Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen, zum Schutz kritischer Infrastruktur und bei innerem Notstand“.

Die Reservisten-Zeitschrift „loyal“ führt dazu aus: „Statt sich wie bisher in Feuerbekämpfung, ABC-Schutz oder Flugabwehr zu üben, steht für die RSU-Kräfte wieder der klassisch-militärische Auftrag im Mittelpunkt … Erst in zweiter Linie spielen die unterstützenden Hilfeleistungen im Rahmen der Katastrophenhilfe eine Rolle.“[10]

Die RSU-Kräfte bestehen aus Reservisten, die einen Auffrischungskurs im Umgang mit Pistole, MP und evtl. einem Maschinengewehr erhalten und ein paar Wochen Reservedienst schieben, um im Ernstfall militärische Objekte und „Kritische Infrastrukturen“ zu bewachen. Stationiert sind sie an 30 Standorten mit je rund 100 Dienstposten, die bei Bedarf aufgestockt werden können. Ihre konkreten Tätigkeiten erstrecken sich bisher, soweit sie überhaupt Zivilisten tangieren, auf unterstützende, nicht-hoheitliche Maßnahmen bei Naturkatastrophen.

Verfassungsänderung per Gerichtsurteil

Der zivilmilitärische Mischauftrag der RSU-Kräfte, das Repressivpotenzial der ZMZ wie auch der Heiligendamm-Einsatz der Bundeswehr werfen die Frage auf: Wie weit darf die Bundeswehr auf dem Wege der „Amtshilfe“ eigentlich gehen? Das Kommando Streitkräftebasis vermerkt leider zu Recht: „Die verstärkten Flüchtlingsströme als Resultat veränderter Sicherheitslagen in anderen Ländern haben den Begriff der Amtshilfe verändert und nicht zuletzt hat auch die veränderte Sicherheitslage innerhalb der Europäischen Grenzen zu einem neuen Verständnis bezüglich unserer unterstützenden Rolle in Lagen mit katastrophischem Ausmaß geführt.“[11]

Damit wird indirekt Bezug genommen auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das 2012 in einer Entscheidung des Gesamtplenums seine Rechtsprechung über Bord warf. Anders als noch 2006 im Urteil zum Luftsicherheitsgesetz entschieden, ist der Bundeswehr seither sehr wohl erlaubt, militärische Waffen auch in nichtmilitärischen Lagen einzusetzen. Das Grundgesetz, hieß es extrem-pragmatisch, „zwingt nicht zu einer angesichts heutiger Bedrohungslagen nicht mehr zweckgerechten Auslegung“.[12]

Das Gericht betonte zwar, die neue Verfassungsauslegung gelte nur für „besonders schwere Unglücksfälle“ von „katastrophischer Dimension“, wobei menschenverursachte Katastrophen, also auch Terrorismus, ausdrücklich eingeschlossen seien. Messbare Kriterien gab das Gericht nicht mit, außer dass es eben um „ungewöhnliche Ausnahmesituationen“ gehe. Einschränkend hielt es fest, es stelle „nicht jede Gefahrensituation, die ein Land mittels seiner Polizei nicht zu beherrschen imstande ist, allein schon aus diesem Grund einen besonders schweren Unglücksfall“ dar, der den Streitkräfteeinsatz erlaubte.

Auch betonten die RichterInnen, dass „Gefahren für Menschen und Sachen, die aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen, keinen besonders schweren Unglücksfall“ darstellten – ein Hinweis, der allerdings wenig bewirken dürfte, wenn die Polizei eine katastrophendräuende Gefahrenprognose stellt. Richter Reinhard Gaier konstatierte in seinem Minderheitenvotum, der Urteilspruch habe „im Ergebnis die Wirkungen einer Verfassungsänderung“. Die vagen Begriffsbestimmungen ließen etwa bei regierungskritischen Großdemonstrationen viel Spielraum für subjektive Einschätzungen. „Im Schatten eines Arsenals militärischer Waffen kann freie Meinungsäußerung schwerlich gedeihen“, so Gaier.

Die Anti-Terror-Übung

Nach jahrzehntelanger Abstinenz müssen militärisch-polizeiliche Antiterroreinsätze freilich erst wieder intensiv geübt werden. Diesem Zweck diente die sog. Gemeinsame Terrorabwehr-Exercise (GETEX) im März 2017. Fürs erste war sie lediglich eine Stabsrahmenübung, erfolgte also nicht „auf der Straße“, sondern beschränkte sich auf die „Überprüfung von Verfahren in der Situation eines besonders schweren Unglücksfalls, in der eine ausschließliche Reaktion mit Polizeikräften auf terroristische Bedrohungen wegen deren Ausmaßes nicht mehr möglich ist“ so die Bundesregierung.[13]

Dabei ging es nicht nur um die auch sonst üblichen Amtshilfeleistungen. In einer ersten Bilanz der Übung verkündete das Bundesinnenministerium, dass von knapp 50 gestellten Amtshilfeanträgen ein Drittel Fälle betrafen, „die eine Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben durch die Bundeswehr unter dem Kommando der Polizei erforderten“. Weiter hieß es, dies „betraf beispielsweise die Evakuierung von Gebäuden oder auch von Stadtgebieten, den Schutz von Gebäuden und Einrichtungen oder auch die Verkehrslenkung.“[14]

Eine realistische Annahme lag der Übung allerdings nicht zugrunde. Das hat seinen Grund darin, dass die Terrorlagen, wie sie bisher in Deutschland auftraten, bei aller Dramatik kaum jenen Grad an „katastrophischer“ Dimension erreichten, der vom Bundesverfassungsgericht als Einsatzermächtigung für die Bundeswehr verlangt wird. Um sicherzustellen, dass die Übung den Anforderungen des Verfassungsgerichtes entsprach, wurde das Übungsszenario bewusst „systematisch verschärft, um die Grundlage für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren zu schaffen“,[15] hieß es auf bundeswehr.de. Der Phantasie der Sicherheitsbehörden sind eben keine Grenzen gesetzt.

Rundum zufrieden mit dem Verlauf der Übung waren der Bund und die beteiligten Länder nicht: Die Bundeswehr, so habe der Inspekteur der NRW-Polizei geklagt, habe „viel zu spät“ über Amtshilfeanträge entschieden.[16] Als Schlussfolgerung aus der GETEX-Übung ziehen die Beteiligten, die zivil-militärische Kooperation zu verstetigen: Es brauche eine „Intensivierung und Verfestigung der Zusammenarbeit zwischen Verwaltungs-/Polizeistäben der Länder und Verbindungselementen der Bundeswehr.“ Dazu werden gemeinsame Fortbildungsveranstaltungen angeregt und die Optimierung von Kommunikationswegen und Verfahrensweisen. Bei Amtshilfeanträgen der Bundeswehr müssten die Entscheidungsabläufe weiter beschleunigt und verständlicher dargestellt werden.[17]

Auch wenn Deutschland hinsichtlich militärischer Inlandseinsätze im europäischen Vergleich noch vergleichsweise restriktive Regelungen hat: Die Verzahnung von Militär, Polizei und Zivilbehörden schreitet voran.

[1]    Eine Übersicht findet sich u. a. in Grubert, W.: Verteidigungsfremde Verwendungen der Streitkräfte in Deutschland seit dem Kaiserreich außerhalb des inneren Notstandes, Frankfurt a. M. 1997, S. 77f.
[2]    Lüdtke, A.: „Willkürgewalt des Staates“? Polizeipraxis und administrative Definitionsmacht im vormärzlichen Preußen, in: Reinke, H. (Hg.): „… nur für die Sicherheit da…“? Zur Geschichte der Polizei im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt/New York 1993, S. 48
[3]    dokumentiert in: Mayer, M.E.: Die neuen Vorschriften über den Waffengebrauch des Militärs, in: Deutsche Strafrechts-Zeitung 1914, Sp. 229-233
[4]    zit. nach Fiebig, J.P.: Der Einsatz der Bundeswehr im Innern. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit von innerstaatlichen Verwendungen der Streitkräfte bei Großveranstaltungen und terroristischen Bedrohungen, Berlin 2004, S. 84f.
[5]    Bundesverfassungsgericht: Urteil v. 15.2.2006 Az.: 1 BvR 357/05
[6]    BMVg: Weißbuch 2006 zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Zukunft der Bundeswehr, Berlin 2006, online nur noch unter http://archives.livreblancdefenseet securite.gouv.fr/2008/IMG/pdf/weissbuch_2006.pdf
[7]    www.innenministerkonferenz.de/IMK/DE/termine/to-beschluesse/05-06-24/05-06-24-anlage-nr-24.pdf?__blob=publicationFile&v=2?
[8]    siehe auf www.kommando.streitkraeftebasis.de unter KdoTerrAufgBW, Zentrum Zivil-militärische Zusammenarbeit
[9]    BT-Drs. 16/13970 v. 28.8.2009
[10] Hemicker, L: Tempo beim Heimatschutz, in: loyal 2012, H. 5, S. 9-13 (12f.)
[11] Kommando Streitkräftebasis: Die Streitkräftebasis – Partner im Inland, Flyer, Bonn o.J.
[12] Bundesverfassungsgericht: Beschluss v. 3.7.2012 Az.: 2 PBVU 1/11
[13]  BT-Drs. 19/1243 v. 16.3.2018
[14]  www.bmi.bund.de/SharedDocs/kurzmeldungen/DE/2017/03/abschluss-getex.html
[15] „Eine Kampfeinheit, die sich in der Übung ‚Kata ‚aib Saif Alnabi‘ nennt, attackiert Deutschland. Zuerst explodiert in einem bayerischen Bahnhof eine Bombe, tötet 20 Menschen. In Bremen ereignet sich in einer Schule eine Schießerei, in einer Nachbarschule explodiert ebenfalls eine Bombe. Auch den Flughafen Düsseldorf nehmen die Terroristen ins Visier: Im Terminal fordert eine weitere Bombe 20 Menschenleben, außerdem wird auf dem Flugfeld eine Flugabwehrwaffe gefunden. In dieses Chaos platzt eine weitere Hiobsbotschaft: In Bayern haben Terroristen einen Linienbus entführt und fordern die Ausstrahlung eines Videos – die Forderung wird nicht erfüllt, eine Geisel wird getötet.“ aus: Polizei und Bundeswehr trainieren zusammen für Terror-Ernstfall, www.dbwv.de v. 20.1.2017 (Abruf 27. 5. 2018)
[16] Getex in der Diskussion: So lief die Terrorabwehr-Übung, in: loyal 2018, H. 1, S.82f.
[17]  BT-Drs. 19/1243 v. 16.3.2018

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert