Protokoll der Veranstaltung „Polizeibeamt*innen als Tatzeug*innen“ am 7. November im Kammergericht Berlin
Auf einer Podiumsdiskussion des Republikanischen Anwältinnen- und Anwälte Verein e.V. hat der Berliner Rechtsanwalt Lukas Theune zentrale Thesen seines abgeschlossenen Dissertationsprojekts vorgestellt. Die Arbeit trägt den Titel „Polizeibeamt*innen als Berufszeug*innen in Strafverfahren“ und basiert auf Interviews.
Theune sieht verschiedene Besonderheiten polizeilicher Zeug*innen im Gegensatz zu „zivilen“ Zeug*innen. Sie werden als „professionell“ verstanden, wodurch sich ein weniger strenger Umgang mit ihnen ergibt. Hierzu gehört, dass sie zunächst häufig nicht vernommen werden, stattdessen genügt dem Gericht ein schriftlicher Bericht. Erst zur Hauptverhandlung erfolgt eine Ladung der Polizist*innen. Erscheinen sie dort für eine Aussage, sind sie im Gegensatz zu den zivilen“ Zeug*innen besser vorbereitet: Sie verfügen über eine strafrechtliche Grundausbildung und sind außerdem im „Zeuge-Sein“ geschult. Mitunter profitieren sie auch von einer Ausbildung in Vernehmungslehre.
Dennoch sind sie keine „besseren“ Zeug*innen. Der ebenfalls eingeladene Rechtspsychologe Günter Köhnken zeigt anhand verschiedener wissenschaftlicher Studien, dass Polizist*innen – trotz Ausbildung – in der Zuverlässigkeit von Sachverhaltsschilderungen und Wiedererkennungsaussagen nicht besser sind als andere Zeug*innen. Vor Gericht fällt auf, dass die Erinnerung der einzelnen Beamt*innen oft mit der ihrer Kolleg*innen übereinstimmt. Theune nennt dies „Gruppenerinnerung“. Auch kann es vorkommen, dass Polizeizeug*innen bestimmte Begebenheiten nicht mehr konkreten Ereignissen zuordnen können, insbesondere wenn es sich um polizeiliche Routineeinsätze handelt. Zudem zeigen die Beamt*innen ein hohes Interesse an der Verurteilung der Angeklagten, die dann als Bestätigung für das polizeiliche Handeln gesehen wird.
Schließlich unterliegen die Beamt*innen oft auch beschränkten Aussagegenehmigungen, was ihre vorgetragenen Behauptungen schwer überprüfbar macht. Damit wird die sogenannte Nullhypothese ausgehebelt, wonach zunächst davon ausgegangen wird, eine Aussage sei unwahr, um sich dann durch weitere Fragen dem Wahrheitsgehalt zu nähern. Polizist*innen erhalten hier vor Gericht einen Vertrauensvorschuss, obwohl sie in ihren Aussagen nicht kompetenter sind als andere Zeug*innen.
Für diese „Vorzugsbehandlung“ durch das Gericht formuliert Theune zwei Thesen. Richter*innen und Polizist*innen teilen demnach ein einheitliches Verständnis als „Beamt*innen“, sie stehen zusammen für „Recht und Ordnung“ und damit für die Durchsetzung des Staates. Marco Noli von der Arbeitsgemeinschaft Fananwälte, der die Thesen von Theune auf der Veranstaltung kommentierte, nennt dies „Staatsdienerkorpsgeist“. Theune sieht außerdem ein gemeinsames „Erledigungsinteresse“ von Gericht und Polizei. Außerdem gelten Polizist*innen für die Richter*innen als „vorhersehbare Zeug*innen“, sie sind aussagebereit und schnell vorladbar.
Zu den weiteren Gästen der Veranstaltung gehörten der Staatsanwalt Heiko Artkämper aus Dortmund und die Berliner Verwaltungsrichterin Kristin Klimke. Ein Protokoll aller Beiträge und der anschließenden Diskussion findet sich hier zum Download (PDF).