Kennzeichnungspflicht – Eine kurze Übersicht

von Norbert Pütter

Die Kennzeichnungspflicht von Polizist*innen im Einsatz war und ist in der Bundesrepublik umstritten. Zehn Bundesländer haben sie mittlerweile in anonymisierter Form eingeführt, drei weitere und der Bund wollen das in den laufenden Legislaturperioden tun. 

Dass Polizist*innen im Einsatz als Personen identifizierbar sein sollen, ist nicht nur eine Standardforderung von Menschenrechtsorganisationen. Bereits seit 2001 heißt es im „Europäischen Kodex der Polizeiethik“ des Europarates, dass Polizist*innen „normalerweise den Nachweis ihrer polizeilichen Stellung und professionellen Identität“ geben.[1] In Deutschland wird dies zunächst über die Bestimmungen zur „Ausweispflicht“ geregelt. Überall gilt, dass sich Polizist*innen „auf Verlangen der Betroffenen“ ausweisen müssen.[2] Beamt*innen der Kriminalpolizei müssen unabhängig vom Begehren der Betroffenen bei jeder dienstlichen Handlung Dienstausweise vorzeigen.[3] Diese allgemeine Form der persönlichen Identifizierbarkeit von Polizist*innen ist wenig kontrovers.

Im Zentrum der öffentlichen Debatte steht vielmehr die individuelle Kennzeichnung von Polizist*innen in geschlossenen Einheiten. Bei deren Einsätzen lassen sich wegen der Uniformierung die handelnden Personen nicht persönlich identifizieren. Das verhindert eine nachträgliche Aufklärung von Sachverhalten, und es verhindert disziplinar- oder strafrechtliche Würdigungen des Geschehens. Vorwürfe wegen unrechtmäßigen Polizeiverhaltens, wegen unverhältnismäßiger Gewaltanwendung bleiben erfolglos, wenn Polizist*innen nicht individuell bestimmt werden können. Für geschlossene Polizeieinheiten kennt die Polizei traditionell nur taktische Kennzeichnungen, die keine Rückschlüsse auf eine bestimmte Person zulassen. Die Ausweispflicht auf Verlangen gilt bei geschlossenen Einsätzen nur für die Einsatzleitung.

(Fehlende) Absichten und Umsetzungen

Im Hinblick auf die „Kennzeichnungspflicht“ von Polizist*innen bei geschlossenen Einsätzen – etwa bei Demonstrationen oder bei Fußballspielen – lassen sich die deutschen Polizeien in drei Gruppen teilen.

  • In drei Bundesländern besteht keine Kennzeichnungspflicht; dort ist auch nicht beabsichtigt, diese in den kommenden Jahren einzuführen. Neben dem Saarland gilt das für die beiden bevölkerungsreichsten Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfalen (NRW). NRW ist dabei das einzige Land, das die (2016 eingeführte) Kennzeichnungspflicht 2017 wieder abschaffte.
  • In Sachsen, Baden-Württemberg und Niedersachsen sehen die aktuellen Koalitionsverträge die Einführung einer anonymisierten Kennzeichnung vor. (In Niedersachsen war das 2013 schon vergeblich vereinbart worden.) Die Ampelkoalition hat für die Polizeien des Bundes die „pseudonyme Kennzeichnung“ angekündigt.
  • In den übrigen zehn Bundesländern besteht eine allgemeine Kennzeichnungspflicht. In einigen ist diese allein durch Verordnungen oder Erlasse geregelt, etwa in Hessen oder Rheinland-Pfalz. In anderen ist sie gesetzlich vorgeschrieben; in der Regel im Landespolizeigesetz (z. B. in Berlin und Brandenburg), mitunter aber auch im allgemeinen Beamtenrecht (Hamburg).

Die Vorschriften in den Bundesländern sind uneinheitlich. Teilweise stellen sie Sonderbestimmungen für das generell eingeführte Tragen von Namensschildern an Uniformen dar (etwa in Berlin, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt); in anderen Bundesländern (z. B. Bremen oder Thüringen) sind sie allein für geschlossene Einheiten geschaffen worden. Grundsätzlich stimmen die Vorschriften in einigen Punkten überein:

  • Die Kennzeichnung erfolgt in anonymisierter Form durch eine Buchstaben-Zahlen-Kombination, die auf dem Rücken der Dienstkleidung und dem Helm angebracht wird. Die Kombination erlaubt durch die letzten Ziffern den Rückschluss auf den/die einzelnen Beamt*in.
  • Die Liste über die Zuordnung von Person und Kennzeichnung wird von den personalführenden Stellen verwahrt und nur für disziplinar- und strafrechtliche Zwecke zugänglich gemacht.
  • Die Pflicht ist auf das Tragen der Uniform beschränkt. In Hamburg bezieht sie sich allein auf den „Dienstanzug aus besonderem Anlass“ bei geschlossenen Einsätzen. In Schleswig-Holstein greift sie erst bei einer Einsatzgruppe ab sechs Polizist*innen.

Erfahrungen

Die Kennzeichnungspflicht wurde und wird von den Polizeigewerkschaften in Deutschland vehement abgelehnt. „Diskriminierung“, „Diffamierung“, Gefährdung der Sicherheit von Polizist*innen und ihrer Familien, so laute(te)n die Argumente. 2019 entschied das Bundesverwaltungsgericht über die Klage einer brandenburgischen Polizistin gegen die Pflicht zum Tragen eines Namensschildes. Zwar sah das Gericht in der Namensangabe einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, dieser sei jedoch von der Eingriffsintensität gering und verhältnismäßig ausgestaltet. Das Gericht verwies im Zusammenhang mit der anonymisierten Kennzeichnung auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der – in einem von deutschen Fußballfans angestrengten Verfahren – eine unverwechselbare Kennzeichnung von Polizist*innen empfohlen hatte.[4]

In seiner Entscheidung hatte das Bundesverwaltungsgericht auch angemerkt, dass es weder Hinweise auf vermehrte Strafanzeigen gegen Polizist*innen gibt, noch dass Fälle bekannt geworden seien, in denen die namentliche Kennzeichnung zu außerdienstlichen Gefährdungen oder Bedrohungen für Polizist*innen oder ihre Familien geführt hat.

Die Erfahrungen mit der anonymisierten Kennzeichnung für geschlossene Einheiten sind bislang nicht systematisch ausgewertet worden. Vereinzelte Berichte geben allerdings erste Einblicke:

In Hamburg war die Kennzeichnungspflicht 2019 befristet und mit einem Evaluationsvorbehalt eingeführt worden. In ihrem (erfolgreichen) Gesetzentwurf zur Entfristung legte der Senat den Evaluationsbericht vor. Zwischen dem 5. November 2019 und dem 31. Dezember 2020 hatten 23.794 Polizist*innen in 200 Einsätzen die anonymisierte Kennzeichnung getragen. Im Dezernat Interne Ermittlungen wurden insgesamt 12 Ermittlungsvorgänge eingeleitet, davon sechs wegen „Körperverletzung im Amt“. In diesem Verfahren konnten sieben Polizist*innen identifiziert werden; zwei allein aufgrund der Kennzeichnung. Wegen mangelnder Lesbarkeit konnten in sechs Fällen die Personen nicht identifiziert werden.[5] In Hessen konnten in den Jahren 2016-2018 durch die Kennzeichnungspflicht sechs Straftaten und zwei Dienstvergehen aufgeklärt werden.[6] In Thüringen fanden in den Jahre 2019-2021 36 „Repersonalisierungen“ statt, die im Rahmen von 17 Ermittlungsverfahren und zwei Dienstaufsichtsbeschwerden erfolgten.[7]

Die bisherigen Erfahrungen unterstreichen die Bedeutung der Kennzeichnungspflicht als ein Baustein zur Kontrolle von Polizei. Neben den durch sie ermöglichten Straf- oder Disziplinarmaßnahmen dürfte sie auch mäßigend auf jene wirken, die durch das Risiko der Identifizierbarkeit von rechtswidrigem Verhalten abgehalten werden.

Rechtsgrundlagen der Kennzeichnungspflichten (*= nicht veröffentlicht)

Berlin: Geschäftsanweisung Dir E Nr. 01/2018 über die taktische Kennzeichnung der Polizei Berlin v. 27.2.2018

Brandenburg: Verwaltungsvorschrift über die Legitimations- und Kennzeichnungspflicht von Polizeivollzugsbediensteten v. 21.11.2012, ABl. Brandenburg 2012, S. 1956

Bremen: Erlass über die Kennzeichnungspflicht von Polizeivollzugsbediensteten in geschlossenen Einheiten v. 19.06.2014

Hamburg: Verordnung zur Kennzeichnungspflicht nach § 111a des Hamburgischen Beamtengesetzes v. 5.11.2019, Hamburg. Gesetz- und Verordnungsbl. 2019, S. 365

Hessen: Verwaltungsvorschrift Dienstbekleidung v. 1.4.2019*

Mecklenburg-Vorp.: Individuelle Kennzeichnungspflicht von Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten der Einsatzeinheiten der Landespolizei v. 1.1.2018*

Rheinland-Pfalz: Erscheinungsbild der Polizei Rheinland-Pfalz. Tragen der Dienstkleidung. Rundschreiben des Innenministeriums v. 1.1.2014

Sachsen-Anhalt: Verordnung über die Kennzeichnungspflicht zur nachträglichen Identifizierung von Polizeibeamten des Landes v. 28.4.2018, GVBl. LSA 2019, S. 43

Schleswig-Holstein: Erlass über die namentliche Kennzeichnung und Erkennbarkeit von Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten v. 7.12.2012

Thüringen: Verwaltungsvorschrift v. 1.5.2017*

[1]    Council of Europe: The European Code of Police Ethics, Recommenadtion Rec(2001)10 v. 19.9.2001, Rdnr. 45
[2]     z. B. § 8 SächsPolG
[3]    z. B. Innenministerium NRW: Polizeidienstausweise, Kriminaldienstmarken und Visitenkarten, Runderlass v. 12.4.2010, Rdnr. 2.5.1
[4]    Bundesverwaltungsgericht: Urteil v. 26.9.2019
[5]    Bürgerschaft Hamburg Drs. 22/5887 v. 28.9.2021, S. 6f.
[6]    Frankfurter Rundschau v. 15.3.2019
[7]    LT Thüringen Drs. 7/5355 v. 22.4.2022, S. 3

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