Tödlicher Schußwaffeneinsatz 1994

von Otto Diederichs

Im zurückliegenden Jahr verstarben an den Folgen eines Polizeischusses zehn Menschen. Nachdem für das Jahr 1993 mit 15 Todesschüssen der höchste Stand seit 1983 registriert werden mußte, sank die Zahl 1994 damit wieder auf den seit 1988 „üblichen“ Stand1. Mit vorsichtigem Optimismus kann man somit vermuten, daß es sich 1993 lediglich um einen „Ausreißer“ und nicht den Beginn eines neuen Anstiegstrends gehandelt hat.

Besonderes Aufsehen unter den Vorfällen des Jahres 1994 hat der tödliche Schuß auf den 16jährigen Kurden Halim Dener in Hannover ausgelöst. Daß es in solchen Fällen zu teilweise ganz erheblichen Abweichungen bei den Aussagen von beteiligten Polizeibeamten und anderen Zeugen kommt, ist nicht neu und z.T. aus der Situation heraus erklärlich. Schlichte Irrtümer bei der Wahrnehmung kann man in diesem Fall jedoch kaum unterstellen, wenn in ersten Verlautbarungen der durch einen „Greifreflex“2 ausgelöste Schuß aus einer Entfernung von drei bis vier Metern gefallen sein solle, ein Gutachten des Landeskriminalamtes jedoch zu dem Ergebnis kommt, die Distanz habe allenfalls fünf bis fünfzehn Zentimeter betragen können.3 Tödlicher Schußwaffeneinsatz 1994 weiterlesen

Die ‚Initiative gegen das Einheitliche Polizeigesetz‘ – Eine erfolgreiche Zellteilung

von Clemens Rothkegel und Heinz Weiß

Initiiert in starkem Maße von der, der damaligen KPD nahestehenden, ‚Roten Hilfe‘ e.V. wurde Ende des Jahres 1976 in Berlin die Initiative gegen das Einheitliche Polizeigesetz gegründet. Hintergrund und Auslöser waren die Bestrebungen der Bundesregierung im Taumel der seinerzeitigen Terrorismushysterie die Sicherheitsapparate zu stärken und ihre Befugnisse z. T. kräftig zu erweitern. Ein zentraler Baustein in diesem 1972 vom Bundesin-nenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) verkündeten ‚Pro-gramm Innere Sicherheit‘ war der ‚Musterentwurf für ein Einheitliches Polizeigesetz‘ (MEPolG). Mit diesem Gesetz sollten die bestehenden Ländergesetze angeglichen und vereinheitlicht werden. Vorrangiges Ziel der Initiative war es, die Verabschiedung dieses Musterentwurfes zu verhindern.

‚Rote Hilfen‘, die sich in die Tradition der Roten Hilfe Deutschlands aus der Weimarer Zeit stellten und von denen zeitweise nahezu jede der damaligen politischen Gruppen eine eigene unterhielt, hatten sich die Aufgaben gestellt, staatliche Übergriffe zu untersuchen, Rechtsberatung und Prozeßhilfe zu leisten und sich in der sog. Knastarbeit zu engagieren. Die der maoistischen KPD-nahe ‚Rote Hilfe‘ e.V., die sich 1979 auflöste, verstand sich dabei ursprünglich als eine Keimzelle zur Bildung einer „proletarischen Massenorganisation“. Die ‚Initiative gegen das Einheitliche Polizeigesetz‘ – Eine erfolgreiche Zellteilung weiterlesen

Der Entwurf einer ‚Europol‘-Konvention – Eine datenschutzrechtliche Kritik

von Thilo Weichert

Entsprechend dem sog. ‚Maastrichtvertrag‘ vom 7.2.92 (EUV) ist es die Grundidee von ‚Europol‘, die polizeiliche Zusammenarbeit zur Verhütung und Bekämpfung schwerwiegender Formen der internationalen Kriminalität „in Verbindung mit dem Aufbau eines unionsweiten Austauschs von Informationen im Rahmen eines Europäischen Polizeiamts (Europol)“ zu verbessern (Art. K.1 Nr. 9 EUV). Ende Juni 1993 legte die TREVI-ad-hoc-Arbeitsgruppe ‚Europol‘ den ersten Entwurf einer ‚Europol‘-Konvention vor. Die deutsche EU-Präsidentschaft wollte in der zweiten Hälfte des Jahres 1994 den Konventionsentwurf zur Unterschriftsreife bringen. Insbesondere der Widerstand Frankreichs verhinderte eine Einigung. Nun soll der Entwurf (EuPolK-E) bis zum Ende der französischen EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 1995 verabschiedet werden.

Mit der Konvention soll die seit dem 3.1.94 in Den Haag arbeitende ‚Europol Drugs Unit‘ (EDU) eine gesetzliche Grundlage erhalten. Schon die heutigen Aktionen von EDU sind aus datenschutzrechtlicher Sicht äußerst problematisch. Ohne effektive Kontrolle tauschen dort Verbindungsbeamte ‚am runden Tisch‘ multilateral Daten aus den nationalen Informationssystemen aus. So werden Fakten geschaffen für das europäische Polizeiamt ‚Eu-ropol‘. Der qualitative Sprung aber soll mit der EuPolK erfolgen, wo polizeiliche Hoheitsrechte einer supra-nationalen Institution übertragen werden. Die Regierungsvertreter haben sich inzwischen anscheinend über den wesentlichen Inhalt der Konvention geeinigt. Da jedoch ein neuer Text noch nicht vorliegt, erfolgt die Kritik hier anhand des Entwurfes vom November 1994: Der Entwurf einer ‚Europol‘-Konvention – Eine datenschutzrechtliche Kritik weiterlesen

Bürgerrechte & Polizei/CILIP II – Unter Beobachtung

von Udo Kauß

Die Frage stelle ich mir immer wieder einmal: Ist Bürgerrechte & Polizei/CILIP nur im lesenden Visier des Verfassungsschutzes? Werden die Hefte nur über eine Deckadresse abonniert und in den Archiven des Verfassungsschutzes bibliographisch verarbeitet, oder wird uns darüber hinaus nähere, gleichsam persönliche Aufmerksamkeit gewidmet? Gründe gäbe es aus Sicht der Schnüfflerbehörde wohl einige. Obwohl nur die Polizei im Titel steht, gab und gibt es kaum ein Heft, in dem nicht mehr oder minder um-fangreich auch die Geheimdienste der Republik Aufmerksamkeit und kritische Erwähnung finden. Die Redaktion bzw. die basisgebenden Forschungsprojekte der HerausgeberInnen hatten über die Jahre hinweg ja viele BesucherInnen, und bei manchen stellte sich ein merkwürdiges Gefühl ein – das uns jedoch nicht anfocht: Hatten wir doch von Anfang an das Prinzip der Transparenz auch zum eigenen Arbeitsprinzip erklärt und hierin allein schon deshalb auch die Sicherheitsdienste eingeschlossen, um nicht auf die abschüssige Bahn der szene-typischen Überwachungsangst mit dem entsprechenden ‚Wer-könnte-es-sein-Spiel‘ zu geraten. Bürgerrechte & Polizei/CILIP II – Unter Beobachtung weiterlesen

Literatur – Rezensionen und Hinweise

Literatur zum Schwerpunkt

Wer eine Vorstellung über die kleine Bürgerrechtsbewegung der BRD erhalten will, dem sei zu allererst ein Blick durch die 34 Jahrgänge der nunmehr bei Leske & Budrich erscheinenden Vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftskritik empfohlen. Die Hefte, die anfangs vom Mitbegründer der ‚Humanistischen Union‘ (HU) Szesny verlegt wurden, aber nie den Charakter eines HU-Vereinsblattes hatten, werden seit einigen Jahren von einem Beirat aus Mitgliedern der HU, des ‚Komitees für Grundrechte‘ und der ‚Heinemann-Initiative‘ unterstützt. In einem Anhang sind dort auch häufig Stellungnahmen der genannten Organisationen abgedruckt. Das ‚Komitee für Grundrechte und Demokratie‘ bringt seit einigen Jahren ferner ein Jahrbuch heraus, das nicht nur seine eigene Arbeit dokumentiert, sondern auch schlaglichtartig für jeden Monat ein bürgerrechtsrelevantes Thema aufgreift. Mehr im Stile eines Informationsblattes für Mitglieder sind dagegen die HU-Mitteilungen gehalten. Literatur – Rezensionen und Hinweise weiterlesen

(Alt-)bundesdeutsche Bürger- und Menschenrechtsorganisationen – Die vier Traditionellen

Ohne deren Politik im einzelnen zu summieren und zu analysieren, sollen Die ‚Großen Vier‘ kurz vorgestellt werden. Die traditionsreichste, die Internationale Liga für Menschenrechte; die zeitweise regional am weitesten Verbreitete, die Humanistische Union, und die beiden unterschiedlichen Nachzügler, die Gustav-Heinemann-Initiative und das Komitee für Grundrechte und Demokratie.

Die Internationale Liga für Menschenrechte wurde Ende der 50er Jahre gegründet. Sie versteht sich in der Tradition der Internationalen Liga der Menschenrechte der frühen 20er Jahre, die durch Carl von Ossietzky dauerhaft repräsentiert wird. Die Liga, wie sie abkürzend genannt wird, hat ihren Sitz in Berlin und umfaßt heute ca. 350 Mitglieder. Sie tritt vor allem durch Stellungnahmen zu grund- und menschenrechtlichen Anlässen in Erscheinung und verleiht seit den 60er Jahren jährlich die ‚Carl-von-Ossietzky-Medaille‘. (Alt-)bundesdeutsche Bürger- und Menschenrechtsorganisationen – Die vier Traditionellen weiterlesen

50 (1/1995) Bürgerrechtsgruppen und Polizei

CILIP_050

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Redaktionelle Vorbemerkung
Otto Diederich
Notizen zur Geschichte der Bürgerrechtsgruppen im Nachkriegsdeutschland
Wolf Dieter Narr
(Alt)Bundesdeutsche Bürger- und Menschenrechtsorganisationen
Wolf-Dieter Narr
Bürgerrechte & Polizei/CILIP: Ein Rückblick
Falco Werkentin
Bürgerrechte & Polizei/CILIP: Unter Beobachtung
Udo Kauß
Die „Initiative gegen das Einheitliche Polizeigesetz“
Clemens Rothkegel und Heinz Weiß
Der Verein „Bürger beobachten die Polizei“ e.V.
Heiner Busch
Der „Ermittlungsausschuß Berlin“
EA Berlin
Die „Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten (Hamburger Signal)“ e.V.
Martin Herrnkind
Die „Berufsgruppe Polizei“ (Sektionsgruppe von amnesty international)
Otto Diederich
Das „Bürgerkomitee 15 Januar“ e.V.
Uwe Boche
Das Büro Jansen & Janssen
Wil van der Schans
„Statewatch“
Tony Bunyan
Das „Archiv Schnüffelstaat Schweiz“
Catherine Weber und Jürg Frischknecht
Tödlicher Schußwaffeneinsatz 1994
Otto Diederichs
Der Entwurf einer „Europol-Konvention“
Thilo Weichert
Telefonüberwachung
Norbert Pütter

Chronologie
Norbert Pütter
Literatur
Summaries

Chronologie

zusammengestellt von Britta Grell

Juli 1993

01.07.: Auf der Nord- und Ostsee tritt die neugeschaffene deutsche Kü-stenwache ihren Dienst an. Sie entstand durch die Zusammenfassung von Teilen des Bundesgrenzschutzes, des Zolls und der Fischereiaufsicht.
02.07.: Von einem Zivilbeamten wird in Hannover unter bislang ungeklärten Umständen der kurdische Asylbewerber Halim Dener erschossen. Dener war mit anderen Kurden beim Kleben von ERNK-Plakaten von einem SEK gestellt worden.
05.07.: Die SPD-geführten Bundesländer kündigen an, das im Bundestag bereits verabschiedete BGS-Neuregelungsgesetz im Bundesrat zu blockieren. Am 01.09. einigt man sich im Vermittlungsausschuß. Mit geringfügigen Änderungen kann das Gesetz damit zum 01.11. in Kraft treten. Chronologie weiterlesen

Institut für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit e.V.