Regierungsentwurf eines Strafverfahrens-Änderungsgesetzes 1989: Eine Strafprozeßordnung nach polizeilichem Geschmack

Zum 26. Juni d.J. ist der Regierungsentwurf eines „Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts – Strafverfahrensänderungsgesetz 1989“ vorgelegt worden. Diesem StVÄG 1989 gingen voraus ein „Problempapier“ aus dem Jahre 1985 (vgl. Cilip 23), zwei Arbeitsentwürfe aus den Jahren 1986 und ’87 (vgl. Cilip 29) sowie ein noch nicht zwischen den Ressorts abgestimmter Entwurf (StVÄG 1988 – vgl. Cilip 33). Die heftige Kritik u.a. von seiten der Anwaltsverbände am Entwurf ’88 hat – so zeigt der Entwurf ’89 – offensichtlich wenig gefruchtet.

1. Vorgeschichte

Was der Polizei nach dem Polizeirecht erlaubt ist, darf ihr nach dem Strafprozeßrecht nicht verboten sein – dies ist das Logik der seit Mitte der 70er Jahre kontinuierlich verfolgten „Harmonisierung“ von Polizeigesetzen und StPO. Mitte der 70er Jahre legte die IMK ihren ersten „Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes“ (MEPolG) vor, dessen Umsetzung in Ländergesetze sich zwar nur schleppend, aber in den zentralen Neuerungen (Auflösung des Begriffs der konkreten Gefahr als Voraussetzung polizeilichen Eingriffshandelns) letztlich erfolgreich vollzog. Wie heute mit dem StVÄG ’89 wurde auch Mitte der 70er Jahre Bedarf angemeldet, die alte StPO mit dem neuen Polizeirecht zu „harmonisieren“. Das erste Ergebnis war die StPO-Änderung von 1978 – die sog. Razziengesetze.

Schon in dieser Zeit ging es um einen Bruch mit der traditionellen Logik des Polizeirechts und der StPO:
Der Bindung polizeilicher Grundrechtseingriffe daran, daß ein konkreter Verdacht (einer Straftat respektive der Verursachung einer konkreten Gefahr) gegen eine konkrete Person vorliegt. Schon die Kontrollenstellenregelung, der Kern der Razziengesetze und des MEPolG der 70er Jahre, richtete sich nicht mehr gegen konkret verdächtigte Personen (Strafprozeßrecht) und auch nicht gegen einzelne Störer (Verursacher einer konkreten Gefahr), wie dies der traditionellen Logik des Polizeirechts und der StPO entsprach. Betroffen von den neuen polizeilichen Eingriffs-/Kontrollbefugnissen war und ist jedermann.

Dieser neue Zugriff auf jederman gilt nun um so mehr für die polizeiliche Datenverarbeitung allgemein und die speziellen z.T. elektronischen operativen Maßnahmen, die Gegenstand der jetzigen Verrechtlichungswelle sind und die schon seit Jahren ohne Rechtsgrundlage betrieben werden. Eingeführt wurde eine neue Rechtsfigur, die in den Aufgabengeneralklauseln der meisten neueren Polizeigesetze inzwischen Eingang gefunden hat: der Begriff der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung.

Dieser Begriff war auch der zentrale Ansatzpunkt in den ersten Überlegungen und Entwürfen zur erneuten „Harmoniserung“ von Polizeirecht und StPO in den 80er Jahren – den Arbeitsentwürfen von 1986 und 1987. Im Entwurf ’88 und im nun vorliegenden Regierungsentwurf ’89 ist auf diesen Begriff verzichtet worden. Einen Grund dafür hat die FDP gesetzt, die 1988 als ihre rechtspolitische Position formulierte, daß auch im Polizeirecht am traditionellen Gefahrenbegriff als Aufgabengeneralklausel festzuhalten sei. Nur: Verzicht auf den Begriff bedeutet noch nicht Verzicht auf die Sache – so sehr der lautstarke Verzicht auf den Begriff gerade dieses suggerieren soll.

Der Entwurf ’89 kommt aus dem FDP-geführten Bundesjustizministerium und befürwortet, wie schon der Entwurf ’88, eine Fülle neuer, meist präventiver Befugnisse zur Strafverfolgung, die vom „Musterentwurf eines einheitl. Polizeigesetzes der IMK“ aus dem Jahre 1986 (dok. in CILIP 24) abgekupfert worden sind.

2. Die Neuerungen des Entwurfs vom Juni 1989

Nach der umfangreichen Stellungnahme zum Entwurf ’89 in unsere Ausgabe 32 können wir uns zum Regierungsentwurf knapp halten, denn das StVÄG von 1989 unterscheidet sich vom Vorentwurf nur unwesentlich. Folgend eine Übersicht über die wichtigsten Regelungen:

* Rasterfahndung ( 98a und b):
Im Unterschied zum Vorentwurf soll die RaFa jetzt auch erlaubt sein für konventionelle Dateien, „wenn die darin gespeicherten Daten maschinell ausgewertet werden“ (amtl. Begr. zum 98a). Die Beschlagnahmemöglichkeit erstreckt sich daher auch konsequent auf die Durchsicht von Papieren. Wie 1988 soll die Anordnung im Regelfall durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch den Staatsanwalt (im folgenden kurz: StA) erfolgen. Hieß es 1988 in 98b Abs.2: Abgleich und Abfrage „werden auf Verlangen“ im Beisein des StA durchgeführt, so heißt es jetzt nur noch: „… sollen im Beisein des StA“ durchgeführt werden.

* Abgleich von Daten aus einem Strafverfahren mit anderen Strafverfahrens- und mit Gefahrenabwehrdaten ( 98c):
Nach dem Vorentwurf sollte nur ein Abgleich mit Strafverfahrennsdaten zulässig sein; jetzt sind die präventivpolizeilichen Daten mit eingeschlossen. Dies ist in sich konsequent, da der neue 479 (478 a.F.) die generelle Umwidmung von Ermittlungs- in präventivpolizeiliche Daten zuläßt. Sollte der Abgleich in der Fassung von ’88 nur möglich sein, „wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß die Auswertung der Daten zur Aufklärung einer Straftat oder zur Ermittlung des Aufenthalts einer Person führen kann“, so ist diese Beschränkung jetzt entfallen.

* Verwendung von Daten aus strafprozessualen Telefonkontrollen zu anderen Zwecken der Strafverfolgung ( 100b Abs.5):
Hier sind die Regelungen des Entwurfs ’89 übernommen worden.

* Fahndung und Öffentlichkeitsfahndung zur Festnahme und zur
Aufenthaltsermittlung ( 131 ff.):
Hier sind nur formale Umstellungen erfolgt, ansonsten ist der identisch mit dem des Vorentwurfs.

* Verhältnismäßigkeit ( 160 Abs.4):
Aus diesem Paragraphen, der ein sowieso geltendes Verfassungsprinzip nur wiederholt, wurde die 1988 noch enthaltene floskelhafte Verpflichtung zur Wahl des geringsten Mittels gestrichen.

* Umwidmung von Daten aus präventivpolizeilichen Rasterfahndungen für Strafverfolgungszwecke ( 161):
Zugelassen wird dies „nur“ für eine Reihe von Katalogstraftatbeständen, die im neuen 98a definiert sind. Dasselbe gilt für Daten aus dem Einsatz technischer Mittel und verdeckter Ermittler ( 163g und k). Diese Regelung entspricht der des Jahres ’88.

* Ermittlungsgeneralklausel ( 163 Abs.1 Satz 2 neu):
Auch diese Norm entspricht der Fassung ’89.

* Polizeiliche Beobachtung ( 163e):
Hier sind nur minimale Änderungen gegenüber der Vorfassung erfolgt.

* Observation ( 163f):
Gegenüber dem Entwurf ’88 sind die Zeitspannen verlängert worden, innerhalb derer ohne ausdrückliche Genehmigung ein Beschuldigter observiert werden darf.

* Bild- und Videoaufzeichnungen/ Einsatz besonderer technischer Mittel/ Aufzeichnungen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes (auch in Wohnungen) ( 163g):
Die Voraussetzungen für diese Maßnahmen haben sich gegenüber der Fassung ’88 nur unwesentlich geändert.

* Verdeckte Ermittler ( 163k-n):
Auch hier gibt es nur unwesentliche Veränderungen gegenüber ’88.

* Einsicht in Daten und Akten aus Strafverfahren ( 474 ff.):
Insbesondere für Justizbehörden ( 474 Abs.1) und andere öffentliche Behörden (Abs.2); entspricht Fassung ’88.

* Umwidmung von Strafverfahrensdaten in Polizeidaten ( 479):
Dies ist auch zulässig, wenn die Daten aus operativen Maßnahmen (Abhörmaßnahmen, Videoaufzeichnungen etc.) stammen (Abs.2); entspricht der Fassung ’88.

* Übermittlung von Strafverfahrensdaten an die Geheimdienste ( 481):
Hier wird auf Parallelregelung im Entwurf BND-G. Bezug genommen (vgl. Dokumentation in CILIP 32). Übermittelt werden dürfen auch Daten aus operativen Maßnahmen; entspricht der Fassung ’88.

* Dateiregeln ( 482-489):
Gegenüber der Fassung ’88 gibt es nur formale Umstellungen. Das Speichern, Verändern und Nutzen von Strafverfahrensdaten wird den Strafverfolgungsbehörden, den Gerichten und den Gnadenbehörden (weiterhin) erlaubt. Der Streit zwischen Polizei und StA über die Datenhoheit in den polizeilichen Datenbanken und die Berechtigung zur Speicherung von Justizdaten bleibt weiterhin offen ( 483). In Aktenhinweissystemen (z.B. Kriminalaktennachweis) dürfen sowohl Personalien und Aktenhinweise als auch bei Vorliegen einer Wiederholungsgefahr darüber hinausgehende Daten gespeichert werden. Für die „künftige Strafverfolgung von erheblichen Straftaten“ dürfen auch Daten von Zeugen, möglichen Opfern, Kontakt- und Begleitpersonen etc. gespeichert werden. Die Übermittlung an Justiz und Polizei (allgemein 486) kann im online-Verfahren erfolgen ( 487). Die Normen für Berichtigung, Löschung und Sperrung entsprechen den üblichen Floskeln ( 488). Die Regelung der Überprüfungsfristen für die weitere Speicherung folgt den bisher schon geltenden KpS-Richtlinien (Abs.3). 489 schreibt die Festsetzung von Errichtungsanordnungen vor.

* Zentrales staatsanwaltschaftliches Verfahrensregister beim Bundeszentralregister ( 490 f.):
Eine solche Norm gab es in der Fassung von ’88 nicht. Sie ersetzt einen 1988 vorgelegten Ergänzungsentwurf zur Relegelung eines „zentralen staatsanwaltlichen Informationssystemes“.

3. Resümee

Im wesentlichen weist der Entwurf dieselben Probleme auf wie die Vorentwürfe.

Zum ersten ist er vollkommen unübersichtlich, was daraus resultiert, daß eine exekutivpolizeiliche Praxis in die Form eines Gesetzes gepreßt werden soll, dessen Bestimmung es einmal war, die Rechte des Verdächtigten und Beschuldigten zu formulieren.

Zum zweiten führt dieser Entwurf zu keiner Einschränkung der bisherigen Praxis von Datenverarbeitung und operativen Maßnahmen. Derartige Regelungen sind nur vorgetäuscht oder allenfalls symbolisch. Uferlose Straftatenkataloge (z.B. der des 100a StPO) begrenzen nicht Befugnisse, sondern entgrenzen sie. Und Begriffe wie „erhebliche Straftaten“ oder „erhebliche Gefahren“ lassen entsprechend „erhebliche“ Interpretationsspielräume für die Polizei zu.

Zum dritten verkommt der Datenschutz auch in diesem Entwurf zur Floskel, wie wir es bereits wortidentisch aus den Entwürfen zum VfS-Gesetz, BND-Gesetz etc. kennen. Von „bereichsspezifischem Datenschutz“ kann nicht die Rede sein.

Heinz Wagner hat die Gesetzgebungstechnik bei den neuen Polizeigesetzen als „Scheinvertatbestandlichung“ charakterisiert. Dieser Vorwurf gilt gleichermaßen für diesen StPO-Novellierungsentwurf.

Literatur:

Da sich am Regierungsentwurf gegenüber dem Entwurf ’88 kaum etwas geändert hat, gilt weiterhin die am Vorentwurf geübte Kritik.

Strafverteidigervereinigungen (Hg.), Broschüre zum Referentenentwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetzes 1988 (Entwurf, Begründung, Stellungnahme),
(Zu beziehen über RA Lütkes, Siemensstr.15, 5000 Köln 30)

Strate, Gerhard, Stellungnahme des Strafrechtsausschussses des DVA zum StVÄG 1988, in: Strafverteidiger 9/1989