Geheimdienstgesetze – Niederlage für die Bürgerrechte und Spott auf den Datenschutz

Nach vierjähriger Auseinandersetzung um neue Geheimdienstgesetze und ein Datenschutzgesetz sowohl inner- wie außerhalb des Parlaments einigten sich die Bonner Koalitionsparteien und die SPD am 12. September vergangenen Jahres im Vermittlungsausschuß auf ein Verfahren, das der SPD für die Zustimmung reichte. Der Bundestag billigte den gefundenen Kompromiß am 19. September 1990, der Bundesrat zwei Tage später. Es dauerte dann noch einmal über drei Monate, bis die Gesetze als Artikelgesetz „zur Fortentwicklung des Datenschutzes und der Datenverarbeitung“ am 29. Dezember im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurden und damit in Kraft traten.

Die Geschichte dieses Gesetzes

Bis zu dieser Verabschiedung verfügte von den bundesdeutschen Geheimdiensten – Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst (BND) und Militärischer Abschirmdienst (MAD) – nur der erste über eine rechtliche Grundlage. Das „Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes“ (BVerfSchG) von 1950 war letztmalig 1972 geändert worden. Regeln zur Datenerhebung und -verarbeitung gab es in dem Gesetz nicht. Genau diese Regeln aber waren nach dem Volkszählungsurteil (VZ-Urteil) des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) von 1983 unumgänglich geworden. Das Gericht sah im Grundgesetz das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verankert. Jede Datenverarbeitung kam damit einem Eingriff in dieses Recht gleich und bedurfte daher – nach einer dem Gesetzgeber zugestandenen Übergangszeit – einer ausreichenden rechtlichen Grundlage.

Dies bedeutete u.a., daß für die Geheimdienste neue Gesetze geschaffen werden mußten. Das VZ-Urteil führte in der Folgezeit zu einer Lawine von „Sicherheitsgesetzen“, für die das Urteil selbst aber eher einen nur äußerlichen Anlaß darstellte. Kennzeichnend ist vielmehr, daß sie den seit den 70er Jahren in Organisation und Konzepten gewandelten und personell wie technisch ausgebauten Polizeien und Geheimdiensten den Mantel neuer Paragraphen umhängten, die statt einer Begrenzung die rechtliche Öffnung des Handlungsspielraums darstellten. Das Zusammenrücken von Polizei und Diensten zu einem – wenn auch funktional getrennten – „System der Inneren Sicherheit“, dessen Zusammenhalt vor allem in einem nicht beschränkten Austausch von Daten besteht, bildete einen zentralen Gesichtspunkt der „Sicherheitsgesetze“.

Eine erste Vorlage des BVerfSchG datierte vom März 1985, weitere Entwürfe folgten im Sommer desselben Jahres. Darunter u.a. Entwürfe eines MAD-Gesetzes und eines Zusammenarbeitsgesetzes (ZAG), die Informationsbeziehungen zwischen den Geheimdiensten, der Staatsanwaltschaft und der Polizei regeln und gleichzeitig dem BND gesetzliche Weihe geben sollten.

Im Januar 1986 wurden die Entwürfe der „Sicherheitsgesetze“ im Bundestag eingebracht. Tatsächlich verabschiedete der Bundestag am 28.2.1986 das Gesetz über den maschinenlesbaren Personalausweis, das über den maschinenlesbaren Europaß sowie den Paragraphen 163 d StPO über die Schleppnetzfahndung. Zurückgezogen wurde das Gesetz über das zentrale Verkehrsinformationssystem ZEVIS (das im Dezember zusammen mit einer Verschärfung des 129a StGB – terroristische Vereinigung – über die Bühne ging), das Bundesdatenschutzgesetz und entsprechende Regelungen im Verwaltungsverfahrensgesetz sowie die gesamten Geheimdienstgesetze.

In der Koalitionsvereinbarung nach den Wahlen 1987 legten sich die Regierungsparteien darauf fest, in der 11. Legislaturperiode „Folgerungen aus dem VZ-Urteil“ zu ziehen, das hieß u.a., den Geheimdiensten entsprechende gesetzliche Grundlagen zu geben. Vom November 1987 datierten eine Reihe von Entwürfen, die nach den Schüssen an der Startbahn West gemeinsam mit einem Artikelgesetz zur „Vermummung“ ins Spiel gebracht wurden. In diesen Entwürfen war das Zusammenarbeitsgesetz zu einem „Verfassungsschutzmitteilungsgesetz“ mutiert. Es enthielt wiederum einen Passus über den BND, war aber, was die Zusammenarbeitspflichten betrifft, erheblich weniger verräterisch, weil nicht so detailliert wie das ZAG von 1986. Es blieb jedoch bei Referentenentwürfen.

Den nächsten Anlauf bildete 1989 ein Artikelgesetz1, das Entwürfe für ein Datenschutzgesetz, Veränderungen im Verwaltungsverfahrensgesetz, ein Verfassungsschutzgesetz, ein MAD-Gesetz und ein BND-Gesetz enthielt. ZAG/ VfS-Mitteilungsgesetz schienen verschwunden. Schienen, denn im Bundesverfassungsschutzgesetz-Entwurf waren sämtliche Regelungen der alten Entwürfe wieder aufgezählt. BND-G und MAD-G verwiesen jeweils auf die ent-sprechenden Paragraphen. Geschminkt wurden die Befugnisse mit Jugendschutzregelungen, die als Zugeständnis an den liberalen Koalitionspartner galten. Neu auch der Titel: „Gesetz zur Fortentwicklung der Datenverarbei-tung und des Datenschutzes“. Die Entwürfe wurden in die Ausschüsse verwiesen und blieben dort zunächst fast ein Jahr liegen.

Erst am 13.3.1990 wurde ein neuerlicher Kompromiß zwischen den Koalitionsparteien ausgehandelt, der die Bonner Gesetzgebungsmühle wieder in Bewegung setzte. Inzwischen waren nämlich durch den beginnenden deutschen Vereinigungsprozeß neue Fakten gesetzt worden. Zudem rückte mit dem Ende der Legislaturperiode das Ende des „Übergangsbonus“, den das BVerfG dem Gesetzgeber zugestanden hatte, heran. Was sich jahrelang hingezogen hatte, wurde nun zur eiligen Angelegenheit. Am 31.5.1990 verabschiedete der Bundestag den Entwurf.

Was fehlte, war die Zustimmung des Bundesrats, in dem die Bundesregierung nach den Wahlen in Niedersachsen die Mehrheit verloren hatte. Am 22. Juni entschied dieser gegen das Gesetz, rief den Vermittlungsausschuß an und begab sich in die Sommerpause. Der Versuch, die Geheimdienstgesetze in der 11. Legislaturperiode über die Bühne zu bringen, wäre gescheitert, hätte sich nicht die SPD auf ihre staatstragenden Tugenden besonnen. Am 12. September nahm der Vermittlungsausschuß den ausgehandelten „Kompromiß“ an. Er bestand in kleinen Änderungen der Gesetzestexte sowie einer gemeinsamen Resolution, welche die Bundesregierung aufforderte, einen Gesetzentwurf für Sicherheitsüberprüfungen vorzulegen, mit den alliierten Stationierungsstreitkräften Vereinbarungen über Datenübermittlungen auszuhandeln und zu prüfen, ob die Überprüfung von Wehrpflichtigen dem Verfassungsschutz anstelle des MAD zu übertragen wäre. Der Bundestag stimmte am 19. September, der Bundesrat zwei Tage später zu. Auf die Ausarbeitung als Drucksache wurde verzichtet. Nur die an den Verhandlungen beteiligten Abgeordneten kannten damit die Änderungen, der Rest stimmte blind ab.

Von der Erarbeitung der ersten geheimen Entwürfe 1985 bis zur Verabschiedung der Gesetze sind mehr als fünf Jahre vergangen. Entwürfe um Entwürfe wurden vorgelegt, im Kern änderte sich nichts. 1990 hieß es dann selbst in der taz: „Kompromiß zum Datenschutzgesetz“2. Nur die FAZ wußte noch, worum es ging: „Koalition und SPD verständigen sich über die Sicherheitsgesetze“3.

Das BVerfSchG

Der folgende Kommentar bezieht sich nahezu ausschließlich auf das BVerf-SchG, das Leitfunktion besitzt. Den zentralen Unterschied der Gesetze bilden nur die Aufgabenbeschreibungen, die den Ämtern für Verfassungsschutz (ÄfV) die Funktion des Inlandsgeheimdienstes, dem MAD die eines „Verfassungsschutzes im Bereich des Bundesministers für Verteidigung“ und dem BND die des Auslandsgeheimdienstes zuweisen. Alle drei haben jedoch (auch) Befugnisse im Innern der Republik.

Das erste, was beim Vergleich von altem und neuem BVerfschG auffällt, ist sein Umfang. Kam das Gesetz von 1972 noch mit sechs Paragraphen aus, so bilden diese Paragraphen nun die Grundlage der sieben Paragraphen des 1. Abschnittes des neuen Gesetzes: „Zusammenarbeit, Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden“. Auch diese Regelungen wurden reichlich aufgebläht. Daß das Gesetz nun insgesamt 28 Paragraphen enthält, ist im wesentlichen der neuen Verklausulierung der Befugnisse entsprechend der datenschutzrechtlichen Rhetorik geschuldet. Abschnitt 2 regelt die Befugnisse des Bundesamtes (BfV) mit Hilfe von Kategorien, die ebenfalls dem Datenschutzrecht entlehnt sind: Erhebung, Speicherung, Nutzung, Berichtigung etc. von Daten. Abschnitt 3 („Übermittlungsvorschriften“) enthält den Inhalt des gescheiterten ZAG-Entwurfs von 1986. Diese Regelungen waren bisher nur in Form verwaltungsinterner Richtlinien gefaßt. Jetzt ist auch hieraus eine „bereichsspezifische Datenschutzregelung“ geworden.

Erster Abschnitt: Zusammenarbeit und Aufgabendefinition
Aufgabendefinition und fdGO ( 3 und 4)

Veränderungen und Erweiterungen, die in der Aufgabennorm für die ÄfV vorgenommen wurden, bezeugen einmal mehr die Unmöglichkeit, die Aufgabe des amtlichen Verfassungsschutzes rechtlich klar zu fassen.
Die Bandbreite der zu beobachtenden Bestrebungen ist dieselbe wie die im Gesetz von 1972. Die sozialliberale Koalition verrechtlichte damals den seit der Gründung der Ämter 1950 erfolgten Aufgabenzuwachs: Neben dem sog. administrativen Verfassungsschutz (Bestrebungen gegen die fdGO – Links- und Rechtsextremismus) waren bereits in den 50er Jahren Spionageabwehr und Sicherheitsüberprüfungen, sowie in den 60er Jahren die Überwachung des „Ausländerextremismus“ zur Aufgabe der ÄfV geworden. An dieser Aufgabenbeschreibung ändert sich auch mit dem neuen Gesetz nichts.
Der neue 4 mag dem unbefangenen Leser den Eindruck vermitteln, der Gesetzgeber habe versucht, rechtliche Unklarheiten aus früheren Jahren durch Legaldefinitionen auszuschalten. Dies betrifft insbesondere die Begriffe „Bestrebung“ ( 4 Abs. 1) und „freiheitliche demokratische Grundordnung“ ( 4 Abs. 2).

– Als „politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß“ waren die „Bestrebungen“ bereits bisher aufgefaßt worden . Was bisher administrative Auslegungsakrobatik von Juristen war, ist nun in Gesetzesform gegossen. Die Definition beinhaltet, daß weiterhin nicht nur die Daten führender Personen einer „Bestrebung“ erfaßt werden können, sondern auch die einfacher Mitglieder. Auch muß es sich nicht um Organisationen im strengen Sinne handeln. Ebensowenig muß die Person oder Gruppe Mitglied oder Teil der „Bestrebung“ sein, die „nachdrückliche Unterstützung“ reicht für eine Beobachtung. Die Einschränkung, nur „tatsächliche Anhaltspunkte“ rechtfertigten die Sammlung und Auswertung, ist nichts substantiell Neues, auch bisher erfolgte eine Beobachtung erst, nachdem ein „Anfangsverdacht“ vorlag. Mit Ausnahme gewaltsamer Handlungen, die strafrechtlich relevant und deren Verfolgung damit auch Aufgabe von Polizei und Justiz sind, handelt es sich zumeist um durchaus legale Verhaltensweisen. Der Begriff der „tatsächlichen Anhaltspunkte“ bringt daher nur eine Scheinkonkretion.

– Absurd ist auch der Versuch, per Gesetz die fdGO definieren zu wollen: so werden einige Merkmale aufgezählt, die seit den Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes zum Verbot der SRP (1952) und der KPD (1956) als Bestandteile der fdGO verstanden werden.
Das eigentliche Problem liegt jedoch nicht in der fdGO-Formel, die unbestimmt und in ihrem Rechtscharakter umstritten ist, sondern darin, daß das Feld, das der VfS beobachten soll, den Rechtsnormen und einer gerichtlichen Überprüfbarkeit vorgelagert ist. Das Parteienverbot, so undemokratisch es ist, bleibt zumindest noch an die Entscheidung des BVerfG gebunden, das die „Verfassungswidrigkeit“ einer Partei festzustellen hat. Auch mittels politi-schem Strafrecht kriminalisierte Meinungen bedürfen am Ende einer richterlichen Entscheidung. Die Klassifikation als „verfassungsfeindlich“, „extremistisch“, „gegen die fdGO“ gerichtet jedoch liegt ausschließlich im Ermessen der Ämter und – mittelbar – des Bundesinnenministers.

Diese fehlende rechtliche Konkretion kann weder durch die Bindung an „tatsächliche Anhaltspunkte“ noch durch die Scheindefinitionen des 4 ausgeglichen werden. Die Situierung im Vorfeld des Rechts bewirkt, daß alle Definitionen letztlich dem Versuch gleichkommen, einen Pudding an die Wand zu nageln.

Einzig in Bezug auf Sicherheitsüberprüfungen wurden Fortschritte erzielt: Für eine Überprüfung, die über eine Dateianfrage hinaus geht, und für die Einbeziehung der Partner oder Ehegatten in die Überprüfung ist anders als in früheren Entwürfen nun die Zustimmung und nicht mehr nur die Kenntnisnahme der Betroffenen erforderlich.

Bundesamt und Landesamt ( 1, 2, 5 und 7)

Bei der Verabschiedung des ersten BVerfschG (1950) wollten süddeutsche CDU- und CSU-Abgeordnete die Funktion des Bundesamtes noch auf die einer Zentralstelle begrenzen. Das Hauptgewicht sollte bei den Landesbehörden liegen. Mit dieser Haltung konnten sie sich nicht durchsetzen. Im Bereich des Verfassungsschutzes hat eindeutig der Bund den Vorrang. Im Gesetz von 1950 war schon eine Weisungsbefugnis der Bundesregierung gegenüber den Landesämtern vorgesehen. Sie war und ist ( 7, n.F.) auf den Fall des „Angriffs auf die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes“, d.h. auf den Notstandsfall, beschränkt.
Das Weisungsrecht des Bundesinnenministeriums gegenüber den Landesämtern für Verfassungsschutz, das noch in 5 Abs. 2 der Fassung von 1972 enthalten war, ist bisher nicht angewendet worden und schien – so der Kommentar von Roewer (S. 166) – „verfassungsrechtlich bedenklich“. Im neuen Gesetz ist diese Regelung entfallen.

In der Realität ist das Verhältnis von BfV und LfV das eines „kooperativen Föderalismus“ als große Koalition der Inneren Sicherheit gewesen. Das Anwachsen der Tätigkeitsbereiche der ÄfV seit den 70er Jahren und die damit gewachsene Zusammenarbeit könnte allerdings problemträchtig werden. Der neue 5 grenzt deshalb die Zuständigkeiten zwischen Bund und Land ab. Er räumt dem BfV die Möglichkeit ein, in den einzelnen Ländern „im Benehmen“ mit den LfV selbst tätig zu werden. Verhindert wird damit auch, daß ein Landesamt aus diesem „kooperativen Föderalismus“ ausschert.

Gegenseitige Unterrichtung – NADIS-PZD u.a. Dateien ( 6)

Eine Verpflichtung zu gegenseitiger Unterrichtung war bereits in den vorherigen Gesetzen enthalten. Der neue 6 ist – wie in vorhergehenden Entwürfen – eine Bestimmung über das gemeinsame Datensystem NADIS, das beim BfV geführt wird und auf das die LfV direkten Zugriff haben. BND und MAD unterhalten eigene Datensysteme, speichern aber in der Personenzentraldatei (PZD) von NADIS zusätzlich Fundstellenhinweise. Die PZD ist ein Hinweissystem, um Informationen über den Inhalt einer Akte müssen die Ämter jeweils ersuchen.
Neben der PZD werden seit einigen Jahren auch Textdateien geführt, die ähnlich aufgebaut sein dürften wie die PIOS-Dateien des BKA. Die Zahl dieser Dateien ist begrenzt, eine Ausweitung auf den gesamten Arbeitsbereich des VfS war nie geplant. Genauso beschränkt ist der Zugang zu ihnen. Das Prinzip geheimdienstlicher Informationssammlung und -auswertung besteht nun einmal darin, die Zahl der Personen, die zu einem bestimmten Bereich Zugriff haben, möglichst gering zu halten.

Trotz seiner restriktiven Sprache enthält 6 jedoch keine wirkliche Beschränkung. Vielmehr werden die bestehenden Formen der Geheimdienstarbeit beschrieben. Ein datenschützerischer Zugewinn besteht bestenfalls darin, daß dem BKA in Zukunft das Führen von „staatsschützerischen“ Fundstellenhinweisen in der NADIS-PZD endgültig verwehrt wird. Mit dem Aufbau von APIS, dem Spezialsystem der polizeilichen Staatsschutzabteilungen, dürfte hieran auch kein größeres Interesse mehr bestehen.

Zweiter Abschnitt: BfV
Datenschutzvokabular ohne inhaltliche Qualität

Wie vorstehend angedeutet, sind die Abschnitte 2 und 3 des Gesetzes bis auf wenige Ausnahmen in datenschutzrechtlichen Begriffen gefaßt. Schon vor dem Volkszählungsurteil des BVerfGs hatten vor allem die Datenschutzbeauftragten sog. bereichsspezifische Regelungen favorisiert. Statt des allgemeinen Datenschutzrechts sollten jeweils Einzelregelungen geschaffen werden, durch die auf die jeweiligen Arbeits- und Informationsverarbeitungsformen der Bürokratien besser und gezielter Einfluß genommen werden konnte. Durch das BVerfG-Urteil wurde diese Strategie verbindlich. Von der Erhebung über die Verarbeitung und Nutzung bis zur Übermittlung sollten alle Informationseingriffe eine ausreichende rechtliche, in der Regel also eine gesetzliche Grundlage haben. Gegen diese Forderung einer spezifischen Festlegung von Befugnissen wäre nicht viel einzuwenden, wenn sie tatsächlich restriktiv wäre und nicht nur die bisherige Tätigkeit in Datenschutzvokabular kleidete. Gesetze machen nur dann Sinn, wenn sie etwas tatsächlich verbieten, das sonst technisch und praktisch machbar ist.

Allgemeine Erhebung ( 8 Abs. 1) und Speicherung ( 10 Abs. 1 Nrn. 1, 2)

Die allgemeine Regel der Erhebung ist nahezu identisch mit denen anderer Erhebungsnormen in Datenschutzregelungen. Nur solche Informationen dürfen erhoben werden, die „zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich“ sind. Dies klingt gut, ist aber nicht der Fall. Die Aufgabe des VfS im Vorfeld des Strafrechts bedingt, daß es eine scharfe Grenze, die die Erforderlichkeit von Informationen bestimmbar machen würde, nicht gibt. Begriffe wie „Verhältnismäßigkeit“ und „Erforderlichkeit“ stammen aus dem polizeilichen Gefahrenabwehrrecht. Die Bindung an eine konkrete Gefahr, d.h. ein klar erkennbares Ereignis, macht es dort möglich, den Eingriff ins Verhältnis zu setzen zum Grad der Gefahr. Ähnliches gilt für das Strafprozeßrecht, wo ein Verhältnis zwischen der Schwere des Verdachts und dem notwendigen Eingriff hergestellt werden muß. Bezogen auf die ÄfV bedeuten „Verhältnismäßigkeit“ und „Erforderlichkeit“ nur, daß nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen werden soll.

Auch die Speicherung ( 10) ist nur an die allgemeine Aufgabenbeschreibung des 3 geknüpft. Einschränkungen gibt es nur hinsichtlich der Speicherung von Daten Minderjähriger. Vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen über sie keine Daten in Dateien und nur in (absurden) Ausnahmefällen in Akten gespeichert werden. Ab dem 16. Lebensjahr, also just ab dem Zeitpunkt, da politisches Engagement u.U. zu erwarten ist, soll eine Speicherung möglich, aber nach zwei Jahren überprüft werden und maximal fünf Jahre dauern. Fällt der oder die Jugendliche in den zwei Jahren, die bis zur Vollendung der Volljährigkeit bleiben, noch einmal auf, so bleibt auch die „Jugendsünde“ gespeichert. In der Realität dürfte diese Jugendschutzregelung somit wenig Bedeutung haben, sie ist vor allem symbolischer Natur.

Erhebung und Speicherung bei Sicherheitsüberprüfungen ( 8 Abs. 4 und 10 Abs. 1, Nr. 3 und Abs. 2)

Die Erhebung „beim Betroffenen mit dessen Kenntnis“ ( 8 Abs. 4) ist die Form der Datenerhebung, die Datenschützern am ehesten behagt. Die Befragten können über das, was sie dem Staat an Informationen geben wollen, selbst entscheiden und tatsächlich ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht ausüben. Dieser Regelfall ist im Bereich der Geheimdienste ein Ausnahmefall und beschränkt sich auf Befragungen bei Sicherheitsüberprüfungen. Der Versuch, die ÄfV auf eine offene Erhebung beim Betroffenen festzulegen und die verdeckte Erhebung damit einzuschränken, ist damit nicht gewollt.
Neben den Referenzpersonen, die die zu Überprüfenden selbst angeben und die daher über den Zweck der Befragung unterrichtet sind, trifft die Bestimmung, die Befragten seien über den Erhebungszweck und die Freiwilligkeit ihrer Angaben aufzuklären also nur auf die weiteren Auskunftspersonen zu. Die Überprüfungspersonen und ihre LebenspartnerInnen werden dagegen mit sanftem Zwang auf „dienst-, arbeitsrechtliche oder sonstige vertragliche Mitwirkungspflicht“ hingewiesen. Daten über die Überprüften und ihre Partner dürfen nach 10 auch in Dateien gespeichert werden.

Nachrichtendienstliche Mittel ( 8 Abs. 2, 9)

1972 kam das Gesetz hier noch mit einem einzigen Satz aus: „Zur Wahrnehmung seiner Aufgaben nach ( 3) Abs. 1 und 2 ist es (das BfV) befugt, nachrichtendienstliche Mittel anzuwenden“ ( 3 Abs. 3 Satz 2). Die erheblich größere Regelung des neuen Gesetzes verspricht gewichtige Einschnitte in diese Pauschalbefugnis.

Auffällig ist zunächst, daß der Begriff „nachrichtendienstliche Mittel“ nicht mehr auftaucht. Statt dessen ist die Rede von „Methoden, Gegenständen und Instrumenten zur heimlichen Informationsbeschaffung“ ( 8 Abs. 2) oder gar von „besonderen Formen der Datenerhebung“ ( 9). Mit letzterem Terminus wurde ein Begriff aus dem neueren Polizeirecht in das Recht der Geheimdienste übernommen. Unter „besonderen Formen …“ wird in den Polizeigesetzen seit dem Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes von 1986 Observation (auch mit technischen Mitteln) sowie der Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern verstanden. Bisher haben sich Polizeibeamte und Sicherheitspolitiker stets heftig gegen die Behauptung gewehrt, der Polizei würden damit nachrichtendienstliche Mittel zugestanden. Verdeckte Polizeiarbeit und nachrichtendienstliche Tätigkeit, so hieß es, seien nicht dasselbe. Dieses (Schein)Argument dürfte mit der Überschrift des 9 BVerfschG nun erledigt sein.

Was das Gesetz von den neueren Polizeigesetzen allerdings nach wie vor unterscheidet, ist, daß in den Polizeigesetzen die nachrichtendienstlichen/ verdeckten Methoden abschließend aufgelistet sind. Der 8 Abs. 2 BVerfSchG enthält zwar ebenfalls eine Liste, diese hat aber nur illustrativen Charakter („… Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung wie den Einsatz von …“). Eine abschließende Aufzählung soll es zwar geben, allerdings nicht zur Kenntnis des Publikums. Sie wird in einer geheimen Dienstvorschrift festgehalten. Eine solche begrenzt dann zwar den geheimdienstlichen Wildwuchs und sorgt wohl für eine gewisse Standardisierung. Eine wirkliche Kontrolle allerdings müßte öffentlich sein. Die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK), als einzig vorgesehenes Kontrollorgan, versammelt nur die Spitzen der etablierten Parteien und ist zudem zur Geheimhaltung verpflichtet.

Die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel ( 9) wird an die Beobachtung der in 3 Abs. 1 genannten Bestrebungen geknüpft. Immerhin wird damit ihr Gebrauch im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung ausgeschlossen.

Sofern es sich nicht um einen Lauschangriff oder um Bildaufnahmen auf bzw. in einer Wohnung handelt, gelten für die Methoden der geheimen Ausforschung weitgehend dieselben Bedingungen wie für die allgemeine Informationserhebung. Wann „Erkenntnisse über Bestrebungen …“ erlangt werden können, ist weitgehend aber an die Entscheidung der Ämter selbst gebunden. Der Zusatz, der Einsatz müsse im Verhältnis zum angestrebten Ergebnis stehen, ist redundant, denn die Erhebung darf nach 8 Abs. 5 ohnehin nur durch Einsatz des geringsten Mittels erfolgen.

Der Lauschangriff auf eine Wohnung (Abs. 2) ist scheinbar restriktiver geregelt. Eine erforderliche „gegenwärtige gemeine Gefahr oder eine gegenwärtige Lebensgefahr“ dürfte regelmäßig dann gegeben sein, wenn irgendwo ein V-Mann eingeschleust wurde. Die Anlässe werden also nicht durch ein von außen kommendes Ereignis gesetzt, sondern durch das Amt selbst. Auch die Hinzuziehung der Polizei wird in der Realität vom VfS selbst bestimmt.
9 Abs. 3 führt für Lauschangriffe u.ä. die Verpflichtung ein, den Betroffenen im nachhinein zu informieren, sobald der Zweck des Eingriffes nicht mehr gefährdet ist. Ferner soll die PKK unterrichtet werden. Für den Lauschangriff wird damit ein der geheimdienstlichen Telefonüberwachung (sog. G 10-Gesetz) entsprechendes Verfahren geschaffen.

Berichtigung, Löschung und Speicherungsdauer, Auskunft

Auch in dieser Hinsicht folgt das BVerfSchG den üblichen datenschutzrechtlichen Schemata. Die Forderung, unrichtige Daten zu löschen, zumindest nicht weiter zu übermitteln, der Zwang zu Dateianordnungen und die Einführung fester Fristen für die Prüfung weiterer Erforderlichkeit haben vor allem inneradministrativen Charakter. Sie bewirken allenfalls, daß nicht jedes unwichtige Datum auf ewige Zeiten gespeichert wird und die Speicherungspraxis nicht völlig ausufert.

Im bisherigen Gesetz gab es keine Regelung für ein Auskunftsrecht. Im Datenschutzgesetz waren Geheimdienste von der Auskunftsverpflichtung generell ausgenommen. Die Entwürfe seit 1986 hatten darauf ebenfalls verzichtet. Die nun verabschiedete Fassung weist eine Auskunftsregelung auf. Allerdings enthält diese eine Serie von Restriktionen, die in der Praxis dazu führen könnten, daß Auskunftserteilung eher die Ausnahme bleibt. Die Herkunft der Daten und die Empfänger, an die sie übermittelt wurden, dürfen ohnehin nicht genannt werden; eine Ablehnung muß nicht begründet werden. Die Betroffenen haben dann das Recht, den Datenschutzbeauftragten anzurufen, und diesem müssen die Daten auch mitgeteilt werden, er darf sie an den Betroffenen aber nicht weitergeben.
Nicht die BürgerInnen sind die Subjekte dieses Datenschutzes, sondern die Behörden selbst. Der Datenschutzbeauftragte hat hier zwar einige Kompetenzen erhalten, im großen und ganzen bleibt es aber dabei, daß die Ämter sich nicht in die Karten schauen lassen müssen.

Dritter Abschnitt: Übermittlungsregeln – Der Skandal wird zum Gesetz

Die Trennung von Polizei und Geheimdienst war den deutschen Behörden von den Alliierten Militärgouverneuren im sog. Polizeibrief vom 14.4.1949 diktiert worden. Der Bundesrepublik wurden dann zwar Befugnisse zum Aufbau eines eigenen Inlandsnachrichtendienstes gewährt, allerdings mit der Auflage, diesen weder der Polizei anzugliedern, noch mit polizeilichen Zwangsbefugnissen auszustatten. Mit dem Übergang in die Souveränität haben Juristen bereits angezweifelt, ob diese Bestimmung nun noch zwingend ist. (In ersten Entwürfen nach 1986 hat sie tatsächlich gefehlt.) In 2 Abs. 1 Satz 3 und 8 Abs. 3 ist sie jetzt wieder enthalten.

Mit dem zunehmenden Austausch von Informationen zwischen Polizei und Verfassungsschutz, die in den Übermittlungsregelungen eine gesetzliche Grundlage erhalten, wurde die „sicherheitspolitische Wiedervereinigung“ aber auf andere Art vollzogen.

Diese Übermittlungsklauseln haben seit 1986 vielfache Umstellungen erfahren, die Inhalte sind jedoch geblieben. Die Entwürfe für das ZAG und das Verfassungsschutzmitteilungsgesetz faßten die Informationsbeziehungen unter den Sicherheitsbehörden noch in ein eigenständiges Gesetzeswerk. Mittlerweile müssen drei Geheimdienstgesetze im Auge behalten werden, um die Bandbreite des zugelassenen Informationsaustauschs zu erkennen (BVerfschG 17-26, MAD-G 3 Abs. 3, 10-12, BND-G 8-10).

Übermittelt werden soll sowohl freiwillig wie auf Ersuchen. Die eigenständige Übermittlung bedarf deshalb einer Regelung, weil mit ihr das Gebot der Zweckbindung von Daten durchbrochen wird. Eine freiwillige Denunziation ohne Rechtsgrundlage würde sonst dazu führen, daß sich die Denunzianten strafbar machten.

Einbezogen in das Informationskartell sind neben den Geheimdiensten aber auch die Strafverfolgungsbehörden: Staatsanwaltschaften, Polizei und Zoll erhalten von den Geheimdiensten dann Informationen, wenn es um sog. Staatsschutzdelikte ( 74 und 120 Gerichtsverfassungsgesetz) und andere Delikte mit politischem Bezug geht. Sie können jedoch auch selbst um Informationen ersuchen. Ihrerseits sind sie verpflichtet, den Geheimdiensten je nach deren Aufgabenstellung Informationen zu übermitteln. Zoll und BGS haben dabei nicht nur die Daten abzugeben, über die sie selbst verfügen; sie müssen auch Daten erheben. Diese Praxis der Beobachtung von Grenzübertritten zu geheimdienstlichen Zwecken ist ohnehin seit langem gang und gäbe. Was früher Skandal war, wird nun aber Gesetz.

Zur Mitteilung an die Dienste verpflichtet sind auch die Behörden, die nicht dem „Sicherheits“bereich angehören. Bundesbehörden einschließlich bundesunmittelbarer Stiftungen (z.B. der Deutschlandfunk) „übermitteln von sich aus“ Informationen, darüber hinaus haben alle Behörden – ob Bund oder Land – auf Ersuchen der Geheimdienste zu antworten. In Sachen Spionageabwehr, Ausländer“extremismus“ und Terrorismus kann das BfV auch selbst in Akten oder Dateien Einblick nehmen. Die allgemeine Verwaltung erhält Daten der Geheimdienste, wenn diese die Übermittlung für ihre Zwecke für sinnvoll halten.
Gleiches gilt für ausländische und zwischenstaatliche Stellen. Zu denken ist hierbei vor allem an die „befreundeten Dienste“ und politischen Polizeien. Im Rahmen von TREVI beispielsweise tauschen die Geheimdienste und politischen Abteilungen der kriminalpolizeilichen Zentralstellen der EG-Staaten Daten untereinander aus.

Ferner werden die Stationierungsstreitkräfte der NATO mit Informationen versorgt, um Sicherheitsüberprüfungen des deutschen Personals vorzunehmen.
Darüber hinaus ist eine Übermittlung durch das BfV und den BND an andere Stellen, d.h. auch an Private, möglich; allerdings muß hierzu der Bundesinnenminister dem BfV und der Chef des Bundeskanzleramtes dem BND die Zustimmung erteilen.

Abschließende Bemerkungen:

Die Verabschiedung der Geheimdienstgesetze markiert einen vorläufigen Endpunkt. Der in den 70er Jahren vollzogene Ausbau der Geheimdienste und die Verzahnung des Informationsverbundes im „System der Inneren Sicherheit“ erhält nunmehr seine gesetzliche Grundlage. Diese Gesetze sind Beispiel eines sicherheitspolitischen Doublespeak, wie ihn Orwell in „1984“ charakterisierte. Der Datenschutz und seine Begrifflichkeiten, die seit den 70er Jahren die Begrenzung administrativer und insbesondere polizeilicher und geheimdienstlicher Wißbegier verhießen, verkommen zu bloßer Symbolik und Camouflage für den Eingriff in Bürgerrechte. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil 1983 im Grundgesetz verankert sah, reicht allenfalls, die Notwendigkeit neuer Gesetze zu begründen und amtliche Begründungen zu verzieren. Es ist offenkundig zu keinem Zeitpunkt wirklich ernst genommen worden. Im besten Falle können Klauseln dieses Gesetzes eine Standardisierung geheimdienstlicher Praxis bewirken und eine Ausuferung in Skandale verhindern. Um die Verwirklichung des kargen Auskunftsrechts muß erst noch in der Praxis gerungen werden.

Vorläufiger Endpunkt bedeutet daher auch Niederlage für die um Bürgerrechte bemühten Teile der bundesdeutschen Öffentlichkeit; (hoffentlich nur vorläufig) zerronnen ist der Enthusiasmus des Streitens gegen staatliche Überwachung, der die Volkszählungsboykott-Bewegung 1987 kennzeichnete. Nicht genutzt werden konnte auch die Chance, die das Zusammenbrechen der DDR und des gesamten „Ostblocks“ zu bedeuten schien. Die Tatsache, daß der zentrale Gegenstand der staatsschützerischen Legitimation wegfiel, änderte nichts daran, daß Geheimdienste in ihren Praktiken rechtlich bestätigt wurden.

Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.