Neues zum ‚Undercover‘-Einsatz in den USA* – Einige unkommentierte Beispiele

von Gary T. Marx

„Ich habe keine Sympathie für jene, die darüber ins Jammern ausbrechen, daß Polizisten Drogen an eine bereitwillige Kundschaft verkaufen. Wir verwenden jedes legale Mittel, das uns zur Verfügung steht. Wir wollen, daß alle wissen, vielleicht kaufst Du Deine Drogen beim nächsten Mal von einem Polizeibeamten“, erklärte der damalige Bürgermeister von Washington D./C., Marion Barry, 1988 auf einer Pressekonferenz. Rund drei Jahre später wurde Barry selbst das Opfer einer sog. ’sting operation‘, die mit Hilfe einer ehemaligen Bekannten von der Polizei eingefädelt worden war. Das hierbei verwendete Kokain hatte die Polizei zur Verfügung gestellt. (Aufgrund eines für die USA typischen Handels zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung konnte Barry mit sechs Monaten Haft eine vergleichsweise milde Verurteilung erreichen, indem er von seinem Bürgermeisteramt zurücktrat.Bei den Wahlen 1994 errang er es zurück.)

Auch wenn die Drogenfahndung nach wie vor das wichtigste Einsatzfeld für ‚undercover‘-Operationen bildet, so sind diese Methoden doch längst auch darüber hinaus etabliert, und es haben sich neue Anwendungsbereiche ergeben.

Bekannte Anwendungsgebiete

In Miami führte die Zunahme sog. ‚Einschlags- und Zugreif‘-Überfälle auf Touristen (bei denen die Fensterscheiben von Touristen-Mietfahrzeugen ein-geschlagen werden, um schnell zuzugreifen und zu flüchten) zur Gründung einer Sondereinheit im Rahmen der Operation ‚STAR‘ (Safeguarding Tourists Against Robberies), die Touristen gegen solche Überfälle schützen sollte. Mitglieder einer aus 12 Personen bestehenden Sondereinheit geben sich dabei als Touristen aus, die sich in geparkten Mietwagen in der Nähe von großen Touristenhotels aufhalten, in deren Nähe zudem weitere Verstärkung bereitgehalten wird. Nach Angaben eines Polizeisprechers waren solche Überfälle bereits nach einem Monat um ein Drittel zurückgegangen.

Als Reaktion auf Überfälle auf Homosexuelle verkleideten sich – ebenfalls in Miami – Polizisten als Homosexuelle und begaben sich als potentielle Opfer in den Gegenden auf die Straße, wo solche Überfälle an der Tagesordnung gewesen waren. Beim ersten Nachteinsatz wurden zwei Polizeibeamte, die sich als homosexuelles Pärchen ausgaben, mit dem Tränengas ‚CHEMICAL MACE‘ besprüht, und einige Tage später wurde ein anderer Beamter mit einem Baseballschläger verprügelt. Beide Überfälle wurden von auswärtigen jungen Männern verübt, die ihre Opfer für Homosexuelle hielten. Hier war die Polizei erfolgreich, schon in der ersten Woche erfolgten 13 Festnahmen.

Bereits anläßlich der Verabschiedung des Gesetzes zur statistischen Erfassung von sog. Haßstraftaten (wonach die Polizei verpflichtet wird, bei ihrer Abfassung der einheitlichen Kriminalstatistik Überfälle auf Homosexuelle als haßbedingte Straftaten zu erfassen) erklärte im Jahre 1990 ein FBI-Sprecher, daß „diese Art Operation, die gezielte Fahndung nach Menschen, die solche Überfälle verüben, heute noch ungewöhnlich sein mag, dies wird jedoch nicht mehr lange so bleiben“.

Gänzlich anders als in Miami verlief eine solche Aktion in New York, wo nach zwei Monaten immer noch keine Festnahme erfolgt war, die auf Angriffen gegen Homosexuelle beruhte. Ein führendes Mitglied einer Gruppe von Schwulenaktivisten bezeichnete die ganze Aktion als eine reine Verschwendung polizeilicher Ressourcen. Die Beamten, gekleidet in Jeans und festen schwarzen Schuhen und mit Anstecknadeln von Homosexuellen-Organisationen, verhielten sich vollkommen wirklichkeitsfremd. So suchten sie z.B. zu keinem Zeitpunkt Schwulenkneipen auf und vermieden es, auf der Straße Hand in Hand aufzutreten. Anstelle der ursprünglich beabsichtigten Einsatzziele, erfolgten dann zahlreiche Festnahmen wegen versuchter Raubüberfälle und illegalen Drogenbesitzes. Die Polizei interpretierte die Festnahmen als Beleg für den Erfolg ihrer Abschreckungstaktik. Ein Beleg für den undurchsichtigen bzw. flexiblen Charakter von Einsatzkriterien.

Neue Anwendungsgebiete

Staatliche Forstbeamte haben in einigen Bundesstaaten damit begonnen, eine nahezu lebensechte Lockvorrichtung namens ‚Robo-Deer‘ einzusetzen, um damit Wilderer und illegale Jäger zu stellen.

Im Bundesstaat Florida wurde ein Plattenverkäufer verhaftet, nachdem er eine Raubkopie des Plattenalbums „As Nasty as They Wanna Be“ an einen verdeckten Ermittler der Polizei verkauft hatte. In einem Geschworenenprozeß wurde er allerdings durch die Jury freigesprochen. „Sie (gemeint war eine Geschworene) war sehr liberal gesinnt. Sie war Soziologin, und ich mag keine Soziologen. Sie versuchen, zuviel über die Dinge nachzugrübeln“, machte der unterlegene Staatsanwalt anschließend seinem Ärger Luft.

Ein anderer Fall aus dem Showgeschäft betrifft den Star-Unterhalter im Kin-derfernsehen Pee Wee Herman. Er ist von Kriminalpolizisten in Zivil festgenommen worden, die angaben, ihn beim Masturbieren in einem Porno-Kino beobachtet zu haben. Einige Bürger haben daraufhin die Frage gestellt, ob der Einsatz in dunklen Filmtheatern auf der Suche nach Fällen unsittlichen Verhaltens denn eine reiflich überlegte Einteilung knapper Polizeikräfte darstelle.

In einem anderen Fall verdeckter polizeilicher Beobachtungsarbeit mit einem passiven nachrichtdienstähnlichen Auftrag robbten sich Polizisten an den Ufern des Potomac-Flusses in West Virginia an das Problem des illegalen Erntens wildwachsenden Marihuanas heran. In einer Erklärung zu dieser po-lizeilichen Operation wurde die Arbeit der Polizisten so geschildert: „Wir haben zerschlissene Kleidungsstücke angelegt und Mülltüten mitgeschleppt (so als seien sie ebenfalls illegale Sammler) und uns allmählich an sie heran-geschlichen.“ Die Pflanzen waren ursprünglich während des Ersten Weltkriegs zur Gewinnung von Hanf angebaut worden. Die Tatsache, daß die Sammler die Sträucher nicht angepflanzt hatten und die Pflanzen die Rauschsubstanz THC überhaupt nicht enthielten, hielt man für juristisch nicht relevant.

Etwas ganz Besonderes haben sich auch die Beamten im Bundesstaat Florida einfallen lassen, als sie am Straßenrand der Bundesstraße I-95 ein Schild mit dem Text aufstellten: „Achtung! Drogenfahndung voraus.“ Solche generellen Fahndungen wären natürlich illegal und sie waren auch nicht vorgesehen. Doch gerieten einige Drogenkuriere hierdurch in Panik, nahmen nicht gestattete Wendemanöver über den Mittelstreifen vor und lieferten damit dann den Anlaß, daß sie von den Sheriffs angehalten werden konnten.

Verdrehte Logik

Umgekehrte Lockspitzeleinsätze, bei denen die Polizei selbst die Drogen verkauft, statt sie von illegalen Händlern zu erwerben, kommen immer häufiger vor. Einigenorts hat die Polizei vorübergehend ganze Straßenzüge, in denen Drogen gedealt wurden, mit Beschlag belegt und sich so selbst als Dealer in die Szene gebracht. Menschen, die in solche Gegenden fuhren, um sich dort mit Drogen zu versorgen, stand die unmittelbare Verhaftung und Beschlagnahme ihrer Fahrzeuge bevor. Als der Sheriff von Broward County im Bundesstaat Massachusetts jedoch anordnete, das ‚crack‘, das von seinen Beamten angeboten wurde, gleich auch auf der eigenen Dienststelle herzustellen, schien er den Bogen überspannt zu haben.

Im Zuge der Urteilsaufhebung in einem auf diese Weise zustandegekommenen Vefahren wurde ihm vom Appellationsgericht die weitere Herstellung von ‚crack‘ untersagt. Das Urteil stellte zugleich die Rechtmäßigkeit weiterer hunderte von Verurteilungen in Frage, die auf dem Kauf von ‚crack‘ aus der Herstellung des Sheriffs beruhten.

Das ‚Bundesbüro für Alkohol, Tabak und Feuerwaffen‘ (ATF) hat, als Teil einer ‚Achilles Task Force‘ genannten Sondereinsatzgruppe, die sowohl aus örtlichen wie auch Bundeskräften zusammengestellt worden war, Waffen und (automatische) Schnellfeuerwaffen an bekannte Großdealer verkauft oder im Tausch gegen Drogen ausgehändigt. Es ließ sich indes nicht feststellen, ob in polizeilichen Dienstanweisungen oder Verfügungen die Einführung solcher Konterbande in den Handel formal geregelt ist oder nicht (z. B. ob die Waffen schußuntauglich sein müssen oder wieviel Zeit zwischen Verkauf und Verhaftung verstreichen darf). Szenarien, bei denen einiges schief geht, lassen sich leicht vorstellen – etwa daß eine bei ATF-Agenten gekaufte, großkalibrige Waffe in einem späteren Mordfall verwendet wird.

Post- und Zollbeamte verschickten zweideutige Einladungen an Personen, deren Namen in beschlagnahmten Versandlisten von festgenommenen Vertreibern kinderpornographischen Materials enthalten waren. Alle Personen, die auf die fingierten Verkaufsangebote im Postversand eingegangen sind, wurden verhaftet.

In einem anderen Fall gehörte ein 56jähriger Farmer aus Nebraska zu den insgesamt 161 Personen, die im Rahmen einer ‚Operation Looking Glass‘ verhaftet wurden. Er wurde angeklagt, auf dem Postweg kinderpornographische Materialien bezogen zu haben. Über einen Zeitraum von zwei Jahren schickten Regierungsbeamte ihm mehrere Sexfragebögen, Mitteilungen von einem als Brieffreund getarnten Ermittlungsbeamten und insgesamt acht Werbeaufforderungen, Zeitschriften wie z.B. ‚Knaben, die Knaben lieben‘ zu abonnieren. Schließlich bestellte er ein Magazin, ohne zu wissen, daß dies bereits eine nach Bundesrecht strafbare Handlung darstellte. Eine erhebliche Ausdehnung des Begriffs der Pornographie, die kurz zuvor verabschiedet worden war, hatte diese Tat zu einer strafbaren Handlung werden lassen. Kurz nach Eintreffen des ersten Hefts klopften auch die Bundesbeamten, um ihn festzunehmen. Eine anschließende Durchsuchung förderte lediglich Unterlagen an den Tag, die von den Regierungsbeamten selbst versandt worden waren. Nach langwierigen Verhandlungen befand das Oberste Bundesgericht der Vereinigten Staaten schließlich, daß der Farmer das Opfer einer illegalen Polizeifalle geworden sei und hob die Verurteilung auf. Doch konnte selbst diese Abhilfe den irreparablen Schaden für seinen Ruf nicht rückgängig machen.

Die Problematik solcher Art von Lockspitzeln und Tatprovokation bedarf keiner weiteren Kommentierung – die genannten Beispiele polizeilicher ‚undercover‘-Arbeit sprechen für sich.

Gary T. Marx ist Professor am Department of Sociology an der ‚University of Colorado‘
*Bearbeitetes Referat; Originaltext in: Crime, Law and Social Change, Nr. 18, Niederlande 1992 (Bearbeitung durch O. Diederichs)
Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.