von Ben Hayes
Die Anschläge vom 11. September 2001 haben eine neue Ära der „Sicherheitskooperation“ zwischen der EU und den USA eingeleitet. Trotz der Meinungsverschiedenheiten über die Führung des Anti-Terror-Krieges und des Krieges gegen den Irak wurde die polizeiliche Zusammenarbeit auf neue Felder und mit neuen Mechanismen ausgeweitet.
Die neue Kooperation zwischen der EU und den USA findet zwar unter dem Titel der „Terrorismusbekämpfung“ statt, ist aber keineswegs auf diese beschränkt. Sie umfasst alle möglichen Bereiche der Innen- und Justizpolitik – von polizeilichen und strafrechtlichen bis hin zu einwanderungs- und asylpolitischen Fragen und zur Grenzkontrolle. Informationen darüber sind geheim oder kaum zugänglich, das Europäische und die nationalen Parlamente werden nur am Rande beteiligt, eine öffentliche Debatte gibt es so gut wie nicht. Für Bürger- und Menschenrechte ist offenkundig auf der Tagesordnung der europäisch-amerikanischen Zusammenarbeit kein Platz.
Fünf Wochen nach dem 11. September hatte EU-Kommissionspräsident Romano Prodi einen Brief des US-Präsidenten George W. Bush erhalten. Die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch hat den ihr zugespielten Brief zusammen mit einer detaillierten Kritik veröffentlicht.[1] Kernpunkt der Analyse: Bushs 40 Vorschläge für eine Intensivierung der Zusammenarbeit von EU und USA können nur verwirklicht werden, wenn die in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), in EU-Richtlinien und -verträgen enthaltenen grundrechtlichen Schranken beseitigt werden. Das Ergebnis wäre ein unregulierter und unkontrollierbarer Austausch von Daten ohne Rücksicht auf strafprozessuale Garantien und die Rechte von Asylsuchenden und Flüchtlingen.
Die Neue Transatlantische Agenda
Eine Reihe der Bush-Vorschläge war bereits zuvor Gegenstand von Diskussionen im Rahmen der Neuen Transatlantischen Agenda (NTA), auf die man sich im Dezember 1995 in Madrid geeinigt hatte. 1997 ersuchte Statewatch den Rat um Zugang zu den Tagesordnungen zweier NTA-Arbeitsgruppen, der Gruppe der Hohen Beamten und der EU-US Task Force. Der Rat verwarf sowohl das Ansinnen selbst als auch eine nachfolgende Beschwerde. Statewatch legte die Angelegenheit dem EU-Ombudsmann vor. Es bedurfte zweier Rügen des Ombudsmannes, bis der Rat – vier Jahre nach dem ursprünglichen Gesuch – die Dokumente freigab. Aus diesen Tagesordnungen ließ sich zwar nicht viel ablesen, aber immerhin ergab sich daraus, dass die Hohen Beamten grundsätzliche Fragen der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Zusammenarbeit diskutierten, die Task Force dagegen Fragen der Inneren Sicherheit und der Polizei behandelte.[2] Die Formalisierung dieser Zusammenarbeit nach dem 11. September 2001 hat nicht zu mehr Transparenz geführt.
Verhandlungen über Rechtshilfe
Ein zentraler Punkt des Bush-Briefes betraf die Ausarbeitung eines Rechtshilfevertrages zwischen der EU und den USA. „Exploratorische Vorgespräche“ begannen am 29. September 2001. Auf ihrer informellen Tagung am 14. und 15. Februar 2002 billigten die Innen- und Justizminister der EU die Aufnahme von Verhandlungen über „eines oder mehrere Abkommen“. Am 24./25. April bestätigte der Rat dieses Mandat.
Dessen Grundlage sind die Art. 38 und 24 des EU-Vertrages, die einen Einbezug des Europäischen wie der nationalen Parlamente vor oder während der Verhandlungen ausschließen. In der Tat sind die Gespräche bis zu ihrem Abschluss grundsätzlich geheim. Im März ersuchte Statewatch um die Offenlegung eines von zwei Vertragsentwürfen. Der Rat lehnte mit der Begründung ab, dass dies die Interessen der EU an einer „effizienten Verhandlungsführung mit einem Drittstaat“ beeinträchtigte. Auf eine Beschwerde hin gab er fünf von vierzehn Seiten frei, wesentliche Inhalte der Gespräche blieben unter Verschluss. Die weitere Geheimhaltung rechtfertigte er mit einer „Güterabwägung“, wonach der „Schutz der Absichten des Rates die Interessen der Petenten an der ‚demokratischen Kontrolle‘ des Verhandlungsprozesses“ überwiegen würde.
Der vollständige Text des Dokuments wurde Statewatch zugespielt und von der Bürgerrechtsorganisation veröffentlicht. Verhandelt wird demnach über Durchsuchungen und Beschlagnahmen, Telekommunikationsüberwachung, den Austausch personenbezogener Daten, die Beteiligung von US-Beamten an Gemeinsamen Ermittlungsgruppen in der EU sowie über Verfahren der beschleunigten Auslieferung.[3] Die bestehenden menschenrechtlichen Schranken für die Rechtshilfe würden damit abgebaut. Es scheint, dass eine Reihe von EU-Staaten bereit ist, sich durch die Lieferung von Beweismaterial und Zeugen zum Komplizen der US-Justiz und ihrer Todesurteile zu machen – und das obwohl sich alle EU-Staaten durch die Ratifizierung des Protokolls Nr. 6 der EMRK bzw. die Unterzeichnung des Protokolls Nr. 13 zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe bekannt haben.
Abkommen mit Europol
Ganz oben auf der Bush-Agenda stand auch der Abschluss eines Abkommens zum Austausch personenbezogener Daten zwischen Europol und den US-Behörden. Bisher hat Europol elf Abkommen mit Drittstaaten und Nicht-EU-Organisationen geschlossen. Üblicherweise wird vor Beginn der eigentlichen Verhandlungen über eine solche Vereinbarung ein Bericht über den Datenschutz in dem betreffenden Drittland erstellt und von der Gemeinsamen Kontrollinstanz (GKI) angenommen. Die USA verfügen jedoch nicht über Datenschutzgesetze. Der Privacy Act von 1974 gewährt zwar einige Rechte für US-BürgerInnen, aber eben nur für sie (und nicht etwa für alle EinwohnerInnen). Diese datenschützerische Leerstelle hat den Verhandlungen aber nicht im Wege gestanden.
Am 6. Dezember 2001 wurde ein vorläufiges Kooperationsabkommen unterzeichnet – trotz des Einspruchs der GKI, die vor Abschluss nicht ausreichend konsultiert worden war.[4] In ihrer Stellungnahme hatte sie u.a. darauf hingewiesen, dass die Europol-Konvention nur vollständige Vereinbarungen zulasse, nicht aber ein solches Interimsabkommen. Dieses sieht eine Stationierung von Verbindungsbeamten sowie die Übermittlung „strategischer“ Informationen vor. Die Weitergabe personenbezogener „operativer“ Daten ist darin ausgeschlossen, sie erfolgt dennoch, aber „ausnahmsweise … ohne Vereinbarung“.
Ein vollständiges Kooperationsabkommen ist mittlerweile fertiggestellt und harrt der Annahme durch den Rat.[5] Sein Text ist widersprüchlich, überschreitet das Mandat Europols und ist mit den in der Konvention enthaltenen (ohnehin unzureichenden) Datenschutzbestimmungen nicht vereinbar. Im derzeitigen Klima mag es zwar verständlich sein, dass Behörden der Mitgliedstaaten Informationen mit ihren Partnern in den USA teilen wollen. Es kann jedoch nicht hingenommen werden, dass die EU gegenüber den USA nicht wenigstens dasselbe Niveau des Schutzes für Individuen verlangt, das für den Datenaustausch mit und über Europol innerhalb der EU vorgeschrieben ist. In dem Entwurf des Abkommens mit den USA sind Datenschutzfragen und das Auskunftsrecht der BürgerInnen nicht einmal erwähnt.
Einwanderungs- und Grenzkontrolle
Die „Terrorismusbekämpfung“ befördert auch die bestehenden Anstrengungen der Einwanderungskontrolle und der Beschränkung des Asylrechts. Der Bush-Brief enthielt sieben spezifische Vorschläge der Zusammenarbeit bei der Grenzkontrolle – über alle sieben ist weiter verhandelt worden. Die Liste der besprochenen Themen ist lang. Sie umfasst u.a. die folgenden Punkte: die Weitergabe von Flugpassagierlisten sowie Listen von an der Grenze zurückzuweisenden Personen („inadmissibles“), eine gemeinsame Datenbasis über Visumanträge, gleichgültig ob sie positiv oder negativ entschieden wurden (die USA haben bereits eine solche Datenbank, die EU ist bei den Planungen), eine verbesserte Kooperation bei der Abschiebung von Personen, die gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen verstoßen, von Kriminellen sowie von „inadmissibles“, den Austausch von Informationen über gestohlene Reisedokumente, die Kooperation mit Drittstaaten sowie insbesondere Ausstattungs- und Ausbildungshilfen für deren Grenzpolizeien. Das Potential für eine zukünftige Kooperation scheint grenzenlos. Je mehr sich die US-Behörden von dieser Zusammenarbeit nicht nur Auswirkungen auf die Terrorismusbekämpfung, sondern generell gegen illegale Einwanderung versprechen, desto länger könnte die Liste der Vorschläge werden.[6]
Zu hinterfragen ist in diesem Zusammenhang auch der Einfluss von US-Vertretern auf politische Entscheidungen in der EU. US-Beamte nahmen regelmäßig an Ratsarbeitsgruppen teil, umgekehrt wurden EU-Beamte auf der anderen Seite des Atlantiks empfangen. Im Gefolge des 11. Septembers erleben wir die Entstehung einer „Achse des Nordens“ (Tony Bunyan) mit einer gemeinsamen Politik Innerer Sicherheit. Die Teilnahme an EU-Arbeitsgruppen ermöglicht es US-Beamten, einen bisher ungekannten und auch nicht kontrollierbaren Einfluss auf politische Prozesse in der EU auszuüben. „Die USA sind in der Tat zum 16. EU-Mitgliedstaat geworden.“[7] Die Präsenz US-amerikanischer Behördenvertreter ist aber auch in anderen internationalen Foren spürbar – von der International Organisation for Migration (IOM) bis hin zum Europarat. Bei den Vereinten Nationen und der G8-Gruppe sind sie bekanntermaßen dominant.
Terror-Listen
Der weltweite „Krieg gegen den Terrorismus“ lässt die EU auch in komplexen und seit langem andauernden Konflikten in Drittstaaten Partei ergreifen – ohne dass die Öffentlichkeit in der Union darauf Einfluss nehmen könnte. Im Oktober 2001 begann die EU umstandslos, die von dem für die Sanktionen gegen die Taliban zuständigen UN-Ausschuss zusammengestellten „Terroristenlisten“ in EU- bzw. EG-Recht zu überführen. Übernommen wurde damit ein völlig willkürlicher Mechanismus zum Einfrieren von Vermögen und sonstigen Maßnahmen gegen Gruppen und Einzelpersonen.[8]
Drei schwedische Staatsbürger somalischer Herkunft fielen diesem Mechanismus bereits im November 2001 zum Opfer. Ihr gesamtes Vermögen wurde gesperrt, nachdem ihr Arbeitgeber, die Geldüberweisungsorganisation al-Barakaat, von den USA zur terroristischen Vereinigung erklärt worden war. Beweise für eine Verbindung zu tatsächlich terroristischen Gruppen oder zu Anschlägen haben die USA bisher nicht präsentiert. Für die drei gab es keine Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen. Und die in der Öffentlichkeit heftig kritisierte schwedische Regierung hatte aufgrund der völkerrechtlichen Verpflichtungen des Landes keine Möglichkeiten eines anderen Vorgehens. Zehn Monate diplomatischer Verhandlungen waren notwendig, um zwei der drei Personen von der Liste zu streichen, nachdem sie zuvor einen umfänglichen Fragebogen des US-Justizministeriums ausgefüllt hatten. Der dritte Mann hatte sich dieser Prozedur der Beweislast-Umkehr verweigert.[9]
Seit Ende Dezember 2001 übernimmt die EU nicht nur die von den USA diktierte UN-Liste, sondern produziert darüber hinaus ihre eigene nicht minder willkürliche. Dem Druck der USA ist es geschuldet, dass José Maria Sison auf beiden Listen zu finden ist. Sison lebt seit Jahren als anerkannter Flüchtling in den Niederlanden und war Berater der National Democratic Front bei den Friedensverhandlungen mit der philippinischen Regierung, die unter Schirmherrschaft Norwegens, Belgiens und der Niederlande stattfanden.[10] Mit der Erfassung von Sisons New People’s Army, der kurdischen PKK und anderer Gruppen brechen die EU-Staaten darüber hinaus ihr Versprechen, Befreiungsbewegungen in Drittstaaten zu respektieren, das sie bei der Annahme des Rahmenbeschlusses über die Terrorismusdefinition im Juni 2002 gegeben hatten.[11]
Wir müssen draußen bleiben
Die EU-Institutionen haben bei der Zusammenarbeit mit den USA geradezu eine obsessive Geheimhaltung erkennen lassen. Für Parlamente und Öffentlichkeit galt: „Wir müssen draußen bleiben.“ Bürgerrechte und menschenrechtliche Prinzipien erscheinen dabei nur mehr als Hindernisse einer effizienten Zusammenarbeit und Strafverfolgung.