Archiv der Kategorie: CILIP 083

(1/2006) WM 2006: Die Welt überwacht von Freunden

Trittbrett für Datenkraken – Mit Fragebögen und RFID-Tickets zum Daten-Weltmeister

von padeluun, FoeBuD e.V.

Was könnte es Besseres geben für die Befürworter eines Überwachungsstaates als ein Riesen-Fußball-Ereignis mit Millionen begeisterter Menschen, die für ihren Fußball wirklich alles tun würden – auch ohne nachzudenken sich freiwillig überwachen zu lassen. Das Ticket-System der WM macht’s möglich.

Zur Weltmeisterschaft wartet das Organisationskomitee der FIFA – sprich der Deutsche Fußballbund (DFB) – mit einem elektronischen Ticketsystem auf. Die Karten sind mit einem RFID-Chip versehen, der beim Eintritt ins Stadion ausgelesen wird und sie eindeutig einer bestimmten Person zuordnet. Die dafür nötigen Daten lieferten die Fans selbst: Sie mussten bei der Kartenbestellung einen umfangreichen Fragebogen ausfüllen. Glaubt man den Fußballfunktionären, dann soll dieses System zwei Funktionen erfüllen: Erstens sicherstellen, dass bekannte „Hooligans“ und Gewalttäter keinen Zugang zu den Stadien erhalten, und zweitens den üblichen Schwarzmarkt ausschalten. Das System bedient jedoch nicht nur den völlig überdrehten Sicherheitswahn, sondern vor allem die Werbeinteressen der Sponsoren, die zumindest einen Teil der Kundendaten erhalten werden. Trittbrett für Datenkraken – Mit Fragebögen und RFID-Tickets zum Daten-Weltmeister weiterlesen

G8-Gipfel vor Gericht – Juristisches Verwirrspiel um die Repression in Genua 2001

von Anneke Halbroth mit Supporto Legale Genua

Seit dem G8-Gipfel in Genua im Sommer 2001 sind fast fünf Jahre vergangen, und geblieben sind nicht nur die Bilder von kraftvollen Protesten, sondern auch die Erinnerungen an einen Gipfel, der viel Polizeigewalt und Repression mit sich brachte.

Die öffentliche Aufregung hat sich gelegt, in Italien und anderswo; und die Vorgänge der Tage im Juli beschäftigen zur Zeit vor allem die Justiz. Derzeit werden in Genua mehrere Prozesse verhandelt. Davon sind in drei Prozessen Polizisten, aber auch Ärzte und Pflegepersonal angeklagt; in einem vierten Prozess stehen 25 italienische AktivistInnen vor Gericht. G8-Gipfel vor Gericht – Juristisches Verwirrspiel um die Repression in Genua 2001 weiterlesen

Literatur

Zum Schwerpunkt

Großereignisse sind naturgemäß ein polizeiliches Aufgabenfeld. Wo viele Menschen zusammenkommen, wo viel öffentliche Aufmerksamkeit gewiss ist, da liegt es auf der Hand, dass Kriminalität vermehrt auftreten kann und dass Gefahren entstehen können. Dieser Allgemeinplatz erfährt im Fall der Fußball-WM eine besondere Zuspitzung. Hier fließen mindestens drei Entwicklungen zusammen, die die Sicherheit des Turniers zu einer ganz besonderen polizeilichen Angelegenheit machen: Erstens verfügen die Polizeien über langjährige Erfahrungen mit Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen, und sie haben ein reichhaltiges Repertoire an Mitteln entwickelt, um dieser Gewalt präventiv und repressiv zu begegnen. Zweitens stehen spätestens seit dem 11.9. alle Großveranstaltungen unter einer erhöhten terroristischen Anschlagsgefahr. Und drittens haben die FIFA und die Verbände mit ihren Vermarktungsstrategien die „schönste Nebensache der Welt“ derart überhöht, dass gerade in Fragen der Sicherheit nichts schief gehen darf. Seit Jahren arbeiten die deutschen Sicherheitsbehörden deshalb auf allen Ebenen daran, der Welt sichere Spiele zu präsentieren. Im Folgenden wird auf einige ausgewählte Veröffentlichungen hingewiesen, die einen Einblick in die polizeilichen Konzepte und WM-Vorbereitungen erlauben. Literatur weiterlesen

Herzlich willkommen? Behandlung von Fußballfans bei internationalen Turnieren

von Wilko Zicht

Ein Rückblick auf die Europa- und Weltmeisterschaften der letzten zwanzig Jahre zeigt: Wenn ein Turnier positiv verlaufen soll, dann dürfen Fans und ihre Interessen nicht nur als Sicherheitsrisiken wahrgenommen werden.

„Kultur ist nichts für Fußballfans, die verstehen nur den Polizeiknüppel.“ Das war die kurze und prägnante Antwort eines hohen DFB-Funktionärs auf die Frage, wie die vielen zur Europameisterschaft 1988 erwarteten Fans empfangen werden sollten.[1] Dementsprechend sahen die Empfangskomitees vor den Bahnhöfen aus: Behelmte Hundertschaften nahmen sich der BesucherInnen aus England, den Niederlanden und aus Italien an und spielten für sie während des gesamten Aufenthalts in Deutschland die Rolle des Gastgebers. Herzlich willkommen? Behandlung von Fußballfans bei internationalen Turnieren weiterlesen

Fußballfans unter Beobachtung – Die „Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze“

von Martina Kant

Erstellung aussagekräftiger Lagebilder über gewalttätige und gewaltbereite Fußballfans und Koordination der Sicherheitsmaßnahmen mit in- und ausländischen Polizeien im Vorfeld sowie während der Spiele. Das sind die wichtigsten Aufgaben der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze zur WM 2006. Aber auch sonst sammelt und verwaltet sie jede Menge Daten.

Die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) ist keine Erfindung zur Fußball-WM 2006. Bereits 1991 fasste die Innenministerkonferenz (IMK) den Beschluss, eine zentrale Sammelstelle für polizeilich relevante Informationen rund um den Sport, insbesondere den Fußball, einzurichten. Deren Zweck sei, „den Informationsaustausch zwischen den Polizeibehörden bei größeren Sportveranstaltungen zu standardisieren und zu intensivieren mit dem Ziel, Gewalttätigkeiten … zu verhindern“.[1] Anfang 1992 nahm die ZIS in Düsseldorf ihren Betrieb auf – zehn Jahre bevor die Einrichtung solcher Zentralstellen in allen EU-Staaten verpflichtend wurde. Die IMK entschied damals, die Stelle beim nordrhein-westfälischen Landeskriminalamt (LKA) anzusiedeln, da wegen der zahlreichen in Nordrhein-Westfalen ansässigen Bundesligavereine dort das größte Informationsaufkommen zu erwarten sei.[2] Im LKA ist die ZIS zusammen mit der Landesinformationsstelle Sporteinsätze (LIS) im Dezernat 43 der Abteilung „Einsatzunterstützung“ zugeordnet. Auch die anderen Bundesländer haben Landesinformationsstellen eingerichtet. Ihre Aufgabe ist es, Informationen jeweils in ihrem Zuständigkeitsbereich zu sammeln und an die ZIS weiterzugeben. Sie verstehen sich, so die Darstellung der Berliner LIS, als „Ansprechpartner für Behörden, Verbände, Vereine und andere Interessierte rund um Sport­einsätze“. Fußballfans unter Beobachtung – Die „Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze“ weiterlesen

Zwischen Werbestatist und Hooligan – Die Instrumentalisierung der Fans durch die Profiteure des Fußballgeschäfts

von Matthias Bettag

Für die einen sind sie eine Gefahr, für die anderen die notwendige Kulisse, von der der Fußball lebt. Kaum ein Begriff wird im Zusammenhang der Weltmeisterschaft so undifferenziert und beliebig benutzt wie der des „Fußballfans“.

Für den Generalsekretär des Deutschen Fußballbundes und Vizepräsidenten des WM-Organisationskomitees, Horst R. Schmidt, ist „jeder Zuschauer ein Fußballfan und jeder Fußballfan ein Zuschauer“.[1] Für den ehemaligen Bundesinnenminister Otto Schily sind „Fußballfans keine Gewalttäter und Gewalttäter keine Fußballfans“.[2] Beide Aussagen sind symptomatisch für die Instrumentalisierung von Fußballfans.

Schmidt macht es mit seiner pragmatischen Definition vor allem dem Marketing recht: Der Profifußball – und das gilt vor allem für die WM – ist ein kommerzielles Großereignis mit hohen Profiterwartungen. Aufgrund der Sponsoreninvestitionen sowie massiver direkter und indirekter Unterstützung aus Steuergeldern ist der Fußball ein Milliardengeschäft, welches jedoch für sich in Anspruch nimmt, dem Gemeinwohl zu dienen. Sponsoren zahlen enorme Summen für exklusive Werberechte, wenn die zu bewerbende Zahl der Zuschauer hoch ist. Zwischen Werbestatist und Hooligan – Die Instrumentalisierung der Fans durch die Profiteure des Fußballgeschäfts weiterlesen

Höher, schneller, weiter – Wie die EU-Polizeien in Sachen Fußball kooperieren

von Heiner Busch

Noch mehr Daten, noch umfassendere Lagebilder, kontrollierte Grenzen und eingeschränkte Bewegungsfreiheit: Mit sportlichem Eifer dehnen die Polizeien der EU ihre Kooperation bei Fußballspielen aus.

Ende August 2004, wenige Wochen nach dem Ende der Fußball-Europa­meisterschaft präsentierte Portugal in der Polizeiarbeitsgruppe des EU-Rates eine Bilanz des Großereignisses.[1] Rund 1,2 Millionen ZuschauerInnen hatten die Spiele in den Stadien gesehen. 600.000 Personen waren für die Euro 04 aus dem Ausland nach Portugal gekommen. Zwischenfälle hatte es nur wenige gegeben. 261 Personen (darunter 99 BritInnen und 26 Deutsche) hatte die Polizei in den vier Wochen festgenommen, von weiteren hundert hatte sie die Personalien festgestellt. Die Vorwürfe lauteten überwiegend auf Ticketverkauf auf dem Schwarzmarkt und Ordnungsstörungen. Dass es so ruhig geblieben war, war für die portugiesische Polizei ein Erfolg ihrer zurückhaltenden Strategie. Sie sei mit vielen zivilen Kräften präsent gewesen und habe ihre Bereit­schaftspolizei im Hintergrund gehalten. Höher, schneller, weiter – Wie die EU-Polizeien in Sachen Fußball kooperieren weiterlesen

Chronologie

zusammengestellt von Norbert Pütter

Dezember 2005

06.12.: Ausländische terroristische Vereinigung: Generalbundesanwalt Kay Nehm klagt drei Männer wegen Mitgliedschaft bzw. Unterstützung an. Einer der drei soll als hochrangiges Al Qaida-Mitglied die anderen angeworben und zusammen mit ihnen Anschläge und mehrfachen Versicherungsbetrug zur Terrorfinanzierung vorbereitet haben.

07.12.: Privater Strafvollzug: Im hessischen Hünfeld wird die erste teilprivatisierte Haftanstalt in Deutschland eröffnet. Der private englische Betreiber stellt 45 % des Gefängnispersonals, das u.a. für Reinigung, Verpflegung und psychologische Betreuung zuständig ist. Chronologie weiterlesen

Europas Grenzen in Afrika – Immigrationsverhinderung um jeden Preis

von Rafael Lara

Die doppelten Stacheldrahtzäune um Ceuta und Melilla sind zum Sinnbild für die geschlossenen Grenzen der EU geworden. Im Herbst 2005 wagten afrikanische Flüchtlinge und ImmigrantInnen mehrfach den verzweifelten Versuch, die Grenzbefestigungen um die beiden spanischen Exklaven auf der südlichen Seite der Meerenge von Gibraltar zu stürmen.

Die Ereignisse des letzten Herbstes haben eine längere Vorgeschichte. Seit Jahren setzen die EU und insbesondere Spanien die marokkanische Regierung unter Druck, sie solle der irregulären Einwanderung von AfrikanerInnen von südlich der Sahara ein Ende setzen. Nachdem die marokkanische Polizei sie aus den Städten vertrieben hatte, hatten Tausende von AfrikanerInnen im Jahre 2004 in behelfsmäßigen Lagern in der Nähe der Grenzen zu Ceuta und Melilla Zuflucht gesucht: in Oujda, El Gourugú, Mesnana und Benyunesh. Diese Personen hatten die Reise quer durch den Kontinent hinter sich – eine Reise, die teilweise bis zu einem Jahr dauerte und unter den unmenschlichsten Bedingungen stattfand: kaum Wasser und Nahrung, lange Fußmärsche, häufig genug polizeiliche Verfolgung und willkürliche Festnahmen. Nun mussten sie über Monate hinweg die Bedingungen dieser Lager erdulden. Tausende, darunter schwangere Frauen und Kinder, lebten hier ohne Versorgung und Obdach, ohne sauberes Wasser und ohne eine adäquate medizinische Hilfe.[1] Hinzu kamen die ständigen Hetzjagden, die Razzien und die Gewalt der marokkanischen Ordnungskräfte.[2] Europas Grenzen in Afrika – Immigrationsverhinderung um jeden Preis weiterlesen