Gewerkschaftliche Probleme / Chancen infolge des Neuaufbaus der Polizei in den früheren Ländern der DDR

von Hermann Lutz

Überraschender Zugewinn an persönlicher Habe oder auch an Problemen wird gelegentlich in jenen Vergleich gestellt, wonach man zu diesem „Reichtum“ wie die Jungfrau zum Kinde gekommen sei. Was die fünf neuen Länder angeht, so war die Zeit der „Schwangerschaft“ von Anfang November 1989 bis zum 3. Oktober 1990 zwar etwas lang geraten, doch ist sonst an dem Vergleich durchaus etwas dran: jetzt haben wir fünf neue Länder und zugleich einen Haufen Probleme, zumal niemand gelernt hat, wie man mit einer solchen Situation umgeht – genausowenig wie sich die meisten jungen Eltern darauf eingerichtet haben, plötzlich fünf Kinder zu haben. Wir haben es in der Gewerkschaft der Polizei zwar „nur“ mit der inneren Sicherheit zu tun bzw. dem Aufbau unserer eigenen Organisation in den neuen fünf Ländern, doch ist dies ein Brocken, mit dem wir es noch lange zu tun haben werden.

Viele Polizisten im Westen haben zwar während ihrer Ausbildung etwas vom Aufbau der damaligen Volkspolizei in der DDR gehört, doch waren einem derlei Schilderungen ebenso fern wie die Ortsnamen von Hoyerswerda, Senftenberg, Aschersleben, Halberstadt oder Bischofswerda. Sind wir ehrlich: die Geographie des Mittelmeeres war uns allen geläufiger als die der DDR.

Wir haben also in kurzer Zeit sehr viel lernen müssen – ebenso wie diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die nunmehr in der Polizei der fünf neuen Bundesländer Dienst tun, für die jedoch der Umbruch nach 40 Jahren ungleich heftiger ausgefallen ist als für uns. Die DDR war ein zentralistisch gelenkter Staat, also war bei der „Vopo“ alles auf das Mielke-Ministerium ausgerichtet. Und was gehörte nicht alles zur Vopo: die Feuerwehr, der Strafvollzug, das Paß- und Meldewesen, Betriebsschutz, irgendwann natürlich auch die Polizei selbst. Nach der Bildung der neuen Länder blieb davon allein die Polizei übrig, weil entsprechend westlicher Rechtslage und Organisationspraxis die übrigen Bereiche ausgegliedert wurden. Die Folge war schon aus diesem Grunde ein erheblicher Personalabbau, der dadurch ergänzt wurde, daß die führenden Köpfe wegen ihrer politischen Belastung kaum für den Aufbau einer Polizei stehen konnten, die einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat verpflichtet ist.

Die westlichen Bundesländer hatten sogenannte „Patenschaften“ für die neuen Länder übernommen – ein Modell, das auch die GdP beim Aufbau ihrer Landesbezirke angewandt hat.

Ein bißchen naiv glaubte man auf der dienstlichen Ebene, führenden Vopo-Offizieren Demokratie im Schnellkurs an der Führungsakademie beibringen zu können. Bei den entsprechenden Seminaren im Herbst letzten Jahres stellte sich heraus, daß die meisten Absolventen bereits von ihren Posten abgelöst waren, als sie wieder nach Hause kamen. Da wurde viel Zeit und Geld – vom Personaleinsatz ganz zu schweigen – vergeudet, was im Hinblick auf die Aus- und Fortbildung der vor Ort tätigen Polizisten wesentlich gewinnbringender anzuwenden gewesen wäre. Inzwischen ist man schlauer geworden. Hunderte von Kolleginnen und Kollegen aus dem Osten drücken nunmehr im Westen die Schulbank, um sich in ein neues Staats- und Verfassungsverständnis einzuarbeiten und das notwendige Rechtswissen aufzunehmen.

Der gewerkschaftliche Aufbau hat sich parallel zu der dienstlichen Zusammenarbeit entwickelt. Vor gut einem Jahr waren die ersten Kontakte zwischen „Vopos“ und West-Polizisten noch eine in den Medien vielbeachtete Sensation. Auch intern wurde dies so empfunden, zumal für den Osten jahrzehntelang ein absolutes Kontaktverbot bestanden hatte. Jetzt auf einmal konnte man miteinander reden, mehr noch, man mußte sogar zusammenarbeiten, weil die Entwicklung auf dem Verkehrssektor und bei der Kriminalität in den neuen Ländern zu einem ungeheuren Problem wurde. Die neugewonnene Freiheit zeigte hier ihre Kehrseite. Hinzu kamen Akzeptanzprobleme, weil allzuoft den Polizisten beim Einschreiten entgegen gehalten wurde: „Was wollt ihr denn, jetzt sind wir das Volk“. Ein Einschreiten gegenüber dem Bürger begründen zu müssen, dies zu können und eine Linie zu finden zwischen Verständnis und Festigkeit – das ist ein Prozeß, der verständlicherweise immer noch nicht abgeschlossen ist. Bürger und Polizei müssen sich sozusagen unter veränderten Bedingungen und unter einem neuen Selbstverständnis erst einmal wieder aneinander gewöhnen.

Auch innerhalb der Polizei muß Demokratie noch erlernt werden. Wir haben dies beim Aufbau der gewerkschaftlichen Organisation ebenso erfahren wie bei der Installation von Personalräten. Es ist schon schwierig: jetzt hat man eine freigewählte Landesregierung und der Innenminister glaubt, voller Elan eine Polizei aufbauen zu können. Und auf einmal kommt eine Gewerkschaft daher und äußert sich kritisch zu dessen Plänen, dies gemeinsam mit einem Personalrat, der sein Beteiligungsrecht sogar einklagen kann. Es ist ja auch nicht so, als gäbe es nur eine politisch belastete Spitze bei der ehemaligen Vopo, auch die Polizei trägt an „Altlasten“. Da mutet es schon merkwürdig an, wenn ein Innenminister jemanden für den Polizeidienst aufgrund der bisherigen Tätigkeit für untragbar hält, selbst jedoch jahrelang Mitglied des Zentralrates der FDJ gewesen ist. Da gerät das gerade aufkeimende Gefühl, was für eine demokratische Polizei tragbar ist und was nicht, bei den Kolleginnen und Kollegen der östlichen Bundesländer doch beträchtlich ins Wanken.

Was Not tut, ist also eine einigermaßen verläßliche Linie. Dies gilt auf vielerlei Gebieten. Die neuen Bundesländer sind nun einmal nicht die größten, und bei allem Eintreten für den Föderalismus muß man sich fragen, ob nun wirklich jedes Land völlig unterschiedliche organisatorische Strukturen bei der Polizei aufweisen muß. Dieser Vorwurf geht aber nicht an diese Länder allein, sondern trifft fast noch mehr die westlichen „Betreuungsländer“, die ihre eigene Struktur übertragen wissen wollten. Also: der Anfang ist gemacht, wahnsinnig viel ist noch zu tun, von der Gesetzgebung bis zur Organisation, von einer dringenden Personalvermehrung bis zu einer gründlichen Aus- und Weiterbildung, von sachgerechter Unterbringung bis hin zu einer einigermaßen ausreichenden Sachausstattung. Man glaubt es kaum: wenn es schon gelingt, nach einer Straftat einen Tatverdächtigen festzunehmen, fehlt es am entsprechenden Formular.

Dies ist gewiß nicht das drängendste Problem, doch es belegt, wie weit gespannt der Bogen der Probleme ist.

Hermann Lutz ist Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei seit November 1986. Auf internationaler Ebene ist Hermann Lutz Präsident der UNION INTERNATIONALE DES SYNDICATS DE POLICE, einem Zusammenschluß von 18 Europäischen Polizeigewerkschaften.

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