von Martina Kant
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hatte einen erheblichen Anteil am Skandal um den Nationalsozialistischen Untergrund. Nun soll ihm die Aufarbeitung des Skandals insbesondere eine gewichtigere Rolle im „Verfassungsschutzverbund“ bescheren.
Wegen der Affäre um die Vernichtung von V-Mann-Akten war BfVPräsident Heinz Fromm am 31. Juli 2012 auf eigenen Wunsch in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden. Nur fünf Wochen später, am 3. September, gab sein Nachfolger Hans-Georg Maaßen den Startschuss für eine „Reform“ des Amtes. Man hielt es offenbar für unnötig, die Ergebnisse der gemeinsam von Innenministerkonferenz (IMK) und Bundesinnenministerium (BMI) eingerichteten Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus sowie der NSU-Untersuchungsausschüsse in verschiedenen Parlamenten abzuwarten. Eine innerhalb des BfV gebildete und beim Vizepräsidenten als „Gesamtprojektleiter“ angesiedelte Projektgruppe begann mit der Konzeption des Reformprozesses. Am 1. Februar 2013 billigte das BMI das Vorhaben.[1] Noch im selben Monat startete die Umsetzung. Dabei zeigt sich mittlerweile, dass sich die Länder an neuralgischen Punkten, die ihre eigenen Kompetenzen und die Zusammenarbeit mit dem Bundesamt betreffen, den Vorschlägen des BMI und BfV widersetzen. Neben einer Reform „für den Verfassungsschutzverbund“ sieht das BfV-Konzept auch die interne Reform des Bundesamtes vor. Dabei gehe es nicht allein darum, „Lehren aus dem NSU-Komplex inkl. Aktenvernichtung“ zu ziehen, sondern um eine „zukunftssichere Neuausrichtung des Amtes“ und darum, „verlorengegangenes Vertrauen zurück(zu)gewinnen,“ so das BfV.[2]
„Binnenreform“ des Bundesamtes
Künftig will sich das BfV auf das Wesentliche konzentrieren und seine Prioritäten auf „gewaltorientierte Personen und Bestrebungen“ verlagern. Das bedeutet aber nicht, dass gewaltlose Gruppierungen nun nicht mehr beobachtet würden. Es geht vielmehr lediglich um einen im Verhältnis zur Gewaltorientierung „abgestuften Einsatz“ nachrichtendienstlicher Mittel[3] wie V-Leute oder G 10-Maßnahmen – im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
In Form von Pilotprojekten experimentiert das BfV mit einer Verzahnung der Organisationseinheiten „Beschaffung“ und „Auswertung“, um die Informationsgewinnung und -aufbereitung zu verbessern. Schon Mitte der 1990er Jahre hatte das Amt den Bereich Rechtsextremismus in thematische Projekteinheiten gegliedert, in denen BeschafferInnen und AuswerterInnen enger kooperierten. Bei der Zusammenlegung der Abteilungen Links- und Rechtsextremismus im Jahre 2006[4] wurden Beschaffung und Auswertung wieder getrennt. Erfolgreich war angesichts des NSU-Debakels offenbar kein Modell.
Parallel zu den aktuellen Pilotprojekten wurde abteilungsübergreifend zum 1. Juli 2013 eine „Fachprüfung Auswertung“ eingerichtet. Sie soll die Fachabteilungen beraten und – wie es das BfV nennt – „quer denken“, um der Auswertung neue Impulse zu geben. Außerdem überprüft sie die Einhaltung „neuer Qualitätsstandards“ bei den Auswertungseinheiten.[5] Wie diese neuen „Leitlinien für die Auswertung“ aussehen, halten BfV und IMK unter Verschluss. Für den Bereich der Beschaffung gibt es im BfV bereits seit 1986 eine solche fünf Mann starke Fachprüfgruppe („für operative Sicherheit und Kontrolle“). Sie ist insbesondere für die Kontrolle der Werbung und Führung von V-Leuten zuständig.[6] Ihre Existenz hat aber nicht verhindert, dass das BfV beispielsweise Neonazis mit zahlreichen Ermittlungsverfahren und Verurteilungen als V-Leute anheuerte und diese während ihrer Tätigkeit für das Bundesamt Straftaten begingen.[7]
Als Folge des Skandals um die Vernichtung von V-Mann-Akten nach Auffliegen des NSU im November 2011 ist im BfV eine neue Dienstvorschrift zur Aktenvernichtung in Kraft getreten; weitere interne Vorschriften zur Verwaltung von Daten und Akten sollen vereinheitlicht und die BfV-MitarbeiterInnen regelmäßig über neue Datenschutzregelungen informiert werden. Nötig bleibt jedoch weiterhin eine gesetzliche Klarstellung zur Vernichtung von Papierakten und Löschung von Daten.[8] Denn jenseits des Skandals um die Aktenschredderung hatte das BfV papierne Unterlagen wegen fehlender Vorschriften im Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) zunächst gar nicht vernichtet, sondern jahrzehntelang in seinen Regalen gestapelt.
Auch an das Personal und dessen Ausbildung will das BfV heran. Für die jeweiligen Laufbahnen und Verwendungen sollen „Anforderungsprofile im ‚Baukastensystem‘“ entwickelt werden, um qualifizierte MitarbeiterInnen passgenau einsetzen zu können. Man fragt sich, wie das BfV in der Vergangenheit sein Personal eingesetzt hat, denn das Erstellen von Anforderungsprofilen ist seit jeher ein wesentliches Instrument von Personalbeschaffung, -auswahl und -einsatz. Außerdem will das BfV künftig stärker „wissenschaftliche und operative Analysekompetenzen“ für die Auswertung nutzen und ein diesbezügliches Konzept für die Aus- und Fortbildung erarbeiten.[9]
Völlig losgelöst vom NSU-Skandal und auch noch vor den Enthüllungen von Edward Snowden über die Überwachung durch die NSA nahm das BfV in seinen Wunschzettel den Ausbau der Technik- und Cyberkompetenz auf. In den Feldern Cybermobilisierung, Cyberterrorismus, -sabotage und -spionage will es sich „ertüchtigen und zukunftsfähig werden“ und stockt in diesem Bereich derzeit Personal auf – nicht zuletzt, um sich in dem seit April 2011 arbeitenden Nationalen Cyber-Abwehrzentrum in Bonn verstärkt einzubringen. Um die Cybersicherheit zu gewährleisten, will das BfV die Kooperation der Sicherheitsbehörden verbessern sowie ein Konzept zur Zusammenarbeit mit der Wirtschaft erstellen.
Schließlich zählt das BfV zu seiner „Binnenreform“ die „Verstärkung der parlamentarischen Kontrolle“ sowie mehr Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit. Im ursprünglichen Konzept wollte das Amt künftig die parlamentarischen Gremien nicht nur intensiver und proaktiv unterrichten, sondern gar verstärkt in die Kontrolle des Einsatzes von V-Leuten einbeziehen.[10] Von Letzterem ist in der Zusammenfassung der bisherigen Reform-Ergebnisse von Juli 2013 keine Rede mehr. Hier ist wohl zunächst der Gesetzgeber gefragt, der sich dann aber auch des Problems der Gewaltenteilung stellen müsste (wenn ggf. Abgeordnete laufende Exekutivmaßnahmen prüfen oder gar billigen). Schon heute ist die Bundesregierung verpflichtet, das Parlamentarische Kontrollgremium von sich aus umfassend über die allgemeine Tätigkeit des BfV und über „Vorgänge von besonderer Bedeutung“ zu unterrichten. Der Streit, was denn nun Vorgänge von besonderer Bedeutung seien, ist ein Dauerbrenner – insbesondere wenn die KontrolleurInnen über einen Geheimdienst- Skandal wieder einmal zuerst aus den Medien erfahren mussten. Ob daran das geplante „neu strukturierte Berichtswesen“ des BfV etwas ändern wird, muss sich zeigen. Letztlich bestimmt die Bundesregierung weiterhin, was ihr berichtenswert erscheint.
In seiner Öffentlichkeits- und Transparenzinitiative sieht das Konzept vor, einen Beirat für das Bundesamt für Verfassungsschutz einzurichten, „um eine stärkere Anbindung der Arbeit des BfV an gesellschaftliche Entwicklungen zu gewährleisten.“[11] Ob es sich dabei um ein mit WissenschaftlerInnen und/oder zivilgesellschaftlichen Gruppen besetztes Beratungsgremium handeln und welche konkreten Funktionen es haben soll, verrät das Konzept bislang nicht. Das aktuelle Beispiel Thüringens nährt aber den Verdacht, dass ein solcher Beirat dem gebeutelten Verfassungsschutz lediglich eine ordentliche Portion Legitimität und Legitimation zurückgeben soll: In der Begründung des Referentenentwurfs für ein neues Verfassungsschutzgesetz heißt es, der Beirat sei „zentraler Bestandteil der Verankerung des Verfassungsschutzes in der Mitte der Gesellschaft zur Verstärkung der Präventionsarbeit“.[12]
Reform im „Verfassungsschutzverbund“
Weit konfliktträchtiger als die „Binnenreform“ sind die geplanten (und zum Teil schon umgesetzten) Veränderungen im Bereich der Zusammenarbeit der Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) mit dem Bundesamt. Hierbei geht es in erster Linie um den Ausbau der Zentralstellen- und Koordinierungsfunktion des BfV, um erweiterte Zusammenarbeitsverpflichtungen für die Länder sowie um den Einsatz von V-Leuten und die Einrichtung einer zentralen V-Leute-Datei.
Bereits auf der IMK-Tagung im Dezember 2012 hatten die LandesministerInnen eine neue „Zusammenarbeitsrichtlinie“ (ZAR) von BfV und LfV beschlossen, die die alte, in weiten Teilen identische „Koordinierungsrichtlinie“ zum 31. Dezember 2012 ablöste. Darin wird das BfV in seiner Zentralstellenfunktion und bei der Koordinierung der Informationssammlungen im Vorgriff auf geplante Änderungen im BVerfSchG weiter gestärkt. Zwar waren die Landesbehörden auch vorher schon verpflichtet, alle ihre Informationen im Bereich der Spionageabwehr, des islamistischen Terrorismus (seit Mai 2004) und des gewaltbereiten Rechtsextremismus (seit Dezember 2011) an das BfV zu übermitteln; das Bundesamt musste sie zentral auswerten und die Länder über alle relevanten Erkenntnisse unterrichten.[13] Nach der neuen Richtlinie muss das BfV nun „alle Erkenntnisse und Hinweise auf Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG zentral auswerten“,[14] die Landesämter müssen liefern: und zwar zum gesamten Spektrum Rechts, Links, Ausländer, Islamismus, Spionage. Das BfV soll außerdem diese Informationsübermittlungen koordinieren.[15]
Der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) – nur Gast in der IMK – wollte weitergehende Kompetenzen für das BfV. In einer Protokollnotiz bekundete er, er halte es
„darüber hinaus für erforderlich, dem Bundesamt für Verfassungsschutz im Falle einer gewaltorientierten Bestrebung in einem Land ein Selbsteintrittsrecht, jedenfalls aber ein Initiativrecht zur Übernahme der Informationssammlung und Koordinierung der erforderlichen Maßnahmen als weitere gesetzliche Aufgabe zu übertragen.“[16]
Zur Informationsbeschaffung in einem Bundesland darf das BfV – im Benehmen mit der betroffenen Landesbehörde[17] – bislang nur tätig werden, wenn die zu beobachtenden „Bestrebungen und Tätigkeiten“ den Bund betreffen, über ein Land hinausgehen, auswärtige Belange berühren oder eine Landesbehörde das BfV bittet, tätig zu werden (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 BVerfSchG). Der BMI wollte diese Voraussetzungen bei der Beobachtung „gewaltsamer Bestrebungen“ außer Kraft setzen und das BfV grundsätzlich selbst tätig werden lassen. Im Ergebnis beschloss die IMK im Dezember 2012 hierzu nur, dem BfV „im Rahmen seiner Zuständigkeiten“ eine weitere „Koordinierungskompetenz im Benehmen mit den Ländern“ zu übertragen und bei „Maßnahmen zur Beobachtung extremistischer Bestrebungen stärker arbeitsteilig“ vorzugehen – unter Koordinierung des BfV.[18] Mit anderen Worten eine klare Absage an Friedrich. Auch dem erneuten Versuch, in dem wenige Tage vor der IMK im Mai 2013 vorgelegten BMI-Gesetzentwurf die Ausweitung des genannten § 5 BVerfSchG hinsichtlich gewaltsamer Bestrebungen durchzusetzen, erteilten die Landesinnenminister eine Abfuhr.[19]
Bereits auf den IMK-Sitzungen im Dezember 2012 und Mai 2013 hatten sich die Innenminister auf Eckpunkte für eine zentrale V-Leute- Datei beim BfV sowie auf eine Standardisierung der Regelungen für den V-Leute-Einsatz verständigt.[20] Die V-Leute-Datei, die bis Ende 2013 eingerichtet sein sollte, ist noch immer nicht in Betrieb. Die „Anforderung an Auswahl und Führung von V-Leuten“ will die die neue Bundesregierung laut Koalitionsvertrag im BVerfSchG regeln; die Länder wollen dies überwiegend in Dienstvorschriften auf Grundlage eines von Bund und Ländern im Rahmen der IMK erstellten „Leitfadens“ tun.[21] Als Gewinner aus dem NSU-Skandal geht auch die „Schule für Verfassungsschutz“ hervor. Die von Bund und Ländern gemeinsam betriebene Aus- und Fortbildungseinrichtung soll nach dem Willen der IMK und der Großen Koalition zu einer „Akademie für Verfassungsschutz“ ausgebaut werden.[22]
Gesetzgeber am Zug
Für einen Teil der Maßnahmen ist eine Änderung des BVerfSchG notwendig. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat hierzu Ende Februar angekündigt, zügig einen Gesetzentwurf vorzulegen.[23] Unklar ist noch, ob de Maizière den Konfrontationskurs seines Amtsvorgängers mit den Ländern fortsetzt. Im Bericht der Bundesregierung über den Umsetzungsstand der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses vom 26. Februar 2014 sind jedenfalls als Themenschwerpunkte eines Gesetzentwurfes ausgewiesen:
- „Stärkung der zentralen Stellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Verbund
- Ausbau der Analysefähigkeit im nachrichtendienstlichen Informationssystem der Verfassungsschutzbehörden und
- Regelungen zu Auswahl und Einsatz von Vertrauensleuten, inklusive Begriffsdefinition und parlamentarischer Kontrolle.“
Hinzukommen könnte die bereits geforderte Verlängerung der Speicherfristen für Daten des BfV von derzeit zehn auf 15 Jahre sowie die entgrenzte Nutzung des Nachrichtendienstlichen Informationssystems „Wissensnetz“ (NADIS WN) als Volltextdatei für alle Beobachtungsbereiche der Verfassungsschutzbehörden.