Archiv der Kategorie: CILIP 072

(2/2002) Versammlungsfreiheit, Demonstrationen und Polizei

Polizeirecht nach Landgrafenart – Über den Versuch des thüringischen Gesetzgebers, alle Überwachungslücken zu schließen

von Martin Kutscha

Bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2001 pries Thüringens Innenminister Christian Köckert (CDU) sein Bundesland wegen der alljährlich sinkenden Fallzahlen noch als eines der sichersten der Republik. Dennoch meinte die regierende CDU, auf der allgemeinen Verschärfungswelle reiten zu müssen und gewährte der Polizei und dem Verfassungsschutz mit dem „Gesetz zur Änderung des Polizei- und Sicherheitsrechts“ weitreichende neue Befugnisse. Am 28. Juni 2002 trat die Novelle in Kraft.[1]

Die ursprüngliche Fassung des Thüringer Polizeiaufgabengesetzes (PAG) stammt von 1992 und folgte dem Vorbild Baden-Württembergs. Schon damals befand man sich in der Gruppe der Länder mit dem „schärfsten“ Polizeirecht. 1997 und 1999 sorgten Novellen dafür, dass der Anschluss an diese Spitzengruppe erhalten blieb:[2] Die „Schleierfahndung“ wurde eingeführt, die gesetzlichen Voraussetzungen des „Unterbindungsgewahrsams“ sowie des Einsatzes technischer Mittel in Wohnungen wurden gelockert. Auch ein Teil der jetzt neu eingeführten Bestimmungen knüpft an ähnliche Regelungen in anderen Bundesländern an, geht punktuell aber darüber hinaus.

So haben inzwischen mehrere Länder nach dem Vorbild von Niedersachsen (1996) das polizeirechtliche Instrument des Aufenthaltsverbots neben der nur kurzfristigen Maßnahme der Platzverweisung eingeführt. Das Verbot, einen bestimmten örtlichen Bereich für einen längeren Zeitraum – im thüringischen Fall bis zu drei Monaten – zu betreten, stellt einen gravierenden Eingriff in das Grundrecht der Freizügigkeit (Art. 11 Grundgesetz, GG) dar. Polizeirecht nach Landgrafenart – Über den Versuch des thüringischen Gesetzgebers, alle Überwachungslücken zu schließen weiterlesen

Vor neuen Gipfeln – Über die Schwierigkeiten internationaler Demonstrationen

von Heiner Busch

EU- oder G8-Gipfel, Tagungen der Welthandelsorganisation oder des (privaten) Davoser World Economic Forums – wo die Mächtigen der Welt zusammenkommen, wird die Wahrnehmung demokratischer Rechte zum Risiko.

Rund ein Jahr ist es her, dass ein 20-jähriger Carabiniere bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua einen 23-jährigen Demonstranten erschoss. Der Tod des Carlo Giuliani, die Blutspuren in der „durchsuchten“ Scuola Diaz und die Misshandlung von Inhaftierten, die „teilweise über 15 Stunden an der Wand stehen oder 24 Stunden ohne Wasser und Nahrung“ verbringen mussten, haben Ende Juli letzten Jahres die Öffentlichkeit erschüttert.[1] Für kurze Zeit wurde die stereotype Warnung vor dem „Schwarzen Block“ von der Kritik an der Eskalationsstrategie der Regierung Berlusconi und ihrer Polizei überlagert. Die systematische Unterdrückung der Proteste gegen den G8-Gipfel in Genua waren jedoch kein singuläres Ereignis. Bereits wenige Wochen zuvor, beim Treffen des Europäischen Rates in Göteborg, hatten Polizisten gegen Demonstrierende von der Schusswaffe Gebrauch gemacht.

Nach den Ereignissen von Genua sah sich selbst das Europäische Parlament (EP) gezwungen, die EU-Regierungen auf die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, den Datenschutz und die Bewegungsfreiheit hinzuweisen. Im sog. Watson-Bericht kritisiert das EP den „unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt“ und propagiert eine Deeskalationsstrategie sowie den „Dialog mit den Globalisierungsgegnern“. Mit seinen Forderungen, „gewalttätige Gruppen (den so genannten ‚Black Block‘) oder kriminelle Organisationen“ effizient zu bekämpfen sowie EU-weit zu definieren, wer bzw. was „gefährliche Personen und Verhaltensweisen“ sein sollen, rennt das EP beim Rat der Innen- und Justizminister jedoch offene Türen ein.[2] Vor neuen Gipfeln – Über die Schwierigkeiten internationaler Demonstrationen weiterlesen

Literatur

Zum Schwerpunkt

Obwohl zum Thema „Polizei und Demonstrationen“ viel veröffentlicht wurde und wird, fehlen nach wie vor Darstellungen, die die polizeiliche Praxis gegenüber Demonstrationen wie die Praxis der Demonstrierenden gegenüber der Ordnungsmacht mehr als nur punktuell beleuchten. Soweit ersichtlich mangelt es ebenso an Untersuchungen, in denen ereignisbezogen die verschiedenen Perspektiven systematisch analysiert werden, wie an solchen, die die strategischen Wandlungen und die empirischen Variationen demonstrationsbezogener Polizeieinsätze über die Jahre oder Jahrzehnte hinweg verfolgen. Im Folgenden können deshalb nur Hinweise auf einige Veröffentlichungen gegeben werden, die nicht mehr als Teile eines unfertigen Puzzles sind. Literatur weiterlesen