Archiv der Kategorie: CILIP 072

(2/2002) Versammlungsfreiheit, Demonstrationen und Polizei

Misshandlungen mit Todesfolge in Köln

Im Anschluss an seine Festnahme wegen aggressiven Verhaltens wurde der 31-jährige Stephan Neisius am 11. Mai 2002 in einem Polizeiwagen und später auf der Kölner Eigelsteinwache von sechs Polizeibeamten schwer misshandelt; nach zweiwöchigem Koma starb der Mann am 24. Mai Zwei Polizeibeamte sagten aus, als der Streifenwagen zur Wache gekommen sei, sei „Empfangskommando“ gerufen worden – eine dort scheinbar übliche Art, schwierige Zuführungen zur Wache zu benennen. Der an Händen und Füßen gefesselte Neisius sei daraufhin brutal geschlagen, getreten und schließlich an den Füßen durch den Flur in die Zelle geschleift worden. Misshandlungen mit Todesfolge in Köln weiterlesen

IMSI-Catcher durch die Hintertür

Noch im letzten Heft hat CILIP über die fehlende Rechtsgrundlage für den Einsatz des sogenannten „IMSI-Catchers“ für die Strafverfolgung berichtet.[1] Nachdem der Bundesgesetzgeber bereits im Terrorismusbekämpfungsgesetz, das am 1.1.2002 in Kraft trat, den IMSI-Catcher für den Verfassungsschutz des Bundes legalisierte, hat die Regierungsmehrheit den Einsatz des Gerätes zur Ortung, Identifizierung und Überwachung von Mobilfunkanschlüssen nun auch in der Strafprozessordnung (StPO) explizit geregelt. IMSI-Catcher durch die Hintertür weiterlesen

Informationsfreiheitsgesetze

Gut ein Jahr lang wurde zwischen den Bundesministerien, Lobbyisten und den Regierungsfraktionen um das in der rot-grünen Regierungserklärung versprochene Informationsfreiheitsgesetz (IFG) gerungen. Nach­dem im April ein überarbeiteter Gesetzentwurf bekannt geworden war, der den Einwänden der Transparenz-Gegner weitgehend folgte, erklärten Politiker der Grünen Anfang Juni das Vorhaben für vorerst gescheitert. Der Entwurf hatte die Ausnahmen vom Prinzip der Informationsfreiheit erheblich erweitert (vor allem in den Bereichen des Verteidigungs- und Wirtschaftsministeriums und der Geheimdienste); außerdem beharrte der Finanzminister auf „kostendeckenden“ Gebühren. Informationsfreiheitsgesetze weiterlesen

Polizeiliche Todesschüsse 2001

von Otto Diederichs

Während der Schusswaffengebrauch bei der Polizei in den Jahren 1999 mit 3.410 und 2000 mit 3.594 Fällen relativ stabil war, haben deutsche Polizisten im vergangenen Jahr wieder deutlich häufiger zu ihrer Schusswaffe gegriffen. Mit insgesamt 4.172 Waffeneinsätzen liegt deren Zahl um mehr als 500 Fälle über der des Vorjahres.

Bei seiner Vorstellung der offiziellen Schusswaffengebrauchsstatistik erklärte der amtierende Vorsitzende der Innenministerkonferenz (IMK), Bremens Innensenator Kuno Böse, diese rasante Zunahme damit, dass die Beamten im Jahre 2001 ihre Schusswaffen öfter gegen gefährliche, verletzte oder kranke Tiere hätten einsetzen müssen. Dies sei 3.950 Mal der Fall gewesen, während es im Jahre 2000 nur 3.382 Schüsse gewesen seien. Polizeiliche Todesschüsse 2001 weiterlesen

Chronologie

zusammengestellt von Marion Knorr

März 2002

01.03.: Beschuldigter im RZ-Prozess frei: Der Haftbefehl gegen den ehemaligen Hausmeister des Berliner Kulturzentrums Mehringhof, Axel Haug, wird am 28.2. vom Berliner Kammergericht außer Vollzug gesetzt. Haug gesteht Unterstützungsleistungen für die Revolutionären Zellen (RZ) ein, verneint aber das Vorhandensein von Waffendepots im Mehringhof. Am 8.5. wird mit Harald Glöde der letzte von insgesamt fünf Angeklagten freigelassen.

Hohe Haftstrafen für junge Neonazis: Wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung verhängt die Jugendkammer München gegen fünf Angeklagte im Alter von 18 bis 25 Jahren Strafen in Höhe von 15 Monaten bis 6 Jahren. Die Männer hatten im Januar vergangenen Jahres den Griechen Artemios T. vor einem Lokal brutal zusammengeschlagen.

02.03.: Polizei stellt Nazi-GegnerInnen Rechnung: Es wird bekannt, dass DemonstrantInnen, die am 1.5.2001 in Frankfurt a.M. gegen einen Neo-Nazi-Aufmarsch protestiert hatten, von der Polizei Gebührenbescheide wegen „Nichtbefolgung von Platzverweisen“ erhalten haben. Die Polizei rechnet „Transport und Ingewahrsamnahme“ mit 56 EUR ab. Chronologie weiterlesen

Biometrische Identifizierungssysteme – Auf dem Weg zur automatischen Überwachung

von Martina Kant und Heiner Busch

In Ausweispapiere und Visa sollen biometrische Daten eingetragen werden. So sieht es das Anfang des Jahres in Kraft getretene „Terrorismusbekämpfungsgesetz“ vor. Verfahren zur automatisierten Wiedererkennung körperlicher oder verhaltensspezifischer Merkmale haben nach dem 11. September verstärkt Konjunktur, obwohl keines der Systeme bisher technisch ausgereift ist.

Personen anhand unveränderlicher körperlicher Merkmale zu identifizieren, gehört seit langem zum Geschäft der Polizeibehörden. Die Vermessung von Körper und Kopf, die Anthropometrie bzw. Bertillonage (benannt nach ihrem Erfinder, dem französischen Arzt Auguste Bertillon), bildete die Grundlage der ersten Messkartenzentralen, die diverse europäische Polizeien seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts aufbauten. Nur dreißig Jahre später begann die Daktyloskopie den Erkennungsdienst zu revolutionieren. Bereits 1925 verfügten alle Polizeien Europas über Fingerabdruckregister. Diktaturen leisteten sich den „Luxus“, nicht nur Verdächtige und Fremde, sondern gleich die gesamte Bevölkerung zu erfassen: Seit seiner Einführung unter Franco im Jahre 1940 enthält der spanische Personalausweis einen Fingerabdruck.

Im Unterschied zu diesen traditionellen Techniken der Identifizierung geht es bei biometrischen Verfahren um eine automatische Wiedererkennung. Die Identifizierung besorgt nicht mehr ein menschlicher Kontrolleur, der z.B. das Gesicht einer vor ihm stehenden Person mit dem Bild auf dem Ausweis oder dem Fahndungsfoto vergleicht, sondern ein Computer. Biometrische Identifizierungssysteme – Auf dem Weg zur automatischen Überwachung weiterlesen

Per Gesetz gegen ein Grundrecht – Eine kurze Geschichte des Demonstrationsrechts

von Heiner Busch

Das Versammlungsgesetz, autoritäre Traditionsbestände im Strafrecht und flexible Regelungen des „modernen“ Polizeirechts bewirkten seit Gründung der Bundesrepublik, dass die Versammlungsfreiheit nicht grenzenlos wurde.

Mutig waren sie nicht, die Väter und wenigen Mütter des Grundgesetzes (GG). Sie verankerten zwar in Art. 8 Abs. 1 GG das Recht aller Deutschen, „sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“, sorgten jedoch in Abs. 2 dafür, dass das Grundrecht „für Versammlungen unter freiem Himmel … durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden“ kann. Die Formulierung der Versammlungsfreiheit ist halbgar, diktiert von der Angst vor dem Volk – ein „typisches Kompromissprodukt der deutschen Verfassungsgeschichte“, in der einer Opposition außerhalb der verstaatlichten Formen immer polizeiliche Grenzen gesetzt wurden. „Der Gesetzesvorbehalt in Art. 8 Abs. 2 GG, der seine Schranke erst in der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG findet, war das gesetzestechnische Einfallstor, mit dem an staatsautoritäre Traditionsbestände reibungslos angeknüpft werden konnte.“[1] Per Gesetz gegen ein Grundrecht – Eine kurze Geschichte des Demonstrationsrechts weiterlesen

Wendland ohne Demonstrationsrecht – Erfahrungen aus sieben Jahren Castortransporten

von Elke Steven

Seit dem ersten Transport von hochradioaktivem Müll in das Zwischenlager Gorleben im April 1995 wird der Verlust demokratischer Grundrechte der Bevölkerung im Wendland immer neu anschaulich. Wochen vor jedem Transport beginnt ein Ausnahmezustand, der den Alltag einer ganzen Region lahm legt. Grundrechte sind aufgehoben, und die Polizei wird von vielen Bürgerinnen und Bürgern als Besatzungsmacht erlebt.

Fünfmal wurde in den letzten sieben Jahren hochradioaktiver Müll in das Zwischenlager nach Gorleben transportiert. Für AtomkraftgegnerInnen sind diese Transporte Anlass, öffentlich gegen die Produktion von Atomenergie zu protestieren und den Ausstieg aus ihr zu fordern. Dabei ist eine ihrer Protestformen die gewaltfreie Behinderung des Transportes und die Verzögerung seiner Ankunft im Zwischenlager. Diesen besorgten BürgerInnen stehen Politik und Polizei gegenüber. Die Politik hat es völlig versäumt, die Ängste und Anliegen ernst zu nehmen. Stattdessen hat sie mit den Atomkraftbetreibern – ohne die AtomkraftgegnerInnen und ihre kompetenten VertreterInnen einzubeziehen – einen sogenannten Kompromiss ausgehandelt. Der Polizei kämen in diesem Zusammenhang theoretisch zwei unterschiedliche und schwer zu verbindende Aufgaben zu: den Protest der BürgerInnen zu schützen und zugleich den Transport zu ermöglichen. Praktisch stellt sie sich immer stärker auf die Seite der Betreiber und der Transportunternehmen.

Im Laufe dieser Transport-Jahre haben sich die Eingriffsmöglichkeiten der Polizei erweitert und verändert. Immer deutlicher ist das Handeln der Polizei auf die Zerschlagung der Proteststrukturen gerichtet. Auf Seiten der BürgerInnen hat sich eine große Selbstverständlichkeit im Aufruf zu gewaltfreiem zivilen Ungehorsam entwickelt. Gleichzeitig geraten – angesichts der Behinderungen des breiten Protestes – immer stärker kleine (und manchmal geheime) Aktionen in den Vordergrund. Wendland ohne Demonstrationsrecht – Erfahrungen aus sieben Jahren Castortransporten weiterlesen

Den 1. Mai in Berlin neu denken – Ein erfolgreiches Scheitern und ein Lernprozess

von Peter Grottian

Die Fixierung auf die Gewaltfrage zum 1. Mai in Berlin-Kreuzberg ist inzwischen zur Gewohnheit geworden. Einen Ausweg aus dieser Falle zu suchen, einen politischen und polizeifreien 1. Mai zu gestalten, das war das Ziel, das sich ein Personenbündnis in diesem Jahr gesetzt hatte.

Noch Ende der 80er Jahre interpretierte man die Auseinandersetzungen zwischen der Staatsmacht und zumeist Vertretern der autonomen Szene als Ausdruck stadtpolitischer und sozialer Proteste, sogar als Angriff auf die Strukturen des kapitalistischen Systems. In den 90er Jahren standen selbst diejenigen ratlos da, die noch am ehesten für regelverletzende, kapitalismuskritische Interventionen als Jugend- und Systemprotest Sympathien hegten, aber mit dem ritualisierten, inhaltsleeren, inhaltsversteckenden Protest nichts mehr anzufangen wussten. Das ermutigte den CDU-Innensenator Eckart Werthebach in den Jahren 2000 und 2001 einen systematischen Aufheizungsprozess weit vor dem 1. Mai zu inszenieren und das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit erheblich einzuschränken. Eine polizeiliche Einkesselungs- und Zerstörungsstrategie des Mariannenplatz-Festes führte zu den sattsam bekannten Schuldzuweisungen von beiden Seiten, wobei das demonstrationsbeobachtende Komitee für Grundrechte und Demokratie die Dynamik der Eskalation sehr eindeutig der Politik und der Polizei anlastete. Den 1. Mai in Berlin neu denken – Ein erfolgreiches Scheitern und ein Lernprozess weiterlesen

Kostenrisiko Demonstration – Die Drohung mit dem finanziellen Polizeiknüppel

von Olaf Griebenow


Seit den 70er Jahren gab es Versuche, gewaltlosen Protest zu einem unkalkulierbaren finanziellen Risiko zu machen. Dabei lassen sich drei verschiedene Vorgehensweisen unterscheiden: erstens der Versuch, die gesamten Kosten eines Polizeieinsatzes über Schadensersatzforderungen einzelnen TeilnehmerInnen aufzubürden, zweitens Kostenbescheide für die Anwendung unmittelbaren Zwangs sowie drittens das Geltendmachen von Schadensersatzansprüchen Dritter.

Im März 1977 räumte die Polizei den besetzten Bauplatz für das AKW Grohnde. Tausende hatten hier demonstriert. Achtzehn identifizierten AKW-GegnerInnen präsentierte der niedersächsische Innenminister eine Rechnung über 234.000 DM Schadensersatz. Die Forderung setzte sich zusammen aus den Stundensätzen für die eingesetzten Beamten sowie den Kosten für 167 Schlagstöcke (verloren oder kaputtgehauen), 387 Gasmaskenfilter, 135 Nachfüllpatronen für die Chemische Keule, 733 Tränengasgranaten, 13 Einsatzanzüge und eine Unterhose (!).[1]1981 folgte das Oberverwaltungsgericht Celle der Argumentation des Ministeriums und sah kein Problem darin, einzelnen TeilnehmerInnen die Summe aller Kosten zuzurechnen, die an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten durch unterschiedliche Aktivitäten unterschiedlicher Personen entstanden waren. Erst der Bundesgerichtshof (BGH) hob diese Entscheidung auf und wies auf die Selbstverständlichkeit hin, dass die Haftung den Nachweis eines konkreten Tatbeitrags voraussetzt, der über die bloße Beteiligung an einer Demonstration hinausgeht.[2] Weil das Land Niedersachsen zu einer Zuweisung einzelner Schäden nicht in der Lage war, verzichtete es schließlich auf die Durchsetzung der Forderung. Ähnliche Versuche, die gesamten Schäden, die im Zusammenhang einer Demonstration entstanden waren, auf einzelne TeilnehmerInnen oder auf die AnmelderInnen abzuwälzen, gab es Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre auch in anderen Bundesländern.[3] Kostenrisiko Demonstration – Die Drohung mit dem finanziellen Polizeiknüppel weiterlesen