Archiv der Kategorie: CILIP 117

Drohende Gefahren (November 2018)

Fahndung ins Blaue hinein: Daten der Freiburger Studierendenschaft beschlagnahmt

von Udo Kauss

Das Verbot von linskunten.indymedia.org hat Auswirkungen auf die studentische Selbstverwaltung (VS) der Universität Freiburg. Zufällig ist ein Sicherheits-Backup der VS der Polizei in die Hände gefallen – was die Sicherheitsbehörden als willkommene Gelegenheit sehen, das gesamte Leben der studentischen Selbstverwaltung auf Bezüge zu der verbotenen Internetplattform auszuwerten. Verhindert wurde dies bisher nur durch die noch nicht überwundene Verschlüsselung der Daten.

Am 25. August 2017 fanden im Zuge des Verbots der Internetplattform linksunten.indymedia.org Wohnungsdurchsuchungen bei fünf in Freiburg wohnenden Personen statt, die vom Bundesminister des Innern (BMI) als Mit-Verantwortliche der Internetplattform bezeichnet werden.

Grundlage war ein Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Freiburg vom 21. August 2017, wonach deren Wohnungen zu durchsuchen und „aufgefundene Gegenstände, Unterlagen, Dokumente und Druck­werke, … die als Beweismittel für das vereinsrechtliche Ermittlungsverfahren gegen den Verein linksunten.indymedia.org von Bedeutung sein können“, zu beschlagnahmen seien. Fahndung ins Blaue hinein: Daten der Freiburger Studierendenschaft beschlagnahmt weiterlesen

Wechselt häufig Aufenthaltsort: Kontinuität antiziganistischer Ermittlungsansätze[1]

von Markus End

Für deutsche Polizeibehörden gehören antiziganistische Ermittlungs­ansätze seit dem 19. Jahrhundert zum festen Repertoire. Bis heute lassen sich unzulässige Datenspeicherungen, Hinweise auf vermeintliche Minderheitenzugehörigkeit in polizeilicher Kommunikation und darauf basierende Ermittlungstätigkeiten nachweisen.

Spät aber oho: Europas Politik und Medien haben empört auf die Aussagen des italienischen Innenministers Matteo Salvini reagiert. Er hatte im Juni angekündigt, die im Land lebenden Rom_nja zählen zu wollen und spöttisch hinzugefügt, italienische Staatsbürger_innen müsse man „unglücklicherweise behalten“. Immer wenn die deutsche Öffentlichkeit den Rassismus in anderen Ländern verortet, sollte das Anlass genug sein, die Situation in der Bundesrepublik genauer unter die Lupe zu nehmen.

Um es gleich deutlich zu formulieren: Historisch gehörten antiziganistische Ermittlungsansätze zur Grundlage der polizeilichen Arbeit in Deutschland, in vielen Bereichen lieferten sie sogar die Motivation zur Einführung neuer Techniken, Methoden oder Verfahren. Die Verwendung des Begriffs „Zigeuner“ als Polizeikategorie lässt sich bereits im frühen 18. Jahrhundert nachweisen und die polizeiliche Verfolgung selbst hatte einen starken Anteil an der inhaltlichen Ausprägung des Ter­minus, indem sie den Begriff als Etikett für bestimmte Formen ‚unerwünschten Verhaltens‘ etablierte. Wechselt häufig Aufenthaltsort: Kontinuität antiziganistischer Ermittlungsansätze[1] weiterlesen

Polizeiliche Todesschüsse 2017: Erneut Ungereimtheiten bei der offiziellen Zählung

von Otto Diederichs

16 Menschen starben im vergangenen Jahr aufgrund polizeilichen Schusswaffeneinsatzes. Das ist die höchste Zahl polizeilicher Todesschüsse seit 1999.

Gemäß der Schusswaffengebrauchsstatistik, die die Deutsche Hochschule für Polizei (DHPol) im Auftrag der Innenministerkonferenz erstellt, haben deutsche PolizistInnen 2017 insgesamt 13.513 Mal im Einsatz geschossen (2016: 12.750).[1] Der Großteil der Schüsse erfolgte wie üblich zum „Töten gefährlicher, kranker oder verletzter Tiere“ (2017: 13.400; 2016: 12.656). Ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr zeigt sich jedoch insbesondere bei den Schüssen auf Personen (2017: 75; 2016: 52) und – wenn auch weniger deutlich – bei den Schüssen auf Sachen, worunter auch der Einsatz gegen Fluchtfahrzeuge gerechnet wird (2017: 17; 2016: 15).[2] Polizeiliche Todesschüsse 2017: Erneut Ungereimtheiten bei der offiziellen Zählung weiterlesen

Redaktionsmitteilung

„Drohende Gefahr“ – das ist das Schlüsselwort der Welle neuer Polizeigesetze, die derzeit durch die Bundesrepublik schwappt. Die „drohende Gefahr“ verheißt vor allem eines: dass nämlich bisherige rechtsstaatliche Begrenzungen eingerissen werden sollen. Der konkrete Verdacht und die konkrete Gefahr – das waren traditionell die Begrifflichkeiten aus dem Strafverfahrens- und dem Polizeirecht, die gewährleisten sollten, dass die Polizei nicht immer und überall und auch nicht gegen
x-beliebige Personen vorgeht. Sie bildeten zugleich die Maßstäbe, an denen sich die Verhältnismäßigkeit des polizeilichen Handelns mes-sen ließ. Im Vorfeld des konkreten Verdachts und der konkreten Gefahr gehen die Messkriterien verloren. Bei der „vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten“ oder neuerdings bei der Abwehr „drohender Gefahren“ soll ein Eingriff in die Grundrechte nicht mehr vom wahrnehmbaren Verhalten von Personen in der Vergangenheit oder der Gegenwart abhängen, sondern von der polizeilichen Prognose über ihr Verhalten in der Zukunft. Redaktionsmitteilung weiterlesen

Summaries

Thematic Focus: Impending Danger

Anticipatory Tendencies in Criminal Law
by Benjamin Derin

The traditional separation of police action into preventive measures according to police law and repressive criminal prosecution according to criminal procedure is becoming increasingly blurred. Today, criminal law too is measured by its ability to prevent crimes. This manifests itself in the constant advancing of anticipatory tendencies in both the material definition of criminal offenses and procedural investigative powers. These developments are accompanied by a progressive loss of suspects’ rights. Summaries weiterlesen

Bundespolizei zieht unkritisches Fazit

Christan Meyer

Die Bundespolizei hat ihren Abschlussbericht zur biometrischen Gesichtserkennung am Bahnhof Berlin Südkreuz vorgelegt.[1] Von August 2017 bis Juli 2018 führte sie in Kooperation mit der Deutschen Bahn, dem Bundesinnenministerium und dem Bundeskriminalamt einen Feldversuch zu sogenannter intelligenter Videoanalyse durch. Dafür testete sie Software von drei Anbietern: BioSurveillance von der spanischen Firma Herta Security, Morpho Video Investigator von dem französischen Multi IDEMIA und Anyvision von ELBEX aus Regensburg. Bundespolizei zieht unkritisches Fazit weiterlesen

Camp als Versammlung

Auch im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Rodung des „Hambacher Forsts“ im Braunkohleabbaugebiet „Tagebau Hambach“ gab es Streit um die Durchführung von Protestcamps. In der Sache unterlagen dabei die VeranstalterInnen des Camps: In einem Eilantrag wollten diese erreichen, ihr „Camp für Energietransformation“ wie von ihnen geplant in den „Rurwiesen“, 13 Kilometer entfernt von der Auftaktkundgebung der Großdemonstration am 27. Oktober in Buir, durchführen zu dürfen. Das Gericht lehnte den Antrag ab und verwies die Camp­-OrganisatorInnen auf den ihnen von der Polizei zugewiesenen Ersatzstandort „Merscher Höhe“. Das Umweltamt des Kreises Düren hatte Umweltschutzgründe gegen die Nutzung der „Rurwiesen“ geltend gemacht. Camp als Versammlung weiterlesen

Frontex wird Grenzpolizei

Die EU-Kommission hat einen neuen Verordnungsvorschlag für eine „gestärkte und voll funktionsfähige“ Agentur für die Grenz- und Küstenwache (EBCG) vorgestellt.[1] Die aus der Grenzagentur Frontex hervorgegangene EBCG erhielte demnach eine ständige Eingreiftruppe von 10.000 BeamtInnen und könnte mit eigenen Schiffen und Flugzeugen wie eine „echte Grenzpolizei“ handeln. Das Budget für die nächsten beiden Jahre soll deshalb um 577,5 Mio. EUR aufgestockt werden. Im mehrjährigen Finanzrahmen für 2021-2027 will die Kommission weitere 11,3 Mrd. EUR in die Grenz- und Küstenwache investieren. Hinzu kommen 22 Mrd. EUR für die Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Sicherung und Kontrolle ihrer Grenzen.[2] Dazu werden der „Fonds für die innere Sicherheit“ und der „Visa und Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds“ deutlich aufgestockt sowie ein „Fonds für Grenzmanagement“ eingerichtet. Die Überwachung und Kontrolle von Migration kostet von 2021-2027 insgesamt 34,9 Mrd. EUR, dies ist in etwa das Dreifache des derzeitigen mehrjährigen Finanzrahmens. Frontex wird Grenzpolizei weiterlesen