Schlagwort-Archive: Landespolizeigesetz

Am Ende der „neuen deutschen Welle“? Ein Rückblick auf fünf Jahre Verschärfungen im Polizeirecht

von Eric Töpfer und Marius Kühne

Deutschland hat aufgerüstet. Am 20. Juli 2021 hat der bayerische Landtag die vorerst letzte Novelle des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) beschlossen und damit den vorläufigen Schlusspunkt in einer Reihe von Polizeirechtsverschärfungen gesetzt, die 2017 ihren Anfang nahm. Zeit für einen Rückblick.

Am Anfang der „neuen deutschen Welle“ von Polizeirechtsänderungen steht das Gesetz zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes.[1] Es sollte nicht nur das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum alten BKA-Gesetz (BKAG) und die Richtlinie (EU) 2016/680 umsetzen,sondern war auch Startschuss für das Projekt „Polizei 2020“, mit dem die IT-Architektur des BKA massiv umgebaut werden soll. Weiteres Novum: die Einführung von Aufenthaltsvorgaben, Kontaktverboten und elektronischer Aufenthaltsüberwachung durch §§ 55 und 56 des neuen BKAG.„Im Eiltempo“, so der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière, habe man damit in den zwei Monaten nach dem Terroranschlag vom Berliner Breitscheidplatz Befugnisnormen zum Umgang mit „Gefährdern“ geschaffen, an denen sich auch die Länder orientieren sollten.[2] Am Ende der „neuen deutschen Welle“? Ein Rückblick auf fünf Jahre Verschärfungen im Polizeirecht weiterlesen

Neue deutsche Welle: Zum Stand der Polizeigesetzgebung der Länder

Im April 2017 verabschiedete der Bundestag ein neues BKA-Ge­setz. Jetzt ziehen die Länder nach. Das einzig Positive an dieser Entwicklung: Erstmals seit Jahrzehnten regt sich breiterer Widerstand. 40.000 Leute demonstrierten am 10. Mai 2018 gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz, 20.000 gingen am 7. Juli 2018 gegen das nordrhein-westfälische Polizeigesetz auf die Straße.

Von den Gesetzen über das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei abgesehen ist das Polizeirecht in Deutschland Ländersache. Obwohl der Bund hier also nichts zu husten hat, kündigten CDU, CSU und SPD im Februar 2018 in ihrem Koalitionsvertrag die „Erarbeitung eines gemein­samen Musterpolizeigesetzes (gemäß Innenministerkonferenz)“ an.[1] Die in die Klammer verbannte Innenministerkonferenz (IMK) hatte bereits im Juni 2017 beschlossen, eine „länderoffene Arbeitsgruppe unter Beteiligung des Bundesinnenministeriums“ für die Erarbeitung eines solchen Musters einzurichten, um „hohe gemeinsame gesetzliche Standards und eine effektive Erhöhung der öffentlichen Sicherheit zu erreichen“.[2] Neue deutsche Welle: Zum Stand der Polizeigesetzgebung der Länder weiterlesen

Nichts zu verbergen? Datenschutz, Sicherheitsgesetze, Rasterfahndung

von Heiner Busch

Die Rasterfahndung – jetzt zur Suche nach „Schläfern“ praktiziert – ist eine jener polizeilichen Befugnisse, die die informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen durchlöchern. Woher nimmt der Bundesinnenminister die Idee, wir hätten „vielleicht … im Datenschutz etwas übertrieben“?[1]

Das Zweckbindungsgebot ist ein zentraler Grundsatz des Datenschutzes. Es besagt, dass Daten nur zu dem Zweck bearbeitet werden dürfen, für den sie auch erhoben wurden. Die Rasterfahndung steht diesem Prinzip diametral entgegen. Die Methode, der sich die deutsche Polizei seit den 70er Jahren bedient, besteht darin, Datenbestände anderer Verwaltungen oder privater Stellen nach einem bestimmten Muster miteinander abzugleichen. Im Falle der Anfang Oktober gestarteten Rasterfahndungen bedeutet das: Daten von Personen aus Ländern des Nahen Ostens, die bei Melde- und Ausländerbehörden, Hochschulen, Energie- und „Entsorgungs“-Unternehmen, bei Nah- und Fernverkehrsunternehmen oder „Kommunikationsdienstleistern“, bei Reinigungs- und Cateringfirmen oder Sicherheitsdiensten, bei öffentlichen und privaten Stellen, die sich mit Atomenergie sowie chemischen und biologischen Gefahrenstoffen befassen, bei Flughafengesellschaften, Flugschulen und Luftfahrtfirmen gespeichert sind, werden zweckentfremdet.[2] Sie dienen nicht mehr der Verwaltung von Hochschulangelegenheiten oder der korrekten Abrechnung der zustehenden Löhne, sondern einem polizeilichen Zweck, für den sie nicht erhoben wurden. Die Betroffenen haben die Kontrolle über ihre Daten verloren. Nichts zu verbergen? Datenschutz, Sicherheitsgesetze, Rasterfahndung weiterlesen

Verdachtsunabhängige Kontrollen – MigrantInnen im Netz der Schleierfahndung

von Martina Kant[1]

Das Verhältnis zwischen MigrantInnen und der deutschen Polizei ist nicht nur wegen rassistischer Übergriffe in Form von Körperverletzungen und Schikanierungen belastet. Mit der Verrechtlichung verdachts- und ereignisunabhängiger Personenkontrollen in zahlreichen Länderpolizeigesetzen und im Bundesgrenzschutzgesetz hat die Polizei ein weiteres Instrument erhalten, das, wie die Praxis zeigt, dazu verwendet wird, verstärkt MigrantInnen zu kriminalisieren.

Bayern war 1994 das erste Bundesland, das in sein Polizeiaufgabengesetz verdachts- und ereignisunabhängige Polizeikontrollen aufnahm. Seitdem sind Baden-Württemberg, Niedersachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen und der Bund dem Beispiel gefolgt und haben ihren Polizeien und dem Bundesgrenzschutz (BGS) in unterschiedlicher Ausprägung die Schleierfahndung ermöglicht.[2] Je nach länderspezifischer Variante darf die Polizei im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 km, auf Durchgangsstraßen (Bundesautobahnen, Europastraßen und anderen für den grenzüberschreitenden Verkehr bedeutsamen Straßen), in öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs, Flughäfen, Zügen, Bahnhöfen oder grundsätzlich im öffentlichen Verkehrsraum (Niedersachsen, Berlin) jede Person anhalten und nach dem Ausweis fragen und z.T. mitgeführte Sachen „in Augenschein nehmen“ oder gar durchsuchen. Allein die Berliner Polizei und der BGS können nur aufgrund von „Lageerkenntnissen“ bzw. „grenzpolizeilicher Erfahrung“ kontrollieren, alle anderen Länderpolizeien können dies völlig voraussetzungslos tun. Verdachtsunabhängige Kontrollen – MigrantInnen im Netz der Schleierfahndung weiterlesen