Archiv der Kategorie: CILIP 065

(1/2000) Kriminalisierung von AusländerInnen

Literatur

Zum Schwerpunkt

Die Literatur zur „Kriminalisierung von AusländerInnen“ in Deutschland ist umfangreich – freilich handelt es sich dabei weitgehend um Elemente des Kriminalisierungsprozesses selbst und nicht um Beiträge über diesen. „Kriminelle Ausländer“ sind häufig Gegenstand der polizeilichen Publizistik. Die seit den 60er Jahren geführte Diskussion über „Ausländerkriminalität“ ist seit Mitte der 80er um andere Themen erweitert worden, die im Kern als ein Ausländerproblem dargestellt werden: Das reicht von den Kampagnen gegen Rauschgift- und Organisierte Kriminalität bis zum angeblichen Sicherheitsverlust durch den Wegfall der westeuropäischen Grenzkontrollen. Wer nach dem polizeilichen Kriminalisierungsdiskurs – und nach Hinweisen auf entsprechende Praktiken – sucht, der/die wird in nahezu beliebigen Polizeiveröffentlichungen mehr als fündig werden. Im Folgenden kann nur auf einige wenige Publikationen hingewiesen werden. Literatur weiterlesen

41 Polizeischüsse auf Amadou Diallo – Polizeilicher Rassismus in den USA

In der Nacht vom 4. Februar 1999 gerät der westafrikanische Immigrant Amadou Diallo in die Kontrolle einer Street Crime Unit im New Yorker Stadtteil Bronx. Als der unbewaffnete Mann seine Brieftasche aus der Jacke nehmen will, vermuten die vier Polizisten in Zivil, er wolle eine Waffe ziehen. In rascher Folge feuern sie 41 Schüsse ab. 19 davon erreichen ihr Ziel. Ein Jahr später werden die vier Polizeimänner von einem Geschworenengericht in Albany nahe New York freigesprochen.

Die primär weiße Jury, von einem durchaus parteiischen Richter entsprechend gedrängt, war zu einem einstimmigen Entlastungsvotum gekommen. Der Fall Diallo, insbesondere das umstrittene Urteil, das zum weltweiten Medienereignis wurde, löste in den USA etliche Demonstrationen vor allem der afro-amerikanischen Bevölkerung aus. Er ist symptomatisch für eine „Kriminalitätsbekämpfung“, die sich ohne Rücksicht auf Verluste vorwiegend gegen die arme und schwarze Bevölkerung richtet. Unter diesem Gesichtspunkt hat der Fall auch seine Bedeutung für die hiesige Polizei. 41 Polizeischüsse auf Amadou Diallo – Polizeilicher Rassismus in den USA weiterlesen

Neue Munition für die Polizei – Eine von Schein-Sachzwängen dominierte Diskussion[1]

von Oesten Baller

Rambos, die von mehreren Schüssen getroffen ihre Angriffe fortsetzen – vor dem Hintergrund dieser Schreckensvision wird derzeit über eine neue Munition für die Polizei diskutiert. Der herkömmlichen Vollmantelmunition fehle die nötige „Mannstoppwirkung“, sie gefährde zudem unbeteiligte Dritte.[2] Die Innenministerkonferenz (IMK) beschloss daher im Juni 1999, die Polizei insgesamt mit einer neu zu entwickelnden Deformationsmunition auszurüsten.

Bislang wird Deformationsmunition in Deutschland nur von der GSG 9 und den Spezialeinheiten der Länder (Sondereinsatzkommandos/ Präzisionsschützenkommandos) eingesetzt. Die mit der allgemeinen Ausrüstung der Polizei mit Deformationsmunition verbundenen Konsequenzen für den polizeilichen Alltag und den „Normal-Fall“ des polizeilichen Schusswaffengebrauchs werden in der Regel nur aus dem Blickwinkel der polizeilichen Taktik beleuchtet. Neue Munition für die Polizei – Eine von Schein-Sachzwängen dominierte Diskussion[1] weiterlesen

Strafverfahrens-Änderungsgesetz ’99 – Gesetzgebung in unseliger Kontinuität

von Norbert Pütter

Zwar hat der Bundesrat den Vermittlungsausschuss angerufen, aber daran, dass die jüngste Novellierung der Strafprozessordnung (StPO) bald verabschiedet wird, besteht kein Zweifel. Die Länder werden den polizei- und justizfreundlichen Beschluss der Bundestagsmehrheit noch weiter entgrenzen. Im Ergebnis wird die StPO um einige Paragraphen gewachsen, ihre rechtliche Qualität jedoch weiter gesunken sein.

Die StPO-Novelle hat eine lange und wenig übersichtliche Vorgeschichte. Auf das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 1983 reagierte das Bundesjustizministerium mit einem „Problempapier“, das 1986 bekannt wurde.[1] Das Ministerium erörterte die Konsequenzen des „Rechts auf informationelle Selbstbestimmung“ für das Strafprozessrecht. Viele der in diesem Papier aufgelisteten Themen hat der Gesetzgeber in den letzten 15 Jahren „abgearbeitet“: etwa die Verrechtlichung der Rasterfahndung, der Polizeilichen Beobachtung, der Verdeckten Ermittler und der Überwachung mit technischen Mitteln[2] sowie des Lauschangriffs auf Wohnungen.[3] Das „Strafverfahrensänderungsgesetz (StVÄG) ’99“ soll nun einige – keineswegs alle – der übrigen Mitte der 80er Jahre identifizierten Rechtsprobleme „lösen“. Strafverfahrens-Änderungsgesetz ’99 – Gesetzgebung in unseliger Kontinuität weiterlesen

Kriminelle Organisation? Die schweizerischen Behörden gegen die Tamil Tigers

von Johannes Wartenweiler

Nadarajah Muralitharan, seinerzeit Chef der Tamil Tigers in der Schweiz, war im April 1996 unter dem Verdacht der Schutzgelderpressung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation verhaftet worden und hatte mehrere Monate in Untersuchungshaft verbracht. Vier Jahre nach der spektakulären Polizeiaktion ist das Verfahren immer noch nicht offiziell eingestellt. Das Vorgehen der Behörden dürfte vor allem dazu gedient haben, sich gegenüber der Regierung Sri Lankas erkenntlich zu zeigen. Diese hatte kurz zuvor ein Rückübernahmeabkommen mit der Schweiz unterzeichnet.

Seit Beginn der 90er Jahre war die LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) die stärkste politische Kraft innerhalb der tamilischen Gemeinschaft in der Schweiz. Ihre herausragende Stellung war auf den andauernden Bürgerkrieg in Sri Lanka zurückzuführen sowie auf die veränderte soziale Zusammensetzung der in der Schweiz ansässigen TamilInnen. Vermehrt waren Ende der 80er Jahre Flüchtlinge aus unteren sozialen Schichten eingereist, die für die PR-Arbeit der LTTE empfänglicher waren als die früheren ImmigrantInnen. Kriminelle Organisation? Die schweizerischen Behörden gegen die Tamil Tigers weiterlesen

Das „PKK-Verbot“ – Kriminalisierung politischer AusländerInnenvereine

von Eberhard Schultz

Das Verbot der palästinensischen GUPS und GUPA 1972, der türkischen Dev-Sol, der PKK und ihr nahestehender kurdischer Organisationen 1993 und das der türkischen DHKP-C 1998 waren Marksteine in der Kriminalisierung politischer Organisationen von AusländerInnen in Deutschland. Die Mechanismen dieser Kriminalisierung zeigen sich exemplarisch an der Verfolgung der kurdischen Organisationen.

Die Kriminalisierung beruht rechtlich auf zwei Säulen. Die erste bildet das politische Organisationsstrafrecht, das seine Wurzeln im obrigkeitsstaatlichen preußischen Recht hat. Der 1871 ins Reichsstrafgesetzbuch aufgenommene § 129 (Teilnahme an einer staatsfeindlichen Verbindung, heute: kriminelle Vereinigung) überdauerte in einigen Abwandlungen Kaiserreich und Weimarer Republik. Während die Vorschrift im Dritten Reich gegenüber anderen Maßnahmen zurücktrat, bildete sie ab 1951 wieder eine der Grundlagen des Staatsschutzstrafrechts. Das „PKK-Verbot“ – Kriminalisierung politischer AusländerInnenvereine weiterlesen

Ausländer- und Polizeidateien – Eine unheilige Allianz

von Heiner Busch

Datensysteme der Asyl- und Ausländerbehörden sind gleichzeitig polizeiliche Informationsressourcen. MigrantInnen sind in Polizei- und Geheimdienstdateien überrepräsentiert. Schlaglichter auf eine besonders intime Verbindung.

„Das Bundesverwaltungsamt führt das Ausländerzentralregister (AZR), das der Erfassung von im Bundesgebiet wohnenden Ausländern dient.“ Dieser eine Satz aus dem Gesetz zur Errichtung des Bundesverwaltungsamtes von 1959 reichte seinerzeit aus, um die flächendeckende Erfassung von AusländerInnen in der BRD abzustützen. Ein umfassendes Gesetz über das 1953 zunächst als Kartei aufgebaute und ab 1967 automatisierte Register folgte erst 1994. Ausländer- und Polizeidateien – Eine unheilige Allianz weiterlesen

„Ausländerpolizeien“ – Von der Amtshilfe zur gezielten Überwachung

von Norbert Pütter

Im Allgemeinen werden als „Ausländerpolizeien“ diejenigen Behörden bezeichnet, die in Deutschland lebende Menschen ohne deutschen Pass kontrollieren und überwachen. Im Rahmen dieses auf die Ausländer-, Asyl- und Teile der Sozialbehörden gestützten Kontrollsystems leistet die „Vollzugspolizei“ vor allem Amtshilfe – etwa bei Personenkontrollen oder Abschiebungen.[1] Da nach den aktuellen polizeilichen Arbeitsstatistiken mehr als jeder vierte Tatverdächtige ein „Nichtdeutscher“ ist, haben sich Schutz- und Kriminalpolizeien mittlerweile in erheblichem Ausmaß zu faktischen „Ausländerpolizeien“ gewandelt.

Unbeschadet der nationalen und europäischen Abschottungspolitik haben die weltweiten Migrationsbewegungen vor Deutschland nicht Halt gemacht. „Ausländer“ sind zu einer Realität geworden, die sich auch im polizeilichen Alltag zunehmend niedergeschlagen hat. Das Verhältnis „Polizei – Ausländer“ wird heute durch ein ausgedehntes und vielfach widersprüchliches Geflecht von Beziehungen, Aktionen und Absichtserklärungen bestimmt. Die Spannweite reicht dabei von Polizeiübergriffen auf Fremde bis zu Ausländerbeauftragten bei Polizeibehörden, von interkulturellen Trainings in der Polizeiausbildung bis zu gezielten Kontrollen von AusländerInnen, von liberalen Appellen der Polizeiführungen bis zu praktiziertem Rassismus. Systematische Untersuchungen über dieses Geflecht fehlen weitgehend. Wer sich innerhalb der Polizeien aus welchen Gründen und wie mit welchen „AusländerInnen“ beschäftigt, ist insgesamt nicht bekannt. Teilbefunde liegen auf der Hand: So fungieren Zoll und Bundesgrenzschutz (BGS) über weite Strecken als Ausländerpolizeien. Der BGS-Tätigkeitsbericht für 1998 weist z.B. 60.091 Zurückweisungen, 31.510 Zurückschiebungen und 38.479 Abschiebungen durch den BGS aus.[2] Gerade weil es kriminologisch und politisch geboten ist, auf die Kategorie der Nationalität bei der Kriminalitätserfassung zu verzichten, müsste der polizeiliche Umgang mit Nichtdeutschen detaillierter untersucht werden. Statt einer umfassenden Bilanzierung können im Folgenden nur wenige Beispiele vorgestellt werden, in denen die polizeilichen Kriminalisierungsprozesse besonders offenkundig sind. „Ausländerpolizeien“ – Von der Amtshilfe zur gezielten Überwachung weiterlesen

Verdachtsunabhängige Kontrollen – MigrantInnen im Netz der Schleierfahndung

von Martina Kant[1]

Das Verhältnis zwischen MigrantInnen und der deutschen Polizei ist nicht nur wegen rassistischer Übergriffe in Form von Körperverletzungen und Schikanierungen belastet. Mit der Verrechtlichung verdachts- und ereignisunabhängiger Personenkontrollen in zahlreichen Länderpolizeigesetzen und im Bundesgrenzschutzgesetz hat die Polizei ein weiteres Instrument erhalten, das, wie die Praxis zeigt, dazu verwendet wird, verstärkt MigrantInnen zu kriminalisieren.

Bayern war 1994 das erste Bundesland, das in sein Polizeiaufgabengesetz verdachts- und ereignisunabhängige Polizeikontrollen aufnahm. Seitdem sind Baden-Württemberg, Niedersachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen und der Bund dem Beispiel gefolgt und haben ihren Polizeien und dem Bundesgrenzschutz (BGS) in unterschiedlicher Ausprägung die Schleierfahndung ermöglicht.[2] Je nach länderspezifischer Variante darf die Polizei im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 km, auf Durchgangsstraßen (Bundesautobahnen, Europastraßen und anderen für den grenzüberschreitenden Verkehr bedeutsamen Straßen), in öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs, Flughäfen, Zügen, Bahnhöfen oder grundsätzlich im öffentlichen Verkehrsraum (Niedersachsen, Berlin) jede Person anhalten und nach dem Ausweis fragen und z.T. mitgeführte Sachen „in Augenschein nehmen“ oder gar durchsuchen. Allein die Berliner Polizei und der BGS können nur aufgrund von „Lageerkenntnissen“ bzw. „grenzpolizeilicher Erfahrung“ kontrollieren, alle anderen Länderpolizeien können dies völlig voraussetzungslos tun. Verdachtsunabhängige Kontrollen – MigrantInnen im Netz der Schleierfahndung weiterlesen