Nachdem in den Jahren ab 2017 in den meisten Bundesländern die Polizeigesetze verschärft wurden, erhoben einige Protestbündnisse Verfassungsbeschwerden gegen die Gesetze. Anfang Februar 2023 veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine Entscheidung zur Beschwerde des Bündnisses SOGenannte Sicherheit sowie der NGO Gesellschaft für Freiheitsrechte gegen das Sicherheits- und Ordnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern (SOG MV).[1] Das Gesetz enthielt eine Vielzahl von Regelungen zur verdeckten Datenerhebung, die das BVerfG nun beanstandete. Unter anderem ging es um die polizeilichen Befugnisse zur Observation von Personen, zur Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen, zum Einsatz von Vertrauenspersonen und verdeckten Ermittler*innen, zur Überwachung von Wohnräumen und Telekommunikation sowie zur Online-Durchsuchung. Sicherheits- und Ordnungsgesetz MV verfassungswidrig weiterlesen
Archiv der Kategorie: Meldungen Inland
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Brandenburg bekommt Polizeibeauftragte
Nach zwei Jahren zäher Verhandlungen hat die rot-schwarz-grüne Koalition in Brandenburg am 16. Dezember 2022 ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt und ein Gesetz zur Einrichtung einer Polizeibeauftragtenstelle verabschiedet.[1] Damit wird Brandenburg nun das siebente Bundesland mit einer solchen Ombudsperson. Anders als in den anderen Ländern, wo die Stellen zusätzlich als Bürger- oder Feuerwehrbeauftragte immer auch andere Aufgaben haben, wird sie in Brandenburg ausschließlich für Polizeithemen zuständig sein. So wie die bereits existierenden Beauftragten ist aber auch die Stelle in Brandenburg Hilfsorgan des Landtags bei der parlamentarischen Kontrolle, soll die Bevölkerung im „Dialog“ mit der Polizei unterstützen und auf eine einvernehmliche Erledigung von Beschwerden hinwirken; zugleich ist sie zuständig für Eingaben aus der Polizei. Dafür verfügt die*der Beauftragte über umfassende Auskunfts-, Akteneinsichts-, Anhörungs- und Betretungsrechte. Brandenburg bekommt Polizeibeauftragte weiterlesen
Handyauswertung durch BAMF war rechtswidrig
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig sieht das regelmäßige Auslesen von Mobiltelefonen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nicht vom Gesetz gedeckt. Die bei fehlenden Pässen oder Passersatzpapieren angeordnete Maßnahme müsse unter hinreichender Berücksichtigung sonstiger vorliegender Erkenntnisse und Dokumente erfolgen, argumentierte das Gericht in einem Urteil vom 16. Februar (Az. 1 C 19.21) und gab der Klage einer 44-Jährigen aus Afghanistan statt. Die Frau war mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) vor zwei Jahren gegen die Handyauswertung vor das Verwaltungsgericht (VG) in Berlin gezogen. Schon das VG hielt die Maßnahme für rechtswidrig. Weil die Praxis die Grundrechte Tausender Geflüchteter auch in anderen Bundesländern betrifft und die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, hatte das VG mit Einverständnis der GFF die Sprungrevision zu zugelassen. Handyauswertung durch BAMF war rechtswidrig weiterlesen
Razzia bei „Radio Dreyeckland“
Die Polizei hat am 17. Januar das „Radio Dreyeckland“ in Freiburg durchsucht und dabei mehrere Durchsuchungsbeschlüsse der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vollstreckt.[1] Zehn Beamt*innen durchsuchten dabei die Redaktionsräume des ältesten deutschen Freien Radios, außerdem die Wohnsitze von zwei Redakteuren. Dort wurden unter anderem USB-Sticks und Mobiltelefone beschlagnahmt. Hintergrund ist ein Ermittlungsverfahren wegen des „Verdachts eines Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot“. Die Webseite des Rundfunkkollektivs hatte einen Artikel veröffentlicht, der auf „Linksunten Indymedia“ verlinkt. Darin wurde über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ gegen „Linksunten“ berichtet. Die Internetplattform war 2017 vom damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nach dem Vereinsgesetz verboten worden, da sich ihr Zweck und ihre Tätigkeiten „gegen die verfassungsmäßige Ordnung richteten“. Razzia bei „Radio Dreyeckland“ weiterlesen
EGMR: Racial Profiling muss aufgeklärt werden
Am 18. Oktober 2022 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR – Az.: 215/19) die Bundesrepublik Deutschland und stellte fest, dass diese zu wenig gegen sog. Racial Profiling unternehme. Racial Profiling bezeichnet die rechtswidrige polizeiliche Praxis, Personen anhand von phänotypischen Merkmalen und der vermuteten Herkunft für eine polizeiliche Kontrolle auszuwählen. Im konkreten Fall wurden der Berliner Aktivist Biblap Basu und seine Tochter 2012 auf der Heimfahrt kurz nach dem Übergang der deutsch-tschechischen Grenze durch die Bundespolizei auf Grundlage des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG kontrolliert. Eine Klage gegen diese Kontrolle wiesen sowohl das Verwaltungsgericht Dresden als auch das Oberverwaltungsgericht Sachsen mit der Begründung ab, diese sei bereits unzulässig, da eine polizeiliche Identitätsfeststellung keine stigmatisierende Wirkung habe und zudem keinerlei Hinweise für eine diskriminierende Polizeimaßnahme vorlägen. Hiergegen wandte sich der Kläger zunächst erfolgslos an das Bundesverfassungsgericht und schließlich an den EGMR. EGMR: Racial Profiling muss aufgeklärt werden weiterlesen
Verfassungsschutz verletzt Trennungsgebot
Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf nicht mehr, wie bislang üblich, heimlich über Personen gesammelte Daten nach Belieben an Polizeibehörden weitergeben. So steht es in der schriftlichen Fassung eines Urteils vom 28. September 2022, das fünf Wochen später auf der Webseite des Bundesverfassungsgerichts veröffentlicht wurde (AZ: 1 BvR 2354/13). Die Praxis verstößt demnach gegen das Trennungsgebot von Geheimdiensten und Polizei, das nach den Erfahrungen mit der Gestapo unter dem Naziregime als deutscher Rechtsgrundsatz gilt. Verfassungsschutz verletzt Trennungsgebot weiterlesen
Mehr Geld für Polizei und Cyber-Sicherheit
„Sie kürzen den Etat des Innern von fast 15 Milliarden Euro um 2,3 Milliarden Euro auf 12,7 Milliarden Euro. Das ist innenpolitisch ein Offenbarungseid.“[1] Mit diesen Sätzen eröffnete der Redner der CDU/CSU-Fraktion als Oppositionsführer die Debatte zum Haushaltsentwurf des Bundesinnenministeriums (BMI) für 2023. Wird hier eine neue Ära sozialdemokratisch-liberaler Innenpolitik, mehr Demokratie und weniger Polizei wagen, eingeläutet?
Mitnichten. Der Rezession durch die Corona-Lage war die vergangene Bundesregierung mit umfassenden „Konjunkturpaketen“ begegnet. Davon profitierten auch die Behörden des BMI, die vor allem für Digitalisierungsvorhaben, Ausrüstung und Ausstattung erhebliche Summen erhielten. Nimmt man den letzten „vor Corona-Haushalt“ 2019 zum Vergleich, steigen die Ausgaben tatsächlich um 1,5 Mrd. Euro. Mehr Geld für Polizei und Cyber-Sicherheit weiterlesen
Telekommunikationsüberwachung und Staatstrojaner 2020
Am 8. August 2022 veröffentlichte das Bundesamt für Justiz Zahlen zu den 2020 durchgeführten Telekommunikationsüberwachungen (TKÜ).[1] Demnach wurden 19.823 TKÜ angeordnet, davon waren 14.602 Erstanordnungen. Damit ist die Gesamtzahl der Maßnahmen wieder deutlich gestiegen (+ 1.600), die Zahl der Erstanordnungen ist jedoch gesunken (- 903). Dies könnte ein Hinweis sein, dass vermehrt langfristige Überwachungsmaßnahmen durchgeführt werden. Telekommunikationsüberwachung und Staatstrojaner 2020 weiterlesen
Überwachungs-Gesamtrechnung sucht Ministerium
In ihrem Koalitionsvertrag hatten sich SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP auf die Erhebung einer „Überwachungsgesamtrechnung“ verständigt. Der Begriff geht auf die rechtswissenschaftliche Debatte um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung von 2010 zurück. Das Gericht hatte angemahnt, dass der Gesetzgeber bei der Einführung neuer Datenspeicherungspflichten seinen Blick „auf die Gesamtheit der verschiedenen schon vorhandenen Datensammlungen“ zu richten habe (1 BvR 256/08, Rn. 218). Überwachungs-Gesamtrechnung sucht Ministerium weiterlesen
Rechte und Reichsbürger in Sicherheitsbehörden
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat im Mai 2022 einen zweiten „Lagebericht Rechtsextremisten und ‚Reichsbürger‘ in Sicherheitsbehörden“ vorgelegt. Der 1. Lagebericht vermeldete allein für den Bereich Rechtsextremismus für den Zeitraum 1.1.2017 bis 31.3.2020 insgesamt 377 Verdachtsfälle bei den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern und 1.064 Verdachtsfälle bei der Bundeswehr. Der zweite Bericht[1] über den Zeitraum 1.7.2018 bis 30.6.2021 gibt die Zahl der Prüffälle von Rechtsextremist*innen und „Reichsbürgern“ in Sicherheitsbehörden mit 860 an, 327 davon ergaben tatsächliche Anhaltspunkte (Verdachtsfall). Die neue Terminologie von „Prüffall“ und „Verdachtsfall“ – im ersten Bericht ist nur von „Verdachtsfällen“ die Rede, im zweiten gelten nur noch die „Prüffälle“, die tatsächliche Anhaltspunkte ergeben, als „Verdachtsfall“ – erschwert einen Vergleich der Zahlen, noch dazu sind die Erhebungszeiträume überlappend. Rechte und Reichsbürger in Sicherheitsbehörden weiterlesen