Archiv der Kategorie: CILIP 089

(1/2008) Europas Grenzen: innen – außen

Redaktionsmitteilung

„Cuando era feliz e indocumentado“ – das ist der Titel einer 1973 erschienen autobiographischen Geschichte von Gabriel García Marquez. Eine aktuelle Übersetzung müsste lauten: „Als ich ein glücklicher Sans-papiers war“: 1955 reiste der junge Journalist und Schriftsteller nach Genf, um für den „Espectador“ über das Treffen der Außenminister der Weltkriegssiegermächte zu berichten. Der für zwei Wochen geplante Aufenthalt in Europa zog sich über Jahre hin. In Paris entstand schließlich eine ganze Reihe jener „Macondo“-Erzählungen, die den späteren Literatur-Nobel-Preisträger berühmt machten: Weltliteratur aus der Feder eines „Illegalen“.

Das soll es in der EU künftig nicht mehr geben. Die Kommission will „overstayers“ identifizieren, rauswerfen und nicht wieder einreisen lassen. In ihrem „Grenzpaket“ vom Februar 2008 propagiert sie dafür als Ergänzung des erst im Aufbau befindlichen Visa-Informationssystems eines zur Erfassung von Ein- und Ausreise. Redaktionsmitteilung weiterlesen

Megalomanie in Brüssel – Das Grenzpaket der EU-Kommission

von Heiner Busch

Rund 350 Seiten umfassen die im Februar 2008 präsentierten „Mitteilungen“ und Arbeitsdokumente der Kommission: Sie will mehr Macht für die Grenzschutzagentur Frontex, Satellitenüberwachung für die grünen und blauen Außengrenzen und noch mehr Biometrie bei der Kontrolle an Grenzübergängen.

Über 53.000 Personen seien bei von Frontex organisierten gemeinsamen Aktionen an den Grenzen aufgegriffen oder an der „illegalen“ Einreise in die EU gehindert worden. Und das seien nur die „messbaren Ergebnisse“, die die „Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen“ in den ersten beiden Jahren ihres Bestehens vorzuweisen habe. So steht es in dem Presse-„Memo“, das die EU-Kommission am 13. Februar 2008 zusammen mit der Evaluation der Agentur vorgelegt hat.[1] Dass die Kommission das EU-Einheit stiftende Dogma von der Notwendigkeit der „Bekämpfung der illegalen Migration“ in Frage stellen würde, hat niemand erwartet. Megalomanie in Brüssel – Das Grenzpaket der EU-Kommission weiterlesen

Exterritoriale Lager – Libyen und die Ukraine als Pufferstaaten der EU

von Christopher Nsoh

Was vor einigen Jahren noch als unerträgliches Planspiel führender europäischer Politiker erschien, ist längst unerträgliche Wirklichkeit: Das Lagersystem vor den Toren Europas ist Teil der EU-Innenpolitik.

Am 5. Februar 2003 berichtete die Londoner Zeitung „The Guardian“ erstmals von Plänen der britischen Regierung, wie die Zahl der Asylsuchenden im Vereinigten Königreich und in der EU insgesamt um die Hälfte zu senken sei. Das auf den Namen „Neue Vision für Flüchtlinge“ getaufte Projekt sah vor, Asylsuchende, deren Anträge bereits abgelehnt waren, in extra-territoriale Lager außerhalb der Union – so genannte Transit Processing Centres (TPCs) und Regional Protection Areas (RPAs) – abzuschieben. Neue Asylsuchende sollten in eben diesen Lagern die Prüfung ihrer Anträge abwarten und nur bei einem positiven Verfahrensausgang in die EU einreisen dürfen. Ähnliche Pläne hegten auch andere EU-Staaten. So hatte sich bereits im Jahre 2002 der damalige dänische Einwanderungsminister Bertel Haarder dafür ausgesprochen, den Flüchtlingsschutz in die Herkunftsregionen zu verlegen.[1] Exterritoriale Lager – Libyen und die Ukraine als Pufferstaaten der EU weiterlesen

Summaries

Theme: Europe’s internal and external borders

The new European borders
by Anja Lederer and Heiner Busch
For the construction of the EU state, which is being sold as an „area of freedom, security and justice“, the border policy and „fight against illegal migration“ plays a crucial role. Protection of the external borders still lies within the jurisdiction of the member states, but the technically highly-equipped external border systems have long since been harmonised at the European level. Parallel to this, new borders have arisen inland. Summaries weiterlesen

Frontex – eine Vernetzungsmaschine – Koordinieren, analysieren, unterstützen, forschen

von Christoph Marischka

Frontex vernetzt zahlreiche zivile und militärische Behörden auf europäischer und nationaler Ebene. Die EU-Grenzschutz-Agentur soll ein „unpolitisches“ und effektives Regieren an der allgegenwärtigen Außengrenze ermöglichen.

Frontex ist das französische Akronym (frontières extérieures) für die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen, die Oktober 2005 in Warschau ihre Arbeit aufnahm. In ihrem Jahresbericht 2006 rühmt sie sich, vor der westafrikanischen Küste nahezu 5.000 „illegale Immigranten“ davon abgehalten zu haben, die gefährliche Reise über den Atlantik auf die Kanaren anzutreten, „die ihnen das Leben hätte kosten können“.[1] Nachdem Ende Mai 2007 die Bilder von 27 Menschen durch die Medien gegangen waren, die im Mittelmeer schiffbrüchig wurden, sich an ein Thunfischfangnetz klammern und dort tagelang ausharren mussten, weil sie niemand aufnehmen wollte, veranstaltete der Innen- und Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments eine öffentliche Anhörung über „die Tragödie der MigrantInnen auf See“.[2] Frontex-Exekutivdirektor Ilkka Laitinen hätte dort erläutern sollen, wie solche Tragödien zu verhindern und Rettungen gemäß dem internationalen Seerecht und den Menschenrechten durchzuführen seien. Er erschien nicht. Frontex – eine Vernetzungsmaschine – Koordinieren, analysieren, unterstützen, forschen weiterlesen

Prümer Vorbild für den Datenaustausch BRD-USA

Der Vertrag von Prüm, der derzeit in wesentlichen Teilen in EU-Recht überführt wird, wird nun zum Modell des Datenaustauschs zwischen der BRD und den USA. Am 11. März 2008 paraphierten Bundesjustizministerin Brigitte Zypries und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sowie die US-Minister für Justiz und „Heimatschutz“, Michael Mukasey und Michael Chertoff, einen Vertrag „über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kri­minalität“.[1] Prümer Vorbild für den Datenaustausch BRD-USA weiterlesen

„Troublemakers“ ins SIS

Heimlich, still und leise präsentierte die deutsche Delegation am 22. Oktober 2007 im Artikel 36-Ausschuss, dem höchsten Gremium der 3. Säule unterhalb des Rates, ein Papier über die Nutzung des Schengener Informationssystems (SIS) für den Informationsaustausch über „gewalttätige Störer“ bei Massenveranstaltungen, insbesondere bei Großdemonstrationen anlässlich von Gipfeltreffen und bei Fußballspielen von internationaler Bedeutung. Dem Protokoll zufolge überwies der Ausschuss die Angelegenheit an die SIS-Arbeitsgruppe.[1] „Troublemakers“ ins SIS weiterlesen

„Atlas“-Beschluss

Im November 2006 hatte Österreich die Initiative für einen Beschluss „über die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Spezialeinheiten der Mitgliedstaaten in Krisensituationen“ ergriffen, ein Jahr danach einigte sich der Rat auf dessen „allgemeine Ausrichtung“, Mitte Februar 2008 präsentierte seine Polizeiarbeitsgruppe einen „endgültigen Entwurf“.[1] Mit dem demnächst zu erwartenden Ratsbeschluss wird die seit 2002 existierende Kooperation der Spezial- bzw. Anti-Terroreinhei­ten der Mitgliedstaaten rechtlich abgesegnet. „Atlas“-Beschluss weiterlesen

Steuerfahndung im Internet

In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion gibt die Bundesregierung (spärliche) Hinweise auf die systematische Aus­forschung des Internets durch die Finanzverwaltungen und den Zoll.[1] Auf der Suche nach in Deutschland steuerpflichtigen Unternehmen, die steuerlich nicht registriert sind, wird die Suchmaschine XPIDER eingesetzt, die in der Lage ist, „automatisiert Internetseiten zu identifizieren, die anhand vorgegebener eindeutiger Merkmale auf eine unternehmerische Tätigkeit schließen lassen“. Steuerfahndung im Internet weiterlesen