Archiv der Kategorie: CILIP 118-119

Innere Sicherheit & Soziale Bewegungen (Juni 2019)

Kontrolle von Polizeihandeln: Schwierige Wege führen selten zum Ziel

von Anna Luczak

Im Rahmen der Konferenz „40 Jahre Bürgerrechte & Polizei/CILIP“ nahm Rechtsanwältin Anna Luczak Stellung zu den Möglichkeiten und Schwierigkeiten der justiziellen Kontrolle polizeilichen Handelns. Wir dokumentieren ihren Vortrag in überarbeiteter Form.

Wie steht es aktuell um die Kontrolle der Polizei? Mein Vorredner, Philipp Krüger, Sprecher der Themenkoordinationsgruppe Polizei und Menschenrechte von Amnesty International, hat zu Polizeigewalt referiert und dazu, wie eine Forderung an eine effektive Kontrolle hauptsächlich in Bezug auf strafrechtlich relevante Vorfälle lauten könnte. In meiner Praxis ist Polizeigewalt nur einer von vielen Fällen, in denen polizeiliches Handeln rechtswidrig ist oder rechtswidrig sein kann. Denn es gibt natürlich auch polizeiliches Handeln, das gegen das Gesetz verstößt und insofern rechtswidrig ist, das aber nicht strafrechtlich relevant ist und auch nicht mit Gewaltanwendung einhergeht. Ich will das am Beispiel des Umgangs der Polizei mit Versammlungen erläutern.

Dazu möchte ich zuerst auf das Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1985 verweisen. Das ist ein Urteil, auf das sich Anwältinnen oder Anwälte immer sehr gern beziehen, weil dort die Grundsätze der Versammlungsfreiheit hochgehalten werden. In dem Ur­teil heißt es, dass es zu den wichtigsten Grundrechten gehört, wenn sich Menschen zusammen finden und ihre Meinung äußern. Das gilt auch auf der Straße, und das wird in dem Urteil sehr poetisch ausgeführt: Kontrolle von Polizeihandeln: Schwierige Wege führen selten zum Ziel weiterlesen

Notstand und soziale Bewegungen: Der Ausnahmezustand in Frankreich 2015-2017

von Fabian Jobard

Von November 2015 bis November 2017 befand sich Frankreich im Ausnahmezustand. Die Notstandsgesetze erlaubten der Polizei u.a., Wohnungen von Aktivist*innen zu durchsuchen und Hausarreste zu verhängen. Wie ist die Staatsgewalt mit den Notstandsbefugnissen umgegangen? Eine Bilanz. 

„Frankreich ist das Land des Ausnahmezustands und der Polizeiwillkür, der Islamophobie und des Rechtsnationalismus, der Ausländerghettos und der Massenarbeitslosigkeit“, hieß es 2016 in einem Leitartikel der taz.[1] Nach den von IS-Terroristen verübten Massakern in Paris und Saint-Denis im November 2015 hatte der damalige Staatspräsident François Hollande den Ausnahmezustand ausgerufen, der dann vom Parlament mehrmals verlängert wurde und erst im November 2017 außer Kraft trat. Ein Jahr später, am ersten Dezember-Wochenende 2018 forderten mehrere französische Polizeiorganisationen, den Ausnahmezustand wiedereinzuführen – diesmal vor dem Hintergrund der Demonstrationen der „gilets jaunes“ (Gelbwesten). Notstand und soziale Bewegungen: Der Ausnahmezustand in Frankreich 2015-2017 weiterlesen

Eine Zensur findet doch statt: Das Verbot der Internetplattform linksunten.indymedia.org

von Angela Furmaniak und Kristin Pietrzyk

Im Kampf gegen eine politisch unliebsame Internetplattform ignoriert das Bundesministerium des Innern nicht nur die Presse- und Meinungsfreiheit, sondern einmal mehr auch das Gebot der Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten.

Seit 2009 existierte die Internetplattform „linksunten.indymedia.org“ als eigenständiges Independent Media Center (IMC) innerhalb des Indymedia-Netzwerkes. Zunächst als südwestdeutscher Ableger der Open-Posting-Plattform gedacht, entwickelte sich „linksunten“ – wie es genannt wurde – binnen weniger Jahre zu einer der wichtigsten Online-Nachrichten- und Diskussionsplattformen für linke Ideen in Deutschland. Weithin bekannt wurde die Webseite durch die Veröffentlichung interner Diskussionen der Deutschen Burschenschaft zum „Ariernachweis“ und die Leaks von internen AfD-Chatkommunikationen. Darüber hinaus fanden sich aber auch Aufrufe zu Demonstrationen, Veranstaltungsankündigungen, Positionspapiere linker Gruppen, aber auch Selbst­bezichtigungsschreiben zu Anschlägen und Anleitungen zum Bau von Brandsätzen. „linksunten“ wurde wegen dieses vielfältigen Angebots bald auch Quelle für Recherchen von bürgerlichen Journalist*innen und Datenbank für Antifa-Recherchen oder rechte Übergriffe auf Geflüchtete, deren Unterkünfte oder Andersdenkende. Eine Zensur findet doch statt: Das Verbot der Internetplattform linksunten.indymedia.org weiterlesen

Sand im Getriebe: Kämpfe mit dem und um das Versammlungsrecht

von Michael Plöse

Zentrales Merkmal des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit ist der staatsfreie, unreglementierte Charakter von Protesten. Ihnen steht ein in den 50er Jahren verhaftetes, regulierendes und sanktionierendes Versammlungsrecht gegenüber, dessen Vollstreckungsorgane auf dem aktuellen Stand der Überwachungstechnik sind.

Schuhe werden im Internet bestellt, Filme gestreamt, Meinungen gepostet, Petitionen geklickt, aber demonstriert wird immer noch auf der Straße. Auch im Zeitalter der Digitalisierung ist das Bedürfnis nach physischer Präsenz auf der Straße nach wie vor hoch. Die Anzahl angemeldeter und durchgeführter Versammlungen hält sich seit Ende der 90er Jahre auf einem anhaltend hohem Niveau (für Berlin, vgl. Tabelle). Sand im Getriebe: Kämpfe mit dem und um das Versammlungsrecht weiterlesen

Sicherheit, Prävention und Polizei: Der Wandel der Inneren Sicherheit und die Bürgerrechte

von Tobias Singelnstein

Der Bereich der Inneren Sicherheit hat in den vergangenen Jahrzehnten einen kontinuierlichen und grundlegenden Wandel erfahren. Wie wirkt sich das auf die Rolle der Polizei und die Bürgerrechte aus?

Als CILIP 1978 gegründet wurde, war das Feld der Inneren Sicherheit noch vergleichsweise übersichtlich strukturiert und klar gerahmt. Soziale Konflikte und Probleme, Rechtsgutsverletzungen und sonstige Konstellationen, die aus Sicht der Mehrheitsgesellschafts regulierungsbedürftig waren, wurden vor allem durch das Strafrecht bearbeitet. Daneben bestand das Polizeirecht, das damals nur für die Abwehr konkreter Gefahren zuständig war.

Diese Formation sozialer Kontrolle sah sich zur damaligen Zeit einer intensiven Kritik ausgesetzt, die nicht nur von CILIP, sondern auch von der kritischen Kriminologie und zahlreichen Anderen vorgetragen wurde. Im Zentrum dessen stand zum einen das Strafrecht wegen seines selektiven Zugriffs und der damit verbundenen Verdinglichung sozialer Probleme. Zum anderen wurden die Instanzen sozialer Kontrolle und insbesondere die Polizei in den Blick genommen. Sicherheit, Prävention und Polizei: Der Wandel der Inneren Sicherheit und die Bürgerrechte weiterlesen

Überwachen und Ausschließen: Was neoliberale Produktionsweise und unkontrollierte Strafgewalt verbindet

von Helga Cremer-Schäfer

Neoliberale Produktionsweise und Populismus als herrschende Politikform sorgen dafür, dass Sicherheitspolitik und Kriminalitätsdiskurse mit dem Vollzug legitimierter Ausschließung von Außenseitern, Armen und Fremden kurzgeschlossen werden. Als Wiedereinstieg in abolitionistische Gegenbewegungen wird vorgeschlagen, ökonomische, politische und kulturelle Bedingungen von Passung und Kurzschluss zu klären.

Die seit den 1990er Jahren in kritischen Kriminologien verfügbaren Beschreibungen „neuer“ beziehungsweise „neoliberaler“ Überwachungs- und Kontroll-Technologien erinnern frappant an Thesen der Studie Sozialstruktur und Strafvollzug von Georg Rusche und Otto Kirchheimer von 1938. Die am meisten zitierte These zu Strafvollzugsentwicklung lautete: „Jede Produktionsweise tendiert dazu Bestrafungsmethoden zu ersinnen, welche mit ihren Produktionsverhältnissen übereinstimmen.“[1] Zum Gegenstand von Analyse und Kritik müsse ein jeweiliges „soziales Artefakt“ und seine Funktionsweisen in einer Produktionsweise werden. „Strafe als solche gibt es nicht.“[2] Überwachen und Ausschließen: Was neoliberale Produktionsweise und unkontrollierte Strafgewalt verbindet weiterlesen

BodyCam-Daten der Bundespolizei

Von Volker Eick

Nach Ansicht des Bundesinnenministeriums ist die Bundesregierung der­zeit nicht in der Lage, Daten in einer Cloud so abzuspeichern, dass die infrastrukturellen Datenschutzkriterien des Bundesamts für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) erfüllt werden. Offenbar kann das auch kein deutsches Unternehmen, denn den Auftrag zur Speicherung der bundespolizeilichen BodyCam-Daten erhält die Tochter des US-Kon­zerns Amazon, Amazon Web Services (AWS). Das berichtete die Neue Os­na­brücker Zeitung im März 2019 unter Berufung auf den FDP-Ab­ge­ord­ne­ten Benjamin Strasser. Der hatte die Bundesregierung gefragt, warum sie „ein kaum kalkulierbares Risiko mit Blick auf hochsensible Daten“ eingehe.[1] Dieses kaum „kalkulierbare Risiko“ bezieht sich einerseits auf Amazon, denn das Unternehmen könnte an die US-Regierung Nutzerdaten weiterleiten und hat an US-amerikanische Polizeien seine selbstentwickelte Überwachungstechnologie „Rekognition“ ausgeliefert, die zur Gesichtserkennung in BodyCam-Bildern genutzt wird. BodyCam-Daten der Bundespolizei weiterlesen

TKÜ in 2016

Von Maryam Kohlgraf

Die Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) etabliert sich immer weiter als Standardmittel der Strafverfolgungsbehörden. Das belegt die Übersicht über Maßnahmen der TKÜ nach § 100a StPO, die vom Bundesamt für Justiz jährlich im Internet veröffentlicht wird.[1] 2016 gab es demnach insgesamt 21.355 Überwachungsanordnungen, davon 17.510 Erst- und 3.845 Verlängerungsanordnungen. Daraufhin wurden 35.698 Telekommunikationsanschlüsse über­wacht. Betroffen waren 21.236 Mobilfunk-, 10.606 Internet- und 3.856 Festnetzanschlüsse. Im Jahr 2017 sanken diese Zahlen spürbar: Von 18.651 Überwachungsanordnungen wurden 15.669 erstmals erteilt, 2.982 verlängert. Betroffen waren 33.136 Telekommunikationsanschlüsse (20.022 Mobilfunk-, 9.508 Internet- und 3.606 Festnetzanschlüsse). Spitzenreiter in beiden Jahren waren die Bundesländer Bayern und Hessen mit 41,33 bzw. 41,5 Prozent der Anordnungen. TKÜ in 2016 weiterlesen