Archiv der Kategorie: CILIP 128

Die EU – Ein Sicherheitsstaat neuer Prägung? (März 2022)

Die neue Europol-Reform: Operative Befugnisse ohne Rechenschaftspflicht

von Chloé Berthélémy und Jesper Lund

Die Zeiten, in denen die EU-Agentur für die Zusammenarbeit im Bereich der Strafverfolgung nur den Mitgliedstaaten unterstellt war, sind vorbei. Die jüngste Reform des Europol-Mandats bestätigt den Trend, ihr mehr exekutive Befugnisse und Autonomie zu geben.

Ihren Vorschlag für die jüngste Europol-Reform hat die Europäische Kommission im Dezember 2020 zusammen mit einer neuen Agenda zur Terrorismusbekämpfung veröffentlicht.[1] Die Dokumente belegen ein ehrgeiziges Projekt der europäischen operativen Sicherheits-zusammenarbeit. Einst wurde Europol als „unfähig, Schaden anzurichten“,[2] bezeichnet. Jetzt soll die Agentur neue unabhängige Befugnisse erhalten und große Datenmengen sammeln, verarbeiten und mit nationalen Behörden und privaten Parteien teilen dürfen. Ohne Rechenschaftspflicht und angemessene rechtliche Garantien sollen diese quasi-operativen Befugnisse eingeführt werden. Die neue Europol-Reform: Operative Befugnisse ohne Rechenschaftspflicht weiterlesen

Blaue Gefühlswelten: Emotion und Affekt digitaler Polizeiarbeit

von Ben Hundertmark

In sozialen Netzwerken beteiligen sich Polizeibehörden an der Gefühlsaufladung ihrer Institutionen: Mit humoristischen und personalisierten Kommunikationsangeboten suchen sie den Kontakt zu Bürger*innen. Das Verhältnis zwischen staatlichen Organisationen und der Zivilgesellschaft wird im digitalen Raum neu verhandelt.

Im Januar 2020 pointierte Marcus da Gloria Martins, ehemaliger Pressesprecher der Polizei München, bei der Vortragsreihe TEDx TALKS ein Dilemma polizeilicher Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Netzwerken:

„Social Media funktioniert nur mit Emotionen, nur. Ganz im Ernst: Finden Sie uns wahnsinnig emotional? Nein, oder? … Und dann müssen wir Humor? Dann müssen wir Emotionen? Das ist sehr schwierig“[1]

Einerseits sind Polizeibehörden in Deutschland an rechtliche Grundsätze der Neutralität, Sachlichkeit und Richtigkeit gebunden, welche auch im Kontext von Kommunikationsangeboten an Bürger*innen im digitalen Raum gelten. Andererseits wollen sie eben dort Sichtbarkeit, Ansprechbarkeit und Präsenz vermitteln. Dafür müssen sie sich im Wetteifern um Aufmerksamkeit und Reichweite den Kommunikationskulturen und sozioalgorithmischen Funktionslogiken sozialer Netzwerke anpassen, was die kontinuierliche (Re-)Produktion von Emotionen sowie das Hervorrufen affektiver Reaktionen bei adressierten Nutzer*innen erforderlich macht. Blaue Gefühlswelten: Emotion und Affekt digitaler Polizeiarbeit weiterlesen

Kleine Geschichte der Bundespolizei: Paramilitärischer Grenzschutz bis „Polizei des Bundes“

von Dirk Burczyk

Die Entwicklung des Bundesgrenzschutzes und der späteren Bundespolizei ist eng eingewoben in die Geschichte der Bundesrepublik – vom Ringen um die staatliche Souveränität über die diversen Konjunkturen der „Inneren Sicherheit“ bis zur Ausdehnung von Handlungsfähigkeit und Ressourcen des Bundes zulasten der Länder.

Die Geschichte des Bundesgrenzschutzes (BGS) beginnt 1948 mit den Beratungen im Parlamentarischen Rat über das Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland. Eingeführt wurde mit dem Art. 87 GG die Kompetenz des Bundes zum Aufbau eines Bundesgrenzschutzes. Doch schon die Debatten vor der Vorlage eines Bundesgrenzschutzgesetzes zeigten, dass es nicht nur allein um den Schutz der Grenze zur DDR und ČSSR ging. So träumte der FDP-Abgeordnete Max Becker schon 1950 davon, der Bundesgrenzschutz könne „Grundlage einer anständigen Bundespolizei selbst sein“.[1] Anlass war eine Debatte des Bundestages zur „Polizeifrage“. Dabei war zwischen den Fraktionen weitgehend unumstritten, dass es in Reaktion auf die Aufstellung kasernierter Verbände der Volkspolizei der DDR und angeblicher Überfälle von FDJ-Gruppen auf das Gebiet der BRD eines bewaffneten Grenzschutzes bedürfe. So sollte eine militärische Eskalation an der innerdeutschen Grenze durch das Einschreiten der alliierten Westmächte verhindert werden und gleichzeitig auch ein Stück staatlicher Souveränität der jungen BRD erreicht werden. Und schließlich war es dem Bundeskanzler ein persönliches Anliegen, polizeiliche und keine militärischen Kräfte einzusetzen: die Grenze sollte als inner-deutsche und damit polizeiliche Angelegenheit behandelt werden.[2] Kleine Geschichte der Bundespolizei: Paramilitärischer Grenzschutz bis „Polizei des Bundes“ weiterlesen

Geldregen für die Feinde der Freiheit? Zur Debatte um die „Desiderus-Erasmus-Stiftung“

von Matthias Jakubowski und Clara Bünger

7,85 Millionen Euro beantragte die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) Ende 2021 beim Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages für das Jahr 2022. Es droht erstmals die finanzielle Förderung einer dem extrem rechten Parteienspektrum nahestehenden Stiftung aus staatlichen Mitteln. Eine Herausforderung, die nicht Hand in Hand mit dem Verfassungsschutz zu lösen ist.

Dass dieser Tag kommen würde, hatte sich spätestens mit der offiziellen Anerkennung der 2015 gegründeten Desiderius-Erasmus-Stiftung als parteinahe Stiftung am 30. Juni 2018 durch den Bundesparteitag der Alternative für Deutschland (AfD) abgezeichnet. Seitdem versuchte die Stiftung regelmäßig an finanzielle staatliche Förderungen zu gelangen. Da dies erfolglos blieb, startet die DES nun einen neuen Versuch.[1] Für den Fall, dass der Antrag beim Haushaltsausschuss erfolgreich ist und die AfD in den kommenden Jahren ihr Wahlergebnis auf dem bisherigen Niveau stabilisiert, könnte das eines Tages eine Förderung von bis zu 70 Millionen Euro jährlich aus dem Bundeshaushalt bedeuten. Geldregen für die Feinde der Freiheit? Zur Debatte um die „Desiderus-Erasmus-Stiftung“ weiterlesen

Summaries

Thematic Focus: The EU – A New Kind of Security State?

The European Union and its Crises
by Chris Jones and Yasha Macanico

Since the Treaty of Amsterdam in 1999, various crises have served as pretexts for expanding the EU security structures, expanding the power of the EU’s repressive agencies. Politically motivated human rights violations continue to be daily fare and are worsening with the latest “migration crisis” on the EU’s eastern borders. Summaries weiterlesen

Politisch Motivierte Kriminalität – nicht zuzuordnen

Bereits im Januar wurde bekannt, dass die Zahlen der „Politisch Motivierten Kriminalität“ (PMK) im Vergleich zum Vorjahr stark gestiegen waren. Der Anstieg ist vor allem auf den Phänomenbereich „PMK – nicht zuzuordnen“ zurückzuführen. Aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage im Bundestag gehen Details hierzu hervor.[1] Demnach waren von 47.303 Straftaten (+ 6% zum Vorjahr) insgesamt 21.259 nicht den klassischen Phänomenbereichen zuzuordnen, darunter 1.437 Gewaltdelikte. Insgesamt wurden 1.396 der Straftaten im Themenfeld „Hass­kriminalität“ erfasst, davon in den einzelnen Unterkategorien „antisemitisch“ 280, „ausländerfeindlich, „fremdenfeindlich“ sowie „Rassismus“ insgesamt 839 und „sexuelle Orientierung“ 564. 3.497 der Straftaten richteten sich gegen Amts- und Mandatsträger*innen, davon 379 Gewalttaten. Von den 9.603 bekannten Tatverdächtigen waren 1.041 bereits mit politisch motivierten Straftaten polizeilich in Erscheinung getreten, 2.258 in der allgemeinen Kriminalität. Politisch Motivierte Kriminalität – nicht zuzuordnen weiterlesen

Verwendung von „EncroChat“-Daten in Strafverfahren

Im September 2020 wurde bekannt, dass das Bundeskriminalamt hunderttausende Chat-Nachrichten eines Krypto-Handy-Anbieters namens EncroChat von französischen Ermittlungsbehörden erhalten hatte. Die Krypto-Telefone wurden unter anderem von Kriminellen genutzt, um sicher vor staatlichen TKÜ-Maßnahmen kommunizieren zu können; In Deutschland gab es mutmaßlich 1.000 bis 3.000 Nutzer*innen. Die Auswertung wurde durch die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität ZIT in Gießen (Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt) vorgenommen, und tausende Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet. Verwendung von „EncroChat“-Daten in Strafverfahren weiterlesen

Noch mehr Polizeipanzer für Bund und Länder

Das Beschaffungsamt des Bundesinnenministeriums (BMI) hat der Firma Rheinmetall Landfahrzeuge GmbH am 15. November 2021 den Zuschlag für 45 „Survivor R” für die Bereitschaftspolizeien der Länder und für zehn weitere Exemplare für die Bundespolizei erteilt.[1] Das Ministerium will damit „potentielle terroristische Bedrohungsszenarien mit der Gefahr von Parallellagen” abdecken. Die auf einem Lkw-Chassis basierenden, gepanzerten Fahrzeuge ersetzen die vierrädrigen „TM-170”, die das BMI vor 35 Jahren als „Sonderwagen 4” beschafft hat. Die Auslieferung der „Sonderwagen 5“ erfolgt ab 2023; in der Basisversion kosten sie rund 1,3 Millionen Euro, hinzu kommt die Umsatzsteuer. Noch mehr Polizeipanzer für Bund und Länder weiterlesen