Artikel im Heft widmen sich dem jeweiligen Schwerpunkt sowie weiteren Themen. Von aktuellen Ausgaben stellen wir gewöhnlich drei ausgewählte Artikel sofort online.
Seit 150 Jahren setzt die kanadische Bundespolizei Interessen der privaten Industrieunternehmen gegen den Widerstand der Bevölkerung durch. In der vergangenen Dekade wurden insbesondere Demonstrationen von Umweltschutzgruppen und First Nations Ziel bedenklicher Dauerüberwachung. Der Beitrag analysiert neue Observationsmethoden wie die Einrichtung von Zentren für die Kooperation von staatlichen Behörden und Privatunternehmen, gegen die sich Betroffene kaum wehren können.
Zur Geschichte Kanadas gehört maßgeblich die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen gegen den Widerstand der indigenen Bevölkerung. Für diese haben ambitionierte Siedler*innenprojekte zum Ressourcenabbau stets gravierende Folgen für die Sicherung der eigenen Überlebensgrundlage. Indigene Proteste werden in der Regel als gewalttätig dargestellt und traditionell mit dem primären Mechanismus der Kolonialmacht beantwortet – der Polizei. Entsprechend rabiat wurden bereits frühere Proteste gegen Raubbau poliziert. Die Namen Kanehsatà:ke (Oka), Ts’Peten (Gustafsen-See), Aazhoodena (Ipperwash/Stoney Point) oder auch Kanonhstaton (Kaledonien) bleiben als Beispiele im kollektiven Gedächtnis. Das Polizieren indigener Proteste: Besondere Repression gegen besondere Rechte weiterlesen →
Mit seinem Urteil vom 16. Februar 2023 hat das Bundesverfassungsgericht polizeirechtliche Regelungen zur automatisierten Datenauswertung im Grundsatz für zulässig erklärt, ihre Anwendung aber strengeren Kriterien unterworfen. Damit wurden zugleich Leitplanken für eine zukünftige, bundesweite Verwendung von Software für das „predictive policing“ geschaffen. Grundsätzliche Fragen bleiben ungeklärt.
Schon seit über zehn Jahren wird in der Bundesrepublik der Einsatz von algorithmenbasierter Analysesoftware in der Polizei erprobt. Diese soll ihre Arbeit im Bereich der Kriminalitätsprävention und der Strafverfolgung unterstützen. Zu unterscheiden sind dabei zwei grundsätzlich unterschiedliche Ansätze: die allgemein unter dem Begriff „predictive policing“ entwickelten Anwendungen, die unter Auswertung von polizeilichen Falldaten und z. T. mit Hinzuziehung von soziodemografischen, sozialstatistischen und georeferenzierten Daten die Eintrittswahrscheinlichkeit von Wohnungseinbruchsdiebstählen (WED) durch professionell vorgehende Täter*innen prognostizieren und zur Steuerung des Ressourceneinsatzes bei der Bestreifung herangezogen werden können. Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen setzten dabei ab 2015 das kommerzielle Produkt PRECOBS vom Institut für musterbasierte Prognosetechnik (IfmPt) oder Eigenentwicklungen ein. Der Betrieb wurde in den meisten Ländern wieder eingestellt, weil ein Erfolg nicht nachweisbar war.[1]Getrübter Blick in die Glaskugel: Polizeiliches Data-Mining muss beschränkt werden weiterlesen →
von León von der Burg, Johannes Ebenau und Jasper Janssen
Immer mehr Polizeien in Deutschland beschäftigen sich mit Virtual Reality (VR). An die Implementierung werden verschiedene Hoffnungen und Erwartungen insbesondere zur Verbesserung von polizeilicher Aus- und Fortbildung geknüpft. Es steht zur Disposition, inwiefern VR-Technologien diesen Erwartungen gerecht werden können oder ob mit ihnen nur leere Modernisierungsversprechen einhergehen. Der Beitrag gibt einen Überblick über polizeiliche Erprobungen von VR-Trainingstechnologien sowie die damit verbundenen Hoffnungen und Kritikpunkte.
Die Euphorie angesichts neuer technologischer Entwicklungen macht auch vor deutschen Polizeien nicht halt. Smartphones, die einsatzrelevante Informationen in Echtzeit zur Verfügung stellen, einsatzunterstützende Software, die den nächsten Einbruch vorhersagen soll, oder Drohnen zur Überwachung von Versammlungen oder Tatortsicherung werden als Einsatzmittel der Zukunft von modernen, noch effizienteren Polizeien präsentiert. Eins der aktuellsten Trendtechnologiefelder ist das der Virtual und Mixed Reality. Insbesondere in der polizeilichen Aus- und Fortbildung sollen sie bei der Erzeugung einer immersiven Lernumgebung helfen. Ihr Versprechen: realitätsnähere, qualifiziertere und kostengünstigere Trainings als bisher vor allem für komplexe Einsätze wie Amokläufe oder Terroranschläge. Doch was ist dran an der Technologie, die von manchen Polizeien bereits als ein „Quantensprung“ im Einsatztraining bezeichnet wird?[1] Im Folgenden geben wir einen Überblick über die Technologien, zeigen wer mit ihnen trainiert, was Polizeibehörden sich von deren Nutzung versprechen und welche Kritikpunkte und Limitationen vorliegen. Training der Zukunft? Virtual Reality bei deutschen Polizeibehörden weiterlesen →
In der Forschungsförderung unterstützen Europäische Union und deutsche Bundesregierung die Abwehr unerwünschter Einwanderung: Die Entdeckung von unerlaubt Einreisenden oder Eingereisten soll verbessert, Grenzen sollen effektiver überwacht und Netzwerke der Grenzsicherungsbehörden sollen gestärkt werden. Die Forschungen legitimieren sich mit Lücken im Grenzschutz, deren Existenz sie zugleich aufdecken und schließen wollen. Sie versprechen, soziale Probleme mit den Mitteln fortgeschrittener Informations- und Naturwissenschaft zu lösen – mit negativen Wirkungen weit jenseits der Migrationsabwehr.
Öffentlich wenig bekannt ist, woran die Unternehmen der Informations-, Kommunikations- und Überwachungstechnologien in ihren Laboratorien und Forschungsabteilungen gegenwärtig arbeiten. Erkennbar ist nur jener Ausschnitt an Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten, die über staatliche Förderprogramme unterstützt werden. Der Blick auf diesen Ausschnitt erlaubt zwei Hinweise: Erstens kann er anzeigen, mit welchen Verfahren, welche Teilziele zur Umsetzung der politisch gewünschten Migrationsabwehr verfolgt werden sollen. Weil es hier um Forschungsvorhaben geht, handelt es sich regelmäßig um vollmundige Versprechen über die praktische Nützlichkeit des durch die Forschung Entwickelten; insofern ist deren tatsächliche Wirkung für die Zukunft ungewiss. Zweitens erlaubt die Forschungsförderung einen Blick auf den Zustand der Migrationsabwehr: Denn die Projekte verdanken ihre Förderung dem Umstand, dass sie in ihren Anträgen erfolgreich bestehende Überwachungs- und Kontrolldefizite behaupten, die sie zu schließen versprechen. Da die Abwehr unerwünschter Migration seit Jahrzehnten zum Kern europäischer Grenzpolitik gehört, wird in den Forschungsprojekten zugleich deutlich, welchen Umfang und welche Eingriffstiefe das Grenzkontrollparadigma mittlerweile erreicht hat. Den Fortschritt nutzen: Migrationsabwehr als angewandte Wissenschaft weiterlesen →
Seit 10 Jahren strebt die britische Regierung danach, Menschen, die nach Großbritannien einwandern, im Rahmen der Politik der „feindlichen Umgebung“ das Leben so unangenehm wie möglich zu machen. Neben vielen anderen Instrumenten und Praktiken werden dazu neuen Technologien und die Daten der Menschen genutzt. Die Beschlagnahmung von Handys und die GPS-Ortung sind zwei eindrucksvolle Beispiele. Dieser Artikel diskutiert, wie die Instrumente unter menschenrechtlicher Perspektive infrage gestellt und angegangen werden können.
Der Artikel untersucht neue technologische Trends in der Digitalisierung von Grenzen. Die EU fördert derartige Experimente zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Grenzkontrolle und rechtfertigt dies damit, es handele sich um bloße Forschung. Doch insbesondere dort, wo Migrant*innen ins Visier genommen werden, gilt es zu berücksichtigen, dass Forschung unsere Vorstellungen von der Welt widerspiegelt.[1]
In ihrer KI-Strategie hat die EU-Kommission das Ziel ausgegeben, eines der führenden Zentren für Technologien Künstlicher Intelligenz zu werden.[2] Dazu fördert sie KI-Forschungsprojekte, um technologische Kompetenz und Lösungen zur Bewältigung ihrer Herausforderungen zu entwickeln. Dieser Artikel greift auf die KI-Definition zurück, die die von der EU-Kommission eingesetzte „Hochrangige Expertengruppe für Künstliche Intelligenz“ entworfen hat.[3] KI meint demnach Softwaresysteme (und möglicherweise auch Hardware), denen ein komplexes Ziel gesetzt wird, die ihre Umgebung durch das Sammeln und Interpretieren von Daten wahrnehmen, diese Informationen auswerten und davon ausgehend Entscheidungen darüber treffen, welches Vorgehen am besten geeignet ist, das Ziel zu erreichen. Darüber hinaus können KI-Systeme ihr Verhalten anpassen, indem sie analysieren, wie sich ihre Umwelt durch ihr vorangegangenes eigenes Vorgehen verändert. Wirklich nur Forschung? Die EU lässt dubiose KI für die Grenzkontrolle entwickeln weiterlesen →
Legitimiert durch die Verbindung von Migration und Sicherheitsgefahren im Innern werden zur Abwehr unerwünschter Einwanderung weltweit fortgeschrittene Technologien eingesetzt. Am Beispiel der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union (EU) zeigt sich, dass die technologische Aufrüstung der physischen Außengrenzen begleitet wird von der Vorverlagerung der Kontrollen in andere Länder. Dadurch werden autoritäre Regime unterstützt und Überwachungstechnologien exportiert, so dass die Ursachen für Flucht verschärft und zugleich Fluchtchancen und -bedingungen verschlechtert werden.
„Heute schlägt die EU ein neues Kapitel in der Migrationsfrage auf … Diese Einrichtung spiegelt unsere Werte und unsere europäische Lebensweise wider“, sagte Margaritis Schinas, Vizepräsident der EU-Kommission und Kommissar für die „Förderung der europäischen Lebensweise“, bei der Eröffnung eines Hightech-Flüchtlingslagers auf Kos, seiner griechischen Heimatinsel. Meine Kolleg*innen und ich nahmen an der offiziellen Eröffnung teil und hörten diese Worte aus erster Hand. Die Prioritäten der EU sind klar, und ihre Sprache ist wohlüberlegt: „Die Flüchtlingsströme erheblich reduzieren“, die Menschen „aus dem städtischen Leben fernhalten“ und deutlich machen, dass „wir es uns selbst, unseren Kindern und den künftigen Generationen schuldig sind, unsere Inseln vor Überbelastung und bekannten Gefahren zu schützen“.[2] Eingebettet in die sanften Hügel in der Nähe des Dorfes Pili, unweit eines Salzsees mit Flamingos, ist das neue Flüchtlingslager auf Kos umgeben von Stacheldrahtzäunen, Ein- und Ausgangsdrehkreuzen, Lautsprechern und Kameras. Ergänzt wird das Lager durch ein von der EU finanziertes Pilotprojekt namens ROBORDER, welches das Ziel verfolgt, ein „voll funktionsfähiges autonomes Grenzüberwachungssystem mit unbemannten mobilen Robotern“ zur Kontrolle der Gewässer vor der türkischen Küste zu entwickeln.[3]Digitale Festungen und Roboterhunde: Technologische Gewalt an den Grenzen der EU und USA weiterlesen →
von Dirk Burczyk, Christian Meyer, Matthias Monroy und Stephanie Schmidt
Um die unkontrollierte Migration aufzuspüren und zu verhindern, setzt die Europäische Union (EU) zunehmend Hochtechnologien ein. Diese lassen sich in sensor- und datenbasierte Anwendungen unterscheiden. Mit der Technologisierung der europäischen Außengrenzen gehen kommerzielle Interessen der Anbieter einher. Es gibt aber auch Ansätze von Nichtregierungsorganisationen, die verwendeten Beobachtungstechnologien im Sinne einer Sousveillance einzusetzen.
Weil man sich seit Jahren nicht auf Verteilungsquoten einigen kann, haben die 27 Regierungen beim EU-Migrationsgipfel Anfang Februar 2023 lieber andere Gemeinsamkeiten betont.[1] Ziele der Union seien demnach gestärkte Außengrenzen und Maßnahmen gegen irreguläre Migration. In den vergangenen Jahren setzt die EU dabei auch zunehmend auf Technologien zur Überwachung und Kontrolle flüchtender Menschen an ihren Außengrenzen. Konzentrierte sich dies bis zum Ende des Kalten Kriegs noch vor allem auf den Schutz des Territoriums, rückte seither der Umgang mit sowie die Verhinderung von Migration in den Fokus grenzpolitischer Interessen.[2] Aufgrund der Befürchtungen, dass sich nach dem Kalten Krieg vor allem Migrationsbewegungen als Auslöser für Krisen zeigen könnten, wurde ein Bedarf an umfassenden Regeln und Normen behauptet, die in dem 1993 (auf Bitte der UN-Kommission für Global Governance und der Regierung Schwedens) von Bimal Gosh entwickelten Konzept des „Migrationsmanagement“ mündeten.[3] Neben den bekannten staatlichen Akteur*innen, wie die EU-Grenzagentur Frontex und ihren Entwicklungen von Grenztechnologien (wie bspw. das seit 2014 aktive Überwachungssystem EUROSUR), zeigen sich auch Industrie und zivile Forschungseinrichtungen im Bereich der Europäischen Migrations- und Grenzpolitik aktiv. So wurden etwa Drohnen, ursprünglich genutzt für die Schifffahrtskontrolle und im Kontext von Umweltüberwachung, letztlich auch im Bereich des Grenzschutzes und zur Überwachung von Migrationsbewegungen eingesetzt.[4]Mit Technologien gegen Migration: Die Sensoren und Daten der Festung Europa weiterlesen →
Hessen plant, wie bereits andere Bundesländer, ein Landesversammlungsgesetz. Bezüglich vieler Fragen würde dies schlicht die bestehende Rechtsprechung fortschreiben und könnte daher mehr Rechtsklarheit schaffen. Allerdings soll die Polizei Versammlungen auch umfassend überwachen und unter geringen Voraussetzungen in das Geschehen eingreifen dürfen. Progressive Ansätze wie die Abschaffung versammlungsspezifischer Strafvorschriften fehlen hingegen. Der Gesetzesentwurf der schwarz-grünen Regierung wird der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit daher nicht gerecht.
Das Versammlungsgesetz des Bundes ist hoffnungslos veraltet und gibt unkundigen Leser*innen teilweise einen verfälschten Eindruck der Rechtslage. So legt etwa § 14 Abs. 1 Bundesversammlungsgesetz (BVersG) fest, dass eine Demonstration, „spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe der zuständigen Behörde … anzumelden“ sei. Dabei ist allgemein anerkannt, dass als Reaktion auf aktuelle Ereignisse auch kurzfristige Eil- oder Spontanversammlungen zulässig sind. Im Gesetzestext findet sich dazu jedoch nichts. Genauso nennt § 3 Abs. 1 BVersG das Verbot, „in einer Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen“, verschweigt jedoch, dass Streikwesten, Arbeitskleidung, Fußballtrikots o. ä. hiervon nicht umfasst sind. Das sogenannte Uniformverbot gilt nach der Rechtsprechung nur, wenn die Kleidung eine „suggestivmilitante“, einschüchternde Wirkung gegenüber Dritten erzielt. Dieser Zustand, dass das geschriebene Recht sich von der tatsächlichen Rechtslage erheblich unterscheidet, ist im besonders grundrechtssensiblen Bereich der Versammlungsfreiheit ein Ärgernis. Umkämpftes Demonstrationsrecht: Zum Entwurf eines hessischen Versammlungsgesetzes weiterlesen →
Der folgende Text beschreibt die fortschreitende Technisierung und Überwachung der EU-Außengrenzen sowie forensische Methoden unter Verwendung von Open-Source-Materialien. Dazu werden Projekte der Organisationen Border Forensics und Forensic Oceanography vorgestellt, die mit räumlichen und visuellen Analysen Menschenrechtsverletzungen aufdecken. Damit wollen sie den systemischen Charakter von Überwachung und Grenzgewalt sichtbar machen, die Rechte von Migrant*innen stärken und eine Politik der Bewegungsfreiheit proklamieren.
Seit Jahren verstärkt die Europäische Union[1] die Kontrolle ihrer Außengrenzen mit dem vorgegebenen Ziel, „die Sicherheit in Europa zu gewährleisten“.[2] Im Rahmen dieses fortschreitenden Prozesses werden Überwachungstechnologien ständig weiterentwickelt und modernisiert. Der Zugang zu diesen Technologien ist häufig auf den Staat und seine Exekutive beschränkt. An den Grenzen und darüber hinaus werden sie eingesetzt, um einerseits Kontrolle auszuüben, aber auch, um den Status quo zu erhalten. Wie kann die Öffentlichkeit angesichts dieser sich ständig weiterentwickelnden und verstärkenden Tendenz Rechenschaft einfordern? Der Blick auf die Grenze: Gegenforensik macht Formen der Grenzgewalt sichtbar weiterlesen →
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