Schlagwort-Archive: NSU

Geheimdienste besser kontrollieren? Zwischen Illusionen und bewusster Täuschung

Dass angesichts des NSU die Polizeien und die Geheimdienste in Deutschland versagt haben, ist offenkundig. Die Dienste, deren Aufgabe es sein soll, gegen die Verfassung gerichtete Bestrebungen frühzeitig zu entdecken, haben vom NSU keine Ahnung gehabt. Gleichzeitig haben sich diverse V-Leute der Ämter um Umfeld des NSU bewegt. Weil all dies auch den politischen Kontrolleuren der Dienste nicht auffiel, ist der Schluss naheliegend, dass die Kontrolle unzureichend ist und alsbald verbessert werden muss.

Auf die Vorschläge des NSU-Untersuchungsausschusses nimmt der Koalitionsvertrag der erneuten Großen Koaliation positiv Bezug. Sofern die Bundesebene betroffen sei, mache man sich die Empfehlungen „für die Bereiche Polizei, Justiz und Verfassungsschutz, zur parlamentarischen Kontrolle der Tätigkeit der Nachrichtendienste sowie zur Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“ „zu Eigen“. Die Koalition wolle sie „zügig umsetzen“. Wenig später heißt es: Geheimdienste besser kontrollieren? Zwischen Illusionen und bewusster Täuschung weiterlesen

Der blinde Fleck: Der polizeiliche Staatsschutz und die rechte Gewalt

von Mark Holzberger

Warum tut sich der polizeiliche Staatsschutz so schwer, rechte Gewalt sachgerecht zu erkennen und zu bewerten?

Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zum NSU (PUA-NSU) kam in seinem Abschlussbericht zu einem nieder schmetternden Ergebnis: Nicht nur die Kriminalpolizei, die die Mordserie des NSU an ImmigrantInnen untersuchte, hatte diese als Racheakte einer ominösen kriminellen Organisation bewertet und damit die Opfer für ihren eigenen Tod mitverantwortlich gemacht. „Nach den Feststellungen des Ausschusses wurde die Gefahr des Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus auch vom polizeilichen Staatsschutz völlig falsch eingeschätzt. Die polizeiliche Analyse rechtsextremistischer Gewalt war fehlerhaft, das Lagebild dadurch unzutreffend.“[1] Der blinde Fleck: Der polizeiliche Staatsschutz und die rechte Gewalt weiterlesen

Institutionalisierter Rassismus – Racial Profiling – nicht nur bei Kontrollen

von Heiner Busch

Die Polizisten seien „schnurstracks“ auf sie zugekommen und hätten ihn und seinen minderjährigen Sohn kontrolliert. Der Junge habe gefragt, warum die Beamten in dem vollbesetzten Waggon nur sie beide nach den Papieren gefragt haben. „Kann die Antwort darauf sein: Wir sehen viel gefährlicher aus? Wir sehen illegaler aus? Ich habe gesagt, das ist vielleicht nur Zufall, die Polizei macht nur Stichproben. Aber ich weiß, dass es keine Stichprobe ist.“ Der grüne Bundestagsabgeordnete Memet Kiliç erzählt diese Episode in dem Film „ID without colours“ von Riccardo Valsecchi.[1]

Dass sie und nur sie herausgepickt und kontrolliert werden, ist eine Alltagserfahrung, die dunkelhäutige oder „fremd“ aussehende Menschen immer wieder machen. Es ist eine erniedrigende Erfahrung, denn der unausgesprochene Begleittext zur Kontrolle lautet: „Egal, was in eurem Pass steht; egal, ob eure Papiere in Ordnung sind; egal, warum ihr hier seid und ob ihr seit Ewigkeiten hier lebt – ihr seht anders aus, ihr seid immer verdächtig und eigentlich gehört ihr nicht hierher.“ Institutionalisierter Rassismus – Racial Profiling – nicht nur bei Kontrollen weiterlesen

Von Spitzeln umzingelt. Der NSU und die V-Leute des Verfassungsschutzes

von Andreas Förster

Selten war der Unsinn des V-Leute-Wesens offensichtlicher: Mindestens 17 Spitzel tummelten sich im Umfeld des „Nationalsozialistischen Untergrunds“.

Das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) legt – wenn man ihm glauben will – bereits seit Jahren hohe Maßstäbe an Lebenswandel und Selbstverständnis seiner Quellen an. Maßstäbe, die laut dem Bundesamt deutlich über den Kriterien liegen, nach denen die meisten Landesämter ihre sogenannten Vertrauenspersonen vulgo Spitzel auswählen. Und natürlich soll der Bundesmaßstab nun künftig auch von den Ländern angelegt werden, regt Köln als Konsequenz aus dem Desaster um die rechte Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) an. Von Spitzeln umzingelt. Der NSU und die V-Leute des Verfassungsschutzes weiterlesen

Naziterror und Behördenversagen. Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags

von Gerd Wiegel

Im Januar 2012 begann der Untersuchungsausschuss seine Arbeit. Wie ist er zustande gekommen? Welche Möglichkeiten hat er? Was sind seine bisherigen Ergebnisse? Eine Zwischenbilanz.

Nachdem im November 2011 die Mord- und Verbrechensserie des sich selbst Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nennenden Trios Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe publik wurde, war schnell klar, dass es sich um einen der spektakulärsten Kriminalfälle in der Geschichte der Bundesrepublik handelt: Eine Naziterrorzelle lebte mehr als 13 Jahre unerkannt im Untergrund und verübte in dieser Zeit neun rassistisch motivierte Morde, einen Mord an einer Polizistin und einen Mordversuch an ihrem Kollegen, zwei Bombenanschläge auf Geschäfte und Straßen mit migrantischer Bevölkerung und ca. 14 Banküberfälle. Eine verheerende Bilanz der Sicherheitskräfte des Landes wurde deutlich. Nicht nur hatte man nach eigenem Bekunden keinerlei Kenntnis einer solchen Terrorzelle; die Mordserie des NSU wurde über Jahre völlig falsch eingeschätzt, die Opfer und ihre Angehörigen zu Hauptverdächtigen erklärt. Institutioneller Rassismus und die völlige Verkennung der tödlichen Gefahr von rechts waren Vorwürfe, die gegen Polizei und Verfassungsschutz erhoben wurden. Naziterror und Behördenversagen. Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags weiterlesen

Weiter wie gehabt? Forderungen an Polizei und Justiz nach dem NSU-Debakel

von Heike Kleffner

Mehr Geld, neue Datensysteme und mehr Macht für die Geheimdienste sind die falsche Antwort auf das Staatsversagen beim Vorgehen gegen den NSU. Stattdessen braucht es dringend effektive Veränderungen, die das Vertrauen von Minderheiten in Polizei und Strafverfolgung stärken.

Wer in diesen Tagen die Auftritte von Polizisten und Verfassungsschützern vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) verfolgt, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass insbesondere die mittlere Ebene der Geheimdienste mehrheitlich diese „schwere Niederlage der Sicherheitsbehörden“[1] lediglich als einen Betriebsunfall betrachtet. Die Logik derer, die jegliche Verantwortung für das Staatsversagen im NSU-Komplex zurückweisen, ist simpel: „Wir hatten in all den Jahren keinerlei Hinweise auf Rechtsterrorismus“, erklärten unisono die Repräsentanten von Bundesamt und Landesämtern für Verfassungsschutz. „Es gab ja keine Bekennerschreiben“, meinten auch die Vertreter des Bundeskriminalamts und der Landeskriminalämter. Weiter wie gehabt? Forderungen an Polizei und Justiz nach dem NSU-Debakel weiterlesen

Neu ausgerichteter Verfassungsschutz? Konsequenzen der Innenminister aus dem NSU-Debakel

von Heiner Busch

Im Falle NSU hat der Verfassungsschutz komplett versagt. An seine Abschaffung mögen die Innenminister jedoch nicht einmal denken. Ein Jahr nach der Aufdeckung des NSU planen sie die Modernisierung und Zentralisierung des Inlandsgeheimdienstes.

Die Konferenz der Innenminister und -senatoren des Bundes und der Länder (IMK) „steht auch weiterhin zu ihrer Aussage, dass der Verfassungsschutz eine Institution des demokratischen Rechtsstaates und maßgebliche Bewertungsinstanz für Extremismus ist.“ So steht es in der Pressemitteilung, die der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern als derzeitiger Vorsitzender der IMK am 7. Dezember 2012 herausließ. Das Gremium hatte sich in den Tagen zuvor nicht nur mit dem NPD-Verbot, sondern auch mit der „zukünftigen Ausrichtung des Verfassungsschutzes“ befasst und eine neue Richtlinie für die Zusammenarbeit zwischen dem Bundesamt und den Landesämtern beschlossen. „Die im Verlauf des letzten Jahres erkannten Defizite in der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden können damit unterbunden werden.“ Das seltsam anmutende Bekenntnis der Innenminister zu ihrem Inlandsgeheimdienst sollte wohl die seit November 2011 andauernde Debatte um das Versagen des Verfassungsschutzes im Falle NSU, der übrigens in der Presseerklärung nur als „aktuelle Ereignisse“ vorkommt, abschließen. Neu ausgerichteter Verfassungsschutz? Konsequenzen der Innenminister aus dem NSU-Debakel weiterlesen

Chronik des NSU-Skandals

zusammengestellt von Martina Kant

November 2011

04.11.: Mundlos und Böhnhardt erschossen aufgefunden: Nach einem Banküberfall finden Polizeibeamte gegen Mittag in Eisenach die Leichen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in einem brennenden Wohnmobil. Dabei entdecken sie neben der Beute auch zahlreiche Schusswaffen.

Explosion in Zwickau: Gegen 15 Uhr zündet Beate Zschäpe die gemeinsam mit Böhnhardt und Mundlos genutzte Wohnung in der Frühlingsstraße 26 an und flieht.

07.11.: Polizeiwaffen gefunden: Das LKA Baden-Württemberg teilt mit, dass die beiden im Wohnmobil gefundenen Dienstwaffen der am 25. April 2007 in Heilbronn erschossenen Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter und ihrem damals schwerverletzten Kollegen gehören.

08.11.: Zschäpe stellt sich: In Begleitung ihres Anwalts erscheint die Gesuchte bei der Polizei in Jena. Chronik des NSU-Skandals weiterlesen