Schlagwort-Archive: Polizei

Von wegen neutral: Die deutsche Polizei als Akteur autoritärer Disziplinierung

von Andreas Blechschmidt

Deutschland – ein Hort der Stabilität. Was bei anderen EU-Staaten zur massiven Krise wurde, war in der BRD nur eine kleine Delle. Die Wirtschaft wächst und von Massenprotesten wie in Griechenland und Spanien keine Spur. Aber der Eindruck täuscht. Apparate und Strategien der inneren Sicherheit befinden sich seit langem im Umbruch; sie bereiten vor, was kommen könnte.

Die ökonomischen Krisen seit dem Zusammenbruch der weltweiten Finanzmärkte 2007 und die daraus resultierenden Sparmaßnahmen haben in den letzten Jahren in zahlreichen Staaten der Europäischen Union (EU) zu nachhaltigen Protesten geführt. Massenproteste zum Beispiel in Griechenland und Spanien und der Zulauf zu rechten Parteien markierten eine politische Vertrauenskrise. Dahinter steht eine grundlegende Krise des kapitalistischen Systems, das vorrangig die Interessen von InvestorInnen und deren Profitraten sichert, aber keine Perspektiven angesichts von Arbeitslosigkeit, Verarmung und zunehmender Wohnungslosigkeit bietet. Zugleich sorgen die globalen wirtschaftlichen und militärischen Konflikte für eine zunehmende Migration nach Europa, der die verantwortlichen Regierungen mit einem tödlichen Abwehrregime an den EU-Außen­grenzen begegnen, in dem die Grenzschutzagentur Frontex eine zentrale Rolle spielt. Von wegen neutral: Die deutsche Polizei als Akteur autoritärer Disziplinierung weiterlesen

Polizeiliche Todesschüsse 2012

von Otto Diederichs

PolizistInnen haben im vergangenen Jahr 36 mal auf Personen geschossen. Acht Menschen wurden dabei getötet und zwanzig verletzt. Dies geht aus der Schusswaffengebrauchsstatistik der Innenministerkonferenz hervor, die der Redaktion vorliegt.[1]

Die Zahl der Schüsse auf Personen liegt damit exakt gleich hoch wie 2011, die der Opfer hat sich leicht erhöht (2011: 6 Tote, 15 Verletzte). Zwei Schüsse auf Menschen werden offiziell als „unzulässig“ qualifiziert.

Wie die Statistik weiter zeigt, gaben PolizistInnen im Jahre 2012 insgesamt 10.353 Schüsse (2011: 8.936) ab. Zugenommen hat dabei jedoch lediglich der Schusswaffengebrauch zur Tötung gefährlicher, kranker oder verletzter Tiere. Nahezu gleich geblieben ist dagegen die Zahl der Warnschüsse (2012: 54; 2011: 49). Polizeiliche Todesschüsse 2012 weiterlesen

Polizeiliche Kriminalstatistik Berlin 2012: Mehr Racial Profiling, weniger aufgeklärte Fälle

von Angelina Weinbender

Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2012[1] schien wieder einmal zu bestätigen, dass die Kriminalität zugenommen habe und dafür vor allem die „nicht-deutschen Tatverdächtigen“ verantwortlich seien. Was bleibt von den Gewissheiten, wenn man die Statistik richtig liest?

Die PKS ist ein jährlich vom Polizeipräsidenten herausgegebener Bericht, der polizeiliche Tätigkeitsdaten enthält. Der Bericht für das Jahr 2012 umfasst über 200 Seiten mit über 200 Tabellen und Diagrammen. Er bedarf fünf Seiten an „Vorbemerkung und Begriffserläuterungen“ und bietet eine fünfseitige Zusammenfassung der Kernaussagen.

Im Allgemeinen ist die PKS ein Instrument zur Regulation von Verwaltungshandeln, mit dem Polizeihandeln dokumentiert und zukünftiges Handeln legitimiert werden kann. Die überwiegend tabellarische Darstellung erfordert eine besondere Lesekunst (und ein besonderes Leseinteresse), die auf ein begrenztes Lesepublikum trifft. Polizeiliche Kriminalstatistik Berlin 2012: Mehr Racial Profiling, weniger aufgeklärte Fälle weiterlesen

Identitätskontrollen in Frankreich: Diskriminierung festgestellt, Reform ausgeschlossen?

von Fabien Jobard und René Lévy

Ohne zu übertreiben lässt sich sagen: Die Frage der polizeilichen Identitätskontrollen hat einen zentralen Stellenwert in den Debatten über den Platz der Minderheiten in der französischen Gesellschaft, über die Diskriminierungen, denen sie ausgesetzt sind, und das, was der Staat tut , um sie zu reduzieren.

Die dramatischen Ereignisse, die die Vorstädte in den letzten Jahren erschüttert haben, haben die Bedeutung dieser Frage noch verstärkt: Es war eine simple Identitätskontrolle wenige hundert Meter von ihrer Wohnung entfernt, vor der zwei Kinder im Oktober 2005 flohen und den Tod fanden, weil sie Unterschlupf in einem Transformatorenhäuschen suchten. Der Vorfall löste eine Welle des Aufruhrs aus, die innerhalb von drei Wochen nicht weniger als 300 Städte erfasste.[1] Identitätskontrollen in Frankreich: Diskriminierung festgestellt, Reform ausgeschlossen? weiterlesen

Egal ob Hühnerstall oder Castor: Der Staatsschutz überwacht immer

Interview mit dem Hamburger Strafverteidiger Martin Lemke

Die Staatsschutzabteilungen der Polizei und der Staatsanwaltschaft ziehen alle Register – auch jenseits des rechtlich Zulässigen. Diese Bilanz zieht der Martin Lemke, Hamburger Strafverteidiger und Mitglied des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV). Martin Beck fragte ihn nach seinen Erfahrungen in politischen Strafverfahren.

Sie sind seit 20 Jahren als Strafverteidiger in Hamburg tätig. Hat sich aus ihrer Sicht in diesen zwei Jahrzehnten das Agieren des Staatsschutzes verändert?

Insbesondere im Wendland bei Castortransporten oder bei Demonstrationen in Hamburg – zu diesen beiden Bereichen kann ich am meisten sagen – geht die Polizei in ihrem Bemühen, Demonstrierende zu verfolgen, immer weiter.

Sie schreckt dabei teilweise noch nicht einmal davor zurück, ihre eigene Dämlichkeit kundzutun. Ein Beispiel: Polizisten fühlen sich ja leicht beleidigt. Wenn dann ein Beamter schreibt, er sei durch eine Geste beleidigt worden und „Geste“ mit Doppel-E schreibt, zeigt das meines Erachtens, dass er gar nicht genau weiß, was damit gemeint ist. Egal ob Hühnerstall oder Castor: Der Staatsschutz überwacht immer weiterlesen

Wir bleiben in Verbindung! Polizeilicher Staatsschutz und Geheimdienste in Europa

von Mark Holzberger und Albrecht Maurer

Für die Bekämpfung politisch motivierter Kriminalität sei –gerade im Rahmen der EU – die Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten unerlässlich. So hieß es in einem Bericht des Bundeskriminalamtes (BKA) aus dem Jahr 2007.[1] Wie steht es heute um die staatsschützerische Verquickung in der EU?

Die Statuten von Interpol schließen nicht nur eine Zusammenarbeit in politischen und militärischen Angelegenheiten aus. Sie verbieten auch eine Kooperation mit so genannten polizeilichen Nachrichtendiensten. Das waren – aus Sicht des BKA – die maßgeblichen Gründe, weswegen man sich schon seit den 70er Jahren im Kontext der damaligen EG bzw. danach im Rahmen der EU bemüht hat, Strukturen für ein möglichst reibungsloses Zusammenwirken von Polizei und Geheimdiensten – vor allem in Staatsschutzangelegenheiten – zu etablieren. Die Gründung von Europol war hierbei ein wichtiger Meilenstein. Wir bleiben in Verbindung! Polizeilicher Staatsschutz und Geheimdienste in Europa weiterlesen

Kontrollprobleme neuen Ausmaßes – Polizeilicher Staatsschutz als Geheimpolizei

von Norbert Pütter

Geheimdienste, so lehrt die Erfahrung, sind nicht nur ineffektiv, sondern auch unkontrollierbar und undemokratisch. Sie könnten, so wird neuerdings argumentiert, auch deshalb abgeschafft werden, weil mit dem polizeilichen Staatsschutz eine Instanz bereitstehe, die mit rechtsstaatlich einwandfreien Mittel den entsprechenden Gefahren entgegentreten, Straftaten verhindern oder aufklären könne.[1] Dieser „Ausweg“ schafft jedoch neue Probleme.

Historisch nahm die „politische Polizei“ schon immer eine besondere Stellung innerhalb der öffentlichen Gewalt ein.[2] Schließlich soll sie den Staat selbst vor gegen ihn gerichteten Straftaten und Gefahren schützen. Weil die staatliche Ordnung aber ein besonders hohes Rechtsgut sein soll – sie sichert die gesellschaftlichen Machtverhältnisse –, reich(t)en die „normalen“ polizeilichen und strafrechtlichen Vorkehrungen nicht aus. Besondere Strafnormen (Staatsschutzdelikte), spezialisierte Zuständigkeiten (Staatsanwaltschaften, Gerichte), gesonderte polizeiliche Abteilungen mit einem spezifischen „Tätigkeitsprofil“ sind deshalb für den Staatsschutz kennzeichnend. Kontrollprobleme neuen Ausmaßes – Polizeilicher Staatsschutz als Geheimpolizei weiterlesen

Polizeiliche Todesschüsse 2011: Richtige und falsche Kommentare zur Statistik

von Otto Diederichs

Insgesamt 36-mal haben im vergangenen Jahr Polizisten auf Personen geschossen. Sechs Menschen wurden dabei getötet und weitere 15 verletzt. Dies geht aus der jährlichen Schusswaffengebrauchsstatistik der Innenministerkonferenz (IMK) hervor.

Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU), derzeit IMK-Vorsitzender, ließ die Statistik umgehend veröffentlichen,[1] nachdem die CILIP-Redaktion Anfang Mai nachgefragt hatte. Das ist ungewöhnlich; in den zurückliegenden Jahren war hierzu meist mehrfache Drängelei und gelegentlich bei der Recherche auch erst einmal ein Umweg notwendig. Polizeiliche Todesschüsse 2011: Richtige und falsche Kommentare zur Statistik weiterlesen