Archiv der Kategorie: CILIP 081

(2/2005) Kontrolle des öffentlichen Raums

SächsVerfGH zu Trennung von Polizei und VS

Weil die Beobachtung der Organisierten Kriminalität (OK) keine originär verfassungsschutz-rechtliche Kompetenz darstelle, darf das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) OK-Phänomene nur dann mit geheimdienstlichen Mitteln überwachen, wenn diese zugleich eine Gefahr für die verfassungsmäßige Ordnung darstellen. Dies entschied der Sächsische Verfassungsgerichtshof (SächsVerfGH) in einem Urteil vom 21. Juli 2005, dessen Wirkung über die Grenzen des Bundeslandes hinausgehen wird.[1] SächsVerfGH zu Trennung von Polizei und VS weiterlesen

Britannien nach den Anschlägen – Das Anti-Terror-Recht wird nochmals erweitert

von Ben Hayes

„Die Spielregeln werden sich ändern“, kündigte der britische Premier Tony Blair nach den Londoner Attentaten an. Praktisch heißt das, dass der „Krieg gegen den Terrorismus“ zu einem Krieg gegen jene ausgeweitet wird, die die Regierung für islamistische Extremisten hält.[1]

Am 7. Juli 2005 ereigneten sich jene Attentate, die man uns seit langem als unvermeidlich angekündigt hatte. Der wirkliche Schock folgte einige Tage später, als sich herauskristallisierte, dass die „Selbstmord-Bomber“ junge britische Männer gewesen waren. An der Frage, warum sie ihre Bomben in London hochgehen ließen, scheiden sich jedoch die Geister. Die Blair-Regierung und ihre Unterstützer bestreiten bei jeder sich bietenden Gelegenheit, was für die große Mehrheit der Bevölkerung längst klar war – nämlich, dass der Irak-Krieg London zumindest zu einem wahrscheinlicheren Anschlagsziel gemacht hatte. Britannien nach den Anschlägen – Das Anti-Terror-Recht wird nochmals erweitert weiterlesen

Marianne und ihre Großen Brüder – Videoüberwachung à la Française

von Eric Töpfer und Frank Helten

Mit mehr als 40.000 Kameras, die in etwa 530 Städten öffentliche Straßen und Plätze in den Blick nehmen, gilt Großbritannien zu Recht als Paradebeispiel für exzessive Videoüberwachung. Übersehen wird dabei häufig, dass Frankreich, das alteuropäische Mutterland bürgerlicher Freiheiten, sich inzwischen britischen Verhältnissen annähert.

Bald nach den Unruhen vom Mai 1968, erinnert sich Paul Virilio, tauchten in Paris die ersten Überwachungskameras an Eingängen der Grandes Ecoles und der Universitäten auf; die Überwachung der Boulevards und Straßenkreuzungen in der Hauptstadt wurde ebenfalls mit Hilfe der neuen Geräte sichergestellt.[1] Öffentlicher Raum wird in Frankreich seit mehr als 30 Jahren videoüberwacht, zunächst allerdings in begrenztem Umfang. Erst Ende der 1980er setzte eine Entwicklung ein, die die Videoüberwachung französischer Städte inzwischen immer mehr zur Regel macht. Marianne und ihre Großen Brüder – Videoüberwachung à la Française weiterlesen

Flotter über die Grenze – Die EU-Polizeibehörden wollen stärker zusammenarbeiten

von Mark Holzberger

Derzeit wird auf vielfältige Weise versucht, die grenzüberschreitende Polizeizusammenarbeit innerhalb der EU zu intensivieren. Immer voran: das deutsche Bundesinnenministerium.

Für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit europäischer Polizeibehörden ist bisher das Schengener Durchführungsübereinkommen von 1990 (SDÜ) das wichtigste Instrument.[1] Als „Ausgleichsmaßnahme“ zum Wegfall der Binnengrenzkontrollen ermöglicht dieser Vertrag bestimmte Formen grenzüberschreitender Polizeieinsätze (z.B. Obser­va­tion, kontrollierte Lieferungen, Nacheile), einen gegenseitigen Informationsaustausch und grenzüberschreitende personelle Unterstützung (Art. 39 ff.). Nunmehr soll das SDÜ durch verschiedene EU-Rechtsakte und zwischenstaatliche Abkommen ergänzt werden – mit dem Ziel, grenzüberschreitendes polizeiliches Handeln zu erleichtern. Flotter über die Grenze – Die EU-Polizeibehörden wollen stärker zusammenarbeiten weiterlesen

Verunsichern, verdrängen, wegsperren – Polizei und informelle Jugendtreffs

von Norbert Pütter

Eine Straßenkreuzung in Frankfurt-Sossenheim entwickelte sich in den 90er Jahren zu einem Treffpunkt für Jugendliche. Das Verhalten der Jugendlichen löste Beschwerden der AnwohnerInnen aus. Stadtbehörden und Polizei reagierten. Der Konflikt zeigt exemplarisch, wie weit polizeiliche Maßnahmen gegen störende Jugendliche reichen können.[1]

Die räumlichen Voraussetzungen des Treffs waren vor Jahren durch eine Änderung der Straßenführung entstanden. Um den Schulweg sicherer zu machen, war eine Art Verkehrsinsel geschaffen worden, die der vormaligen Kreuzung einen platzartigen Charakter verlieh. Durch das Wartehäuschen einer Bushaltestelle und den offenen Eingangsbereich einer Bankfiliale eignete sich der Platz als Treffpunkt. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre hatte er sich zu einem Ort entwickelt, an dem sich Jugendliche, die von ihrer ethnischen Herkunft keine Deutschen waren, am Abend versammelten. Die Jugendlichen wohnten in den Neubaugebieten des sozialen Wohnungsbaus, die in den 60er und 70er Jahren am Rande des alten Sossenheimer Ortskerns gebaut worden waren. Verunsichern, verdrängen, wegsperren – Polizei und informelle Jugendtreffs weiterlesen

Literatur

Zum Schwerpunkt

Die gebräuchliche Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Räumen ist eng verbunden mit dem bürgerlichen Gesellschaftsmodell, in dem das Eigentum als das Fundament des freien Bürgers gilt. Wie der Bürger des frühen 19. Jahrhunderts mit seinem Eigentum (seinem Betrieb, seinem Haus, seiner Frau und seinen Kindern …) umgeht, darin soll der Staat sich nicht oder nur sehr allgemein einmischen. Erst diese ökonomisch-soziale Selbstständigkeit ermögliche es dem Bürger, mit Seinesgleichen zusammenzuwirken und die alle betreffenden Fragen zu regeln. Das soll in der „Öffentlichkeit“ geschehen. Die unterschiedlichen Regulierungen öffentlicher und privater Räume, einschließlich unterschiedlicher Eingriffsvoraussetzungen für staatliches Handeln, erklären sich aus diesem Modell. Während das Fundament bürgerlicher Existenz besonders gegenüber staatlicher Bevormundung geschützt werden muss, eröffnet die öffentliche Sphäre einen staatlichen Interventionen eher offenstehenden Raum. Historisch reguliert und kontrolliert der Staat den öffentlichen Raum da, wo er sich und die Grundfesten der bürgerlichen Gesellschaft in Gefahr sieht. Das galt quasi traditionell für alle Lebensformen, die Wohlanständigkeit und Arbeitsethik in Frage stellen – die Armen, die Bettler und Tagelöhner haben in der bürgerlichen Öffentlichkeit keinen Platz. Zensur, Vereinigungs-, Versammlungs- und Demonstrationsverbote, die Bespitzelung zunächst bürgerlicher, dann sozialdemokratischer Aktivitäten bis zur Anwendung politischen Strafrechts sind die Elemente staatlicher Regulierung der Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert. Literatur weiterlesen

Ausweitung der Polizeitätigkeit – Polizeiliche Wegweisungen in Schweizer Städten

von Viktor Györffy

Neu ist das Konzept nicht, doch nun scheint es um sich zu greifen: Eine Reihe von Schweizer Städten ist daran, ihre Polizei mit gesetzlichen Fernhaltekompetenzen auszustatten. Vorbild ist die Stadt Bern, wo die Polizei seit einigen Jahren so genannte Wegweisungsverfügungen erlassen kann.

Am Anfang betraf es einzig AusländerInnen: 1994 stimmte die Mehrheit der Stimmbevölkerung der Schweiz den „Zwangsmaßnahmen im Ausländerrecht“ zu. Mit dieser Gesetzesnovelle wurde unter anderem die Möglichkeit geschaffen, so genannte Rayonverbote gegen bestimmte Kategorien von AusländerInnen zu verhängen: Seither können die kantonalen Fremdenpolizeien „einem Ausländer, der keine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung besitzt und der die öffentliche Sicherheit und Ordnung stört oder gefährdet, insbesondere zur Bekämpfung des widerrechtlichen Betäubungsmittelhandels, die Auflage machen, ein ihm zugewiesenes Gebiet nicht zu verlassen oder ein bestimmtes Gebiet nicht zu betreten.“[1] Ausweitung der Polizeitätigkeit – Polizeiliche Wegweisungen in Schweizer Städten weiterlesen

„Ordnung muss sein“ – Ein Jahr „Kiezstreifen“ der Berliner Ordnungsämter

von Roland Otte

Im September 2004 traten die ersten Außendienstmitarbeiter der bezirklichen Ordnungsämter in Berlin ihren Dienst an. Vorangegangen war eine lange Debatte um Kompetenzen und Bewaffnung der „Kiezstreifen“. Für Bürgerinnen und Bürger bleibt undurchsichtig, was die nichtpolizeilichen Ordnungshüter eigentlich dürfen.

In Großstädten wie Berlin tun Menschen so einiges, was zwar nicht kriminell, aber nicht erlaubt ist: Abfall fallen lassen, falsch parken, auf Gehwegen Rad fahren, den Hund ohne Leine laufen lassen, ohne Genehmigung Straßenfeste feiern usw. Polizeibeamte haben in der Regel andere Dinge zu tun, als sich intensiv um Ordnungswidrigkeiten zu kümmern. Zwar wird die Polizei auch im Rahmen der Gefahrenabwehr tätig, wenn dies durch eine andere Behörde nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint.[1] Eigentlich ist die Gefahrenabwehr jedoch Aufgabe der Ordnungsbehörden.[2] Die Ordnungsaufgaben sind auf eine Vielzahl von Fachbehörden verteilt, im Stadtstaat Berlin zudem differenziert nach Landesebene und Bezirksebene. Diese Gemengelage zu straffen und personelle Voraussetzungen für die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten zu verbessern, waren die Ziele des Senats bei der Einrichtung einheitlicher bezirklicher Ordnungsämter. „Ordnung muss sein“ – Ein Jahr „Kiezstreifen“ der Berliner Ordnungsämter weiterlesen