Schlagwort-Archive: Polizei

Chronologie Juli 2021

zusammengestellt von Otto Diederichs

Dschihadist*innen-Prozesse: Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf (NRW) verurteilt eine Syrien-Rückkehrerin wegen Propaganda für den „Islamischen Staat“ (IS) und eines Kriegsverbrechens zu einer Haftstrafe von vier Jahren. Am 16. Juli verurteilt das Kammergericht (KG) Berlin eine IS-Rückkehrerin wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und anderer Delikte zu einer Haftstrafe von drei Jahren und vier Monaten. Das OLG Hamburg verurteilt am 22. Juli eine deutsch-tunesische IS-Rückkehrerin wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer Haftstrafe von vier Jahren (Az: 4 St 1/21). Durch Presseberichte wird am 28. Juli bekannt, dass die Bundesanwaltschaft (BAW) vor einem Gericht in Naumburg (Sachsen-Anhalt) gegen eine IS-Rückkehrerin Anklage wegen IS-Mitgliedschaft und Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhoben hat. Die Frau war 2015 als Jugendliche nach Syrien ausgereist.

NSU 2.0“-Drohschreiben: Das Land Hessen gründet einen Fonds, aus dem Kosten für den Schutz gefährdeter Personen getragen werden sollen, die durch rechtsextremistische Schreiben mit dem Kürzel „NSU 2.0“ bedroht werden. In ihrem am 12. Juli vorgelegten Bericht zu rechtsradikalen Chatgruppen in der hessischen Polizei formuliert das eingesetzte Expertengremium auch Forderungen nach einer Technik, die anonyme Abfragen von Polizeicomputern verhindert, wie dies im Falle der „NSU 2.0“-Drohschreiben geschehen ist. Diese Abfragen sind weiterhin ungeklärt. Chronologie Juli 2021 weiterlesen

Aggressive Polizeimännlichkeit: Noch hegemonial, aber neu begründet

von Kai Seidensticker

Die Polizei verändert sich mit gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen, hinkt allerdings beim Wandel der Geschlechterverhältnisse hinterher. Ein Blick auf Geschlecht in der Polizei zeigt, dass die aggressive Polizeimännlichkeit weiterhin als dominantes Muster wirksam ist. Sie wird aber neu begründet.

Frauen gehören seit nunmehr 40 Jahren zum Bild der deutschen Polizeien (siehe Beitrag von Eva Brauer in diesem Heft). Ihr Anteil am Personalkörper betrug im Jahr 2018 je nach Behörde bis zu 32 Prozent. Diese Veränderung der geschlechtlichen Verteilung innerhalb der Personalstruktur fordert tradierte Rollenvorstellungen in der Polizei heraus. Eine Transformation polizeilicher Handlungsmuster, z. B. in Form von mehr kommunikativen Konfliktlösungsstrategien oder stärkerer Einzelfallberücksichtigungen im Umgang mit Bürger*innen, ist bisher jedoch nicht zu verzeichnen. Männlichkeit bildet vielmehr auch heute noch den Kern polizeilicher Handlungslogiken.

In diesem Beitrag gebe ich einen Einblick, wie Männlichkeit in der Polizeiorganisation reproduziert wird. Dabei zeige ich auf, wie die aggressive Polizeimännlichkeit vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels von Geschlechterverhältnissen neu hervorgebracht wird. Aggressive Polizeimännlichkeit: Noch hegemonial, aber neu begründet weiterlesen

Polizeigewalt und Geschlecht: Sedimente eines vergeschlechtlichten Staates

von Hannah Espín Grau

Die wenigsten Fälle übermäßiger polizeilicher Gewalt landen vor Gerichten. Ein Fall aus Köln, in dem die Rechtswidrigkeit polizeilicher Maßnahmen gerichtlich festgestellt wurde, zeigt wie unter einem Brennglas, welche Rolle Männlichkeitskonstruktionen bei Anwendung und Aufarbeitung übermäßiger Polizeigewalt spielen.

Äußerst selten stimmen nach einer polizeilichen Gewaltanwendung die betroffene Person, polizeiliche Zeug*innen und ein Gericht überein, dass die Gewaltanwendung rechtswidrig war. Im Urteil des Landgerichts Köln vom 5. April 2019 (153 Ns 100/18)[1] lässt sich ein derartiger Fall nachvollziehen, der zahlreiche Anhaltspunkte für eine männlichkeitskritische Analyse bietet. Leser*innen, die keine detaillierten Schilderungen homofeindlicher Gewalt lesen möchten, mögen den nächsten Absatz überspringen. Polizeigewalt und Geschlecht: Sedimente eines vergeschlechtlichten Staates weiterlesen

Männliche Räume – Polizeiliche Raumproduktionen und Geschlecht

von Eva Brauer

Seit nunmehr 40 Jahren gehören Frauen zum Bild der deutschen Polizei. Dennoch ist Männlichkeit in der Polizeikultur auffallend persistent. Eine Analyse institutioneller Raumproduktionen liefert Antworten auf die Frage, wie polizeiliche Maskulinität als konstitutiver Bestandteil der Polizei legitimiert wird.

Gesellschaftliche Geschlechterverhältnisse verändern sich. Mit dem Einzug von Frauen steht der Wesenskern der Institution – ihr Charakter als männlich geprägte Domäne – unter zunehmendem Legitimationsdruck. Männliche Räume – Polizeiliche Raumproduktionen und Geschlecht weiterlesen

Chronologie Mai 2021

zusammengestellt von Otto Diederichs

1. Mai: Mai-Demonstrationen: In Berlin demonstrieren rund 10.000 Radfahrer*innen durch ein Villenviertel. In einem anderen Stadtteil versammeln sich etwa 200 Corona-Leugner*innen. Bei der „Revolutionären 1. Mai-Demonstration“ mit mindestens 20.000 Teilnehmer*innen kommt es nach einem unvermittelten polizeilichen Angriff  massiven Ausschreitungen. Über den Tag verteilt werden in Berlin 354 Personen festgenommen; 93 Polizist*innen werden verletzt, davon drei schwer. Nach Ansicht des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Berlin waren die Ausschreitungen nicht geplant. In Hamburg sind mehrere Demonstrationen und Kundgebungen aus Infektionsschutzgründen verboten. Dennoch versammeln sich rund 80 Demonstrant*innen des linken Spektrums. Als die Polizei den Zug stoppt. kommt es zu ersten Handgreiflichkeiten; eine 40-köpfige Gruppe wird eingekesselt und in Gewahrsam genommen. Bei einer Kundgebung in Leipzig (Sachsen) mit 200 Teilnehmer*innen wird die Polizei mit Böllern beworfen; eine Gruppe von 20 bis 30 Personen wird festgesetzt. An einem AfD-Autokorso in Erfurt (Thüringen) beteiligen sich 240 Fahrzeuge. In Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) beteiligen sich etwa 230 Menschen an einem NPD-Aufzug, auch in Essen (NRW) demonstrieren NPD-Anhänger*innen. Chronologie Mai 2021 weiterlesen

Chronologie April 2021

Zusammengestellt von Otto Diederichs

1. April: Polizeischüsse: In Euskirchen (NRW) nimmt ein Mann einen Hotelangestellten als Geisel und verlangt Lösegeld. Die Polizei überwältigt den Täter durch einen Schuss in die Hüfte. In Krumbach (Bayern) hält sich am gleichen Tag ein Mann unbefugt auf einem fremden Grundstück auf und weigert sich, dieses zu verlassen. Als er eine Polizistin mit einem spitzes Gegenstand angreift, schießt ihr Kollege mehrfach auf den Mann und verletzt ihn schwer. In Hilden (NRW) bedroht ein Mann Polizeibeamte mit einem Schwert, die Beamten schießen ihm daraufhin ins Bein. Er kommt schwerverletzt ins Krankenhaus. Am 21. April greift in Bayreuth (Bayern) ein Mann seinen Vater an und verbarrikadiert sich dann in seinem Zimmer. Als Polizisten das Zimmer stürmen, greift er sie mit einem Messer an. Dann schießt ihm ein Beamter in die Hand. In Haßfurt (Bayern) geben Polizeibeamte am 22. April bei der Festnahme von Drogenhändlern zwei Warnschüsse ab um deren Flucht zu stoppen. Vier Verdächtige werden festgenommen; 7,5 kg Marihuana und eine größere Menge Bargeld werden sichergestellt. Bei einer Fahrzeugkontrolle in Berlin schießt am 24. April ein Polizeibeamter auf die Motorhaube des Wagens, als der Fahrer angeblich plötzlich auf ihn zu beschleunigt; dieser kann flüchten. Chronologie April 2021 weiterlesen

Ein Stück gebändigte Demokratie: NRW plant Versammlungs-Verhinderungsgesetz

Während in Berlin Schritte hin zu einer Liberalisierung des Versammlungsrechts eingeschlagen werden, scheint Nordrhein-West­falen den entgegengesetzten Weg zu gehen. Der Entwurf für ein Landesversammlungsgesetz atmet den Geist des Misstrauens gegen Anmelder*innen und Teilnehmer*innen, anstatt möglichst umfangreich die Versammlungsfreiheit zu gewährleisten.

Seit der Föderalismusreform 2006 liegt das Versammlungsrecht in der Kompetenz der Länder. Bisher haben lediglich Bayern (2008), Sachsen-Anhalt (2009), Niedersachsen (2010), Sachsen (2012) und Schleswig-Holstein (2015) von dieser Kompetenz Gebrauch gemacht. In den übrigen Bundesländern gilt gemäß Art. 125a Abs. 1 Grundgesetz (GG) (teilweise mit geringfügigen Abwandlungen) weiterhin das Versammlungsgesetz des Bundes. Das in Berlin beschlossene Versammlungsfreiheitsgesetz (VersFG BE) ist Ende Februar 2021 in Kraft getreten. Inmitten pandemiebedingter Einschränkungen brachte die nordrhein-westfälische Landesregierung am 21. Januar 2021ebenfalls einen Gesetzesentwurf in den Landtag ein, der es in sich hat.[1] Mit dem Entwurf für ein Landesversammlungsgesetz könnten Versammlungen zukünftig er­heblich erschwert werden. Im Folgenden sollen wesentliche Punkte des Gesetzesentwurfes diskutiert und dem Berliner Gesetz gegenübergestellt werden, um abschließend auch das Berliner Gesetz kritisch zu beleuchten. Ein Stück gebändigte Demokratie: NRW plant Versammlungs-Verhinderungsgesetz weiterlesen

Gesucht: eine andere Polizei. Zur Debatte um Polizei und Polizeigewalt in Frankreich

Interview mit Fabien Jobard

„In einem so zentralistischen und autoritären Staat wie Frankreich erscheint schon die bloße Vorstellung, dass man auf die Polizei ver­zichten könnte, reichlich exotisch“, sagt der Polizeiforscher Fabien Jobard. Heiner Busch fragte ihn nach den Konsequenzen von Black Lives Matter- (BLM) und Gelbwestenbewegung auf die neuere Diskussion um Polizei und Polizeigewalt.

Fabien Jobard, hat es denn in Frankreich auch eine Black Lives Matter-Be­wegung gegeben?

Ja, aber sie war weniger mit dem Namen von George Floyd, sondern vor allem mit dem von Adama Traoré verbunden. Am 19. Juli 2016 war die­ser 24-jährige Schwarze Mann in Beaumont-sur-Oise, einer Stadt in der entfernteren Pariser Banlieue, von Gendarmen angehalten worden, konnte aber zunächst entkommen. Als sie ihn dann in der Wohnung eines Kollegen fanden, legten sie ihm Handschellen an und fixierten ihn am Boden – in der gleichen Stellung, in der einige Jahre später auch George Floyd festgehalten wurde. Adama Traoré erstickte, aber anders als im Falle George Floyd gab es hier niemanden, der seine Agonie filmte. Die Familie Traoré, vor allem Adamas Schwester Assa, organisierte schon 2016 Proteste. Floyds „I can’t breathe“ bewirkte 2020 eine zweite Welle der Mobilisierung. Als die BLM-Bewegung in den USA auf­tauchte, war die Sozialarbeiterin Assa Traoré schon eine sehr bekannte Person, die es mehrmals auf die Frontseiten der Tages- und Wochenpresse geschafft hatte. Gesucht: eine andere Polizei. Zur Debatte um Polizei und Polizeigewalt in Frankreich weiterlesen