Chronologie März 1996

zusammengestellt von Melanie Hillmann

01.03.:

• Konrad Porzner (SPD), seit 1990 Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), bittet um die Versetzung in den Ruhestand. Hintergrund ist ein Streit mit Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU). Nach dem Verzicht des designierten Nachfolgers Gerhard Güllich (SPD) am 2.4 tritt am 4.6. der bisherige Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) Hansjörg Geiger die Nachfolge an. Im Juni tritt Güllich vorzeitig in den Ruhestand. Neuer Vize-Präsident wird am 18.6. Rainer Keßelring.

• Wegen Erkrankung der Angeklagten muß der Prozeß gegen die mutmaßliche Terroristenhelferin Monika Haas unterbrochen werden. Die Angeklagte bleibt weiterhin in Haft. Am 9.5. beginnt die zweite Auflage des Prozesses. Chronologie März 1996 weiterlesen

Die Berliner „Lumpen-Affäre“ – Vom polizeilichen Umgang mit Menschen

von Otto Diederichs

In den zurückliegenden zwei Jahren sah sich ‚amnesty international‘ gefordert, jeweils in einem eigenen Bericht die polizeiliche Behandlung von AusländerInnen in der Bundesrepublik öffentlich zu machen. (1) Im Bericht für die Jahre 1992-95 war Berlin mit mehr als der Hälfte aller Fälle vertreten; im Bericht für 1995/96 tauchte es dann nicht mehr auf – für die politische und polizeiliche Führung der Stadt ein positives Zeichen. Dabei werden in Berlin seit 1987 pro Jahr im Durchschnitt 600 Anzeigen gegen Polizeibeamt-Innen wegen Verstoßes gegen § 340 des Strafgesetzbuches, d.h. Körperletzung im Amt, erstattet. (2) Eine Einengung auf Körperverletzung begangen an AusländerInnen ist nicht möglich, da die Statistik dies nicht gesondert ausweist. Daß man Menschen indes ebenso Gewalt antun kann, ohne direkt auf sie einzuschlagen, auch diesen traurigen Beweis hat nun die Berliner Polizei angetreten.

Seit Anfang der neunziger Jahre der frühere ‚Ostblock‘ politisch zusammenbrach, sieht sich Berlin verstärkt mit illegaler Zuwanderung aus Osteuropa konfrontiert. In den Jahren 1990 bis 1994 waren darunter in größerem Maße auch Rumänen vertreten. Durch die restriktive Ausländerpolitik des Berliner Senats, gestützt auf ein Rückübernahmeabkommen zwischen der Bundesrepublik und Rumänien und die Perfektionierung bei der Absicherung der Grenzen nach Polen und Tschechien durch den Bundesgrenzschutz (BGS), (3) hat sich die Situation unterdessen wieder ’normalisiert‘: Bevor das Abkommen am 1.11.92 in Kraft trat, suchten nach Angaben des Bundesinnenministeriums monatlich zwischen 13.000 und 17.000 RumänInnen in der Bundesrepublik um Asyl nach. (4) In den ersten zehn Monaten danach wurden bereits ca. 30.000 von ihnen wieder abgeschoben. (5) Die Zahl der registrierten Neuankommenden sank daraufhin rapide, im August 1993 waren es noch rund 2.000 im Monat. (6) Ein nicht geringer Teil dieser Menschen fand immer auch seinen Weg nach Berlin, darunter zeitweise auch etliche Kriminelle, die gezielt als Taschendiebe eingereist waren. Die Berliner „Lumpen-Affäre“ – Vom polizeilichen Umgang mit Menschen weiterlesen

V-Personen als Beweismittel – Eine kritische Würdigung

von Rainer Endriß

Die Genehmigung von Einsätzen Verdeckter Ermittler (VE) der Polizei, deren Befugnisse und die Verwertung der von VE zusammengetragenen Informationen zu Beweiszwecken sind in den §§ 110b ff. der Strafprozeßordnung (StPO) geregelt. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 22.2.95, (1) wonach die §§ 110b ff. StPO auf Vertrauenspersonen (VP) der Polizei keine entsprechende Anwendung finden, hat sich dieses Instrument polizei-operativer Maßnahmen als schärfste Waffe zur Bekämpfung mittlerer (Drogen-) Kriminalität herausgebildet.

Insbesondere gilt dies für den Geltungsbereich des baden-württembergischen Polizeigesetzes, in dem keine Ermächtigungsgrundlage für den Einsatz von Vertrauenspersonen normiert ist; (2) insoweit bleibt es bei der Rechtsgrundlage der §§ 161, 163 StPO, welche die Ermittlungen und den Zugriff der Polizei allgemein regeln sowie bei der Definition der Richtlinie von 1986, wonach es sich bei der Vertrauensperson um „eine Person handelt, die ohne einer Strafverfolgungsbehörde anzugehören, bereit ist, diese bei der Aufklärung von Straftaten auf längere Zeit vertraulich zu unterstützen, und deren Identität grundsätzlich geheimgehalten wird.“ (3) V-Personen als Beweismittel – Eine kritische Würdigung weiterlesen

Die Schweiz – mit oder ohne Schnüffelpolizei? Staatsschutzgesetz versus Abschaffungsinitiative

von Catherine Weber und Heiner Busch

Der 1994 vom ‚Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement‘ (EJPD), dem Justizministerium der Schweiz, vorgelegte Entwurf eines Staatsschutzgesetzes ist am 4./5.6.96 vom Nationalrat, der großen Parlamentskammer, beraten worden. Der Nationalrat hat den Entwurf zwar in einigen Punkten gegenüber der im Vorjahr beschlossenen Version des Ständerats, der kleinen Kammer, entschärft, bereits jetzt steht aber fest: Eine Einsicht in Staatsschutzakten, wie sie nach der ‚Fichenaffäre‘ 1989 erkämpft wurde, wird es nach Inkrafttreten dieses Gesetzes nicht mehr geben.

In der Schweiz leben ca. 6 Mio. Menschen. In den Archiven der Bundespolizei, so stellte die ‚Parlamentarische Untersuchungskommission‘ (PUK) über „besondere Vorkommnisse im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement“ fest, waren 1989 über 900.000 Personen auf Karteikarten – sog. Fichen – erfaßt.(1) Der Bericht der PUK löste den ‚Fichenskandal‘ aus, der in der Schweiz kurz vor dem 700jährigen Jubiläum der Eidgenossenschaft zu breiter Empörung führte. (2) Zwei Schlußfolgerungen zog die Linke aus der flächendeckenden Überwachung: Sie startete eine Volksinitiative zur Abschaffung der politischen Polizei und forderte umfassende Einsicht in die Akten des Staatsschutzes. Die Schweiz – mit oder ohne Schnüffelpolizei? Staatsschutzgesetz versus Abschaffungsinitiative weiterlesen

Einsichtnahme von JournalistInnen in Stasiakten – ‚Trüffelschweine‘ für die Staatsanwälte

von Wolfgang Gast

In der Juni-Ausgabe seiner Verbandszeitschrift ‚Stacheldraht‘ prangerte der ‚Bund der Stalinistisch Verfolgten‘ die vom Bundestag beabsichtigte Novellierung des Stasiunterlagengesetzes (StUG) an. „Die jetzigen Änderungsvorschläge“, hieß es, „kommen dem Beginn einer Amnestie gleich“. (1) Im Visier der Opfervereinigung ist eine parteiübergreifend geplante Stichtagsregelung. Die Behörde des ‚Bundesbeauftragten des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik‘, nach ihrem Leiter kurz ‚Gauck-Behörde‘ genannt, soll künftig in den Fällen keine Auskunft mehr erteilen dürfen, in denen eine Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der DDR vor dem 1.1.76 „endgültig beendet“ wurde. Im Gegensatz zur bisher gültigen Praxis soll dann bei Personenüberprüfungen für diesen Betroffenenkreis eine Unterrichtung über eine frühere Stasimitarbeit entfallen – unabhängig von der Art und Weise oder dem Grad der Verstrickung in Repressionsmaßnahmen der Stasi. Der Antrag, von CDU/CSU, FDP und SPD gemeinsam eingebracht, wurde Ende Juni im Innenausschuß des Bundestages beraten. Mit einer Verabschiedung der Gesetzesnovelle wird aber nicht vor Anfang 1997 gerechnet.

Viereinhalb Jahre nach Inkrafttreten des StUG wird zur Begründung der Gesetzesänderung von den Bonner Altparteien der Rechtsfrieden in der Bundesrepublik und die notwendige Integration ehemaliger Stasimitarbeiter angeführt. So heißt es im Entwurf, „es ist angebracht, die Erteilung von Auskünften durch den Bundesbeauftragten maßvoll einzuschränken“. (2) Einsichtnahme von JournalistInnen in Stasiakten – ‚Trüffelschweine‘ für die Staatsanwälte weiterlesen

Anschriften für Auskunftsbegehren (Dokumentation)

Die Durchsetzung von formell geregelten Rechten hat immer auch etwas damit zu tun, wie häufig und mit welchem Nachdruck von diesen Rechten Gebrauch gemacht wird. Nicht anders verhält es sich auch bei den Auskunfts- und Einsichtsrechten in Aktenvorgänge der Sicherheitsbehörden. Die nachfolgend aufgeführten Adressen sollen dabei mit dazu beitragen, die erste Hemmschwelle nach Möglichkeit etwas zu senken, indem zumindest schon einmal die Adresse zur Hand ist, an die Aktenauskunftsanträge zu richten sind. Anschriften für Auskunftsbegehren (Dokumentation) weiterlesen

Über die schwierige Aktenauskunft bei Sicherheitsbehörden – Ein authentischer Fall

von Otto Diederichs

Irgendwann zu Beginn der 70er Jahre muß Frau Gabriele Weber erstmals in den Blick der deutschen Sicherheitsbehörden geraten sein: Die damals Jugendliche war Mitglied der ‚Roten Hilfe Bonn‘, einer jener undogmatischen Gruppen dieser Zeit, die sich der Gefangenenbetreuung widmeten. Den sog. ‚Knastgruppen‘ schenkten Verfassungsschutz und Polizeilicher Staatsschutz ein besonderes Augenmerk, da man sie pauschal der Unterstützung des Terrorismus verdächtigte. Genau bekannt ist es trotz aller Bemühungen zwar auch heute noch nicht, aber sehr wahrscheinlich war dies der Grund. Wenn nicht, beginnt die Geschichte mit Sicherheit am 18. Oktober 1974.

An diesem Tag wurde Jürgen Bodeux, später Kronzeuge im sog. ‚Schmücker-Prozeß‘, aus der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Moabit zur Vernehmung gebracht. In diesem bisher längsten Strafprozeß in der Geschichte der Bundesrepublik, welcher von Justizskandalen nur so wimmelte, ging es um die Verwicklungen der Sicherheitsbehörden in den Feme-Mord an dem V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes Ulrich Schmücker. (1) Über die schwierige Aktenauskunft bei Sicherheitsbehörden – Ein authentischer Fall weiterlesen

Aktenauskunft und Akteneinsicht bei der Berliner Polizei – Betrachtung aus Sicht des Datenschutzes

von Claudia Schmid

Das Recht der Bürger auf Zugang zu ihren Daten ist von elementarer Bedeutung. Das Bundesverfassungsgericht hat dies im Volkszählungsurteil von 1983 besonders hervorgehoben: „Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wäre eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß“.

Zwar auf das Volkszählungsgesetz bezogen, aber durchaus auch auf andere Bereiche übertragbar, heißt es in der Entscheidung an anderer Stelle: „Würde das Volkszählungsgesetz 1983 demnach verhindern, daß der Bürger Kenntnis erlangen könnte, wer wo über welche seiner personenbezogenen Daten in welcher Weise und zu welchen Zwecken verfügt, so wäre sein Rechtsschutz verfassungsrechtlich unzureichend.“ Aktenauskunft und Akteneinsicht bei der Berliner Polizei – Betrachtung aus Sicht des Datenschutzes weiterlesen

Institut für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit e.V.